17 April 2014

Grundrechte-Überdruck in Europa?

Über unsere Grundrechte brauchen wir uns anscheinend keine großen Sorgen zu machen. Gleich drei mächtige Gerichte bewerben sich darum, sie für uns schützen zu dürfen, EuGH, EGMR und BVerfG, alle drei mit gehörigem Selbstbewusstsein und Gestaltungswillen ausgestattet, und wenn sie einer Schutzlücke begegnen, dann zögern sie selten, Maßstäbe zu entwickeln, um sie stopfen zu können, zumal sie der Wettbewerbsdruck, den sie untereinander verspüren, zusätzlich anspornt. Das Ergebnis: Wenn uns Staats- und Unionsbürger irgendein Official aus Berlin oder Brüssel oder sonstwo diskriminieren oder unsere Freiheit beschränken will, dann muss er sich dafür am Ende womöglich vor dem Grundgesetz UND der Europäischen Grundrechtecharta UND der Europäischen Menschenrechtskonvention rechtfertigen, muss in Karlsruhe, in Luxemburg, in Straßburg vor die Richterbänke treten und bohrende Fragen beantworten nach der Vereinbarkeit seines Tuns mit den verschiedensten und teils ziemlich schwach konturierten Rechtsmaßstäben, von der Verhältnismäßigkeit ganz zu schweigen. Mit einem Wort: Drei konkurrierende Grundrechtsgerichte heißt dreifach gesicherter Grundrechtsschutz, und wer Grundrechtsschutz gut findet, der muss dreifachen Grundrechtsschutz dreimal gut finden.

Soweit das optimistische Bild. Aber stimmt es überhaupt?

Am Dienstag abend war ich in der Humboldt-Uni bei einem Vortrag des Freiburger Staatsrechtslehrers und Karlsruher Verfassungsrichters Johannes Masing. Der hat im Bundesverfassungsgericht als Mitglied des Ersten Senats ein bisschen eine ähnliche Rolle wie weiland Dieter Grimm zu Paul-Kirchhof-Zeiten: quasi das liberale, von souveränistischen Beklemmungen völlig freie Gegenmodell zum Zweiten Senat in der Rolle des Warners vor allzu fröhlichem Europa-Enthusiasmus und Mahners zur Sorge, die Schwierigkeiten und Reibungsverluste auf dem Weg zum integrierten europäischen Grundrechtsschutz nicht zu unterschätzen.

An drei Stellen kippt für Masing, wenn ich ihn richtig verstanden habe, das oben skizzierte  Bild des dreifach gesicherten Grundrechtsschutzes ins Negative: Verloren zu gehen droht a) die Vielfalt der Varianten, Grundrechte in Europa auf unterschiedliche Weise zu schützen und mit anderen Verfassungszielen und Grundrechten ins Verhältnis zu setzen, und damit die Möglichkeit, unterschiedliche historische Kollektiverfahrungen und kulturelle Resonanzen grundrechtsdogmatisch zu verarbeiten, b) der Gestaltungsspielraum der Politik, die womöglich nur noch in einem verfassungsrechtlich bestimmten Teilausschnitt des europarechtlich bestimmten Teilausschnitts ihres völkerrechtlich bestimmten Handlungsrahmens auf politische Probleme reagieren könnte, also eigentlich gar nicht mehr, und schließlich c) so mancher lieb gewonnene Bestand unserer vertrauten deutschen Grundrechtsdogmatik, wenn wir erkennen, dass anderer Herren Richter Themen wie Versammlungsfreiheit, Datenschutz, Burkaverbot und Embryonenschutz vollkommen anders sehen als wir es gewohnt sind.

