Grenzen des Wachstums parlamentarischer Beteiligung?
Von FRANZ C. MAYER
Am Dienstag, dem 29. November 2011 fand in Karlsruhe die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Sachen Neuner-Gremium statt. Ich hatte Gelegenheit, mit einer Studentengruppe (Seminar) an der Verhandlung teilzunehmen. Max Steinbeis hat mich gebeten, meine persönlichen Eindrücke aufzuschreiben und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, was ich hiermit gerne tue. Die folgende Darstellung ist entsprechend kein Wortlautprotokoll, sondern enthält meine Wertungen und Schwerpunktsetzungen. Andere werden Anderes an der Verhandlung berichtenswert finden.
Vorgeschichte
Nachdem die Hilfsmaßnahmen für Griechenland noch als koordinierte bilaterale Hilfen organisiert worden waren, wurde mit der Gründung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), einer privatrechtlich organisierten Zweckgesellschaft, im Mai 2010 eine eigenständige Einrichtung geschaffen. Das BVerfG war mit der Verfassungsmäßigkeit der Griechenland-Hilfe und der EFSF I bereits befasst und hatte im September 2011 entschieden, dass der Bundestag angemessen beteiligt werden müsse, wobei aber in bestimmten Konstellationen statt des Plenums der Haushaltsausschuss ausreiche. Der EFSF wurden im Laufe des Sommers 2011 neue Handlungsmöglichkeiten eröffnet (sog. „Ertüchtigung“), womit sich die Frage nach der Beteiligung des Bundestages bei Inanspruchnahme der neuen Instrumente durch die EFSF II stellte. Das neue StabMechG vom Oktober 2011 sieht für die parlamentarische Begleitung in bestimmten Fällen ein Kleinstgremium unterhalb der Ausschussebene vor, in dem nach einem bestimmten Schlüssel jede Fraktion mit mindestens einem Sitz vertreten sein sollte. Dies ergibt derzeit 9 Mitglieder des Gremiums, daher ist in der Regel die Rede von einem „Neuner-Gremium“. In Fällen besonderer Eilbedürftigkeit und Vertraulichkeit soll nach § 3 Abs. 3 StabMechG dieses Gremium die Beteiligungsrechte des Bundestages ausüben. Bei Notmaßnahmen zur Verhinderung von Ansteckungsgefahren liegt regelmäßig besondere Eilbedürftigkeit oder Vertraulichkeit vor. In den übrigen Fällen kann die Bundesregierung Eilbedürftigkeit oder Vertraulichkeit geltend machen. Dem kann das Neuner-Gremium mit Mehrheit widersprechen. Dann kommt es wieder zu einer Zustimmungskompetenz des gesamten Bundestages. Nach § 5 Abs. 7 StabMechG können auch die Unterrichtungsrechte des Bundestages in Fällen besonderer Vertraulichkeit auf das Neuner-Gremium übertragen werden.
In einer kurzfristig vorgezogenen Wahl wurden am 26. Oktober 2011 die Mitglieder für das Neuner-Gremium für die Legislaturperiode durch das Plenum gewählt: Für die CDU/CSU 3 Mitglieder, für die FDP 2 Mitglieder, ebenso viele für die SPD-Fraktion sowie jeweils 1 Mitglied für Die Linke und für Bündnis 90/Die Grünen. Das BVerfG untersagte auf Antrag von zwei Bundestagsabgeordneten mit Beschluss vom 27. Oktober 2011 durch eine einstweilige Anordnung die Wahrnehmung der Beteiligungsrechte des Bundestages durch das Neuner-Gremium. Weitere Einzelheiten der Vorgeschichte finden sich in der Pressemitteilung zur mündlichen Verhandlung.
Die Verhandlung
Der Rechtsgesprächsbedarf des Publikums schien den des Zweiten Senats des BVerfG an jenem Dienstag deutlich zu übersteigen. Enttäuschtes Murmeln stieg aus den Reihen der anwesenden Abgeordneten und mitgereisten Ministerialbeamten, als der Vorsitzende des Zweiten Senates und Präsident des BVerfG, Andreas Voßkuhle, kurz nach 10 Uhr ankündigte, dass man bis gegen 13.30 Uhr – ohne Mittagspause – zu einem Ende kommen wolle. Man hatte offenbar eine Sitzung bis in Abendstunden erwartet oder gar erhofft.
Dass der Zweite Senat eine mündliche Verhandlung für entbehrlich gehalten hatte, schien bereits die Pressemitteilung zur Verhandlung zu signalisieren, in der ausdrücklich unterstrichen wurde, dass der Bundestag auf der Durchführung einer mündlichen Verhandlung insistiert hatte. Die Anwesenheit des Bundesministers der Finanzen Schäuble und einer Anzahl von Ministerialbeamten in Kompaniestärke sowie der Beitritt der Bundesregierung zum Verfahren auf Seiten des Bundestages ließen zudem von Anfang an erkennen, dass die Bundesregierung bei diesem Gesetzgebungsverfahren wohl in vielerlei Hinsicht nicht nur Zuschauer war.
Einleitend machte Voßkuhle, deutlich, dass es in dem Verfahren ebenso wie in dem am Folgetag zu verhandelnden Verfahren zur Organklage der Grünen in Sachen Bundestagsbeteiligung um spezielle Fragen des Parlamentsrechts und um allgemeine verfassungsrechtliche Grundsätze gehe. Der spezifische Kontext Europa und Krise ändere daran nichts. Sachzwänge dürfe man nicht ausblenden, sie dürften aber auch nicht handlungsleitend sein.
Im Anschluss führte der Berichterstatter, Richter Di Fabio, in das Verfahren ein. Er betonte dabei, dass es nicht um die verfassungsrechtliche Beurteilung der Eurorettungsmaßnahmen gehen werde. Es werde um die Klärung der Statusrechte des einzelnen Abgeordneten aus Art. 38 GG gehen, um Abgeordnetenrechte im Sinne eines Anspruchs des Abgeordneten auf freie und gleiche Vertretung und Plenarvorbehalte für den Bundestag. Darin liege der Unterschied im Prüfungsmaßstab zu den Verfassungsbeschwerden gegen den Vertrag von Lissabon und die Eurorettung. Dort ging es zwar auch um Art. 38 GG, jedoch im Rahmen von Verfassungsbeschwerden als grundrechtsgleiches Recht auf einen Abgeordneten bzw. einen Bundestag, der noch etwas zu entscheiden hat und nicht durch Kompetenzübertragung an die EU oder Übernahme von budgetwirksamen Verpflichtungen entkernt wurde.
Als näher zu betrachten nannte Di Fabio die §§ 3 Abs. 3 und 5 Abs. 7 StabMechG (neu). Erstere Bestimmung betrifft eine Regelzuständigkeit des Neuner-Gremiums in bestimmten typisierten Eil- und Vertraulichkeitsfällen (Bankenrettung, Ankäufe von Staatsanleihen durch die EFSF am Primär- oder Sekundärmarkt), letztere handelt von Unterrichtungsrechten.
Schon an dieser Stelle wurde deutlich, wie skeptisch der Senat dem Neunergremium als Konstrukt gegenübersteht, als Di Fabio unter einem gewissermaßen kollektiven Augenzwinkern des Zweiten Senats erwähnte, dass die Zusammensetzung des Neuner- Gremiums ja nicht proportional erfolge und die „FDP deutlich überrepräsentiert“ sei. Tatsächlich waren in das Gremium ebenso viele FDP-Abgeordnete gewählt worden wie SPD-Abgeordnete, jeweils 2, obwohl die SPD über 53 Abgeordnete mehr als die FDP verfügt.
