Größe und Tragik
Zum Eilbeschluss des Bundesverfassungsgerichts zu "Next Generation EU"
Das Projekt „Next Generation EU“ wird zu einer grundlegenden Veränderung der EU führen. Sie reicht in ihrer Reichweite und Tiefe an den großen Reformschritt „Maastricht“ heran. Der Anspruch der EU, auf der Grundlage bestehender Kompetenzen einen Betrag von EUR 750 Mrd. auf den Kapitalmärkten aufnehmen und an die Mitgliedstaaten weiterreichen zu können, verändert die EU-Finanzverfassung mehr, als es die EU-Organe einräumen wollen. Ohne Zweifel handelt es sich, wie es im Vorschlag zur Änderung des Eigenmittelbeschlusses heißt, um einen „außerordentlichen“ Schritt.((BESCHLUSS (EU, Euratom) 2020/2053 DES RATES vom 14. Dezember 2020 über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union und zur Aufhebung des Beschlusses 2014/335/ EU, Euratom, Abl. 2020 L 424/1.)) Um einen nur vorübergehenden oder gar einmaligen Schritt wird es sich aber nicht handeln. Man sollte sich von dem politischen „spin“, mit dem die Maßnahme verkauft wird, nicht täuschen lassen. Schon heute gibt es Forderungen, auf NGEU ein weiteres schuldenfinanziertes Förderprogramm folgen zu lassen.
Der Entschluss, das im nächsten Mehrjährigen Finanzrahmen vorgesehene und über den EU-Haushalt parlamentarisch bewirtschaftete unionale Finanzvolumen in einem am EU-Haushalt vorbeigeleiteten Mechanismus um über Zweidrittel zu erhöhen, wirft eine Vielzahl von Fragen integrationspolitischer und rechtlicher Art auf. Über sie ist bislang wenig, ja vielleicht auch zu wenig gesprochen worden. Pandemiebedingt muss schnell gehandelt werden; manchen heiklen Fragen kann man so ausweichen. Die EU-Kommission treibt die Ausgabe von Anleihen mit der erkennbaren Grundhaltung voran, dass die Ratifikation des geänderten Eigenmittelbeschlusses durch die EU-Mitgliedstaaten nur eine (lästige) Formsache sei. Das ist bedauerlich. Dass „Next Generation EU“ von einer breiten politischen Mehrheit im Kreis der mitgliedstaatlichen Verfassungsorgane und der Bevölkerungen der Unionsstaaten getragen wird, steht allerdings fest.
Schon wieder die Verfassungsidentität verletzt?
Soll und kann sich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) dem mit dem Argument entgegenstellen, die deutsche „Verfassungsidentität“ schützen zu wollen? Liegt hier wirklich schon wieder ein Fall vor, in dem deutsche Staatsorgane – verfassungsvergessen – die Verfassungsidentität verletzen? Europapolitisch Unerwünschtes in Karlsruhe als Verstoß gegen Art. 79 Abs. 3 GG anzugreifen und darüber in einem mehrjährigen Prozess zu streiten, ist zu einem manchmal ermüdenden Ritual geworden, das der Verfassung möglicherweise mehr Schaden zufügt, als dass es ihrer Geltung und Normativität Nutzen bringt. Wie dem auch sei: Das vom BVerfG entwickelte Konstrukt einer Verfassungsidentität, deren Beachtung von den Bürgerinnen und Bürgern im Wege des Verfassungsbeschwerdeverfahrens eingefordert werden kann, ist so amorph, so flexibel und so situationsabhängig fortschreibbar, dass es den Vorwurf einer verfassungswidrigen Entwicklung jedenfalls grundsätzlich zu tragen in der Lage ist.
Es ist eine konsequente Fortführung der Rechtsprechung zur prozessrechtlichen Seite des deutschen Europaverfassungsrechts, wenn das BVerfG die Verfassungsbeschwerde gegen das Zustimmungsgesetz zum geänderten Eigenmittelbeschluss in dem hier zu besprechenden Beschluss vom 15.4.2021 nicht für offensichtlich unzulässig erklärt (Rdnr. 74-93). Das BVerfG knüpft hier konsequent an seine Rechtsprechung zur Verfassungsidentität, zur Abwehr von Ultra-vires-Akten, zum Schutz der Budgethoheit des Bundestages und zur Absicherung der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des deutschen Gesetzgebers an, wie sie seit 2011 entwickelt wurde.
