10 September 2021

Gibt Bayern der Natur Rechte?

„Gib der Natur Rechte!“, fordert ein Volksbegehren in Bayern, das natürliche Eigenrechte in die bayerische Landesverfassung aufnehmen möchte. Bayern wäre mit solchen Rechten nicht allein, denn in den letzten Jahren haben zahlreiche Rechtsordnungen Rechte der Natur anerkannt. Für das deutsche Recht handelt es sich hierbei freilich um eine Neuheit, die jedoch nicht auf unüberwindbare verfassungsrechtliche Hindernisse stoßen dürfte. Im Gegenteil: Für die dringenden ökologischen Fragestellungen unserer Zeit können sich Rechte der Natur als eine wertvolle Chance erweisen.

Verfahrensrechtliche Hürden

Vor kurzem hat das bayerische Initiativkomitee seinen Entwurf vorgestellt, der Rechte der Natur in Art. 101 BayVerf aufnehmen möchte. Soll dies gelingen, muss das Volksbegehren ein mehrstufiges Verfahren nach Art. 74 BayVerf i. V. m. Art. 62 ff. LWG durchlaufen. Ab dem 26.9. möchte die Initiative Unterschriften für den Antrag auf Zulassung des Volksbegehrens sammeln. Gelingt es, 25.000 Stimmen hinter dem Volksbegehren zu vereinen, muss das Staatsministerium des Inneren dessen Zulässigkeit prüfen und ggf. eine Entscheidung des VerfGH herbeiführen (Art. 64 Abs. 1 S. 1 LWG). Verläuft diese Prüfung erfolgreich, ist im nächsten Schritt ein Quorum von 10% der Stimmberechtigten erforderlich. Ist auch diese Hürde gemeistert, muss der Landtag über den Entwurf beraten (Art. 74 Abs. 3 S. 1 BayVerf; Art. 73 LWG). Nimmt er ihn an, wird er unmittelbar zum Gesetz (vgl. Art. 73 Abs. 3 LWG), lehnt er in ab, folgt der eigentliche Volksentscheid.

Der neue Art. 101 BayVerf

Rechte der Natur werden bereits seit zahlreichen Jahrzehnten als eine Möglichkeit diskutiert, die Defizite des Umweltrechts zu überwinden. Indem die Natur – oder einzelne natürliche Entitäten – als eigenständige Rechtsträgerinnen neben den Menschen treten, soll natürlichen Interessen (etwa in Abwägungsentscheidungen) ein höheres Gewicht als bislang zukommen, insbesondere aber die Klagemöglichkeiten gegen Umweltschädigungen unabhängig von menschlicher Betroffenheit ausgeweitet werden.

Heute finden sich derartige Rechte in verschiedenen Rechtsordnungen (vgl. hierzu etwa Zenetti; Torres). Besonders weitgehend ist hierbei Ecuador, das in seiner Verfassung der „Natur oder Pacha Mama“ verschiedene Rechte einräumt, die von jeder beliebigen (menschlichen) Person eingeklagt werden können und hiermit gleichzeitig auf indigenes Denken rekurriert (ausf. hierzu Gutmann).

Das bayerische Volksbegehren setzt bei Art. 101 BayVerf an, der bislang das Recht einräumte „innerhalb der Schranken der Gesetze und der guten Sitten alles zu tun, was anderen nicht schadet.“ Der letzte Satzteil soll dahingehend geändert werden, dass nur noch das erlaubt ist, „was den Rechten anderer und den Rechten der natürlichen Mitwelt nicht schadet.“ Anders als etwa Ecuador (oder noch detaillierter Bolivien) buchstabiert der bayerische Entwurf aber weder  konkrete Rechte aus noch legt er fest, wer diese Rechte einfordern kann.

