30 June 2020

Haftung auf Umwegen

Wann haften Urheber eines Infektionsgeschehens für die Kosten der Bekämpfung?

In einem fleischverarbeitenden Betrieb sowie dessen Umfeld in Rheda-Wiedenbrück und in zwei weiteren Fleischfabriken in Niedersachsen stiegen die Infektionen mit COVID-19 vor kurzem explosionsartig an. Von der deutschlandweiten Situation ab Ende Februar unterscheidet sich diese hier in einem wesentlichen Punkt: Die neuen Infektionen können offenbar einzelnen Ursprungsorten zugeordnet werden – nämlich den jeweiligen Unternehmen. Die Maßnahmen, die nun ergriffen wurden, um die Ausbreitung der Krankheit erneut einzudämmen, sind nicht nur einschneidend, sondern auch teuer. Und auch weil es in den Unternehmen womöglich zu Verstößen gegen Corona-Auflagen kam, kündigte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil an, „zivilrechtliche Haftungsmöglichkeiten“ prüfen zu lassen. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsiden Laschet hat zwischenzeitlich ebenfalls erklärt, er werde prüfen lassen, ob das Unternehmen in Rheda-Wiedenbrück herangezogen werden könne, um für die verursachten Kosten aufzukommen. Während sich die Haftung eines Unternehmens gegenüber Privaten durchaus begründen lässt, sieht es im öffentlichen Recht anders aus: Die eher unelastischen Vorschriften namentlich des Gefahrenabwehrrechts stoßen hier schnell an Grenzen, und es zeigt sich, dass das öffentliche Recht auf solche Konstellationen nicht vorbereitet ist.

Es wird teuer

In Ostwestfalen haben die zuständigen Stellen zunächst rund 7000 Personen unter häusliche Quarantäne gestellt (§ 28 IfSG), auch wurde mit entsprechenden Testungen begonnen. Am Ende war das Virus bei bislang rund 1500 Personen festzustellen. Infolgedessen sind in den Kreisen Gütersloh und Warendorf neben Kitas und Schulen auch andere Einrichtungen wie Kinos, Fitnessstudios, und Bars erneut geschlossen worden, Sport im öffentlichen Raum sowie kulturelle Veranstaltungen wurden (wieder) untersagt.

Neben den belastenden Einschränkungen des Alltagslebens für die Einwohnerinnen und Einwohner der betroffenen Kreise gehen mit dem Infektionsgeschehen erhebliche Kosten einher. Zahllose Testteams müssen PCR-Tests („Abstriche“) durchführen, dabei werden sie von mehreren Hundertschaften der Polizei sowie Einsatzkräften der Bundeswehr unterstützt. Gesundheitsämter und andere Behörden befinden sich im Dauereinsatz, die Einhaltung der Quarantäne muss durchgesetzt werden. All das kostet viel Geld, von dem Schaden für die Betriebe, die erneut von einer Schließung betroffen sind, einmal abgesehen.

Im Winter war ein Skigebiet in Österreich für einen erheblichen Teil der Virusausbreitung in Mitteleuropa verantwortlich gemacht worden; eine konkrete Rückführung auf einen Ursprungsort war angesichts des flächendeckenden Auftretens von Infektionen in allen Bundesländern aber letztlich nicht möglich. Da dies nun anders ist, liegt es nahe, daran eine entsprechende Verantwortlichkeit der Betreiber von Einrichtungen und Stellen zu knüpfen, in deren Verantwortungsbereich das Infektionsgeschehen seinen Ausgang genommen hat.

Zivilrecht

Die Haftung eines Verursachers für Corona-bedingte Schäden nach zivilrechtlichen Bestimmungen wird nicht von vornherein auszuschließen sein. Dafür ist aber regelmäßig Voraussetzung, dass eine Verletzung von Rechtspflichten, insbesondere ein Verstoß gegen einschlägige Vorgaben etwa aus einer Pandemie-Eindämmungsverordnung (Abstandsregeln, Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes o.ä.), dem Unternehmen – beispielsweise unter dem Aspekt fehlender Überwachung – zugerechnet werden kann und eine solche schuldhafte Pflichtverletzung kausal für einen entstandenen Schaden gewesen ist. Auf dieser Grundlage grundsätzlich denkbar sind etwa Ansprüche von infizierten Beschäftigen, ohne dass es entscheidend darauf ankommen dürfte, ob der Arbeitsvertrag mit einem Subunternehmer geschlossen wurde, da die Gesundheit ein absolut geschütztes Recht (§ 823 Abs. 1 BGB) darstellt. Ebenfalls in Betracht kommen Schadensersatzansprüche von Vertragspartnern, wenn diese aufgrund einer behördlichen Betriebsschließung keine weiteren Anlieferungen vornehmen können.

