Glücksspielmonopol: Karlsruhe droht neuer Ärger aus Luxemburg
Dem Bundesverfassungsgericht steht erneut ein sehr unangenehmes Urteil des Europäischen Gerichtshofs ins Haus.
Diesmal geht es um die Karlsruher Praxis, verfassungswidrige Gesetze mit einem Übergangszeitraum zu versehen. Also für eine gewisse Zeit fortgelten zu lassen, damit der Gesetzgeber Zeit hat, den Fehler zu korrigieren.
Verfassungs- und europarechtswidrige Heuchelei
Das tut das BVerfG regelmäßig, so auch in seinem Urteil zum Glücksspielmonopol vom 28. März 2006: Dort hat der Erste Senat in wünschenswerter Klarheit festgestellt, dass es nicht sein kann, privaten Unternehmen das lukrative Geschäft mit Glücksspielen unter Strafandrohung zu verbieten, angeblich um die armen Spielsüchtigen vor der Raffgier der Wettveranstalter zu schützen – und gleichzeitig für das staatlich lizenzierte Wettmonopol aus allen Rohren Reklame zu betreiben.
Das war ein sehr vernünftiges Urteil und lag auch ganz auf der Linie des EuGH, der in seinem Urteil Gambelli ganz ähnlich argumentiert hatte. Das Glücksspielmonopol war also nicht nur verfassungswidrig, sondern auch europarechtswidrig (Dienstleistungsfreiheit).
Gültiges Recht, aber unanwendbar
Das Problem ist aber die Übergangsfrist. Was soll ein deutscher Richter tun, wenn das Verfassungsgericht sagt, er muss das (verfassungswidrige, aber erstmal weiterhin gültige) Gesetz übergangsweise weiterhin anwenden, und der EuGH ihm sagt, er darf das (europarechtswidrige) Gesetz nicht anwenden?
In dieser Art von Double Bind befand sich das Verwaltungsgericht Köln, das über eine Ordnungsverfügung der Stadt Bergheim gegen die Winner Wetten GmbH, ein privates Wettvermittlungsbüro, zu entscheiden hatte. Das VG legte das Problem dem EuGH vor. Jetzt hat Yves Bot seine Schlussanträge veröffentlicht. Quintessenz: Die Karlsruher sollen Übergangsfristen einräumen, wo viel sie wollen, aber anwenden dürfen die Richter das Gesetz deswegen noch lange nicht.
Wow. Das wird bestimmt für mächtig gute Karnevalsstimmung sorgen am Karlsruher Schlossplatz.
“Filipiak”
Zur Begründung sagt GA Bot zunächst, dass das Gesetz ja ruhig gültig bleiben könne, es dürfe halt nur nicht mehr angewandt werden. Er stützt sich dabei auf ein Urteil vom letzten November, Filipiak. Dort ging es um eine einkommensteuerrechtliche Regelung in Polen, die der polnische Verfassungsgerichtshof für nichtig erklärte, aber erst ab einem späteren Zeitpunkt – was laut EuGH überhaupt nichts daran ändert, dass das Europarecht die polnischen Gerichte zur Nichtanwendung zwingt. Das gilt, so GA Bot, für Deutschland und Karlsruhe ganz genauso:
Mit anderen Worten müssen die Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit und die der Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht ihre Wirkungen entfalten können, ohne miteinander in Widerspruch zu geraten. So, wie sich die Aufgabe des nationalen Richters nach dem Urteil Simmenthal auf Konflikte zwischen einer Gemeinschaftsnorm und einer innerstaatlichen Rechtsvorschrift beschränkt, überlagert eine Entscheidung des Verfassungsgerichts, mit der die aus der Unvereinbarkeit der nationalen Rechtsvorschrift mit der Verfassung zu ziehenden Konsequenzen zeitlich hinausgeschoben werden, nicht die Pflicht des nationalen Richters, den Vorrang des Gemeinschaftsrechts immer dann sicherzustellen, wenn er sich einem derartigen Konflikt gegenübersieht.
Folgenloser Verstoß
Der Generalanwalt zeigt auch sein Befremden über die Auswirkung der Übergangsfrist im konkreten Fall. Die bedeutet nämlich – und das war ja auch an dem Karlsruher Urteil kritisiert worden -, dass der Verfassungsverstoß zunächst völlig folgenlos bleibt: Die Länder heuchelten Zerknirschung und fuhren unterdessen munter fort, private Wettvermittler dicht zu machen. Das will dem Generalanwalt nun überhaupt nicht einleuchten:
Die Aufrechterhaltung der streitigen Regelung hätte (…) nicht nur zur Folge, dass das nationale Gericht sie im Rahmen des bei ihm anhängigen Rechtsstreits anwenden dürfte, sondern auch, dass es sämtlichen nationalen Behörden einschließlich der Gerichte erlaubt wäre, sie während der gesamten so zu bestimmenden Übergangszeit weiterhin anzuwenden. Um die Bedeutung der untersuchten Problematik zu bemessen, ist auch daran zu erinnern, dass die fragliche Regelung nach der Prämisse des vorlegenden Gerichts eine wirksame Bekämpfung der Spielsucht nicht ermöglicht. Mit anderen Worten bewirkt die Regelung dieser Prämisse zufolge, dass Anbietern, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen sind, verboten wird, Verbrauchern im Land NRW Sportwetten anzubieten; sie ist danach aber ungeeignet, die Verbraucher vor einem übermäßigen Anreiz zu solchen Wetten seitens des zugelassenen Veranstalters zu schützen.