Für die Antragsteller sprach dann zunächst der Abgeordnete Peter Danckert (SPD).
Er betonte zunächst, dass ihn ein FAZ-Beitrag unangenehm berührt habe, der von Gerüchten berichtete, es sei das BVerfG selbst gewesen, das den beiden Abgeordneten einen Wink gegeben habe, mit einer Klage ihren Bedenken öffentlichen Nachdruck zu verleihen.
Danckert, seit 1998 Mitglied des Deutschen Bundestages, gehört mit 71 Jahren wohl zu den Abgeordneten, die nichts mehr werden müssen und nichts mehr unter Beweis stellen wollen. Entsprechend offen fiel seine Schilderung des Gesetzgebungsverfahrens aus, mit einigen Details, die so in Bericht und Beschlussempfehlung nicht enthalten waren.
Die konkrete Ausgestaltung der Mitwirkung des Bundestages bei der ertüchtigten EFSF II war im Gesetzesentwurf ja zunächst offen gelassen und mit einem Platzhalter – […] – versehen worden. Dies war auch noch der Stand bei der Durchführung einer Anhörung am Montag, dem 19. September, bei der von einem Neuner-Gremium unterhalb der Ausschussebene noch gar keine Rede war (s. auch den Antrag der Koalitionsfraktionen vom 7.9.2011). Am Montagabend tauchte dann plötzlich als Änderung zum Gesetzesentwurf das Neuner-Gremium auf (vgl. dazu die Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses). Für die dann schon abschließende Beratung in den Ausschüssen zwei Tage später lag der Text zum Neuner-Gremium aber noch nicht vor. Offenbar war dieses Gremium im Kreise der Parlamentarischen Geschäftsführer ersonnen worden, Danckert berichtete jedenfalls, der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion habe am Dienstag die Ergänzung mit dem Neuner-Gremium als „zweifelsfrei verfassungskonform“ beworben.
Danckert zufolge erhielt der federführende Haushaltsausschuss den Text erst am Mittwoch, dem 21. September, 20 Minuten vor Beginn der Sitzung. Der mitberatende Rechtsausschuss (zuständig für die verfassungsrechtliche Prüfung von Gesetzgebungsvorhaben) hatte am Mittwochmorgen noch gar keinen Text – sollte aber gleichwohl über das Neuner-Gremium abstimmen. Die Begründung für das Gesetz lag auch noch nicht vor. Unwillkürlich denkt man bei solchen Vorgängen an das Wort Bismarcks, dass man beim Würste- und beim Gesetzemachen besser nicht dabei sollte.
Nach ergänzenden Ausführungen des Abgeordneten Schulz, des zweiten Antragstellers, erwiderte zunächst der Bevollmächtigte des Bundestages. Hier war die Rede von einer selbstbewussten Wahrnehmung des Rechts auf parlamentarische Selbstorganisation, von funktionsadäquater Organisation und davon, dass die Regelung (einschließlich Neuner-Gremium) über die Anforderungen des Eurourteils vom September hinausgehe. In dem Urteil hatte das BVerfG für bestimmte Fälle die Mitwirkung des Haushaltsausschusses (statt des Plenums) für ausreichend angesehen.
Ebenfalls für den Bundestag sprach dann der 1. Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Peter Altmaier. Er betonte einleitend, der Bundestag habe auch deswegen um eine mündliche Verhandlung gebeten (sic!), weil es um eine wichtige Entscheidung nicht nur für das Parlament, sondern „auch für unser Land“ gehe. Die Frage der Mitwirkung des Parlamentes sei ab September intensiv diskutiert worden. Dass man erst 23 Minuten vor Beginn der entscheidenden Sitzung des Haushaltsausschusses einen Text habe vorlegen können, habe daran gelegen, dass man bis dahin versuchte habe, auf Wünsche der SPD einzugehen. Es sei um einen Versuch gegangen, über Fraktionsgrenzen hinweg Konsens zu erzielen. Dass Altmaiers intensive Diskussionen sich auf einen doch eher kleinen Radius bezogen, wurde deutlich, als Altmaier erläuterte, man habe im Kreise der Parlamentarischen Geschäftsführer verschiedene Modelle diskutiert, etwa auch die Befassung des Ältestenrates. Ein Neuner-Gremium aus Angehörigen des Haushaltsausschusses sei aber sachnäher, und da gewählt auch besonders legitimiert. Altmaier legte hier einen Vergleich mit dem Richterwahlausschuss für die Richter des BVerfG nahe, einen ebenfalls durch Wahl als Teilausschnitt aus dem Plenum ermitteltes Gremium.
Voßkuhles schlagfertige Antwort auf diese von einigen durchaus als offensiv wahrgenommene Andeutung zu Ableitungszusammenhängen und Machtabhängigkeiten von Verfassungsrichtern und deren Legitimationsbasis: Er freue sich auf den Moment, wenn das BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit des Richterwahlausschusses zu befinden haben werde. Gelächter im Saal.
Danach ergriff für die Bundesregierung der Bundesminister der Finanzen Schäuble das Wort. Er äußerte wiederholt, man sei als Bundesregierung an der parlamentarischen Mitwirkungsfrage nicht beteiligt. Es gebe aber die Bitte der Bundesregierung an den Bundestag, die parlamentarische Mitwirkung so zu gestalten, dass der EFSF Rettungsschirm nicht unmöglich wird. Dass die Verfassungsrichter zur Einflussnahme der Regierung auf die Gesetzgebung eine bestimmte Vermutung hegen wurde zu einem späteren Zeitpunkt deutlich, als Voßkuhle Schäuble als den „Spiritus rector“ der fraglichen Bestimmungen ansprach. Schäuble wies dies zurück.
Nach dieser ersten Runde skizzierte der Vorsitzende Voßkuhle den weiteren Verlauf der Verhandlung. Die vorab veröffentlichte Verhandlungsgliederung hatte von da an nur noch Indizcharakter. In einem ersten Schritt sollte erörtert werden, was vom Plenum weg delegiert werden kann. In einem zweiten Schritt sollte es um Fragen des Geheimschutzes und der Vertraulichkeit sowie der Eilbedürftigkeit und was bei diesen Fragen der Maßstab sein könne.
Die folgenden Ausführungen der verschiedenen Bevollmächtigten und auch immer wieder von Abgeordneten und des Finanzministers will ich hier nicht in allen Einzelheiten nachzeichnen, sondern nur einige bemerkenswerte Punkte herausgreifen:
- Seitens des Antragsteller wurde nachdrücklich betont, dass bisher an allen wesentlichen Entscheidungen der einzelne Angeordnete mitwirken könne. Alle Beispiele, die hier das Gegenteil belegen sollten (u.a. Richterwahlausschuss, Parlamentarischen Kontrollgremium für Geheimdienste), beträfen andersartige Fälle. Hier wurde auch auf den Art. 45 GG aufmerksam gemacht, dem zufolge alleine der Europaausschuss des Bundestages plenarersetzende Beschlüsse fassen darf. Diese Vorschrift spielte in der Verhandlung erstaunlicherweise sonst keine Rolle, die Sachnähe des Europaausschusses (siehe oben Altmaiers Argument von der Sachnähe des Haushaltsausschusses) auch nicht.
