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17 November 2017

“Harter oder weicher Sexit”?

Recht und Geschlecht auf dem Prüfstand

In dem Verfahren vor dem BVerfG standen Recht und Geschlecht auf dem Prüfstand: Recht, indem es durch das Personenstandsgesetz zum einen als rechtsverletzende und diskriminierende Struktur fungierte und in Form der Grundrechte zum anderen als Instrument des Empowerments genau dagegen zu halten war; Geschlecht als unbestimmter Rechtsbegriff, der auf interpretative Möglichkeiten und Grenzen hin überprüft wurde. Gerade die Unbestimmtheit dieses Rechtsbegriffs ermöglichte erst die rechtsverletzende und diskriminierende Dimension der rechtlichen Regelung. In der jahrzehntelang geübten Verwaltungspraxis zum § 21 Abs. 1 Nr. 3 PStG wurde der Interpretation des Geschlechtsbegriffs ein enges, binäres Verständnis zugrunde gelegt. Der Geschlechtseintrag einer Person in das Geburtenregister war nur möglich als entweder männlich oder weiblich – mit großen Auswirkungen auf gesellschaftlicher aber auch individueller Ebene.

Das BVerfG hat nun durch die Prüfung des Diskriminierungsverbots des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG eine historische Klärung des juristischen Geschlechtsbegriffs herbeigeführt. In seiner bisherigen Rechtsprechung zu trans* oder inter*geschlechtlichen Sachverhalten bezog sich das BVerfG zumeist nur auf einen Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 G i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Schutz der geschlechtlichen Identität und vermied dabei, die Frage nach einer möglichen Geschlechterdiskriminierung i.S.d. Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG zu stellen. Trans* und Inter*Sexualität waren so verfassungsrechtlich immer nur eine Frage der eigenen Persönlichkeit, nicht aber eine Frage des eigenen Geschlechts. Dies hat sich nun grundlegend geändert. Das BVerfG macht deutlich, dass Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG „nicht nur Männer vor Diskriminierungen wegen ihres männlichen Geschlechts und Frauen vor Diskriminierungen wegen ihres weiblichen Geschlechts, sondern […] auch Menschen [schützt], die sich diesen beiden Kategorien in ihrer geschlechtlichen Identität nicht zuordnen, vor Diskriminierungen wegen dieses weder allein männlichen noch allein weiblichen Geschlechts.“ (Rn. 58). Das BVerfG argumentiert vor allem teleologisch und arbeitet den Schutz Angehöriger strukturell diskriminierungsgefährdeter Gruppen vor Benachteiligung als Zweck des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG heraus. Zugleich enttarnt es damit die bisherige Interpretation des unbestimmten Geschlechter(Rechts)begriffs als ein naturalisiertes und dem juristischen Diskurs entzogenes, ausschließlich binär verhandeltes Konzept.

Relevanz des Personenstandsrechts für das Geschlecht: Zur Wirkung des Geschlechtseintrags im Personenstandsrecht

Doch warum wird dem Personenstandsrecht eine so große Bedeutung für das (Er)Leben des eigenen Geschlechts zugerechnet? Die Problemlagen, die sich für Menschen ergeben, die sich nicht eindeutig und dauerhaft einem dieser beiden oft noch als natürlich vorausgesetzt verstandenen Geschlechtern männlich/weiblich zuordnen wollen oder können, sind keine per se und ausschließlich rechtlich gemachten. Vielmehr lässt sich hier mit Foucault eine Verschiebung des Grundprinzips von Macht und Regulierung weg von Recht und Gesetz hin zu der Regulierung durch eine auf Normalisierung ausgerichtete Gesellschaft erkennen, als deren Instrumente sich nicht Recht und Justiz, sondern vielmehr Medizin, Psychiatrie/Psychologie und soziale Kontrolle darstellen. Durch Disziplinierung wird das Leben und Verhalten der Einzelnen beeinflusst, sei es das der Person selbst oder das der Eltern, die – wohl immer mit Blick auf das Beste für ihr Kind – sich dem Druck ausgesetzt sehen, (menschenrechtsverletzende) Operationen an ihrem Kleinstkind durchführen zu lassen, um sie einem Geschlecht scheinbar zuordenbar machen zu können. Die Rolle von Recht scheint hier nicht vorrangig, gebietet es doch solche Praktiken nicht.

Das BVerfG betont jedoch richtigerweise die Bedeutung, die Recht auch in diesen Situationen beizumessen ist, und führt aus, dass die „personenstandsrechtliche Anerkennung des Geschlechts Identität stiftende und ausdrückende Wirkung“ (Rn. 45) hat, da der Personenstand die Stellung einer Person innerhalb der Rechtsordnung sei (§ 1 Abs. 1 Satz 1 PStG), und dass die legislative Entscheidung, Geschlecht als personenstandsrechtliche Größe festzuschreiben, Auswirkungen auf das Bewegen einer Person in der Öffentlichkeit hat und Folgen außerhalb des Personenstandsrechts zeitigt. Recht dient mit der (bisherigen binären) personenstandsrechtlichen Vermessung von Geschlecht also (auch) der Aufrechterhaltung eines gesellschaftlichen Normalisierungsprozesses hin zur Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit als (impliziter) Norm. Darüber hinaus (re)produziert und zementiert Recht durch die personenstandsrechtliche Anforderung hegemoniale Vorstellungen von Heteronormativität, denen sich Menschen durch die juristisch-normative Anrufung nochmals verstärkt unterwerfen müssen.