Das Dreieck Grundrechtecharta/EMRK/nationale Verfassung, so Masing, ist innerlich viel komplexer, als es das simplifizierende Bild vom dreifachen Grundrechtsschutz vermuten lässt. Das Verhältnis von EMRK zu nationaler Verfassung (und künftig auch zur Grundrechtecharta) beschreibt er als “Schichtung”: Die Konvention gibt Mindeststandards vor, den gemeinsamen minimalen Grundrechtsbestand, den alle 47 Mitgliedstaaten (und künftig auch die EU selber) vorhalten müssen. Wie sie ihre Grundrechte aber im Einzelnen ausgestalten und wie weit sie sie über das Minimum hinaus reichenlassen – das bleibt (zumindest dem Prinzip nach) ihren eigenen Verfassungen überlassen.

Das Verhältnis von Grundrechtecharta zu nationaler Verfassung nennt er demgegenüber “Teilung”: Beide gelten im Prinzip für getrennte Sphären, die Charta für Unionshandeln, die Verfassung für mitgliedsstaatliches Handeln.

So geteilt bzw. geschichtet sind diese Sphären aber in der Realität nicht, und das, so Masing, schafft Probleme. Wenn etwa die Grundrechtecharta auch die Mitgliedsstaaten bindet, wenn sie beim Umsetzen von EU-Vorgaben Ermessensspielräume ausfüllen oder gar – wie vom EuGH in Åkerberg Fransson angedeutet – in Bereichen unterwegs sind, die nur lose irgendwie mit Unionsrecht zu tun haben, dann entsteht ein mehr oder weniger großer “Überlappungsbereich”, in dem die Mitgliedsstaaten sich sowohl vor dem EuGH und der Grundrechtecharta als auch vor dem Grundgesetz und dem BVerfG verantworten müssen (vom EGMR ganz zu schweigen), mit entsprechenden prozessrechtlichen (Vorlage!) und materiellrechtlichen (mögliche widersprüchliche Ergebnisse!) Problemen.

Die EU, so lange ein Ort des “Grundrechtsvakuums”, wäre damit zu einem Ort des “Grundrechteüberdrucks” geworden.

Was genau Masing vom EuGH erwartet, ließ er offen. Klar wurde, was er nicht will – nämlich eine so umfassende Bindung der Mitgliedstaaten an europäische Grundrechte, wie in Åkerberg Fransson angelegt oder auch im Fall Ruiz Zambrano von Generalanwältin Eleanor Sharpston aus der Unionsbürgerschaft hergeleitet (“Cives europaeus sum!”). Das ist nach der harten Ansage des Ersten Senats in Richtung EuGH im Antiterrordatei-Urteil keine Überraschung.

Masing ließ dabei aber nichts unversucht, die Kollegen in Luxemburg der Wärme seiner Gefühle für sie zu versichern. Er habe nichts weniger im Sinn als ihnen gegenüber auf einem letzten Wort für Karlsruhe zu beharren, wie überhaupt er die ganze Debatte um Über- oder Unterordnung und pro- oder antieuropäisch in seinen Augen für einen ziemlichen Unsinn halte. Den “Überlappungsbereich” und die aus ihm entstehenden prozess- und materiellrechtlichen Schwierigkeiten zu managen, sei eine gemeinsame Aufgabe für EuGH und BVerfG und nicht zuletzt auch für die Rechtswissenschaft, die sich nicht länger darauf beschränken dürfe, die Entscheidungen beider Gerichte mit “gerichtspositivistischer Chronistik” zu begleiten. Rechtswissenschaftler ist Masing selber, und sein Vorschlag wäre, den “Überlappungsbereich” auf Fälle zu begrenzen, in denen das Handeln der Mitgliedsstaaten unionsrechtlich “determiniert” ist – zugestandenermaßen auch noch ziemlich vage, aber immerhin.