- Richter Huber brachte als erster einen Gesichtspunkt auf, bei dem im Saal eine freudige Fassungslosigkeit der anwesenden Ministerialbürokratie spürbar wurde – dass das BVerfG in diese Richtung überlegt, hatte man offenbar gar nicht mehr erwartet: Huber wollte eine Einschätzung zu dem Argument, dass es sich ja auch um einen Eingriff in die Rechte der Exekutive handeln könnte. Einige Zeit später dachte Richter Di Fabio darüber nach, ob das Argument des Bundestages, bei den Angehörigen des Neuner-Gremiums müsse man ein bestimmtes „Amtsverständnis“ der 9 Abgeordneten unterstellen, nicht verräterisch sei. Es gehe doch um das Mandat, und eine exekutivische Überformung des Mandats – ob man bei einer solchen Entwicklung nicht eine Gefahr sehe. Di Fabio bezeichnete die Frage ob Amt oder Mandat zwar als „Petitesse“, aber ob das ernst gemeint war, wurde nicht deutlich. Der Abgeordnete Altmaier sah die Nähe zur Exekutive immer dann, wenn die Exekutive besonders eng kontrolliert werden solle. Der Bevollmächtigte der Bundesregierung Häde erklärte die Exekutivnähe des Neuner-Gremiums damit, dass es ja einerseits ein Gesetz nach Art. 115 GG schon gebe (die Ermächtigung an die Exekutive zur Übernahme von finanzwirksamen Verpflichtungen), man sich jetzt – Rolle des Neuner-Gremiums – ja im Bereich der Ausführung befinde. Der Vorsitzende Voßkuhle kam wieder an einer anderen Stelle der Verhandlung zu der Einschätzung, dass bei Ankäufen am Sekundärmarkt Eile und Vertraulichkeit als Erfordernisse einleuchten, es sich aber vielleicht um reine Exekutiventscheidungen handele. Er erinnerte hier an die Pershing-Entscheidung im 68. Band, dort dürfe die Regierung ja alleine entscheiden, und fragte nach den Unterschieden zur vorliegenden Situation. Und schließlich richtete, wiederum später in der Verhandlung, auch die Richterin Lübbe-Wolff, diesmal an Bundesminister Schäuble die Frage, wie er das denn sehe: Die Antragsteller machten geltend, es gebe zu wenig Bundestagsbeteiligung, man könne doch auch sagen, es gebe zuviel Beteiligung, zu Lasten der Exekutive. Die Frage, ob nicht doch in bestimmten Fragen, die das Neuner-Gremium betreffen, die Exekutive allein zuständig sein sollte, wurde also von vier der sieben Richter (Richter Mellinghoff ist bereits ausgeschieden) aufgeworfen. Das Thema scheint den Zweiten Senat zu beschäftigen.
- Die Frage des Ob einer Delegation bestimmter Entscheidungen weg vom Plenum schien weniger kontrovers zu sein als die Frage, an wen delegiert werden darf. Zur grundsätzlichen Möglichkeit einer Delegation trug der Abgeordnete Altmaier in einem ergänzenden Wortbeitrag gegen Ende der Verhandlung noch den entscheidenden Hinweis auf Heinrich Triepel nach, einen Verfassungsrechtler aus der schon etwas länger zurückliegenden Zeit des Kaiserreichs – anerkennendes Murmeln im Publikum. Man hätte vielleicht auch die Wesentlichkeitstheorie des BVerfG erwähnen können, aber jedes intensive Bemühen der politischen Akteure, das Rechtsgespräch vor dem BVerfG voranzubringen, verdient natürlich grundsätzliche Anerkennung.
- Manchmal gibt es in einer mündlichen Verhandlung Momente, bei denen greifbar ist, dass die meisten Anwesenden die Luft anhalten und ihren Ohren nicht trauen. Dies war bei den Einlassungen des Abgeordneten Fricke (FDP) der Fall. Er illustrierte zunächst die Exekutivnähe von Parlamentsentscheidungen am Beispiel der Haushaltssperren, konkret am Beispiel Umbau eines Gerichts. Der nicht eben subtile Hinweis auf die Abhängigkeit auch des BVerfG von Haushaltsentscheidungen des Haushaltsausschusses hatte einen etwas merkwürdigen Unterton. Besonders erstaunlich war aber die dann anschließende Aufklärung der Überrepräsentation der FDP im Neunerausschuss (2 Sitze): Einer dieser Sitze, so Fricke, gehe auf eine Absprache mit der CDU/CSU zurück. Für den Fall einer Änderung der derzeitigen Koalitionskonstellation entfiele natürlich die Geschäftsgrundlage der Absprache und man werde natürlich den Sitz frei machen. Zur Erinnerung: die Mitglieder des Neuner-Gremiums sind auf die Dauer der Legislaturperiode gewählt – was wenn ein gewähltes Mitglied seinen Platz eben nicht räumt? Oder fraktionslos wird? Die Wahl des Neuner-Gremiums wies weitere Merkwürdigkeiten auf: Der Abgeordnete Danckert schilderte an anderer Stelle der Verhandlung, dass die Wahl der Mitglieder ohne dass das Plenum so recht wusste, was abgestimmt wurde am 26.9. nicht einzeln sondern als Sammelvorschlag erfolgte. Stellvertreter für die neun Mitglieder seien auch nicht vorgesehen.
- Einiges wurde zu den Erfordernissen Vertraulichkeit und Eilbedürftigkeit vorgetragen. Im Kern ging es dabei um die Frage ob ein Ausschuss mit knapp 40 Mitgliedern zu groß ist, und eben nur eine Größenordnung von 9 Vertraulichkeit und schnelle Entscheidung sichert. Hier äußerten auch Abgeordnete Einschätzungen. Der Vorsitzende des Rechtsausschusses, Siegfried Kauder, berichtete, es sei ihm als Vorsitzender diverser Untersuchungsausschüsse nie gelungen, Lecks zu verhindern. Aus dem Parlamentarischen Kontrollgremium sei dagegen noch nie etwas entwichen. Und in Sachen Eilbedürftigkeit: Ein kleines Gremium entscheide eben schneller als ein Großes. Einer der antragstellenden Abgeordneten, Danckert, trat dem entgegen. Es sei ja eine Vielzahl von Personen mit den fraglichen Entscheidungen befasst, in dem Land, das Maßnahmen der EFSF beantrage, in den anderen Euro-Staaten, bei der EZB, im IWF, der Kommission. Danckert fragte, ob es dann auf den Unterschied zwischen 9 und 41 ankommen solle.
- Finanzminister Schäuble machte auf den eigentlichen Problemhintergrund aufmerksam, das Spannungsverhältnis zwischen Demokratie und Ökonomie. Die Märkte verstünden die Prozesse in Europa in ihrer Kleinteiligkeit nicht, das könne konkret bedeuten, dass sich Investoren aus den USA oder aus Asien zurückzögen. Es sei bereits ein Problem, dass die EFSF nur einstimmig beschließen könne, dazu noch 17-fache parlamentarische Entscheidung. Das stärke das Vertrauen nicht.
- Weitere Diskussionspunkte betrafen das richtige Verständnis des Verhältnisses von § 3 Abs. 3 zu § 3 Abs. 1 StabMechG und die Suche danach, wo genau die Ausnahme und wo die Regel im Gesetz angelegt war; die Unterscheidung zwischen Entscheidungs- und Kontrollbefugnissen mit Blick auf die Delegation und die Frage, ob Legitimation von der Größe eines Gremiums abhängt.
