24 January 2022

Grundrechtsdogmatik auf dem Jahrmarkt der Wahrheiten?

Anmerkung zur Impfpflichtkritik von Ute Sacksofsky

Selbstverständlich lässt sich über die Verhältnismäßigkeit einer Impfpflicht streiten. Ute Sacksofsky hat dies jüngst auf diesem Forum engagiert getan. Die Argumente, die sie gegen eine Impfpflicht anführt, sind jedoch befremdlich und entkleiden die Verhältnismäßigkeitsprüfung ihrer Rationalisierungsfunktion. Sacksofsky meint mit erkennbarer Objektivierungsskepsis, dass es im Rahmen der Angemessenheitsprüfung bei der Gewichtung des Grundrechtseingriffs nicht darauf ankomme, welche Folgen damit objektiv verbunden seien, sondern wie diese von der verpflichteten Minderheit selbst empfunden würden. Die Sichtweise der anderen Person müsse einbezogen werden, weshalb der Eingriff durch eine Impfpflicht als schwerwiegend zu bewerten sei und gegenwärtig nicht gerechtfertigt werden könne. Es gehe „nicht um eine ‚objektive‘ Beurteilung des Grundrechtseingriffs – die in Wahrheit immer die des Mainstreams ist –, sondern für Grundrechte kommt es auf das Selbstverständnis der Betroffenen an, welches allenfalls einer Plausibilitätskontrolle unterzogen werden kann“. Grundrechtsadäquater Angemessenheitskontrolle wird man so nicht gerecht.

Schutzbereich nach Selbstverständnis, Schranken nach Gemeinwohl

Selbstverständlich hängt grundrechtliche Freiheit nicht davon ab, ob deren Inanspruchnahme rationalen Motiven folgt. Etwa die Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1-2 GG) – Ute Sacksofsky weist hierauf zutreffend hin – hat eine dezidiert vorrationale Tatbestandsstruktur. Die politischen Grundrechte der Meinungs- und Versammlungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1, 8 Abs. 1 GG) schützen die Kundgabe beliebiger Meinungen, weil es für Werturteile keine intersubjektiv verbindlichen Maßstäbe gibt und diese Grundrechte gerade auch dem Schutz von Außenseiterpositionen dienen, deren Artikulationschancen typischerweise besonders gefährdet sind. Anders ist dies nur für die Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) zu beurteilen. Diese wurde im Grundgesetz bewusst von der bloßen Meinungsfreiheit abgesetzt und fordert ein ernsthaftes sowie planmäßiges Erkenntnisstreben, also letztlich eine Bindung an rationale Methoden. Im vorliegenden Kontext geht es jedoch überhaupt nicht darum, ob die Weigerung (aus welchen Motiven auch immer), sich impfen zu lassen, grundrechtlichen Schutz genießt. Selbstverständlich tut sie das. Es geht allein darum, mit welchen Gründen der Eingriff gerechtfertigt werden kann.

Die Verhältnismäßigkeitsprüfung dient insoweit vor allem der Rationalisierung von staatlichen Eingriffen, ihre Begründungsstruktur ist inhärent rationalistisch. Das an keine vernünftigen Gründe gebundene persönliche Empfinden, wie man einen Eingriff wahrnimmt, kann aber dann auch nicht die Wertigkeit der Abwägungsbelange nach Maßgabe subjektiver Selbstbeschreibung bestimmen. Schutzbereiche werden nach Selbstverständnis präformiert, Schrankenkonkretisierung folgt hingegen rationalen Gemeinwohlerwartungen. Könnten Einzelne die Wertigkeit der Abwägungsbelange nach subjektiver Beliebigkeit selbst festlegen, würde die Angemessenheitsprüfung ad absurdum geführt. Mein Frühstücks-Cerealien-Müsli – mein Menschenwürdekern? Dass der Integritätsanspruch des eigenen Körpers nicht unantastbar, sondern gemeinwohlorientierten Einschränkungen zugänglich ist, zeigt bereits Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG. Das lässt sich auch nicht durch eine pauschal behauptete Aufwertung des Körperlichen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit überspielen.

Wissenschaftliche Wahrheit als Mehrheitsfrage?