Ich für meinen Teil habe aus Masings Vortrag die Bestätigung mitgenommen, wie wichtig es ist, dass wir uns in Europa für die Verfassungskulturen unserer Mit-Mitgliedsstaaten öffnen und interessieren. Was die Briten über Überwachung denken, was die Franzosen über Gewaltenteilung, was die Ungarn über Demokratie und die Iren über Religionsfreiheit, das ist nicht länger Sache der “Anderen” und für uns von bestenfalls exotischem Interesse, nach dem Motto, interessant, was es alles gibt. Sondern das ist unsere eigene Sache. Wir teilen mit den Briten, den Franzosen, den Ungarn und den Iren und allen anderen Unionsbürgern einen gemeinsamen Verfassungsraum, der sich nicht sauber nach Ebenen und Grenzen und Unserem und Eurem auseinanderfilettieren lässt, sondern uns dazu zwingt, uns zu positionieren zu dem, was im jeweils anderen Mitgliedsstaat konstitutionell passiert.

Hier sehe ich eine ganz zentrale Aufgabe für den Verfassungsblog und schon existierende bzw. hoffentlich bald entstehende entsprechende Blogs in anderen EU-Mitgliedsstaaten. Was mir vorschwebt, ist ein europäisches Netzwerk von Verfassungsblogs, in dem sich nationale und europäische Verfassungsexpertise grenz- und ebenenübergreifend miteinander verschränkt und verzahnt und der politischen Öffentlichkeit zugänglich macht. Diesem Projekt werde ich in den nächsten Monaten viel Zeit widmen und bin dabei für jede Anregung, Kritik und Unterstützung dankbar.


40 Comments

  1. CB Thu 17 Apr 2014 at 19:29 - Reply

    Für die abschließend formulierten Ziele kann man wirklich nur das Beste wünschen — und einen langen Atem, denn bis zum in Vielfalt geeinten Europa ist es noch weit. Auf der anderen Seite sind wir aber auch schon mittendrin in diesem Projekt und der Verfassungsblog hat schon viele europäische Stimmen zu Wort kommen lassen. Weiter so!

  2. Unaufmerksamer Leser Thu 17 Apr 2014 at 21:05 - Reply

    Ein hehres Ziel, das dem letzten Absatz zu entnehmen ist; vieleicht wäre es aber zunächst sinnvoller, sich auf die wahren Stärken des Verfassungsblogs zu besinnen – juristisch-kundige Artikel mit journalistischem Anspruch über die verfassungsrechtliche Praxis und die dazugehörige Wissenschaft. Häufig genug wird dieser Blog mittlerweile zur Spielwiese von Akademikern, die Sinn und Zweck dieses Blogs mE nur bedingt verstanden haben und hier zu einer gewissen “Akademisierung” des Blogs beitragen wollen unter Verkennung der Idee des Verfassungsblogs. Sinnvoll ist das sicherlich nicht und der spezifische Reiz des Projekts leidet darunter sehr. Mit anderen Worten: früher war alles besser.

  3. Aufmerksamer Leser Thu 17 Apr 2014 at 22:06 - Reply

    @Unaufmerksamer: Setz Dich vielleicht in @Max Seminar und erklär ihm dort ganz in Ruhe, wie man das richtig macht, mit dem bloggen. Dann wird alles gut.

  4. Matthias Fri 18 Apr 2014 at 16:43 - Reply

    Ich finde die Entwicklung hier im Blog schon sehr interessant, die Beiträge sind meist anregend. Ich weiß aber ungefähr, worauf “Unaufmerksam” hinaus will. In manchen Artikeln fehlt das “schlaglichthafte” und sie gehen damit in Richtung Aufsatz. Für das, was “Unaufmerksam” früher besser fand, hat er ja aber die rechte Blogspalte…

  5. Unaufmerksamer Leser Fri 18 Apr 2014 at 22:04 - Reply

    Die aber – gefühlt jedenfalls – thematisch enger ist als zuvor und sich ein wenig zu sehr an aktuellen Entscheidungen aufhängt. Aber ja: dort bleibt der alte Blog noch am Leben. Die Themen in der linken Spalte driften doch manches Mal in Richtung Aufsatz ab; ich werde auch den Eindruck nicht los, dass “links” weniger diskutiert wird und sehe darin ein Indiz für ein geringeres Auseinandersetzungsinteresse der Leserschaft. Aber das mag auch täuschen.