Das BVerfG sieht einerseits die Möglichkeit, dass die im Eigenmittelbeschluss 2020 erteilte Ermächtigung zur Kreditaufnahme ein Ultra-vires-Akt ist (Rdnr. 92-93). Im Zustimmungsgesetz sieht das Gericht keine Kompetenzübertragung (Rdnr. 80). Denkbar ist es aber, dass der deutsche Gesetzgeber seine Hand zu einem kompetenzwidrigen Verhalten der EU reicht. In der Tat gingen und gehen nicht nur erhebliche Teile des rechtswissenschaftlichen Schrifttums von einem Verschuldungsverbot der EU aus (Zitate in Rdnr. 92; allerdings ohne Belege für die Gegenauffassung). Auch die EU-Organe haben sich in diesem Sinne bis in jüngste Zeit geäußert. Entsprechende Aussagen verschwanden über Nacht von den Internetseiten der EU-Kommission, als sich im Frühjahr 2020 corona-bedingt der Wille zur Entwicklung schuldenbasierter Instrumente entwickelte. Hier liegen offene Rechtsfragen – auch wenn man mit Sicherheit davon ausgehen kann, dass der EuGH, über Art. 267 AEUV damit befasst, keine primärrechtlichen Hindernisse sehen würde.
Die Frage, mit der sich das BVerfG (im Eilbeschluss wohl konsequent) nicht befasst, ist, wie die Verschuldung der EU zu einer strukturell bedeutsamen Kompetenzverschiebung zu Lasten der EU-Mitgliedstaaten führen kann. Ein kreativer, weniger kompetenziell und mehr finanzpolitisch orientierter Ansatz würde hier möglicherweise Verschiebungseffekte erkennen können. Ob dies nicht zu einer untunlichen (weiteren) Aufweichung der Anforderungen einer auf dem Demokratieprinzip beruhenden Ultra-vires-Kontrolle führen würde, bedürfte dann allerdings näherer Diskussion. Auffällig ist, dass diese zentralen Fragen in einer doch eher ausführlichen Entscheidung nur gestreift werden. Besonders auffällig ist, dass bei der summarischen Prüfung, ob sich eine hohe Wahrscheinlichkeit der Verfassungswidrigkeit des Eigenmittelbeschluss-Ratifizierungsgesetzes und des ihm zugrundeliegenden Eigenmittelbeschlusses 2020 feststellen lässt, der Ultra-vires-Verstoß nicht mehr aufgenommen wird (Rdnr. 95-103). Hier ist der Beschluss nicht ganz kohärent, möglicherweise, weil er in großer Eile angefertigt worden sein muss.
Möglich, aber nicht wahrscheinlich
Das Bundesverfassungsgericht sieht andererseits die Möglichkeit, dass das Eigenmittelbeschluss-Ratifizierungsgesetz und der ihm zugrundeliegende Eigenmittelbeschlusses 2020 die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages verletzen und so einen Verstoß gegen Art. 79 Abs. 3 GG begründen könnte (Rdnr. 87-91). Das Grundproblem des Beschlusses liegt hier darin, dass das Gericht sich die Möglichkeit einer ergebnisoffene Prüfung in einem (so die Ankündigung: mehrjährigen) Hauptsacheverfahren nicht abschneiden will, zugleich aber mit Tatsachen konfrontiert ist, die die Behauptung, die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages sei tatsächlich beeinträchtigt, hochgradig unplausibel erscheinen lassen. In dieser Spannungslage sieht sich das Gericht dazu gezwungen, verschiedentlich zu betonen, dass der Eigenmittelbeschluss 2020 die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages beeinträchtigen und so die Verfassungsidentität verletzen könnte (Rdnr. 87, 103). Da die Aufnahme von Kapital durch die EU nicht zu einer Haftung der Bundesrepublik Deutschland führt, wie auch das BVerfG erkennt (Rdnr. 99), muss die im Eigenmittelbeschluss 2020 vorgesehene Nachschußpflicht nach Art. 9 Abs. 4 Eigenmittelbeschluss, eine zentrale (fiskal- bzw. integrationspolitisch aber grotesk überhöhte) Bedeutung gewinnen.