Die letzten Stellungnahmen in der Verhandlung hatten bereits in Teilen den Charakter vorgezogener Schlussworte. Der Abgeordnete Danckert beklagte ein zunehmendes Ungleichgewicht zwischen Exekutive und Legislative, die Exekutive werde immer stärker. Hier bat er das Gericht, Markierungen zu setzen. Der Abgeordnete Altmaier äußerte dazu, er habe sich auch oft über die Exekutive geärgert – solange er ihr nicht angehört habe (Gelächter im Saal). Der Bevollmächtigte der Bundesregierung Häde bezeichnete anschließend die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland als verfassungsrechtlichen Wert.
Bemerkenswert war schließlich, dass sich gleich mehrere Abgeordnete auf die Entscheidung des BVerfG von 2005 zum europäischen Haftbefehl bezogen. Der Abgeordnete Ströbele, der sich ebenfalls gegen das Neuner-Gremium wandte, betonte, er wolle sich nicht noch einmal vom BVerfG fragen lassen „Wie konntest Du nur dem zustimmen?“. Die Haftbefehls-Entscheidung wirkt im Bundestag also offenbar noch immer nach. Jedenfalls bei manchen.
Zusammenfassung und Ausblick
An vielen Stellen fiel das Verschwimmen der Positionen von Bundesregierung und Bundestag auf, auch in Kleinigkeiten wie der Sitzordnung in der Verhandlung und der Abfolge der Beiträge. Es erscheint bezeichnend, dass der Bundestag als eigentlicher Antragsgegner kein Schlussplädoyer abgab – das letzte Wort hatte der Bundesfinanzminister, der ein letztes Mal das Erfordernis der Handlungsfähigkeit Deutschlands unterstrich.
Prognosen zu Urteilen des BVerfG sind meist schwierig. Aus den Fragen und dem Duktus der Richter in der Verhandlung lässt sich nichts Verlässliches ableiten, schon weil – so auch diesmal – gar nicht alle Richter Fragen stellen. Kritisches Nachfragen kann im Übrigen auch der Überprüfung der Belastbarkeit des eigenen Standpunktes dienen.
Das Neuner-Gremium in der gegenwärtigen Form dürfte keinen Bestand haben, schon wegen des eigentümlichen Bestellungsmodus und der besonders disproportionalen konkreten Zusammensetzung. Es wird aber wohl dennoch die Möglichkeit geben, Entscheidungen aus dem Plenum zu delegieren. Ob der Europaausschuss, der nach dem Grundgesetz plenarersetzende Beschlüsse fassen kann, hier eine Rolle spielen wird, hängt auch vom Ausgang der Organklage der Grünen ab, die am 30. November verhandelt wurde: Bisher argumentiert die Bundesregierung, die Eurorettung (EFSF, ESM) sei keine Angelegenheit für den Europaausschuss.
Im übrigen hat das BVerfG in seinem Urteil vom September 2011 bereits anerkannt, dass Ausschüsse Mitwirkungsrechte des Bundestages wahrnehmen können. Mithin ist am Wahrscheinlichsten, dass eine Lösung auf Ausschussebene zu suchen sein wird. Der Hinweis eines Antragstellers auf die Möglichkeit, für bestimmte Eil- und Vertraulichkeitsfälle auf Ausschussebene Vorratsbeschlüsse zu fassen, trägt den Bedenken im Hinblick auf Eilbedürftigkeit und Vertraulichkeit Rechnung. Bei der Eilbedürftigkeit dürfte auch zu bedenken sein, dass es bei den in Rede stehenden Maßnahmen der EFSF um eine eng begrenzte Zeitspanne von Stunden oder Tagen geht, in der Vertraulichkeit erforderlich sein kann, und nicht um Monate oder Jahre, wie dies für Untersuchungsausschüsse der Fall ist (siehe oben).
Bei welchen Euro-Rettungsmaßnahmen (Vorsorgliche Maßnahmen – Stand by Kredite, Sekundärmarktankäufe, Bankenrettung) genau parlamentarische Mitwirkung, womöglich vermittels Plenarbeteiligung, die Effektivität der Maßnahme gefährdet, ist auch nach der mündlichen Verhandlung vor dem BVerfG nicht abschließend geklärt. Das konnte auch gar nicht die Funktion einer solchen Verhandlung sein. Für Ankäufe auf dem Sekundärmarkt wird ein Effektivitätsverlust immer wieder bejaht, so auch in der mündlichen Verhandlung. Hier würde allenfalls eine umfassende Anhörung, wie sie im Bundestag bisher nicht stattgefunden hat, Klarheit bringen können: Erst nach Aufklärung der Abläufe in der EFSF und im Marktgeschehen im Einzelnen ließe sich bestimmen, wann welche Kenntnisse im parlamentarischen Raum die Effektivität von Maßnahmen wie beeinträchtigen könnten. Aber für eine solche umfassende Aufklärung darüber worum es eigentlich geht, fehlt dann wahrscheinlich – angeblich – wieder die Zeit.
Eine besondere Ironie wäre es, würde das BVerfG zu dem Befund kommen, dass die Grenzen parlamentarischer Mitwirkungsmöglichkeiten die Grenzen von Mitwirkungsrechten markieren: Grenzen des Wachstums parlamentarischer Beteiligungsrechte. Das holprige Gesetzgebungsverfahren zur Einrichtung des Neuner-Gremiums, wie es der Abgeordnete Danckert in der mündlichen Verhandlung erläuterte, war jedenfalls nicht gerade dazu geeignet, das BVerfG von der Fähigkeit des Bundestages zu überzeugen, auch in schwierigen und eilbedürftigen Situationen parlamentarisch selbstbewusst unter selbstverständlicher Wahrung der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu agieren. Dann ist der Schluss, bestimmte Dinge doch lieber gleich der Exekutive zu überlassen, nicht ganz fernliegend. Der Bundestag hätte dagegen die „exekutivische Überformung des Mandats“ als Europäisierungs- und Globalisierungsfolge offensiver verteidigen können. Spätestens hier wird deutlich, dass der Kern des Verfahrens die Rolle von nationalen Parlamenten im 21. Jahrhundert betrifft. Insoweit reicht das Verfahren auch weit über den ohnehin in Bälde endenden EFSF-Rettungsschirm hinaus.
Franz C. Mayer ist Professor u.a. für Verfassungsrecht und Europarecht an der Universität Bielefeld.
Von FRANZ C. MAYER
Am Dienstag, dem 29. November 2011 fand in Karlsruhe die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Sachen Neuner-Gremium statt. Ich hatte Gelegenheit, mit einer Studentengruppe (Seminar) an der Verhandlung teilzunehmen. Max Steinbeis hat mich gebeten, meine persönlichen Eindrücke aufzuschreiben und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, was ich hiermit gerne tue. Die folgende Darstellung ist entsprechend kein Wortlautprotokoll, sondern enthält meine Wertungen und Schwerpunktsetzungen. Andere werden Anderes an der Verhandlung berichtenswert finden.