  6. Peter Blickensdörfer Sat 19 Apr 2014 at 10:50 - Reply

    „Das Dreieck Grundrechtcharta/EMRK/nationale Verfassung“ sagt aus „gewohntes“ Verständnis. Es seien drei Begriffe, deren Verhältnisse zueinander nur noch „richtig“ verstanden werden müssten.

    Doch mit diesem „gewohnten“ Verständnis ist das „richtige“ Verstehen dieser Verhältnisse „womöglich nur noch“ mit einer vertraglichen Übereinkunft zu bestimmen, „also eigentlich gar nicht mehr“.

    „Gar nicht mehr“, weil mit den Worten Grundrechtcharta oder EMRK oder nationale Verfassung mannigfach (unterschiedlich) Begriffenes bezeichnet, als Begriffe im mannigfachem (verschiedenem) „gewohnten“ Verständnis verwendet werden (das „Dreieck“).

    Es sind mannigfach (verschiedene) „gewohnte“ Verständnisse, deren Verhältnisse zueinander zwar beschrieben, als „gemeinsamer Verfassungsraum“ (Verständnisraum) bezeichnet werden, aber damit begriffen „gar nicht mehr“.

    Deshalb gehört zum „gewohnten“ Verständnis dazu auch, dass „Dreieck“, „gemeinsamer Verfassungsraum“ lediglich „zwingt, uns zu positionieren zu dem“, was dazu mannigfach (verschieden) begriffen wird.

    Zu wenig!

  7. Aufmerksamer Leser Sat 19 Apr 2014 at 13:13 - Reply

    Ich drucke mir die Artikel von Peter Blickensdörfer alle aus. Ein großer Künstler. Vielleicht könnte man ihm eine eigene Spalte geben, neben “Debatte” und “Kolumne”?

  8. VerteidigerIn Sat 19 Apr 2014 at 14:29 - Reply

    Gibt es eigentlich eine RichterIn, die an allen 3 Gerichten gearbeitet hat?

  9. Aufmerksamer Leser Sat 19 Apr 2014 at 15:04 - Reply

    @Verteidigerin: Nein. Das liegt (auch) an den schlechten Erfahrungen, die wir mit der Richterin gemacht haben, die an zwei von den drei Gerichten gearbeitet hat.

  10. Matthias Sat 19 Apr 2014 at 17:33 - Reply

    Ich stehe auf dem Schlauch. Welche schlechten Erfahrungen haben wir mit RJ denn gemacht?

  11. VerteidigerIn Tue 22 Apr 2014 at 10:55 - Reply

    @Aufmerksamer Leser (AL): Bißchen konkreter fände ich auch toll, die Frage nach der RichterIn war ganz offen gemeint. Mich würde also konkret interessieren, ob es Personen gibt, die die Traditionen beider oder der drei Gerichte kennen und – vielleicht auch hier – erklären können. Weiterhin würde ich gerne von AL wissen, ob die schlechten Erfahrungen in irgendeiner Weise mit der Tätigkeit an zwei unterschiedlichen Gerichten zu tun hatten? Letztlich deutet die Formulierung von AL auch an, dass es wegen der schlechten Erfahrungen keine weiteren MehrebenenRichterInnen gab, also dies auch auf die politische Entscheidung Einfluss hatte, richtig?

  12. Maximilian Steinbeis Tue 22 Apr 2014 at 18:41 - Reply

    @VerteidigerIn: Er meint Renate Jaeger, die erst beim BVerfG und dann beim EGMR war (und meiner Meinung nach in beiden Gerichten einen super Job gemacht hat, ohne sie würde immer noch jedem Anwalt, der von sich behauptet, was zu können, die Kammer aufs Dach steigen). Sie ist das einzige Beispiel, das mir ad hoc einfällt, von jemand, der in zwei der drei Gerichte gewirkt hat.
    Aber wieso eigentlich?