Schwieriger ist die Situation anderer Gewerbetreibender, die aufgrund entsprechender rechtlicher Vorgaben (einem „Lockdown“) ihren Betrieb zeitweise (wieder) schließen müssen. So dienen die rechtlichen Vorgaben zur Eindämmung einer Pandemie primär dem Gesundheitsschutz; sie werden sich daher nicht als Schutzgesetze im Interesse der lokalen Wirtschaft interpretieren lassen. Dass hier das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb weiterhilft, versteht sich ebenfalls nicht von selbst, da es an einem „gezielten“ Eingriff fehlt.

Gefahrenabwehrrecht

Die Haftung gegenüber anderen Privaten sollte sich mit den Bordmitteln des Zivilrechts aber zufriedenstellend lösen lassen. Schwieriger wird es mit Blick auf die Kosten, die der Verwaltung entstehen, da das öffentliche Recht unter dem Aspekt der Kostentragung auf solche Situationen bislang nicht recht vorbereitet erscheint. Ein allgemeiner Haftungstatbestand für Aufwendungen der Verwaltung infolge schuldhafter Pflichtverletzungen existiert nicht und ist auch im Infektionsschutzgesetz (IfSG) nicht vorgesehen. Insofern bleibt nur der Rückgriff auf allgemeine Regeln des Gefahrenabwehrrechts. Es sieht eine Haftung für entstehende Kosten danach insbesondere in Fällen der Ersatzvornahme vor, aber auch dort, wo das Instrument der unmittelbaren Ausführung weiterhin Anwendung findet; letzteres ist in Nordrhein-Westfalen anders als etwa in Berlin (§ 15 ASOG) indes nicht der Fall. Beide Rechtsinstitute sind – etwas verkürzt formuliert – dadurch gekennzeichnet, dass die Verwaltung eine Handlung zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit (oder ihrer bereits eingetretenen Störung), die verschuldensunabhängig im Pflichtenkreis einer Person liegt, selbst vornimmt. In solchen Fällen zieht die Pflicht zur Gefahrenabwehr nach sich, dass die Person die Kosten tragen muss. Abgesehen davon gibt es außerhalb des Gebühren- und Beitragsrechts kaum Regelungen darüber, wer für Maßnahmen der Gefahrenabwehr zahlen muss (genannt sei aber § 3 Abs. 1 Satz 1 BPolG). Die vieldiskutierte Möglichkeit, Veranstalter bestimmter Sportereignisse an den Einsatzkosten der Polizei nach bremischem Recht zu beteiligen, ist als am (Mehr-) Aufwand orientierte Gebührenregelung für eine staatliche Leistung ausgestaltet (§ 4 Abs. 4 BremGebBeitrG).

Auf den ersten Blick scheint es deshalb nicht ausgeschlossen zu sein, dass zahlen muss, wem ein Infektionsgeschehen – auch ohne Verschulden ­– zugeordnet werden kann: Es drohen insbesondere Gefahren für Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit in Form potentiell lebensbedrohlicher Erkrankungen. Sieht man etwas genauer hin, kommen allerdings Zweifel auf: Zunächst ist der Begriff der Pandemie nur eine Chiffre für ein dynamisches Geschehen, das aus zahlreichen Einzelereignissen besteht. Eine festgestellte Infektion bewirkt dabei eine (Ansteckungs-) Gefahr, auf die etwa mit dem Mittel der Absonderung („Quarantäne“) reagiert wird. Um festzustellen, ob eine Infektion vorliegt, erfolgen PCR-Tests; in den Kategorien des Gefahrenabwehrrechts handelt es sich dabei im Grunde um die Situation eines „Gefahrenverdachts“. Dieses differenzierte Bild lässt sich nicht ohne Weiteres als einheitliche (Pandemie-) Gefahr erfassen, für die jemand die gefahrenabwehrrechtlich maßgebliche letzte Ursache gesetzt hat. Allerdings sei klarstellend angemerkt, dass infizierte Personen nicht selbst als verantwortliche Gefahrenverursacher in Anspruch genommen werden können, denn gefahrenabwehrrechtlich relevant ist die Verantwortlichkeit für Handlungen und den Zustand von Sachen. Kranksein ist aber isoliert betrachtet keine Handlung, sondern ein (Gesundheits-) Zustand einer Person, so dass eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit erst aus weiteren Handlungen wie dem Verstoß gegen daran anknüpfende Verfügungen resultieren kann. Das ist auch die Perspektive des Infektionsschutzgesetzes, indem es die Möglichkeit von Entschädigungen für Personen vorsieht, die Maßnahmen nach diesem Gesetz unterworfen sind (§ 56 IfSG).