Vorgeschichte
Nachdem die Hilfsmaßnahmen für Griechenland noch als koordinierte bilaterale Hilfen organisiert worden waren, wurde mit der Gründung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF), einer privatrechtlich organisierten Zweckgesellschaft, im Mai 2010 eine eigenständige Einrichtung geschaffen. Das BVerfG war mit der Verfassungsmäßigkeit der Griechenland-Hilfe und der EFSF I bereits befasst und hatte im September 2011 entschieden, dass der Bundestag angemessen beteiligt werden müsse, wobei aber in bestimmten Konstellationen statt des Plenums der Haushaltsausschuss ausreiche. Der EFSF wurden im Laufe des Sommers 2011 neue Handlungsmöglichkeiten eröffnet (sog. „Ertüchtigung“), womit sich die Frage nach der Beteiligung des Bundestages bei Inanspruchnahme der neuen Instrumente durch die EFSF II stellte. Das neue StabMechG vom Oktober 2011 sieht für die parlamentarische Begleitung in bestimmten Fällen ein Kleinstgremium unterhalb der Ausschussebene vor, in dem nach einem bestimmten Schlüssel jede Fraktion mit mindestens einem Sitz vertreten sein sollte. Dies ergibt derzeit 9 Mitglieder des Gremiums, daher ist in der Regel die Rede von einem „Neuner-Gremium“. In Fällen besonderer Eilbedürftigkeit und Vertraulichkeit soll nach § 3 Abs. 3 StabMechG dieses Gremium die Beteiligungsrechte des Bundestages ausüben. Bei Notmaßnahmen zur Verhinderung von Ansteckungsgefahren liegt regelmäßig besondere Eilbedürftigkeit oder Vertraulichkeit vor. In den übrigen Fällen kann die Bundesregierung Eilbedürftigkeit oder Vertraulichkeit geltend machen. Dem kann das Neuner-Gremium mit Mehrheit widersprechen. Dann kommt es wieder zu einer Zustimmungskompetenz des gesamten Bundestages. Nach § 5 Abs. 7 StabMechG können auch die Unterrichtungsrechte des Bundestages in Fällen besonderer Vertraulichkeit auf das Neuner-Gremium übertragen werden.
In einer kurzfristig vorgezogenen Wahl wurden am 26. Oktober 2011 die Mitglieder für das Neuner-Gremium für die Legislaturperiode durch das Plenum gewählt: Für die CDU/CSU 3 Mitglieder, für die FDP 2 Mitglieder, ebenso viele für die SPD-Fraktion sowie jeweils 1 Mitglied für Die Linke und für Bündnis 90/Die Grünen. Das BVerfG untersagte auf Antrag von zwei Bundestagsabgeordneten mit Beschluss vom 27. Oktober 2011 durch eine einstweilige Anordnung die Wahrnehmung der Beteiligungsrechte des Bundestages durch das Neuner-Gremium. Weitere Einzelheiten der Vorgeschichte finden sich in der Pressemitteilung zur mündlichen Verhandlung.
Die Verhandlung
Der Rechtsgesprächsbedarf des Publikums schien den des Zweiten Senats des BVerfG an jenem Dienstag deutlich zu übersteigen. Enttäuschtes Murmeln stieg aus den Reihen der anwesenden Abgeordneten und mitgereisten Ministerialbeamten, als der Vorsitzende des Zweiten Senates und Präsident des BVerfG, Andreas Voßkuhle, kurz nach 10 Uhr ankündigte, dass man bis gegen 13.30 Uhr – ohne Mittagspause – zu einem Ende kommen wolle. Man hatte offenbar eine Sitzung bis in Abendstunden erwartet oder gar erhofft.
Dass der Zweite Senat eine mündliche Verhandlung für entbehrlich gehalten hatte, schien bereits die Pressemitteilung zur Verhandlung zu signalisieren, in der ausdrücklich unterstrichen wurde, dass der Bundestag auf der Durchführung einer mündlichen Verhandlung insistiert hatte. Die Anwesenheit des Bundesministers der Finanzen Schäuble und einer Anzahl von Ministerialbeamten in Kompaniestärke sowie der Beitritt der Bundesregierung zum Verfahren auf Seiten des Bundestages ließen zudem von Anfang an erkennen, dass die Bundesregierung bei diesem Gesetzgebungsverfahren wohl in vielerlei Hinsicht nicht nur Zuschauer war.
Einleitend machte Voßkuhle, deutlich, dass es in dem Verfahren ebenso wie in dem am Folgetag zu verhandelnden Verfahren zur Organklage der Grünen in Sachen Bundestagsbeteiligung um spezielle Fragen des Parlamentsrechts und um allgemeine verfassungsrechtliche Grundsätze gehe. Der spezifische Kontext Europa und Krise ändere daran nichts. Sachzwänge dürfe man nicht ausblenden, sie dürften aber auch nicht handlungsleitend sein.
Im Anschluss führte der Berichterstatter, Richter Di Fabio, in das Verfahren ein. Er betonte dabei, dass es nicht um die verfassungsrechtliche Beurteilung der Eurorettungsmaßnahmen gehen werde. Es werde um die Klärung der Statusrechte des einzelnen Abgeordneten aus Art. 38 GG gehen, um Abgeordnetenrechte im Sinne eines Anspruchs des Abgeordneten auf freie und gleiche Vertretung und Plenarvorbehalte für den Bundestag. Darin liege der Unterschied im Prüfungsmaßstab zu den Verfassungsbeschwerden gegen den Vertrag von Lissabon und die Eurorettung. Dort ging es zwar auch um Art. 38 GG, jedoch im Rahmen von Verfassungsbeschwerden als grundrechtsgleiches Recht auf einen Abgeordneten bzw. einen Bundestag, der noch etwas zu entscheiden hat und nicht durch Kompetenzübertragung an die EU oder Übernahme von budgetwirksamen Verpflichtungen entkernt wurde.
Als näher zu betrachten nannte Di Fabio die §§ 3 Abs. 3 und 5 Abs. 7 StabMechG (neu). Erstere Bestimmung betrifft eine Regelzuständigkeit des Neuner-Gremiums in bestimmten typisierten Eil- und Vertraulichkeitsfällen (Bankenrettung, Ankäufe von Staatsanleihen durch die EFSF am Primär- oder Sekundärmarkt), letztere handelt von Unterrichtungsrechten.
Schon an dieser Stelle wurde deutlich, wie skeptisch der Senat dem Neunergremium als Konstrukt gegenübersteht, als Di Fabio unter einem gewissermaßen kollektiven Augenzwinkern des Zweiten Senats erwähnte, dass die Zusammensetzung des Neuner- Gremiums ja nicht proportional erfolge und die „FDP deutlich überrepräsentiert“ sei. Tatsächlich waren in das Gremium ebenso viele FDP-Abgeordnete gewählt worden wie SPD-Abgeordnete, jeweils 2, obwohl die SPD über 53 Abgeordnete mehr als die FDP verfügt.
Für die Antragsteller sprach dann zunächst der Abgeordnete Peter Danckert (SPD).
Er betonte zunächst, dass ihn ein FAZ-Beitrag unangenehm berührt habe, der von Gerüchten berichtete, es sei das BVerfG selbst gewesen, das den beiden Abgeordneten einen Wink gegeben habe, mit einer Klage ihren Bedenken öffentlichen Nachdruck zu verleihen.
Danckert, seit 1998 Mitglied des Deutschen Bundestages, gehört mit 71 Jahren wohl zu den Abgeordneten, die nichts mehr werden müssen und nichts mehr unter Beweis stellen wollen. Entsprechend offen fiel seine Schilderung des Gesetzgebungsverfahrens aus, mit einigen Details, die so in Bericht und Beschlussempfehlung nicht enthalten waren.