  13. Alexandra Kemmerer Tue 22 Apr 2014 at 20:52 - Reply

    Vielleicht, weil Renate Jaeger selbst auf ihrem Weg von Karlsruhe nach Straßburg eher duchwachsene Erfahrungen gemacht hat? Und es deswegen eher unwahrscheinlich ist, dass es in absehbarer Zeit weitere Wechsel von der einen auf die andere Rheinseite geben wird? (@ Aufmerksamer Leser: Ist es das, was sie sagen wollen?) Ein Beispiel: Die institutionelle Struktur des Bundesverfassungsgerichts und des EGMR sind grundverschieden. Auf die alltägliche Arbeit der Richterinnen und Richter hat das ganz erhebliche Auswirkungen. So arbeiten Richterinnen und Richter in Karlsruhe mit einem je eigenen kleinen Stab von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die sie selbst ausgewählt haben und die in der Regel ausschließlich für die jeweilige Person tätig sind (in Luxemburg ist das ähnlich, da spricht man vom “Kabinett” des Richters / der Richterin). In Straßburg hingegen werden den Richterinnen und Richtern fallweise Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kanzlei des EGMR zugewiesen, welche für Auswahl und Einstellung des – in der Regel permanenten – Stabes zuständig ist. Dadurch hat die Kanzlei ein großes institutionelles Gewicht (m.E. ungleich größer als der “3. Senat” in Karlsruhe) und fungiert ihrem Selbstverständnis nach gewissermaßen als Hüterin der Rechtsprechungstradition des EGMR, die den Richterinnen und Richtern dann “beigebracht” wird. Dieses pädagogische Anliegen mag angesichts der doch sehr verschiedenen beruflichen Vorerfahrungen der Straßburger Richterinnen und Richter begründet sein – es wirft aber doch gewisse Legitimatinsfragen auf und erzeugt Spannungen, über die öffentlich selten gesprochen wird, zu denen sich Richterinnen und Richter im direkten Gespräch aber doch gelegentlich sehr deutlich äußern.

  14. Aufmerksamer Leser Tue 22 Apr 2014 at 21:52 - Reply

    @Alexandra Kemmerer: sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen.

  15. Alexandra Kemmerer Tue 22 Apr 2014 at 22:22 - Reply

    @ Aufmerksamer Leser: Verzeihen Sie bitte meine etwas schludrige Rechtschreibung und die Typos; ich bin offenbar noch im Feiertagsmodus. Aber eine ganz alltägliche Frage beschäftigt mich nun doch: Wie gehen wir damit um, dass – wenn Ihre Annahme stimmt – die individuelle Erfahrung einer einzelnen Protagonistin mittelfristig in doch nicht unmaßgeblicher Weise unseren Umgang mit den Spruchkörpern des europäischen Verfassungsraums und der Besetzung von Richterpositionen prägt?

  16. Gerd Gosman Wed 23 Apr 2014 at 08:55 - Reply

    Semantisch ist es etwas erstaunlich, dass Alexandra Kemmerer den Nagel auf den Kopf getroffen haben soll, wenn “wir” schlechte Erfahrungen “mit” Renate Jaeger gemacht haben sollen. Schlechte Erfahrungen hat dann ja wohl eher Frau Jaeger gemacht.

    Es gibt übrigens noch einen Deutschen, der Richter am BVerfG und am EuGH (dort sogar Präsident) war, nämlich Hans Kutscher. Leider wird er hier nicht von seinen Erfahrungen berichten können.

  17. Aufmerksamer Leser Wed 23 Apr 2014 at 09:28 - Reply

    @Alexandra Kemmerer: Es ist ja nicht nur die persönliche Erfahrung, sondern die Gründe für diese Erfahrungen dürften in ganz erheblichem Maße auch den von Ihnen so vorzüglich skizzierten institutionellen Randbedingungen geschuldet sein, die sich nur langsam – und wohl eher von innen induziert – ändern, oder?
    @Gerd: Sehr gute Beobachtung, die ich namentlich von Ihnen schon schneller erwartet hatte. Meine vorbereitete Antwort lautet: @Verteidigerin fragte nach @Richterin.

