21 December 2020

Grundrechtseingriffe durch Online-Proctoring

Virtuelle Prüfungsaufsicht zwischen Chancengleichheit und Privatheitsschutz

Auch im zweiten „Pandemie-Semester“ stehen Universitäten bundesweit vor der Herausforderung, Studienleistungen ordnungsgemäß abnehmen zu können. Bei schriftlichen oder elektronischen Aufsichtsarbeiten müssen sie sicherstellen, dass an den heimischen Schreibtischen möglichst gleichartige Prüfungsbedingungenen herrschen. Dafür können die Universitäten auf eine Vielzahl digitaler Aufsichtsinstrumente zurückgreifen.

Nicht jede Prüfungstechnologie ist jedoch erstrebenswert oder rechtlich zulässig. Im Sommer 2020 war bereits die Hochschule Fresenius für die Verwendung der Software Proctorio in die Kritik geraten (ZD-Aktuell 2020, 07292). Denn während die Universitäten versuchen, mit der digitalen Klausurbeaufsichtigung dem prüfungsrechtlichen Grundsatz der Chancengleichheit (Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG) gerecht zu werden, stellt sich diese zugleich auch als eine Gefährdung des Privatheitsschutzes der Studierenden dar. Insbesondere der Einsatz vollautomatisierter Überwachungsprogramme hat schwere Grundrechtseingriffe zur Folge.

Digitale Klausurbeaufsichtigung durch Proctoring-Programme

Proctoring-Programme wie Proctorio bieten Universitäten weit umfangreichere Kontrollmöglichkeiten als die technisch simplere, aber personalintensivere Alternative, Klausuren mithilfe eines Videokonferenzsystems zu beaufsichtigen (näher Ballweber auf netzpolitik.org). Sie erstellen – nach einer anfänglichen Identifikation des Studierenden und einem Umgebungsscan – von der gesamten Prüfungssituation eine Audio- und Videoaufnahme. Außerdem verhindern die Programme das Öffnen weiterer Tabs oder die Nutzung der Kopier-Funktion und werten gleichzeitig alle Augen-, Kopf- und Mundbewegungen der Prüflinge aus, um mögliche Täuschungshandlungen zu ermitteln. Studierende dürfen während der Prüfung weder aufstehen noch sprechen. Verzeichnet die Software ein „auffälliges“ Verhalten, kennzeichnet sie die Stelle in der Aufnahme und ermöglicht so eine menschliche Nachkontrolle.

Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung

Der Blick in das private Studierzimmer berührt jedoch – losgelöst davon, ob er durch einen Menschen oder eine Software erfolgt – das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG). Denn ein Eingriff in den räumlich gegenständlichen Bereich der Privatsphäre liegt nicht nur vor, wenn staatliche Stellen physisch in die Wohnung des Betroffenen eindringen, sondern auch, wenn sie sich durch akustische oder optische Hilfsmittel einen Einblick in Vorgänge verschaffen, die der natürlichen Wahrnehmung außerhalb der Wohnung entzogen sind (BVerfGE 109, 279 [309 und 327]).

Rechtfertigung erfährt ein derartiger Eingriff außerhalb des Anwendungsbereichs der Art. 13 Abs. 2 bis Abs. 5 GG nur unter den strengen Anforderungen des Art. 13 Abs. 7 GG. Vor diesem Hintergrund wäre es – zumindest während der Corona-Pandemie – denkbar, die partielle Audio- und Videoüberwachung der studentischen Wohnung durch ein formelles Gesetz zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Bekämpfung von Seuchengefahr, zu legitimieren (Art. 13 Abs. 7 Alt. 2 GG). Die rechtskonforme Verwirklichung eines solchen Gedankenexperiments scheiterte aber schon daran, dass nicht die Überwachung des heimischen Arbeitsplatzes, sondern allein der Ort der Klausurbearbeitung der Bekämpfung des Coronavirus dient. Letztlich kann nur eine freiwillig erklärte Einwilligung der Studierenden die hohen Rechtfertigungsanforderungen umgehen.

Recht auf informationelle Selbstbestimmung

Selbst bei einer Einwilligung in die akustische und optische Überwachung des privaten Arbeitsplatzes können auch andere Grundrechte der Studierenden betroffen sein. Das gilt insbesondere für ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG (daneben ist auch ihr Recht am eigenen Bild berührt). Denn nur weil ein Studierender entschieden hat, sein Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 GG nicht auszuüben, bedeutet das nicht, dass er damit Tür und Tor für jeglichen Privatheitseingriff geöffnet hat.