Die konkrete Ausgestaltung der Mitwirkung des Bundestages bei der ertüchtigten EFSF II war im Gesetzesentwurf ja zunächst offen gelassen und mit einem Platzhalter – […] – versehen worden. Dies war auch noch der Stand bei der Durchführung einer Anhörung am Montag, dem 19. September, bei der von einem Neuner-Gremium unterhalb der Ausschussebene noch gar keine Rede war (s. auch den Antrag der Koalitionsfraktionen vom 7.9.2011). Am Montagabend tauchte dann plötzlich als Änderung zum Gesetzesentwurf das Neuner-Gremium auf (vgl. dazu die Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses). Für die dann schon abschließende Beratung in den Ausschüssen zwei Tage später lag der Text zum Neuner-Gremium aber noch nicht vor. Offenbar war dieses Gremium im Kreise der Parlamentarischen Geschäftsführer ersonnen worden, Danckert berichtete jedenfalls, der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion habe am Dienstag die Ergänzung mit dem Neuner-Gremium als „zweifelsfrei verfassungskonform“ beworben.
Danckert zufolge erhielt der federführende Haushaltsausschuss den Text erst am Mittwoch, dem 21. September, 20 Minuten vor Beginn der Sitzung. Der mitberatende Rechtsausschuss (zuständig für die verfassungsrechtliche Prüfung von Gesetzgebungsvorhaben) hatte am Mittwochmorgen noch gar keinen Text – sollte aber gleichwohl über das Neuner-Gremium abstimmen. Die Begründung für das Gesetz lag auch noch nicht vor. Unwillkürlich denkt man bei solchen Vorgängen an das Wort Bismarcks, dass man beim Würste- und beim Gesetzemachen besser nicht dabei sollte.
Nach ergänzenden Ausführungen des Abgeordneten Schulz, des zweiten Antragstellers, erwiderte zunächst der Bevollmächtigte des Bundestages. Hier war die Rede von einer selbstbewussten Wahrnehmung des Rechts auf parlamentarische Selbstorganisation, von funktionsadäquater Organisation und davon, dass die Regelung (einschließlich Neuner-Gremium) über die Anforderungen des Eurourteils vom September hinausgehe. In dem Urteil hatte das BVerfG für bestimmte Fälle die Mitwirkung des Haushaltsausschusses (statt des Plenums) für ausreichend angesehen.
Ebenfalls für den Bundestag sprach dann der 1. Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Peter Altmaier. Er betonte einleitend, der Bundestag habe auch deswegen um eine mündliche Verhandlung gebeten (sic!), weil es um eine wichtige Entscheidung nicht nur für das Parlament, sondern „auch für unser Land“ gehe. Die Frage der Mitwirkung des Parlamentes sei ab September intensiv diskutiert worden. Dass man erst 23 Minuten vor Beginn der entscheidenden Sitzung des Haushaltsausschusses einen Text habe vorlegen können, habe daran gelegen, dass man bis dahin versuchte habe, auf Wünsche der SPD einzugehen. Es sei um einen Versuch gegangen, über Fraktionsgrenzen hinweg Konsens zu erzielen. Dass Altmaiers intensive Diskussionen sich auf einen doch eher kleinen Radius bezogen, wurde deutlich, als Altmaier erläuterte, man habe im Kreise der Parlamentarischen Geschäftsführer verschiedene Modelle diskutiert, etwa auch die Befassung des Ältestenrates. Ein Neuner-Gremium aus Angehörigen des Haushaltsausschusses sei aber sachnäher, und da gewählt auch besonders legitimiert. Altmaier legte hier einen Vergleich mit dem Richterwahlausschuss für die Richter des BVerfG nahe, einen ebenfalls durch Wahl als Teilausschnitt aus dem Plenum ermitteltes Gremium.
Voßkuhles schlagfertige Antwort auf diese von einigen durchaus als offensiv wahrgenommene Andeutung zu Ableitungszusammenhängen und Machtabhängigkeiten von Verfassungsrichtern und deren Legitimationsbasis: Er freue sich auf den Moment, wenn das BVerfG über die Verfassungsmäßigkeit des Richterwahlausschusses zu befinden haben werde. Gelächter im Saal.
Danach ergriff für die Bundesregierung der Bundesminister der Finanzen Schäuble das Wort. Er äußerte wiederholt, man sei als Bundesregierung an der parlamentarischen Mitwirkungsfrage nicht beteiligt. Es gebe aber die Bitte der Bundesregierung an den Bundestag, die parlamentarische Mitwirkung so zu gestalten, dass der EFSF Rettungsschirm nicht unmöglich wird. Dass die Verfassungsrichter zur Einflussnahme der Regierung auf die Gesetzgebung eine bestimmte Vermutung hegen wurde zu einem späteren Zeitpunkt deutlich, als Voßkuhle Schäuble als den „Spiritus rector“ der fraglichen Bestimmungen ansprach. Schäuble wies dies zurück.
Nach dieser ersten Runde skizzierte der Vorsitzende Voßkuhle den weiteren Verlauf der Verhandlung. Die vorab veröffentlichte Verhandlungsgliederung hatte von da an nur noch Indizcharakter. In einem ersten Schritt sollte erörtert werden, was vom Plenum weg delegiert werden kann. In einem zweiten Schritt sollte es um Fragen des Geheimschutzes und der Vertraulichkeit sowie der Eilbedürftigkeit und was bei diesen Fragen der Maßstab sein könne.
Die folgenden Ausführungen der verschiedenen Bevollmächtigten und auch immer wieder von Abgeordneten und des Finanzministers will ich hier nicht in allen Einzelheiten nachzeichnen, sondern nur einige bemerkenswerte Punkte herausgreifen:
- Seitens des Antragsteller wurde nachdrücklich betont, dass bisher an allen wesentlichen Entscheidungen der einzelne Angeordnete mitwirken könne. Alle Beispiele, die hier das Gegenteil belegen sollten (u.a. Richterwahlausschuss, Parlamentarischen Kontrollgremium für Geheimdienste), beträfen andersartige Fälle. Hier wurde auch auf den Art. 45 GG aufmerksam gemacht, dem zufolge alleine der Europaausschuss des Bundestages plenarersetzende Beschlüsse fassen darf. Diese Vorschrift spielte in der Verhandlung erstaunlicherweise sonst keine Rolle, die Sachnähe des Europaausschusses (siehe oben Altmaiers Argument von der Sachnähe des Haushaltsausschusses) auch nicht.