  18. Matthias Wed 23 Apr 2014 at 10:27 - Reply

    Zu Hans Kutscher noch das schöne Detail, dass er (wenn ich das richtig erinnere) einer von nur zwei (?) BVerfG-Richtern war, die (nacheinander) sowohl im Ersten, als auch im Zweiten Senat Richter waren. Ich glaube Zeidler hat (mit Unterbrechung) auch in beiden Senaten gesessen…

  19. Alexandra Kemmerer Wed 23 Apr 2014 at 10:54 - Reply

    Für Kutscher interessieren sich übrigens neuerdings einige Historiker. Auch wenn er selbst nicht berichten kann, besteht also begründete Hoffnung, dass wir demnächst mehr von seinen Erfahrungen erfahren werden. Allerdings war der EuGH bis 1980 doch eine sehr andere Institution als heute. Allein durch die gewachsene Zahl von Mitgliedstaaten haben EuGH und EGMR in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach grundlegende institutionelle Veränderungen erfahren (Straßburg am intensivsten); das kann man für das Bundesverfassungsgericht so nicht sagen.

  20. Unaufmerksamer Leser Thu 24 Apr 2014 at 19:14 - Reply

    @AL: Verteidigerin fragte nach “RichterIn”.

  21. Aufmerksamer Leser Fri 25 Apr 2014 at 08:47 - Reply

    @Unaufmerksamer: sagte ich doch.

  22. Matthias Fri 25 Apr 2014 at 10:47 - Reply

    @AL: UL wollte auf das großgeschriebene “I” hinweisen…

  23. Albert Fri 25 Apr 2014 at 17:00 - Reply

    Das hat AL sicher aus Versehen übersehen

  24. Alexandra Kemmerer Sat 26 Apr 2014 at 16:09 - Reply

    @ Aufmerksamer Leser: Die institutionellen Rahmenbedingungen spielen eine große Rolle, keine Frage. Aber im Falle Jaeger gibt es durchaus auch Gründe, die in der Person liegen – insbesondere die mangelnde Sozialisation in einem transnationalen juristischen Umfeld vor dem Wechsel an den EGMR. Ich erinnere mich, dass Frau Jaeger es selbst in öffentlichen Vorträgen mit Nachdruck als traumatische Erfahrung beschrieben hat, dass mit dem Wechsel nach Straßburg auch der Verlust der vertrauten Rechts- und Begriffssprache verbunden war (die Richterin sich also buchstäblich “lost in translation” fühlte). Würde dies jemandem, der von Beginn seiner Ausbildung an in ein Mehrebenensystem hineingewachsen ist (also mit mindestens zwei Rechtssprachen und rechtsvergleichenden Perspektiven vertraut ist) auch so gehen? Ich will nicht leugnen, dass dann ganz schnell wieder das Phänomen einer transnationalen “juristocracy” lauert, einer Richterelite, die zwar aus verschiedenen Rechtskulturen kommt, die am Ende ihre wesentliche Formation jedoch an drei amerikanischen Ostküstenuniversitäten erhalten hat. Andererseits: je selbstverständlicher eine reflexive Haltung zur eigenen Rechtskultur (durch bewusste Positionierung im europäischen Mehrebenensystem und Beschäftigung mit rechtsvergleichenden Perspektiven) für jeden und jede Jurastudierende wird, desto weniger elitär wird auch die Gruppe transnational denkender und agierender Juristinnen und Juristen. Ein weites Feld. Aber neben den institutionellen Strukturen komment es auch auf die individuellen Akteure an (die indes auch wieder aus Institutionen hervorgehen und von deren Strukturen geformt werden …).