Vielmehr schützt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung – unabhängig vom räumlichen Aufenthaltsort – die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung der ihn betreffenden Daten zu bestimmen (vgl. BVerfGE 65, 1 [42]). Da schon die bloße Audio- und Videoüberwachung der Studierenden eine Verarbeitung personenbezogener Daten darstellt, erweist sich die virtuelle Prüfungsaufsicht als Grundrechtseingriff. Der Eingriff ist umso intensiver, je umfangreicher die Datenverarbeitung ist. Eine permanente Bewegungsanalyse durch ein Proctoring-Programm ist demnach grundrechtssensibler als die unregelmäßige Kontrolle der Studierenden durch einen Menschen via Webcam.

Gewährleistung des prüfungsrechtlichen Grundsatzes der Chancengleichheit

Eine Rechtfertigung kann die virtuelle Prüfungsaufsicht aus dem prüfungsrechtlichen Grundsatz der Chancengleichheit erfahren. Danach hat jeder Prüfling einen Anspruch auf chancengleiche Behandlung im Prüfungsverfahren (BVerfGE 84, 34 [52]). Die Gleichartigkeit der tatsächlichen Prüfungsverhältnisse ist aber gefährdet, wenn signifikante Unterschiede zwischen der Aufsicht über eine schriftliche Arbeit im Präsenz- und Onlinetermin oder auch innerhalb einer ausschließlichen Online-Klausur bestehen. Will oder kann die Hochschule auf eine Beaufsichtigung nicht gänzlich verzichten, muss es Garantien dafür geben, dass alle Studierenden ihre Leistungen unter möglichst einheitlichen Prüfungsbedingungen erbringen.

Kein genereller Vorrang der Chancengleichheit oder des Privatheitsschutzes

Der Grundsatz der Chancengleichheit kann gleichwohl nicht jeden Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung der Studierenden rechtfertigen. Vielmehr sind beide Grundrechtspositionen miteinander in Ausgleich zu bringen. Insbesondere muss der Zweck der Datenverarbeitung auf die Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Prüfungsablaufs begrenzt sein. Während die Blockierung von Funktionen wie „Copy and Paste“ berechtigterweise sicherstellen kann, dass Prüflinge am heimischen Rechner keine Vorteile gegenüber Studierenden im Präsenztermin haben, geht die lückenlose Überwachung und Aufzeichnung jeder Körperbewegung über die Grenze angemessener Datenverarbeitung hinaus. Vorzugswürdig wäre es stattdessen, einem menschlichen Aufsichtsführenden per Zufallsgenerator Prüflinge anzeigen zu lassen.

Außerdem wäre es unverhältnismäßig, die Studierendendaten – ohne Anonymisierung – dauerhaft zu speichern, um die verwendete Prüfungssoftware zu „trainieren“. Zudem muss sichergestellt sein, dass technische Ausfälle, die die Studierenden nicht zu verschulden haben, sich nicht zu ihrem Nachteil auswirken oder gar als Täuschungsversuche gewertet werden. Entscheidend ist darüber hinaus, dass es nie allein dem System obliegen kann, einen Täuschungsversuch final festzustellen. Der einzelne Studierende darf nicht zum bloßen Objekt algorithmenbasierter Softwareentscheidungen werden. Um Diskriminierungen zu verhindern, muss die Hochschule zudem darauf achten, dass die Software nicht nur die (vermeintlichen) Gesichtsbewegungen der Mehrheitsgesellschaft mit ausreichender Genauigkeit erkennen kann (vgl. Heldt, MMR 2019, 285 [286 f.]).

Zugunsten einer virtuellen Prüfungsaufsicht – zumindest durch eine menschliche Aufsichtsperson – spricht hingegen, wenn den Studierenden eine Wahlmöglichkeit zwischen Online- und Präsenzklausur eröffnet ist. Eine Entscheidungsfreiheit, die Universitäten angesichts der Corona-Pandemie, gerade für sogenannte Risikogruppen, derzeit aber nur sehr eingeschränkt garantieren können. Sie kann jedoch auch darin bestehen, eine andere Prüfungsleistung ohne Aufsichtserfordernis abzulegen, beispielsweise eine Hausarbeit oder Open-Book-Klausur. Das Berufen auf den prüfungsrechtlichen Grundsatz der Chancengleichheit hebelt die informationelle Selbstbestimmung mithin genauso wenig aus, wie der Datenschutz eine virtuelle Prüfungsaufsicht generell unmöglich macht.