Innerhalb des Beschlusses sieht sich das Gericht gezwungen, die gleichen Beobachtungen an einer Stelle aufzubauen und an anderer Stelle abzuwerten: Während das Gericht den diffusen Sachvortrag der Antragsteller im Rahmen der Beschäftigung mit der Zulässigkeit der Beschwerde im Hauptsacheverfahren noch als tragfähig ansieht (Rdnr. 87-91), verwirft es genau diesen Sachvortrag, wenn es an späterer Stelle darlegt, dass keine hohe Wahrscheinlichkeit für einen Verstoß des Eigenmittelbeschlusses-Ratifizierungsgesetzes gegen Art. 79 Abs. 3 GG spreche (Rdnr. 95, 98-103). Liest man diese Passagen, fragt man sich unwillkürlich, wie eine auch nur geringe Wahrscheinlichkeit eines Verfassungsverstoßes (immerhin: gegen die politikfesten und unveränderbaren Kerngehalte nach Art. 79 Abs. 3 GG) dargelegt werden kann. Das Gericht sieht sich an einer Stelle sogar gezwungen, darauf hinzuweisen, dass die Antragstellerinnen und Antragsteller zentrale fiskal- und haushaltspolitische Gegebenheiten nicht berücksichtigten – allerdings soll selbst dies der Möglichkeit einer Verletzung der Verfassungsidentität „nicht von vornherein entgegen“ stehen (Rdnr. 91). Im Ergebnis kommt das Gericht so zur Feststellung, dass die behauptete Möglichkeit einer Verletzung von Art. 79 Abs. 3 GG zwar nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehe, aber doch so „möglich“ sei, dass die Zulässigkeitsanforderungen der Verfassungsbeschwerde nicht offensichtlich unerfüllt sind.
Im Zwang der Pandemie
Das Karlsruher Gericht betreibt seine Kontrolltätigkeit auf europa-verfassungsrechtlichem Feld im Schatten der großen EU-Politik – und vor dem Hintergrund einer Pandemie, deren wirtschafts- und gesellschaftspolitische Folgen in den EU-Mitgliedstaaten schwere Schäden anrichten und für die EU zur existenziellen Gefahr zu werden drohten. NGEU ist kein Akt politischer Beliebigkeit, sondern eine durch die Pandemie erzwungene Reaktion. Das BVerfG ist sich dessen bewusst, wie seine Überlegungen im Rahmen der nach § 32 BVerfGG erforderlichen Folgenabwägung zeigen (Rdnr. 105-107). Dass sich das BVerfG der Umsetzung des im Juli 2020 politisch Beschlossenen in den Weg stellen würde, konnte niemand ernstlich erwarten.
Der Hängebeschluss vom 26.3.2021 (Hinweis in Rdnr. 63) machte aber deutlich, dass sich das BVerfG vertieft mit der Sache befassen will; der Beschluss vom 15.4.2021 spricht offen aus, dass ein langjähriges Verfahren mit der Möglichkeit der Vorlage an den EuGH zu erwarten ist (Rdnr. 105). Bis es zu einer Entscheidung kommen wird, werden die Finanzmittel durch die EU-Kommission auf den Märkten aufgenommen und an die EU-Mitgliedstaaten weitergereicht worden sein. Rückgängig wird man das auch dann nicht mehr machen können, wenn das BVerfG später einen Verstoß gegen Art. 79 Abs. 3 GG feststellen wird. Das Gericht sieht das und reagiert mit einer Wiederholung der bekannten Sätze, wonach sich die deutschen Verfassungsorgane dann der Entwicklung entgegenstellen und auf eine Beseitigung von Folgen hinwirken müssten (Rdnr. 111). In einem solchen Fall könnte auch, so das Gericht, die Pflicht bestehen, sich einer Fortschreibung des Eigenmittelbeschlusses 2020 zu widersetzen und einem Beschluss über einen neuen Mehrjährigen Finanzrahmen nicht zuzustimmen. Wie das in einer Situation, in der die EU-Verpflichtungen längst begründet worden sind und das aufgenommene Geld in den mitgliedstaatlichen Kassen verschwunden ist, helfen soll, ist nicht ganz klar.