- Richter Huber brachte als erster einen Gesichtspunkt auf, bei dem im Saal eine freudige Fassungslosigkeit der anwesenden Ministerialbürokratie spürbar wurde – dass das BVerfG in diese Richtung überlegt, hatte man offenbar gar nicht mehr erwartet: Huber wollte eine Einschätzung zu dem Argument, dass es sich ja auch um einen Eingriff in die Rechte der Exekutive handeln könnte. Einige Zeit später dachte Richter Di Fabio darüber nach, ob das Argument des Bundestages, bei den Angehörigen des Neuner-Gremiums müsse man ein bestimmtes „Amtsverständnis“ der 9 Abgeordneten unterstellen, nicht verräterisch sei. Es gehe doch um das Mandat, und eine exekutivische Überformung des Mandats – ob man bei einer solchen Entwicklung nicht eine Gefahr sehe. Di Fabio bezeichnete die Frage ob Amt oder Mandat zwar als „Petitesse“, aber ob das ernst gemeint war, wurde nicht deutlich. Der Abgeordnete Altmaier sah die Nähe zur Exekutive immer dann, wenn die Exekutive besonders eng kontrolliert werden solle. Der Bevollmächtigte der Bundesregierung Häde erklärte die Exekutivnähe des Neuner-Gremiums damit, dass es ja einerseits ein Gesetz nach Art. 115 GG schon gebe (die Ermächtigung an die Exekutive zur Übernahme von finanzwirksamen Verpflichtungen), man sich jetzt – Rolle des Neuner-Gremiums – ja im Bereich der Ausführung befinde. Der Vorsitzende Voßkuhle kam wieder an einer anderen Stelle der Verhandlung zu der Einschätzung, dass bei Ankäufen am Sekundärmarkt Eile und Vertraulichkeit als Erfordernisse einleuchten, es sich aber vielleicht um reine Exekutiventscheidungen handele. Er erinnerte hier an die Pershing-Entscheidung im 68. Band, dort dürfe die Regierung ja alleine entscheiden, und fragte nach den Unterschieden zur vorliegenden Situation. Und schließlich richtete, wiederum später in der Verhandlung, auch die Richterin Lübbe-Wolff, diesmal an Bundesminister Schäuble die Frage, wie er das denn sehe: Die Antragsteller machten geltend, es gebe zu wenig Bundestagsbeteiligung, man könne doch auch sagen, es gebe zuviel Beteiligung, zu Lasten der Exekutive. Die Frage, ob nicht doch in bestimmten Fragen, die das Neuner-Gremium betreffen, die Exekutive allein zuständig sein sollte, wurde also von vier der sieben Richter (Richter Mellinghoff ist bereits ausgeschieden) aufgeworfen. Das Thema scheint den Zweiten Senat zu beschäftigen.
- Die Frage des Ob einer Delegation bestimmter Entscheidungen weg vom Plenum schien weniger kontrovers zu sein als die Frage, an wen delegiert werden darf. Zur grundsätzlichen Möglichkeit einer Delegation trug der Abgeordnete Altmaier in einem ergänzenden Wortbeitrag gegen Ende der Verhandlung noch den entscheidenden Hinweis auf Heinrich Triepel nach, einen Verfassungsrechtler aus der schon etwas länger zurückliegenden Zeit des Kaiserreichs – anerkennendes Murmeln im Publikum. Man hätte vielleicht auch die Wesentlichkeitstheorie des BVerfG erwähnen können, aber jedes intensive Bemühen der politischen Akteure, das Rechtsgespräch vor dem BVerfG voranzubringen, verdient natürlich grundsätzliche Anerkennung.
- Manchmal gibt es in einer mündlichen Verhandlung Momente, bei denen greifbar ist, dass die meisten Anwesenden die Luft anhalten und ihren Ohren nicht trauen. Dies war bei den Einlassungen des Abgeordneten Fricke (FDP) der Fall. Er illustrierte zunächst die Exekutivnähe von Parlamentsentscheidungen am Beispiel der Haushaltssperren, konkret am Beispiel Umbau eines Gerichts. Der nicht eben subtile Hinweis auf die Abhängigkeit auch des BVerfG von Haushaltsentscheidungen des Haushaltsausschusses hatte einen etwas merkwürdigen Unterton. Besonders erstaunlich war aber die dann anschließende Aufklärung der Überrepräsentation der FDP im Neunerausschuss (2 Sitze): Einer dieser Sitze, so Fricke, gehe auf eine Absprache mit der CDU/CSU zurück. Für den Fall einer Änderung der derzeitigen Koalitionskonstellation entfiele natürlich die Geschäftsgrundlage der Absprache und man werde natürlich den Sitz frei machen. Zur Erinnerung: die Mitglieder des Neuner-Gremiums sind auf die Dauer der Legislaturperiode gewählt – was wenn ein gewähltes Mitglied seinen Platz eben nicht räumt? Oder fraktionslos wird? Die Wahl des Neuner-Gremiums wies weitere Merkwürdigkeiten auf: Der Abgeordnete Danckert schilderte an anderer Stelle der Verhandlung, dass die Wahl der Mitglieder ohne dass das Plenum so recht wusste, was abgestimmt wurde am 26.9. nicht einzeln sondern als Sammelvorschlag erfolgte. Stellvertreter für die neun Mitglieder seien auch nicht vorgesehen.
- Einiges wurde zu den Erfordernissen Vertraulichkeit und Eilbedürftigkeit vorgetragen. Im Kern ging es dabei um die Frage ob ein Ausschuss mit knapp 40 Mitgliedern zu groß ist, und eben nur eine Größenordnung von 9 Vertraulichkeit und schnelle Entscheidung sichert. Hier äußerten auch Abgeordnete Einschätzungen. Der Vorsitzende des Rechtsausschusses, Siegfried Kauder, berichtete, es sei ihm als Vorsitzender diverser Untersuchungsausschüsse nie gelungen, Lecks zu verhindern. Aus dem Parlamentarischen Kontrollgremium sei dagegen noch nie etwas entwichen. Und in Sachen Eilbedürftigkeit: Ein kleines Gremium entscheide eben schneller als ein Großes. Einer der antragstellenden Abgeordneten, Danckert, trat dem entgegen. Es sei ja eine Vielzahl von Personen mit den fraglichen Entscheidungen befasst, in dem Land, das Maßnahmen der EFSF beantrage, in den anderen Euro-Staaten, bei der EZB, im IWF, der Kommission. Danckert fragte, ob es dann auf den Unterschied zwischen 9 und 41 ankommen solle.
- Finanzminister Schäuble machte auf den eigentlichen Problemhintergrund aufmerksam, das Spannungsverhältnis zwischen Demokratie und Ökonomie. Die Märkte verstünden die Prozesse in Europa in ihrer Kleinteiligkeit nicht, das könne konkret bedeuten, dass sich Investoren aus den USA oder aus Asien zurückzögen. Es sei bereits ein Problem, dass die EFSF nur einstimmig beschließen könne, dazu noch 17-fache parlamentarische Entscheidung. Das stärke das Vertrauen nicht.
- Weitere Diskussionspunkte betrafen das richtige Verständnis des Verhältnisses von § 3 Abs. 3 zu § 3 Abs. 1 StabMechG und die Suche danach, wo genau die Ausnahme und wo die Regel im Gesetz angelegt war; die Unterscheidung zwischen Entscheidungs- und Kontrollbefugnissen mit Blick auf die Delegation und die Frage, ob Legitimation von der Größe eines Gremiums abhängt.
Die letzten Stellungnahmen in der Verhandlung hatten bereits in Teilen den Charakter vorgezogener Schlussworte. Der Abgeordnete Danckert beklagte ein zunehmendes Ungleichgewicht zwischen Exekutive und Legislative, die Exekutive werde immer stärker. Hier bat er das Gericht, Markierungen zu setzen. Der Abgeordnete Altmaier äußerte dazu, er habe sich auch oft über die Exekutive geärgert – solange er ihr nicht angehört habe (Gelächter im Saal). Der Bevollmächtigte der Bundesregierung Häde bezeichnete anschließend die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland als verfassungsrechtlichen Wert.
Bemerkenswert war schließlich, dass sich gleich mehrere Abgeordnete auf die Entscheidung des BVerfG von 2005 zum europäischen Haftbefehl bezogen. Der Abgeordnete Ströbele, der sich ebenfalls gegen das Neuner-Gremium wandte, betonte, er wolle sich nicht noch einmal vom BVerfG fragen lassen „Wie konntest Du nur dem zustimmen?“. Die Haftbefehls-Entscheidung wirkt im Bundestag also offenbar noch immer nach. Jedenfalls bei manchen.