Aus der grundrechtlichen Sensibilität der digitalen Klausurbeaufsichtigung folgt, dass sie einer einfachgesetzlichen Rechtsgrundlage bedarf. Konkret muss sich Online-Proctoring vornehmlich an den Vorschriften des Datenschutz- und Prüfungsrechts messen lassen (siehe dazu auch das Gutachten von Hoeren/Fischer/Albrecht).

Die Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben als Verarbeitungsgrundlage

Anknüpfungspunkt für die datenschutzrechtliche Zulässigkeit ist zunächst der Erlaubnistatbestand des Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. e Alt. 1 DSGVO. Danach ist jede Verarbeitung personenbezogener Daten – ohne Zustimmung des Betroffenen – gestattet, die erforderlich ist, um eine öffentliche Aufgabe wahrzunehmen, beispielsweise die ordnungsgemäße Durchführung universitärer Prüfungen. Der Erlaubnisbestand kann die Datenverarbeitung aber nicht aus sich heraus legitimieren, sondern bedarf einer spezielleren Rechtsgrundlage im unionalen oder mitgliedstaatlichen Recht (Art. 6 Abs. 3 DSGVO). An einer derartigen Verarbeitungsgrundlage fehlt es für die virtuelle Prüfungsaufsicht im Landeshochschulrecht regelmäßig.

Das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst hat am 16.09.2020 bereits die „Verordnung zur Erprobung elektronischer Fernprüfungen an den Hochschulen in Bayern“ (BayFEV) erlassen (auch in der Corona-Epidemie-Hochschulverordnung NRW finden sich Vorgaben zu Online-Prüfungen). Ob sie als bloße Rechtsverordnung auch schwere Grundrechtseingriffe durch den Einsatz einer vollautomatisierten Prüfungssoftware rechtfertigen kann, sei dahingestellt, da der Verordnungsgeber festgehalten hat, dass dafür eine Einwilligung der Studierenden notwendig ist (§ 6 Abs. 4 BayFEV). Ein vollfunktionales Überwachungsprogramm dürfte zudem schon nicht erforderlich i. S. v. Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. e DSGVO sein, um gleichartige Prüfungsbedingungen zu gewährleisten (zu einem anderen Ergebnis ist die Rechtbank Amsterdam gekommen; Urt. v. 11.6.2020, C/13/684665 / KG ZA 20-481).

Die Einwilligung der Studierenden als Verarbeitungsgrundlage

Fehlt es an einer Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. e, Abs. 3 DSGVO entsprechenden Rechtsgrundlage, müssen Hochschulen im Regelfall eine Einwilligung der Studierenden einholen (Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. a DSGVO). Damit eine Einwilligung wirksam ist, müssen die Studierenden sie freiwillig erklärt haben (Art. 4 Nr. 11, Art. 7 Abs. 4 DSGVO). Das Machtungleichgewicht zwischen Studierenden und ihrer Hochschule spricht zwar prinzipiell gegen die Möglichkeit, freiwillig einwilligen zu können. Dennoch ist eine Einwilligung gegenüber staatlichen Stellen nicht generell ausgeschlossen (vgl. ErwGr. 43 S. 1 DSGVO). Erneut kommt es darauf an, ob den Studierenden ernsthafte Alternativen wie Open-Book-Klausuren, Hausarbeiten oder Präsenztermine zur Verfügung stehen. Außerdem darf eine Einwilligung nur für einen ausreichend bestimmten Fall und in informierter Weise erklärt werden.

Prüfungsrechtliche Vorgaben am Beispiel der Bayerischen Fernprüfungserprobungsverordnung

Aus dem Vorbehalt des Gesetzes folgt im Prüfungsrecht, dass eine neue Prüfungsart wie die virtuell beaufsichtigte Online-Klausur einer eigenen gesetzlichen Rechtsgrundlage bedarf und sich nicht unter die bestehenden Vorschriften zu schriftlichen Prüfungen subsumieren lässt (vgl. Fischer/Dieterich, NVwZ 2020, 657 [661]).