Sollte das Volksbegehren Erfolg haben, wäre dies aber als Auftrag an die Gesetzgebung zu verstehen, Möglichkeiten zur klageweisen Geltendmachung der Eigenrechte der Natur zu etablieren. So lässt die Begründung des Initiativtextes keinen Zweifel daran, dass insbesondere die Klagemöglichkeiten gegen Umweltbeeinträchtigungen erweitert werden sollen. Möglich wäre etwa, dass Bayern von der Öffnungsklausel des § 42 Abs. 2 VwGO Gebrauch macht und im Rahmen seiner umweltrechtlichen Kompetenzen die verwaltungsgerichtliche Klagebefugnis so erweitert, dass Rechte der Natur eingeklagt werden können. Auch eine Ausweitung bereits bestehender landesrechtlicher Verbandsklagerechte oder die Schaffung einer Treuhandklage für die Natur wäre denkbar.

Doch welche konkreten Rechte könnten auf diese Weise für die Natur eingefordert werden? Der Entwurf lässt diese Frage offen und geht lediglich von der Existenz von „Rechten der natürlichen Mitwelt“ aus. Dass diese Rechte gewissermaßen als Schranke der menschlichen Handlungsfreiheit in Art. 101 BayVerf eingefügt werden sollen, erscheint konsequent, da zum einen das Recht ein menschliches Steuerungsinstrument ist und zum anderen gerade menschliches Verhalten die größten Gefahren für die Natur birgt. Feststehen dürfte aufgrund dieses Wortlauts auch, dass mehr als eine bloße – Art. 20a GG vergleichbare – Staatszielbestimmung intendiert ist, auch weil Art. 141 BayVerf bereits eine weitreichende Umweltstaatszielbestimmung enthält. Intendiert ist also – auch dies wird von der Begründung des Volksbegehrens gestützt – ein originäres Recht der Natur. Damit dieses Recht nicht leerläuft, ist wohl davon auszugehen, dass Art. 101 BayVerf n.F. bereits verfassungsunmittelbar ein gewisses Maß an „Natürlichkeit“ der Natur schützt. Die Natur muss also das Recht haben, sich zu entwickeln und zu entfalten, vor allem aber als solche zu existieren. Dies steht zudem im Einklang mit Art. 141 BayVerf, welcher u.a. den Schutz und pfleglichen Umgang mit der Natur und den Ressourcen schonenden Umgang bestimmt und nicht zuletzt den Genuss der Naturschönheit gestattet. Dies setzt zwangsläufig die Existenz einer Natur voraus. Dieses Recht der Natur auf Natürlichkeit bedarf der Konkretisierung durch Gesetzgebung und Rechtsprechung, wobei ein Blick auf Rechtsordnungen, die bereits mit Eigenrechten der Natur operieren, hilfreich sein dürfte.

Verfassungsrechtliche Vereinbarkeit

Doch wären solche Rechte überhaupt verfassungsrechtlich zulässig? Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für eine Änderung der Bayerischen Verfassung im Rahmen der Volksgesetzgebung ist gem. Art. 75 Abs. 1 S. 2 BayVerf jedenfalls die Wahrung des Art. 28 Abs. 1 GG. Auch sonstiges Bundesrecht stellt jedenfalls mittelbar eine Schranke dar, da es entgegenstehendes Landes(verfassungs)recht verdrängt. So könnten sich insbesondere aus den Grundrechten des Grundgesetzes Limitierungen für Eigenrechte der Natur auf Landesebene ergeben.

Zu kurz greifen dürfte jedenfalls eine Ansicht, nach welcher die Menschenwürde verbietet, Rechtssubjekte jenseits des Menschen anzuerkennen (vgl. Gärditz, Art. 20a Rn. 23 ff.). Die Menschenwürde gewährt zwar absolut, dass dem einzelnen Menschen die Rechtssubjektivität zuerkannt wird, schafft allerdings keinen Exklusivitätsanspruch (Kersten, S. 109), worauf bereits die Anerkennung von Rechtspersönlichkeit inländischer juristischer Personen gem. Art. 19 Abs. 3 GG hinweist (für eine Öffnung dieser Norm für Rechte der Natur bereits Fischer-Lescano). Mit der Anerkennung der Eigenrechte der Natur ist zudem nicht intendiert, den Grundsatz der Unabwägbarkeit der Menschenwürde anzutasten.