Die knallige Aussage Ute Sacksofskys, dass die „Wahrheit immer die des Mainstreams“ sei, kommt einem entsetzlich bekannt vor, und zwar aus eher düsteren Ecken des politischen Kosmos. Dass es um eine „Wahrheit“ der Mehrheit ginge, erscheint im vorliegenden Kontext dabei schon in mehrfacher Hinsicht verfehlt. Die breite Mehrheit hat von den maßgeblichen infektiologischen, biomathematischen, virologischen und immunologischen Beurteilungen, Arbeitsweisen und Evidenzkriterien schlichtweg keine Ahnung. Hier geht es um funktionale Arbeitsteilung, weil eine valide probabilistische Beurteilung, ob und wie eine flächendeckende Impfpflicht wirken würde, nur von einer verschwindend kleinen Minderheit an Expertinnen und Experten fachkundig beurteilt werden kann. Währung ist hinreichendes Vertrauen in evidenzbasierte Wissenschaft und ihre Institutionen. Die normative Gewichtung in der Angemessenheitsprüfung ist wiederum als normative Wertung strukturell nicht wahrheitsfähig.

Vor allem lässt sich wissenschaftliche Richtigkeit nicht nach Mehrheitsregeln bestimmen. Mehrheit ist ebenso wenig ein wissenschaftliches Richtigkeitskriterium wie Minderheit. Wissenschaftliche Argumente folgen fachspezifisch differenzierten Rationalitätskriterien, aber doch jeweils validen und erprobten Rationalitätskriterien, die eine Differenz zum bloßen politischen Meinungsstreit hinreichend deutlich markieren müssen.((Eindringlich jüngst die feministische Historikerin Joan Wallach Scott, Knowledge, Power, and Academic Freedom, 2019, S. 114 ff.)) Unhintergehbare Rest-Kontingenz jeder Wissenschaft bedeutet eben nicht Beliebigkeit. Es mag im Schummerlicht eines akademischen Plauderfachmilieus durchaus Strömungen geben, die rationales Wissen kategorial in Frage stellen und radikalrelativistisch alles auf schlichte Meinungen reduzieren wollen, die um Macht und Deutungsansprüche ringen. Dann bleibt nur politischer Meinungskampf mit Feigenblatt-Fußnoten, der aber keine Berechtigung als Wissenschaft hat.

Politische Systemrelevanz von Wissenschaftlichkeit

Wissenschaft ist politisch systemrelevant, und in der Haltung zu wissenschaftlichem Wissen spiegeln sich verfassungsstrukturelle Prämissen einer politischen Ordnung. Demokratie gründet auf egalitärer Freiheit, kann aber ihren Anspruch, praktische Selbstbestimmung in einer realen Welt zu ermöglichen, nur einlösen, wenn sie über ein Konzept von relativer Wahrheit verfügt.((Hannah Arendt, in: dies. (Hrsg.), Between Past and Future, 2006, S. 223 (259); Christoph Möllers, Demokratie – Zumutungen und Versprechen, 2008, S. 45.)) Den Klimawandel durch Parteitagsbeschluss abzuschaffen oder die Corona-Pandemie durch Pandemiebeendigungsgesetz für harmlos zu erklären, wären keine sinnvollen Entscheidungen aus egalitärem Gestaltungswillen, sondern politischer Klamauk. Auf die Unterscheidbarkeit von wahr und unwahr können nur totalitäre Ordnungen verzichten, deren Proprium es ist, alles zur politischen Konstruktion zu erklären, um sich auch noch des kritischen Faktentests als der letzten Bedrohung zu entledigen, wenn das Politische bereits gleichgeschaltet wurde.((Vgl. Hannah Arendt, The Origins of Totalitarianism, 2017, S. 458; Robert K. Merton, The Sociology of Science, 1973, S. 259 f.))

Es ist daher auch kein Zufall, dass antiszientistische Bewegungen als Rebellion gegen die Entzauberung der Welt unter NS-Herrschaft eine unheimliche Aufbruchstimmung erlebten. Beispielsweise eine auf Natürlichkeit und Ganzheitlichkeit programmierte „Neue Deutsche Heilkunde“ formulierte das Gegenprogramm zur vernaturwissenschaftlichten Schulmedizin und zu ihrem rationalistischen Anspruch; Lehrstühle für Homöopathie wurden als Aufbruch in die ‚neue Zeit‘ gegründet;((S. Wolfgang Uwe Eckart, Medizin in der NS-Diktatur, 2012, S. 255; Robert Jütte, Geschichte der alternativen Medizin, 1996, S. 42 ff.)) Esoterik erblühte; der Zeitgeist war anti-rationalistisch und identitär. Auch die traditionsreiche Impfgegner-Bewegung witterte übrigens nach der Wende von 1933 ihre Chance, wurde aber letztlich von den Beharrungskräften einer funktionspragmatischen Technokratie trotz ideologischer Passfähigkeit marginalisiert.((Dazu Malte Thießen, Immunisierte Gesellschaft: Impfen in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, 2017, S. 144 ff.))