  25. Aufmerksamer Leser Sat 26 Apr 2014 at 17:22 - Reply

    @Alexandra Kemmerer: IMHO ist die transnationale Perspektive schneller erlernbar – weil wesentlich besser und vollständiger dokumentiert – als die (jeweiligen) institutionellen Perspektiven der Gerichte. Der eigentliche Kulturschock ist der Eintritt in die jeweilige Institution. Die Persönlichkeiten, die es schneller bewältigen, sich darin zu orientieren, haben dann die Chance, gestaltenden Einfluss zu nehmen. Die “failed justices” werden nur mitgeschleppt. Möglicherweise übersteigt es die Kräfte der “Edelsten”, sich mehr als einmal im Leben in ein solch spezielles Biotop zu integrieren?

  26. Alexandra Kemmerer Sat 26 Apr 2014 at 17:38 - Reply

    @Aufmerksamer Leser: Das mag wohl sein. Aber vielleicht würde es die Integration erleichtern, wenn es eine bessere und vollständigere Dokumentation der (jeweiligen) institutionellen Perspektiven der Gerichte gäbe? Eine anspruchsvolle und für institutionelle Strukturen sensible Rechtsethnographie?

  27. Aufmerksamer Leser Sat 26 Apr 2014 at 18:17 - Reply

    @Alexandra Kemmerer: gewiss.

  28. Alexandra Kemmerer Sat 26 Apr 2014 at 19:09 - Reply

    Wer betreibt die? Und wie? Aktuell stellt sich das Bild doch so da: Juristen mögen keine empirische Forschung, die Rechtssoziologie ist in Deutschland (fast) tot (von kleinen gallischen Dörfern wie dem Law&Society Institute and der HU und seinem Arbeitskreis Rechtswirklichkeit mal abgesehen), und die Ethnologen laufen lieber weit weg (zu den Dorfrichtern in Afghanistan, oder in vietnamesische Fischerdörfer, oder auch zur von Minister Bausback nun genau observierten sogenannten “Paralleljustiz”), wenn’s “zu technisch” oder “zu juristisch” wird (und bei der Institutionenbeobachtung möglicherweise auch noch komplizierte Fälle mitanalysiert werden müssen, in denen noch mehr Institutionen und technicalities vorkommen).

  29. Alexandra Kemmerer Sat 26 Apr 2014 at 19:11 - Reply

    Die Frage geht an @Aufmerksamer Leser, aber ich bin natürlich für jede kluge Antwort dankbar.

  30. Aufmerksamer Leser Sat 26 Apr 2014 at 19:56 - Reply

    @Alexandra Kemmerer: Wieder treffend die constraints genannt. So sehr mir Ihr Vorschlag eben gefiel, so skeptisch bin ich hinsichtlich einer Umsetzung (daher meine lakonische Antwort). Denn die, die notwendige Beobachtungen machen (können) und das erforderliche Wissen haben, haben anderes zu tun (und wollen oftmals anderes tun) als sich einem solchen Projekt zu verschreiben. Semi OT: der Einfluss der (forensischen) Staatsrechtslehre beruht in Deutschland eben zu einem nicht unwesentlichen Teil auf der nicht vollständigen (wissenschaftlichen) Transparenz – die fehlenden Dokumentation ist aus dieser Perspektive kein bug, eher ein feature.

  31. Alexandra Kemmerer Sat 26 Apr 2014 at 20:51 - Reply

    @Aufmerksamer Leser: So bleibt doch immer der alte Derrida im Recht – alle Kraft des Gesetzes (und der Rechtsprechung) geht aus vom mystischen Grund der Autorität.

  32. Aufmerksamer Leser Sat 26 Apr 2014 at 21:03 - Reply

    Ich denke, der andere war mehr im Recht: “Jeder Intellektuelle hat eine ganz besondere Verantwortung. Er hatte das Privileg und die Gelegenheit, zu studieren; dafür schuldet er es seinen Mitmenschen (oder „der Gesellschaft“), die Ergebnisse seiner Studien in der einfachsten und klarsten und verständlichsten Form darzustellen.”