Ein spezieller Rechtsrahmen für elektronische Prüfungsformate findet sich beispielsweise in den §§ 2 ff. BayFEV. Die Verordnung legt insbesondere fest, wie im Falle technischer Störungen zu verfahren ist (§ 9 BayFEV) und dass den Studierenden grundsätzlich ein Wahlrecht zwischen digitaler und analoger Prüfung zusteht (§ 8 BayFEV). Studierende sollen Online-Prüfungen nur freiwillig absolvieren. Entscheiden sie sich aber für eine Fernprüfung, dann unterliegen sie der Pflicht, die Kamera- und Mikrofonfunktion der Endgeräte zu aktivieren, die sie zur Prüfung einsetzen (§ 6 Abs. 1 BayFEV).

Die Landesgesetzgeber stehen in der Pflicht

Auch im Jahr 2021 werden Hochschulen Prüfungen unter den Bedingungen der Corona-Pandemie durchführen müssen. Um ihre Studierenden vor den Grundrechtseingriffen vollautomatisierter Proctoring-Programme zu schützen, sollten sie dabei vornehmlich auf Open-Book-Klausuren und Hausarbeiten setzen. Ist eine Klausuraufsicht unabdingbar, bietet sich als grundrechtsschonende Alternative zur Vollüberwachung die Audio- und Videoüberwachung durch einen Menschen ohne Aufzeichnung an.

Das sehnlich erwartete Pandemieende wird aber auch im Hochschulwesen nicht die Rückkehr in ein analoges Zeitalter einläuten. Die digitale Lehre hat vielmehr das Potenzial, Präsenztermine dauerhaft ergänzen (Stichwort „Blended Learning“) und teilweise auch ersetzen zu können. Perspektivisch liegt es daher vorrangig an den parlamentarischen Gesetzgebern der Länder und nicht an den Hochschulen, sich damit auseinanderzusetzen, wie sich Prüfungsbedingungen jenseits des Universitätscampus rechtskonform ausgestalten lassen. Denn sie stehen in der Pflicht, die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Regelungen zu treffen. Solange die Landesgesetzgeber dabei die Grenzen der akademischen Lehrfreiheit achten, sind sie frei, den Wissenschaftsbetrieb so zu regeln, dass das grundrechtliche Spannungsfeld zwischen Chancengleichheit und Privatheitsschutz möglichst interessenschonend aufgelöst wird.


5 Comments

  1. Timo Schwander Mon 21 Dec 2020 at 13:43 - Reply

    Vielen Dank für den Beitrag und volle Zustimmung, mit einer Ausnahme: “Vor diesem Hintergrund wäre es – zumindest während der Corona-Pandemie – denkbar, die partielle Audio- und Videoüberwachung der studentischen Wohnung durch ein formelles Gesetz zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere zur Bekämpfung von Seuchengefahr, zu legitimieren (Art. 13 Abs. 7 Alt. 2 GG).” Der Zweck wäre doch nicht die Bekämpfung von Seuchengefahr, sondern die Gewährleistung der Prüfungsbedingungen (Kontrollfrage: Was wäre bei gleichem Sachverhalt i.Ü. ohne den Eingriff? Dann würde die Prüfung ohne Überwachung stattfinden. Der Seuchenbekämpfung dient die Verlagerung der Prüfung nach Hause, nicht die Überwachung). Und damit liegt schon kein Zweck iSv Art. 13 VII vor.

    • Jonas Botta Tue 22 Dec 2020 at 09:48 - Reply

      Vielen Dank für das Feedback! Stimme der Einschätzung vollkommen zu. Im folgenden Satz heißt es ja auch dementsprechend: “Die rechtskonforme Verwirklichung eines solchen Gedankenexperiments scheiterte aber schon daran, dass nicht die Überwachung des heimischen Arbeitsplatzes, sondern allein der Ort der Klausurbearbeitung der Bekämpfung des Coronavirus dient.”