Sofern man dem Urheber eines Infektionsgeschehens diese Folgen seines Tuns (oder Unterlassens) als „Gesamtgefahr“ gleichwohl zurechnen wollte, ergäben sich weitere Schwierigkeiten. Es ist zunächst Aufgabe staatlicher und kommunaler Stellen, die Ausbreitung einer Krankheit zu bekämpfen. Sie erfüllen damit ihre eigenen Pflichten im Bereich der (Krankheits-) Gefahrenabwehr, nicht aber – stellvertretend – die Pflichten einer dritten Person. Zwar ist nicht denklogisch ausgeschlossen, dass die Erfüllung einer eigenen (öffentlichen) Aufgabe zugleich ein Handeln im Pflichtenkreis eines anderen darstellt. Wenn der Staat aber eine Infektionskrankheit bekämpft, nutzt er ein spezifisch öffentlich-rechtliches Instrumentarium, das Privatpersonen nicht zur Verfügung steht und auch nicht durch andere Maßnahmen substituierbar ist.

Selbst wenn man einer Person die Pflicht zuordnen möchte, das weitere Infektionsgeschehen zu hemmen, das er mit einem gefahrbringenden oder störenden Tun verursacht hat, wäre dafür eine Grundverfügung nötig, die eine erfüllbare Zielvorgabe und entsprechend zielführende Maßnahmen vorsieht. Diese könnte dann im Wege einer Ersatzvornahme vollzogen werden. Es ist nicht ersichtlich, wie eine Grundverfügung, die darauf gerichtet ist, die Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern, von jemandem ohne das spezifische Arsenal des öffentlich-rechtlichen Handlungsinstrumentariums umgesetzt werden kann.

Infektionsschutzrecht

Im Ergebnis zeigt sich also, dass die klassischen Instrumentarien des Gefahrenabwehrrechts mit Blick auf öffentlich-rechtliche Kostenerstattungsansprüche der öffentlichen Hand nicht auf die Situation eines pandemischen Infektionsgeschehens zugeschnitten sind. Es ließe sich indes noch erwägen, Verursacher für etwaige Entschädigungsleistungen an Betroffene heranzuziehen: Wie bereits angedeutet, enthält das Infektionsschutzgesetz auch Entschädigungsregelungen, die an einen Verdienstausfall etwa wegen einer angeordneten Quarantäne (§ 56 Abs. 1 IfSG) oder auch wegen einer erforderlichen Kinderbetreuung infolge der Schließung von Schulen und Kindertagesstätten anknüpfen (§ 56 Abs. 2 IfSG). Diese Bestimmungen lassen sich als spezielle Entschädigungsregelungen lesen, die daran anknüpfen, dass eine nicht verantwortliche Person in Anspruch genommen wird. Die Polizei- und Ordnungsgesetze der Länder sehen im Anschluss an § 45 Abs. 1 MEPolG als sehen diese Entschädigung typischerweise als einfach-gesetzliche Ausprägungen des allgemeinen Aufopferungsanspruchs vor, wobei auch ein Rückgriff auf die verantwortliche Person möglich ist (vgl. § 50 Abs. 1 MEPolG). Es erscheint daher nicht als ausgeschlossen, dass ein Rückgriff gegen den ursprünglichen Verursacher einer Gefahr auch dann erfolgen kann möglich ist, wenn eine Entschädigung aufgrund spezieller Vorschriften des Gefahrenabwehrrechts geleistet wird. Auch hierfür ist allerdings eine Handlungs- oder Zustandsverantwortlichkeit erforderlich. Zudem bedarf es einer sorgfältigen Analyse des jeweiligen Landesrechts: So unterscheidet das nordrhein-westfälische Landesrecht ausdrücklich zwischen der Entschädigung für die Inanspruchnahme einer nicht verantwortlichen Person (§ 39 Abs. 1 lit. a) OVG NW) und der Entschädigung wegen rechtmäßiger Maßnahmen nach anderen gesetzlichen Vorschriften (§ 39 Abs. 3 OBG NW), wobei nur für den erstgenannten Fall ein Rückgriff vorgesehen ist.

Es passt nicht

Im Ergebnis zeigt sich daher, dass das öffentliche Recht auf eine Konstellation, wie wir sie hier haben, nicht vorbereitet ist, wenn es um die Frage geht, wer die Kosten der Verwaltung zu tragen hat. Es ist vielmehr am Gesetzgeber zu entscheiden, ob und wie Abhilfe geschaffen werden soll. Verfassungsrechtlich sollte es jedenfalls nicht bedenklich sein, den Urheber eines Infektionsgeschehens an den Kosten der Bekämpfung zumindest zu beteiligen – auch außerhalb der unmittelbaren Handlungs- und Zustandsverantwortlichkeit.


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