Jedem seine persönliche Wahrheit?

Letztlich wird von Ute Sacksofsky ein grundrechtsdogmatischer Radikalrelativismus gepredigt, der dann allen Menschen zugesteht, ihre persönlichen Wahrheiten auf Kosten anderer zu pflegen – eine Ellenbogen-Esoterik der Selbst-Empfindsamen. Auch diejenigen, die sich vernünftig verhalten, aber möglicherweise (z. B. aufgrund einer anderweitigen Erkrankung wie Krebs) der Triage zum Opfer fallen, weil zu viele rücksichtslos die Unberührbarkeit eigener Körperlichkeit in den Vordergrund gestellt haben und die Intensivstationen verstopfen, haben aber Grundrechte, die zu schützen ebenfalls nicht primär Kollektiv-, sondern Individualinteressen dient.

Das Modell demokratischer Egalität wird so verzerrt zum konstruktivistischen Wunderland der tausend individuellen Wahrheiten. Wechselseitige Anerkennung in Gleichheit und Freiheit bedeutet jedoch nicht, radikalrelativistisch jeden Unsinn in Abwägungen auch als gleichwertig zu behandeln, nur weil man ihn als Meinung vertreten darf. Geschichtswissenschaft begegnet nicht dem Holocaust-Leugner auf Augenhöhe; Esoterik, Astrologie oder Parapsychologie liefern keine gleichberechtigten Begründungen für Entscheidungen wie ernsthafte Wissenschaft, die ihre Erkenntnisse nicht auf gefühlte Wahrheit, sondern auf Evidenz und ggf. auf intersubjektive experimentelle Überprüfbarkeit stützen kann. Rationale Gründe, einen Grundrechtseingriff nicht dulden zu wollen, haben daher in der Abwägung ein höheres Gewicht als Humbug. Unfug ist nicht einfach nur eine Standpunktfrage.

Die hier in Rede stehenden medizinisch-naturwissenschaftlichen Argumente beziehen ihre qualifizierte Überzeugungskraft im Übrigen gerade auch daraus, dass sie – wie alles wissenschaftliche Wissen – nur vorläufige Richtigkeit beanspruchen und einer fortwährenden Überprüfung durch eine breite Fachgemeinschaft unterzogen sind, die Fehlannahmen mit objektivierbaren Standards falsifizieren kann. Bei Glaubenssätzen ist dies nicht der Fall. Ein nach klinischer Prüfung zugelassener Impfstoff ist daher etwas anderes als Bachblütenextrakt oder Globuli, mögen Gläubige das für sich auch anders sehen. Evidenz ist die beste Machtkritik.

Postmoderne Esoteriknischen

Wenn wissenschaftliche Erkenntnis zur beliebigen Konstruktion und bloßem Erfolg sozialer Deutungsmacht reduziert wird, wie dies in einigen akademischen Nischen von Academia zum gepflegten Ton gehört, haben in der Tat auch Querdenker, Aluhelme und Flatearther nur ihre eigenen Minderheiten-Wahrheiten. Robert Koch- und Paul-Ehrlich-Institut unterbreiten dann nur ein Deutungsangebot im Multiversum der Perspektiven, brav gleichberechtigt mit garantiert minoritärem Arkanwissen aus dem Astrozirkel oder dem reichsbürgerlichen Widerstandscamp. Wie wäre wohl der bizarre Katzenkönig-Fall((BGHSt 35, 347 ff.)) in dieser postfaktischen Bubble subjektiver Wahrheiten zu entscheiden gewesen? Hinter einer radikalen Prärogative subjektiver Selbstbeschreibung gähnen letztlich latent die Abgründe eines verspielten Postmodernismus, der kuschelige Heimstatt auch für Scharlatane und Quacksalber aller möglichen Provenienz bietet, die in einer Welt ohne Wahrheit ihre Ansichten gerade dadurch geadelt sehen, zur privilegierten Minderheit der Erkennenden zu gehören.