Schwieriger gestaltet sich die Frage der Vereinbarkeit mit der Eigentumsfreiheit, schließlich befinden sich große Teile der Natur (z.B. Wälder, Felder, Tiere) heute in menschlichem Eigentum. Das ecuadorianische Verfassungsgericht geht ausdrücklich davon aus, dass die Natur gleichzeitig Rechtsträgerin und (Eigentums-)Objekt sein kann. So wird allgemein anerkannt, dass Rechte der Natur nicht jegliche menschliche Naturnutzung ausschließen (Gutmann, S. 115), sondern lediglich dazu verpflichten, hierbei natürliche Interessen maßgeblich zu berücksichtigen. Aus dogmatischer Perspektive stellt die alleinige Anerkennung von Rechten der Mitwelt gem. Art. 101 BayVerf n.F. jedenfalls keine Inhalts- und Schrankenbestimmungen oder gar eine Enteignung i.S.v. Art. 14 Abs. 1, 3 GG dar. So wird durch Art. 101 BayVerf n.F. weder abstrakt-generell für die Zukunft Eigentum ausgestaltet oder begrenzt noch wird konkret-individuell Eigentum zum Teil oder vollständig entzogen. Eine notwendige einfachgesetzliche Konkretisierung hingegen wird wiederum wohl als Inhalts- und Schrankenbestimmung zu Art. 14 GG zu klassifizieren sein, die dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechen müsste.

Dieses ist auch bei einer einfachgesetzlichen Ausgestaltung hinsichtlich Art. 12 Abs. 1 GG zu beachten. Allein durch die Eigenrechte der Mitwelt gem. Art. 101 BayVerf n.F. wird die Berufsfreiheit zwar möglicherweise berührt, jedoch ohne die Grenze zur Eingriffsqualität zu überschreiten – nicht einmal unter Verweis auf den sog. modernen Eingriffsbegriff, welcher wiederum durch das Merkmal der objektiv berufsregelnden Tendenz (BVerfG Rn. 270) eingeschränkt wird.

Ähnliches gilt schließlich für die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG. So besteht Einigkeit (vgl. nur Kingreen/ Poscher, Rn. 455; Rixen, Art. 2 Rn. 81; Epping, Rn. 568), dass aufgrund des weiten Schutzbereichs der sog. moderne Eingriffsbegriff nicht ausreichen kann. Mithin ist bereits ein Eingriff durch Art. 101 BayVerf n.F. in Art. 2 Abs. 1 GG nicht ersichtlich. Selbst wenn dies aber der Fall wäre, so würden die Eigenrechte der Mitwelt auf Ebene der Rechtfertigung zur „verfassungsmäßigen Ordnung“ (BVerfG, Rn. 153) i.S.v. Art. 2 Abs. 1 GG zählen.

Chance

Rechte der Natur stellen ohne Zweifel eine Neuheit für die deutsche Rechtsdogmatik dar, die das Recht vor Herausforderungen stellt. Diese sind jedoch nicht unüberwindbar, vielmehr ist das neue Konzept mit dem Grundgesetz vereinbar. Anlässlich der Bedrohung durch die Klimakrise und zahlreicher anderer ökologischer Katastrophen erscheint es schließlich dringend geboten, auch im Recht nach neuen Wegen zu suchen.

 

Der Beitrag beruht auf einem umfangreicheren Text der Autor*innen, der unter dem Titel „Landesgrundrechte für die Natur? Eine Betrachtung des bayrischen Volksbegehrens „Gib der Natur Rechte““ demnächst in der DÖV erscheinen wird. Er entstand im Rahmen des DFG-Projekts 421427080 – Die Natur als Rechtsperson, Andreas Fischer-Lescano


One Comment

  1. Reyes Tue 2 Nov 2021 at 22:13 - Reply

    I admire and respect your blog.
    Thank you

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