Zusammenfassung und Ausblick
An vielen Stellen fiel das Verschwimmen der Positionen von Bundesregierung und Bundestag auf, auch in Kleinigkeiten wie der Sitzordnung in der Verhandlung und der Abfolge der Beiträge. Es erscheint bezeichnend, dass der Bundestag als eigentlicher Antragsgegner kein Schlussplädoyer abgab – das letzte Wort hatte der Bundesfinanzminister, der ein letztes Mal das Erfordernis der Handlungsfähigkeit Deutschlands unterstrich.
Prognosen zu Urteilen des BVerfG sind meist schwierig. Aus den Fragen und dem Duktus der Richter in der Verhandlung lässt sich nichts Verlässliches ableiten, schon weil – so auch diesmal – gar nicht alle Richter Fragen stellen. Kritisches Nachfragen kann im Übrigen auch der Überprüfung der Belastbarkeit des eigenen Standpunktes dienen.
Das Neuner-Gremium in der gegenwärtigen Form dürfte keinen Bestand haben, schon wegen des eigentümlichen Bestellungsmodus und der besonders disproportionalen konkreten Zusammensetzung. Es wird aber wohl dennoch die Möglichkeit geben, Entscheidungen aus dem Plenum zu delegieren. Ob der Europaausschuss, der nach dem Grundgesetz plenarersetzende Beschlüsse fassen kann, hier eine Rolle spielen wird, hängt auch vom Ausgang der Organklage der Grünen ab, die am 30. November verhandelt wurde: Bisher argumentiert die Bundesregierung, die Eurorettung (EFSF, ESM) sei keine Angelegenheit für den Europaausschuss.
Im übrigen hat das BVerfG in seinem Urteil vom September 2011 bereits anerkannt, dass Ausschüsse Mitwirkungsrechte des Bundestages wahrnehmen können. Mithin ist am Wahrscheinlichsten, dass eine Lösung auf Ausschussebene zu suchen sein wird. Der Hinweis eines Antragstellers auf die Möglichkeit, für bestimmte Eil- und Vertraulichkeitsfälle auf Ausschussebene Vorratsbeschlüsse zu fassen, trägt den Bedenken im Hinblick auf Eilbedürftigkeit und Vertraulichkeit Rechnung. Bei der Eilbedürftigkeit dürfte auch zu bedenken sein, dass es bei den in Rede stehenden Maßnahmen der EFSF um eine eng begrenzte Zeitspanne von Stunden oder Tagen geht, in der Vertraulichkeit erforderlich sein kann, und nicht um Monate oder Jahre, wie dies für Untersuchungsausschüsse der Fall ist (siehe oben).
Bei welchen Euro-Rettungsmaßnahmen (Vorsorgliche Maßnahmen – Stand by Kredite, Sekundärmarktankäufe, Bankenrettung) genau parlamentarische Mitwirkung, womöglich vermittels Plenarbeteiligung, die Effektivität der Maßnahme gefährdet, ist auch nach der mündlichen Verhandlung vor dem BVerfG nicht abschließend geklärt. Das konnte auch gar nicht die Funktion einer solchen Verhandlung sein. Für Ankäufe auf dem Sekundärmarkt wird ein Effektivitätsverlust immer wieder bejaht, so auch in der mündlichen Verhandlung. Hier würde allenfalls eine umfassende Anhörung, wie sie im Bundestag bisher nicht stattgefunden hat, Klarheit bringen können: Erst nach Aufklärung der Abläufe in der EFSF und im Marktgeschehen im Einzelnen ließe sich bestimmen, wann welche Kenntnisse im parlamentarischen Raum die Effektivität von Maßnahmen wie beeinträchtigen könnten. Aber für eine solche umfassende Aufklärung darüber worum es eigentlich geht, fehlt dann wahrscheinlich – angeblich – wieder die Zeit.
Eine besondere Ironie wäre es, würde das BVerfG zu dem Befund kommen, dass die Grenzen parlamentarischer Mitwirkungsmöglichkeiten die Grenzen von Mitwirkungsrechten markieren: Grenzen des Wachstums parlamentarischer Beteiligungsrechte. Das holprige Gesetzgebungsverfahren zur Einrichtung des Neuner-Gremiums, wie es der Abgeordnete Danckert in der mündlichen Verhandlung erläuterte, war jedenfalls nicht gerade dazu geeignet, das BVerfG von der Fähigkeit des Bundestages zu überzeugen, auch in schwierigen und eilbedürftigen Situationen parlamentarisch selbstbewusst unter selbstverständlicher Wahrung der verfassungsrechtlichen Vorgaben zu agieren. Dann ist der Schluss, bestimmte Dinge doch lieber gleich der Exekutive zu überlassen, nicht ganz fernliegend. Der Bundestag hätte dagegen die „exekutivische Überformung des Mandats“ als Europäisierungs- und Globalisierungsfolge offensiver verteidigen können. Spätestens hier wird deutlich, dass der Kern des Verfahrens die Rolle von nationalen Parlamenten im 21. Jahrhundert betrifft. Insoweit reicht das Verfahren auch weit über den ohnehin in Bälde endenden EFSF-Rettungsschirm hinaus.
Franz C. Mayer ist Professor u.a. für Verfassungsrecht und Europarecht an der Universität Bielefeld.
Kurze Zwischenfrage: War der 2. Senat überhaupt vollständig ? Herr Mellinghoff hat doch schon seine Entlassungsurkunde bekommen ?
Im Namen von Franz Mayer: stimmt, Korrektur ist vorgenommen, Mellinghoff ist nicht mehr dabei, auf der Bank saßen sieben Richter.
@ Andreas Hys:
Der Senat ist auch schon mit sechs Richtern beschlussfähig (§ 15 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Wahrscheinlich wird der Bundespräsident mit der Ernennung der Bundesverfassungsrichter Kessal-Wulf und Müller auch noch bis Ende des Monats warten, damit Professor Di Fabio als Berichterstatter dieses Urteil noch zu Ende führen kann. Bis zu diesem Datum besteht der Zweite Senat aus sieben Richtern.
Herrn Professor Franz Mayer herzlichen Dank für den interessanten Bericht! In Karlsruhe-Waldstadt sind die Zuschauerplätze ja gegenüber dem “Stammsitz” (widersinnigerweise) leider erheblich dezimiert worden; durch Ihren Bericht schaffen Sie also durchaus auch die gebotene Öffentlichkeit.
Zum Inhalt nur kurz: Die Fragen von der Richterbank, ob ggf. die Exekutive nicht “zu viel” an die Legislative abgegeben hätte, würde ich aber eher als Beruhigungsdrops für die angereisten – wie Sie so schön schreiben – “Ministerialbeamten in Kompaniestärke” deuten. Das Zitat von Triepel mag zwar rechtshistorisch gebildet klingen, aber dessen strengen Völkerrechts-Dualismus kann man mit guten Gründen ja ebenso über Bord werfen. Warum allerdings aus dem stichhaltigen E-Contrario-Argument aus Art. 45 GG und der kategorialen Unterscheidung zwischen beschließenden und vorbereitenden Ausschüssen/Gremien nicht mehr “gemacht” wurde, verwundert mich schon ein wenig. Ich hoffe, die Urteilsbegründung geht auf diese Aspekte dann in der gebotenen Breite ein.
Wer war eigentlich der Prozessbevollmächtigte des Bundestages?
Der Bundestag wurde durch Freshfields vertreten:
http://www.freshfields.de/news/mediareleases/mediarelease.asp?id=2622