Der Beschluss vom 15.4.2021 zeigt – wie in einem Brennglas – Größe und Tragik des Anspruchs des BVerfG, eine von ihm immer erst zu definierende Verfassungsidentität gegen die EU-Organe und die politisch handelnden Verfassungsorgane schützen zu wollen. Auch Integrationsbefürworter muss es schmerzen, wie zuletzt immer wieder zentrale Vertragsprinzipien, integrationspolitischen Grundannahmen und langjährig konsentierte Vertragsinterpretationen krisenbedingt gekündigt oder auch gebrochen werden, um das gerade opportun Erscheinende zu realisieren. Wenn das Bundesverfassungsgericht dem entgegenträte und deutlich machte, dass ein grundsätzlicher Umbau der EU-Finanzarchitektur nur auf der Basis einer primärrechtlichen Absicherung möglich ist, wäre dies integrations- und rechtspolitisch ein großer Gewinn. Allerdings wird das BVerfG auch hier wiederum erst so spät agieren können, dass sein Eingreifen wohl mehr Schaden an- als Nutzen ausrichten wird. Würde das BVerfG im Hauptsacheverfahren einen Ultra-vires-Akt der EU erkennen, so wöge das jedenfalls deutlich schwerer als der kleine Vorwurf fehlerhafter Begründung, den es in der Entscheidung vom 5.5.2020 gegen die EZB erhoben hat; und der Zusammenstoß mit dem EuGH, dessen Entscheidung wohl vorab schon feststeht, wäre ungleich brutaler.
Hinzu kommt folgendes: Würde das BVerfG das Zustimmungsgesetz zum Eigenmittelbeschluss 2020 im Hauptsacheverfahren für nichtig erklären, hätte dies zwar staatsrechtliche Ex-tunc-Wirkung. Die unionsrechtliche Geltung des Eigenmittelbeschlusses würde dadurch aber nicht in Frage gestellt. Denn ein derartiger Entscheidungsausspruch würde den Ratifikationsakt der Bundesrepublik Deutschland nicht beseitigen. Hierzu müssten die Antragstellerinnen und Antragsteller auch die Erklärung des Bundespräsidenten angreifen. Unionsrechtlich unklar ist, ob eine nachträgliche Aufhebung eines mitgliedstaatlichen Ratifikationsakts die einmal hergestellte Gültigkeit eines EU-Eigenmittelbeschlusses nach Art. 311 Abs. 3 AEUV berühren würde. Sicher ist, dass es unionsrechtlich unbeachtlich wäre, wenn sich das für die Abgabe der „Zustimmung“ (Art. 311 Abs. 3 AEUV) zuständige mitgliedstaatliche Staatsorgan später aus politischen Gründen entschlösse, seine Zustimmung wieder zu entziehen – das würde einen einmal in Kraft getretenen Eigenmittelbeschluss nicht berühren. Wäre es anders, wenn ein mitgliedstaatliches Gericht die Zustimmung aus Rechtsgründen aufhöbe? Ich habe meine Zweifel.
Wo liegt dann der Wert des nun anstehenden Hauptsacheverfahrens? Es erscheint nicht undenkbar, dass das BVerfG im Hauptsacheverfahren deutlich macht, dass künftige Ausweitungen und Fortentwicklungen der Verschuldensbefugnis der EU nicht mehr auf einer so wackeligen Konstruktion wie NGEU möglich sind; und es wäre auch denkbar, darauf zu bestehen, dass Finanzmittel der in Rede stehenden Größe umfänglich parlamentarisch in einem Haushalt bewirtschaftet werden müssen. Dann hätte das Karlsruher Gericht einen wichtigen Beitrag zur künftigen Entwicklung der EU geleistet.
Vielen Dank für diesen scharfsinnigen und ausgewogenen Beitrag!
Ich habe allerdings die Rechtslage bislang immer so verstanden, dass das von manchen postulierte “Verschuldungsverbot” keine primärrechtliche Grundlage hat. Eine Vertragsnorm diesen Inhalts ist mir schlicht unbekannt. Wenn von Seiten der Beschwerdeführer anscheinend auf den Begriff “Eigenmittel” in Art. 311 AEUV abgehoben wird, scheint das wenig überzeugend: “Eigenmittel” ist der Gegenbegriff zu den früher vorgesehenen Beiträgen der Mitgliedstaaten. Damit soll also die stärkere finanzielle Eigenständigkeit der EU betont, nicht eine Analogie zum Eigen- und Fremdkapital aus dem Bilanzrecht gezogen werden.