Dazu muss man sich klar machen, dass anderen Rechtskulturkreisen die Vorstellung, ein Gericht könne aus politischen Erwägungen heraus den Gültigkeitszeitpunkt eines Gesetzes nach eigenem Ermessen hin- und herschieben, vollkommen abgefahren erscheinen muss: ein wüster Verstoß gegen Gewaltenteilung, Demokratieprinzip und Rechtsschutzgarantie. Das sollte der Supreme Court mal probieren, zu sagen, das Gesetz ist verfassungswidrig, aber erst ab dem und dem Zeitpunkt nichtig, weil das sonst zum Beispiel für den Fiskus viel zu teuer würde.
“…würde dies bewirken, ihr den wirksamen gerichtlichen Schutz der Rechte zu versagen”
Der EuGH ist da zwar nicht ganz so rigoros. Er erklärt auch schon mal eigentlich verworfene europäische Rechtsnormen für übergangsweise gültig. Aber das kann laut GA Bot nicht für europarechtswidriges innerstaatliches Recht gelten – und beruft sich dabei auf den Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes:
Wenn ich daher die Rechtsprechung zur zeitlichen Begrenzung der Rückwirkung eines Vorabentscheidungsurteils untersuche, stelle ich fest, dass der Gerichtshof bestrebt war, den Schutz der Rechtssicherheit für zuvor gutgläubig geschaffene rechtliche Situationen mit dem Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz zu vereinbaren, indem er zugunsten von Personen, die vor der Verkündung seines Urteils eine gerichtliche Klage erhoben oder einen gleichwertigen Rechtsbehelf eingelegt hatten, eine Ausnahme von der Nichtrückwirkung des Urteils vorgesehen hat. Der Gerichtshof hat diese Rechtsprechung sowohl in seinen Auslegungsurteilen (…) als auch im Rahmen von Vorabentscheidungsverfahren, in denen er eine Gemeinschaftsnorm für ungültig erklärt hat (…), angewandt. Wendete man die streitige Regelung im Ausgangsrechtsstreit gegenüber WW an, was eine Abweisung ihrer Klage als unbegründet zur Folge hätte, würde dies bewirken, ihr den wirksamen gerichtlichen Schutz der Rechte zu versagen, die ihr unmittelbar durch die Vertragsbestimmungen über die Dienstleistungsfreiheit verliehen werden.
Wo er Recht hat, hat er Recht.
Yves Bot hatte auch im Fall Kücükdeveci die Schlussanträge verfasst. Der Mann geht keinem Konflikt aus dem Wege. Mal sehen, was der EuGH von seiner Argumentation übrig lässt. Aber dass er das Problem mit den Übergangsfristen wesentlich anders löst als der Generalanwalt, das halte ich für äußerst unwahrscheinlich.
Ich kann die dt. Hetzjagd auf private Wettanbieter nicht nachvollziehen. Gerade durch das Verbot wurden/werden seriöse Anbieter zurückgedrängt und komische Internetbüros mit Briefkastenadressen in Gibraltar und anderswo wachsen trotzdem weiter, weil sie sich über das Verbot hinwegsetzen – getreu dem Motto: Hauptsache Geld kommt rein.
In vielen VG-Urteilen, die sich mit Gewerbeuntersagungen beschäftigen (und zu 99,9 % bestätigen), vermisse ich die Auseinandersetzung mit der Placanica-Entscheidung des EuGH.
Wenn der EuGH überhaupt so weit kommt… Generalanwalt Bot läßt nämlich am Anfang seiner Schlußanträge ziemlich deutlich durchblicken, daß er die Auffassung des VG Köln für falsch hält und die deutschen Vorschriften überhaupt nicht gemeinschaftsrechtswidrig sind (unter Hinweis auf da “Liga Portuguesa”-Urteil und einige andere anhängige Verfahren). Seine Ausführungen zur Übergangsfrist haben eher den Charakter eines “Hilfsgutachtens”.
Man darf wohl gespannt sein, was die nächsten Monate aus Luxemburg so bringen…