Obgleich das offensichtlich nicht gewollt ist, redet Ute Sacksofsky in ihrem Beitrag daher einer Widerstandsromantik der Querdenker-, Esoteriker- und Impfgegner-Szenen das Wort, die über sonst disparate politische Milieus hinweg das Gefühl gefühlt eint, als unterdrückte Minderheiten zum Aufstand berufen zu sein. In dem nachvollziehbaren Bestreben, gerade Minderheiten wirksamen Grundrechtsschutz zu garantieren, kann man sich auch verrennen.


7 Comments

  1. Annabelle Effert Mon 24 Jan 2022 at 22:40 - Reply

    Ich danke Ihnen für diese klaren und deutlichen Worte, Herr Professor Gärditz. Mich hat der Beitrag von Frau Professorin Sacksofky fassungslos gemacht.

  2. Dr. Markus Kühbacher Tue 25 Jan 2022 at 07:57 - Reply

    Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung hat der Ministerpräsident aus NRW bei Anne Will bereits bei der Frage nach dem legitimen Zweck der angestrebten allgemeinen Impfpflicht mit dem Signal zur Befriedigung des Rachegefühls der Geimpften die Schranken des gesunden Menschenverstands eingerissen. Die hier eigentlich zu diskutierende Frage nach der subjektiven Intensität des Grundrechtseingriffs, die der Autor völlig ignoriert, wäre damit eigentlich nur noch akademischer Natur. Leider wird auch der klinisch real existierende Nocebo-Effekt ignoriert. Möglicherweise bringen sich manche Menschen auch lieber um, als geimpft zu werden. Der Eingriff in die körperliche Unversehrtheit mit einem potentiell tödlichen Impfstoff ist keine rein technische Maßnahme, deren Bewertung sich nur auf die Frage des Vorhandenseins einer klinischen Zulassung beschränken lässt.

    Folgte man der Argumentation des Autoren, wäre auch

    • Dr. Markus Kühbacher Tue 25 Jan 2022 at 08:48 - Reply

      Folgte man der Argumentation des Autors, wäre auch das eigentlich völlig irrationale Schamgefühl, das bei einem Eingriff in das Persönlichkeitsrecht betroffen sein dürfte, wenn zukünftig ein Hologramm des Ganzkörpernacktbildes im staatlichen Personalausweis zur Pflicht erklärt würde, keine Kategorie der Abwägung mehr.

      Im Fall einer medizinischen Maßnahme sind immer auch die häufig irrationalen psychischen Folgen zu berücksichtigen wie auch die irrationalen religiösen Gefühle z. B. der Zeugen Jehovas.

      • Peter Siegfried Tue 25 Jan 2022 at 11:40 - Reply

        An diesem Kommentar ist soviel suggestiv und nachweisbar falsch, dass sich nur ein paar Punkte herauspicken lassen.

        Zunächst ist es sehr gut, dass in der juristischen Argumentation das Autoritätsargument (prinzipiell) nicht gilt und der Ministerpräsident bei Anne Will sagen kann, was er mag – dadurch mag ein politischer Schaden eintreten, aber nicht der grundsätzliche Weg zu einer rationalen Argumentation versperrt werden.

        Was diesen Weg allerdings versperrt, ist das Ausblenden der tatsächlichen Lage. Wir haben einen milliardenfach genutzten Impfstoff mit kleineren Nebenwirkungen, die aber definitiv nicht als “potenziell tödlich” zusammenfassbar sind.
        Der Ausgangstext verengt die Frage der Impfpflicht zudem nicht auf die Frage einer klinischen Zulassung. Auch was der Unterschied zwischen religiösen und wissenschaftlichen Erwägungen, bzw. der Rechtfertigung eines Eingriffs ist, können interessierte Leser:innen dem Haupttext entnehmen.

        Die gesamte Impfgegner:innen-Argumentation (so auch dieser Kommentar) erweckt immer wieder den Eingriff, dass einige privilegierte Bevölkerungsgruppen zum ersten Mal erfahren, was es bedeutet, nachteilige:r Adressat:in staatlicher Maßnahmen zu sein und dadurch in tiefe Sinnkrisen stürzen.
        Außerdem würde ich gern die Transferleistung erleben, dass sich die Vertreter:innen einer vollständig subjektivierten Eingriffsrechtfertigung auch den Interessen gesellschaftlich marginalisierter Gruppen anschließen, deren Belange bisher als “Identitätspolitik” diffamiert werden.
        Eine grundlegende Umkehr zurück zu nachweisbaren Fakten halte ich aber für fast hoffnungslos, weil zu befürchten ist, dass das eigene Ego es oftmals nicht verkraften würde, sich und anderen einzugestehen, was für einen Unsinn man verbreitet hat.