Soweit bislang ein “Verschuldungsverbot” bestand, folgte dies daher schlicht aus dem Umstand, dass der bisherige Eigenmittelbeschluss keine Kreditaufnahme vorsah und die Haushaltsverordnung dergleichen verbat bzw. nur in spezifischen Fällen erlaubte. Beides konnte bzw. kann man in den primärrechtlich vorgesehenen Verfahren ändern.
Dass der eine oder andere das (aus welchen Gründen auch immer) anders sehen mag, gestehe ich gerne zu. Ebenso ist es nicht verwunderlich, dass sich so etwas dann möglicherweise über verschiedene Kommentierungen perpetuiert (wenn man weiß, wie die häufig entstehen und welche Ähnlichkeiten sie teils aufweisen). Bedauerlich ist dann eben, dass daraus der Eindruck entstehen (oder bewusst erzeugt werden) kann, hier werde auf EU-Ebene etwas getan, was dem einhelligen Vertragsverständnis der deutschen Rechtswissenschaft widerspricht.
Sehr geehrter Herr Kottmann,
das von Ihnen angeführte Argument habe ich nun bereits an mehreren Stellen gelesen. Grundsätzlich stimme ich Ihnen zu, dass der Begriff der Eigenmittel aus Art. 311 AEUV nicht deckungsgleich mit dem des Eigenkapitals, wie man es im Bilanz- und Gesellschaftsrecht kennt, ist.
Gleichwohl meine ich, dass diese Unterscheidung nicht auf die Ebene durchschlägt, auf der Eigenmittel bzw. -kapital von Fremdkapital (im Kontext des Art. 311 AEUV müsste man dann wohl von Fremdmitteln sprechen) abgegrenzt wird. Dass eine solche Abgrenzung notwendig sein muss, ergibt sich m.E. daraus, dass die implizite Beschränkung des Art. 311 AEUV auf eine Finanzierung durch Eigenmittel ansonsten leerlaufen würde. Könnten jegliche Mittel als Eigenmittel deklariert werden, wäre die Erwähnung schlicht überflüssig.
Ist also die Notwendigkeit der Abgrenzung festgestellt, muss sich die Frage gestellt werden, was unter Eigenmitteln verstanden werden kann. Insofern bietet sich ein Blick ins Bilanz- und Gesellschaftsrecht zumindest für eine erste Orientierung an. Dass Eigenmittel aber nicht mit Eigenkapital gleichgesetzt werden können, ergibt sich schon daraus, dass die EU nicht gesellschaftsrechtlich organisiert ist, mithin bspw. nicht über gezeichnetes Kapital als „Grundform“ des Eigenkapitals verfügt. Stattdessen sind ihre Eigenmittel „traditionell“ (ohne mich damit auf die Ausführungen des BVerfG im jüngst ergangenen Mietendeckelurteil beziehen zu wollen) die Mittel, welche der EU von ihren Mitgliedsstaaten zur Verfügung gestellt werden. Ähnlich zu verorten sind Zölle, welche von der EU erhoben werden (gleiches gälte für Steuer, hätte die EU entsprechende Kompetenzen). Diesen Mitteln ist gemein, dass die EU sie – entsprechend ihrer Finanzplanung – selbstständig verwenden kann, insbesondere besteht für sie keine Verpflichtung zu einer Rückzahlung dieser Mittel. Dies halte ich für das entscheidende Kriterium, mittels welcher Eigenmittel von Fremdmitteln abzugrenzen sind (was im Ergebnis zugegebenermaßen wiederum zu einer gewissen Ähnlichkeit zu der Abgrenzung zwischen Eigen- und Fremdkapital führt).
Nimmt die EU nun selbst Schulden auf, um damit ihre Ausgaben zu finanzieren, bewegt sie sich deswegen m.E. nicht mehr im Rahmen der ihr zugestandenen Finanzierung durch Eigenmittel. Das gilt auch dann, wenn man den Begriff der Eigenmittel selbstständig definiert – wie es für Begrifflichkeiten des Unionsrechts ja auch üblich und vorzugswürdig ist. Insofern kann ich dann aber auch der Schlussfolgerung von Herrn Prof. Nettesheim zustimmen: Eine Klärung auf primärrechtlicher Ebene kann diese Differenzen jedenfalls ausräumen.
Beste Grüße
C.A.
Ich darf meinerseits für die Reaktionen danken. Sie stoßen eine wichtige Diskussion über die Bedeutung und Reichweite von Art. 311 AEUV an.