  33. Alexandra Kemmerer Sat 26 Apr 2014 at 21:13 - Reply

    @Aufmerksamer Leser: Das scheint mir jetzt doch etwas unredlich, Derridas Feststellung gegen Poppers Mahnung zur verantwortlichen Intellektualität auszuspielen. Dass das Ergebnis der Rechtsprechung von ihren Fabrikanten einfach, klar und verständlich dargeboten wird (oder jedenfalls dargeboten werden soll), rechtfertigt nicht die Intransparenz des Herstellungsprozesses. Aber weil der Text von Popper nun mal so schön ist, wollen wir ihn auch der geneigten Leserschaft nicht vorenthalten: http://www.zeit.de/1971/39/wider-die-grossen-worte/komplettansicht

  34. Aufmerksamer Leser Sat 26 Apr 2014 at 21:18 - Reply

    @Alexandra Kemmerer: Popper Zitate spiele ich gegen niemanden aus. Die dienen mehr der moralischen Ertüchtigung der Verantwortlichen. Auf dass Ihr Projekt irgendwann Wirklichkeit werde. Schöner Link!

  35. Aufmerksamer Leser Sat 26 Apr 2014 at 21:36 - Reply

    Zum Link sollte man allerdings sagen, dass die Originalzitate fehlen, deswegen versteht man die Pointe schlecht. Und der Text wurde natürlich unautorisiert veröffentlicht…

  36. Alexandra Kemmerer Sat 26 Apr 2014 at 21:53 - Reply

    Da wir es also in aller intellektuellen Bescheidenheit ganz genau nehmen (und gewiss in der österlichen Zeit keine Sünden wider den heiligen Geist begehen wollen): Popper spricht von der “einfachsten und klarsten und bescheidensten Form”. In autorisierter Version sollte sein Text unter dem Titel “Wider die großen Worte” in dem Band Karl Popper, Auf der Suche nach einer besseren Welt: Vorträge und Aufsätze aus dreißig Jahren, Piper: München 1984 (15. Aufl. 2009) zu finden sein.

  37. Farewell, Verfassungsblog! Mon 16 Jun 2014 at 06:20 - Reply

    […] help facilitating the thriving and flourishing of Max Steinbeis’ wonderful Verfassungsblog, the emergence of a network of European constitutional law blogs – and maybe even the rapprochement of academia and wider public spheres, and to fresh […]

  38. Dank und Adieu Mon 16 Jun 2014 at 06:25 - Reply

    […] ein wenig zum Aufblühen von Max Steinbeis’ wundervollem Verfassungsblog, zum Zusammenwachsen des entstehenden Netzwerks europäischer Verfassungsblogs und vielleicht auch zur Annäherung von Wissenschaft und Öffentlichkeit und zum neuen Nachdenken […]

  39. […] ihnen hierzulande kaum oder gar nicht Notiz genommen wird (woran wir im Zuge unseres Projekts, ein europäisches Verfassungsblog-Netzwerk zu knüpfen, etwas ändern möchten – dazu mehr in einem Interview mit dem französischen […]

  40. […] Sionaidh Douglas-Scott, Europarechtsprofessorin in Oxford, hat kürzlich ein beredtes Plädoyer veröffentlicht, warum dieser Standpunkt europarechtlich keineswegs zwingend ist. Wir werden Sionaidh Douglas-Scotts Position in der kommenden Woche in einem Online-Symposium zur Diskussion stellen. Viele renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben ihre Beteiligung zugesagt. Als Co-Host des Symposiums haben wir den fabelhaften UK Constitutional Law Blog gewinnen können, was mich auch deshalb glücklich macht, weil ich mir von einer stärkeren Vernetzung der Verfassungsblogs in Europa viel erhoffe. […]

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