  2. Julian Albrecht Tue 22 Dec 2020 at 11:40 - Reply

    Danke für Ihren klugen Beitrag! Bei dem Thema muss eine Gratwanderung gelingen zwischen Datenschutz und Chancengleichheit. In Klausurformaten, in denen Hilfsmittel nicht zugelassen sind, kann nicht einfach aus Datenschutzgründen auf Aufsichtsmaßnahmen verzichtet werden. Dieser zweite „Abgrund der Rechtswidrigkeit“ verlieren viele aus dem Auge. Die verfassungsrechtlich verankerte prüfungsrechtliche Chancengleichheit gebietet ein Untermaß an Maßnahmen, die Täuschungsmöglichkeiten reduzieren. Wo genau das Untermaß liegt, werden die Gerichte präzisieren müssen.

    Ich bin mir nicht sicher, ob es durch Ihren interessanten Vorschlag eines durch Zufallsgenerator gesteuerten Videoaufsicht erreicht wird. Ich würde für eine Orientierung an dem Aufsichtsniveau in analogen Klausuraufsichten plädieren. Angesichts mannigfaltiger verbleibender Täuschungsmöglichkeiten etwa beim Toilettengang kann dort kaum von einem besonders strengen Aufsichtsniveau die Rede sein. Folgt man dem, bedeutet das für die Online-Klausur ohne zugelassene Hilfsmittel: Menschliche Aufsicht mittels Videokonferenz zwischen Prüflingen und Aufsichtspersonal (z.B. mit einem Schlüssel von 1:10). Keine Aufzeichnung. Raumscans nur bei objektiven und zu dokumentierenden Verdachtsmomenten. Nachweis von Täuschungen durch protokollgestütztes Zeugnis der Aufsichtsperson wie in der analogen Welt auch.

    Zur Problematik von Art. 13 GG: Beschränkt man sich auf verdachtsbezogene Raumscans, kann eine Rechtfertigung meines Erachtens gelingen. Anknüpfungspunkt ist nicht die Seuchenbekämpfung, sondern die im Verdachtsfall drohende Verletzung der prüfungsrechtlichen Chancengleichheit als dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit.

    Als Ergänzung wertvoll ist vielleicht auch noch der Hinweis, dass videobeaufsichtigte Klausuren teilweise für nicht erforderlich gehalten werden, weil mit Open-Book-Klausuren mildere Mittel zur Verfügung stünden (Schwartmann, in: Haake, OdW 2020, 59, 63). Wie Sie (implizit) sehe ich das aber anders. Unterhält man sich mit Prüfenden z.B. der Mathematik oder der Medizin, wird deutlich, dass keinesfalls in der Fläche auf Klausuren umgestellt werden kann, bei denen Hilfsmittel ohne Schaden für die Lehre zugelassen werden können. Vielfach bedürfe es einer „Abprüfung von Standardwissen“ in den Grundlagenfächern. Es muss daher bei einer Empfehlung der Open-Book-Klausur bleiben, wo immer sie möglich sind.

    • Jonas Botta Wed 23 Dec 2020 at 17:11 - Reply

      Vielen Dank für den ausführlichen und wertvollen Kommentar! Soweit mir bekannt, haben zumindest die Universitäten mit eigenen IT-Stabsstellen diese Gratwanderung fest im Blick, sodass ich optimisch bin, dass sich dort ein angemessener Ausgleich zwischen Privatheitsschutz und Chancengleichheit finden lässt. Dabei war sicherlich auch das Münsteraner Gutachten ein große Hilfe. Aus meiner Sicht muss das Thema “Datenschutz im Bildungswesen” aber vor allem in der Politik noch präsenter werden, um einen klareren Rechtsrahmen zu schaffen.

      • Michael Sat 27 Feb 2021 at 01:39 - Reply

        Die IT-Unis… ja, diese Unis haben Datenschutz leider eher weniger im Blick als andere. Eine Informatik-Grundlagenvorlesung an der TU Darmstadt bietet nun an, die Klausur in den eigenen vier Wänden zu schreiben. Dafür muss allerdings das im Text genannte Proctorio genutzt und auf dem eigenen Gerät installiert werden.

        Für die Zulässigkeit der informierten Einwilligung wird natürlich auch eine Klausur in Präsenz ermöglicht. Dafür muss allerdings ebenfalls Proctorio auf dem eigenen Gerät betrieben werden. Die Klausur wird dann allerdings im Hörsaal geschrieben (allerdings wird hier 90 Minuten Akkulaufzeit vorausgesetzt, da nicht alle Hörsäle Steckdosen besitzen).

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