        • Dr. Markus Kühbacher Wed 26 Jan 2022 at 03:21 - Reply

          Gut, dass ich bereits dreimal mit einem mRNA-Impfstoff geimpft bin und als Naturwissenschaftler nicht “glauben” muss, dass Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 bereits nachweislich zu Todesfällen geführt haben. Daher kann ich sowohl die Argumente der völligen Querdenker als auch die Argumente der Anhänger, die fest an das Erlösungsversprechen einer allgemeinen Impfpflicht glauben, mit einem gewissen Abstand bewerten.

          Tatsache: es gibt Impfgegner, die glauben, dass Bill Gates ihnen mit der Impfung einen Chip einpflanzt.

          Tatsache: es wird Menschen geben, die unmittelbar an den Folgen einer Impfkomplikation versterben werden.

          Tatsache: schwere Impfnebenwirkungen sind nicht extrem oder sehr selten, sondern nur selten.

          Tatsache: es wird Menschen geben, die trotz Impfung an COVID-19 versterben werden.

          Tatsache: ein Verbot von Bärten, welche die Schutzwirkung von Masken herabsetzen, würde die Gefahr der Infektion mit SARS-CoV-2 vermindern.

          Tatsache: die Keulung sämtlicher Haustiere würde die Gefahr der Ausbreitung von SARS-CoV-2 vermindern.

          Tatsache: das Verbot von öffentlichen Gerichtsverhandlungen würde die Gefahr der Ausbreitung von SARS-CoV-2 vermindern.

          Die Liste ließe sich verlängern. Was ist an den Argumenten irrational?

      • Philipp Tue 25 Jan 2022 at 12:14 - Reply

        Danke, der Nocebo-Effekt ist hier das (wissenschaftliche!) Stichwort. Aber Herr Gärditz scheint leider mehr an einem markig formulierten Rundumschlag gegen “Konstruktivismus”, “Postmodernismus” und Co. gelegen zu sein als an konkreter Problemlösung.

        Insgesamt argumentieren gerade auch die Fans (irgend)einer allgemeinen Impfpflicht häufig wenig rational. Das beginnt bei der Bezeichnung “kleiner Piks”, als wäre die Spritze leer, und geht weiter mit gänzlich unrealistischen Annahmen über die Folgen einer (jetzigen!) staatlichen Anordnung bzw. deren Durchsetzbarkeit. Warum nicht positive Impfanreize deutlich größere Wirkung bei viel leichterer Umsetzung haben sollen, erschließt sich zum Beispiel gar nicht. Es schwingt insgesamt dort – neben Angst – wohl auch viel unproduktive Abscheu gegenüber “Impfverweigerern” mit.

  3. Paul Wed 26 Jan 2022 at 10:11 - Reply

    Ich habe Frau Sacksofsky nicht so verstanden, als dass sie einen grundrechtsdogmatischen Radikalrelativismus gepredigt hätte.

    Nach meiner Wahrnehmung ging es ihr darum das subjektiv freiheitsschützende Elemente aller Grundrechte zu betonen. Der Schutzgehalt hängt eben maßgeblich auch von der Wahrnehmung und Bedeutung für den individuellen Grundrechtsträger ab. Und natürlich muss man diese subjektive Wertung ein Stück weit auch in die Abwägung verlagern, wenn man sie ernst nimmt. Natürlich kann nicht der Einzelne die Abwägung so bestimmen, aber die subjektive Bedeutung, die das Grundrecht für ihn hat, muss eingepreist werden. Das findet selbstverständlich auch alltäglich statt, etwa bei der Glaubensfreiheit.

    Bei der Angst oder Ablehnung einer Impfung mag es sich um einen vorrationalen – wie der Autor schreibt – Gedanken handeln, das macht ihn aus grundrechtlicher Sicht nicht weniger schützenswert. Manche Menschen weisen der Nichtimpfung nun einmal erhebliche Bedeutung für ihr Leben und ihre Selbstbestimmung zu. Das muss man ernst nehmen, um es in einer dann rationalisierten Verhältnismäßigkeitsprüfung einstellen zu können.

    Frei nach Sacksofsky:
    Die innere Überzeugung sich nicht impfen lassen zu wollen, mit einem Frühstücksmüsli zu vergleichen, ist als individuelle Meinungsäußerung hinzunehmen, wenngleich es ein kommunikatives Problem sein mag. Dem Grundrechtsschutz darf diese Haltung jedoch nicht zugrunde liegen.

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