Auftrag an den Gesetzgeber: Neuregelung des PStG

Mit Frist zum 31.12.2018 ist der Gesetzgeber nun aufgerufen, eine Neuregelung des Personenstandsgesetzes zu treffen. Dabei stehen ihm mehrere Möglichkeiten der Regelung offen: Die Etablierung einer dritten, festlegenden Option („inter“), die Etablierung einer dritten, offenen Option („divers“/„anders“) sowie der Verzicht auf den Geschlechtseintrag im Personenstandsrecht.

Die Wahl der Ausgestaltung ist dabei alles andere als irrelevant.

a) Dritte, festlegende Option („inter“)

Was würde es bedeuten, wenn nun eine festbenannte Dreigleisigkeit der positiven Geschlechtseintragung entstünde? Das Recht behielte Geschlecht als personenstandsrechtlich relevante Größe, „männlich“ und „weiblich“ blieben als Angabeoptionen bestehen und würden erweitert um den positiven Geschlechtseintrag „inter“. Aufgenommen würde damit der vom BVerfG kritisierte Punkt, dass die Verletzung im vorliegenden Fall gerade daher rühre, dass das Personenstandsrecht einen Geschlechtseintrag verlange, einer inter*geschlechtlichen Personen aber gleichzeitig die personenstandsrechtliche Anerkennung ihrer geschlechtlichen Identität verwehre. Diese Option erweist sich durchaus als vorteilhaft. Die explizite Benennung der gefühlten Geschlechtsidentität wäre möglich, was sich mit Blick auf die Prozesse der (Rechts)Subjektivierung und Identitätsfindung positiv auswirkt. Nachteilig an einer solchen Regelung ist allerdings der exkludierende Effekt, den eine auf eine dritte Geschlechtsvariante festlegende Option hätte: Hierdurch wird eben auch nur der positive Eintrag der genannten Identität zugelassen. Die Ambivalenz dieser Option ist offensichtlich. Personen, die sich explizit intergeschlechtlich fühlen und sich so bezeichnen wollen, profitieren von dieser expliziten, positiven normativen Benennungsmöglichkeit. Auch in symbolischer Hinsicht würde eine solche Regelung eine Verbesserung gegenüber der derzeitigen Rechtslage bedeuten, da sie ein erstes Aufbrechen der Zweigeschlechtlichkeit hin zur Anerkennung einer dritten Möglichkeit darstellte. Auf der anderen Seite birgt eine Erweiterung des (personenstands)rechtlichen „Geschlechterkatalogs“ um eine dritte, feststehende Option die Gefahr der weiteren Festschreibung und Exklusion anderer, hiervon nicht erfasster Geschlechtsidentitäten. Diese ambivalente Situation ist keine neue – sie ist uns bereits länger bekannt als sogenanntes Benennungs- oder auch feministisches Dilemma.

b) Offene Option

Die Schaffung einer neben „männlich/weiblich“ bestehenden dritten, hingegen offenen Option wie die Eintragungsmöglichkeiten „anders“, „divers“, oder auch „X“ würde diese Gefahr einer exklusiven Stereotypisierung hingegen verringern, wenn nicht gar ausschließen. Allerdings würde der vom BVerfG kritisierte Effekt, das Personenstandsrecht produziere (derzeitig durch § 21 Abs. 1, 3 PStG in Form der bloßen Löschung des Geschlechtseintrags mit „fehlender Variante“) „scheinbar geschlechtslose Wesen“, nicht wirklich abgemildert. Denn wer empfindet sein(e) Geschlecht(lichkeit) in positiver Feststellung schon als „anders“, „divers“ oder „X“, wenn es nicht gerade nur um die bloße Abgrenzung zu zwei vorgegebenen, ausschließlichen Optionen geht. Vor allem mit Blick auf das grundrechtlich geschützte Recht auf Entwicklung der eigenen geschlechtlichen Identität scheint eine solche Option also durchaus fragwürdig.

c) Verzicht auf den Geschlechtseintrag im Personenstandsrecht

Somit bleibt letztlich die Option des grundsätzlichen Verzichts eines Geschlechtseintrags im Personenstandsrecht. Und warum auch nicht? Es gibt keinen überzeugenden Grund für die singuläre legislative Aufwertung von Geschlecht als personenstandsrechtlich relevante Größe. Geschlecht ist das einzige „Merkmal“ einer Person, das rechtlich zwingend bereits zum Zeitpunkt ihrer Geburt vermessen wird. Und zwar ohne klares Erfordernis bereits zu diesem Zeitpunkt. Warum also diese „Überregulierung“ – auch im Sinne einer guten Gesetzgebung – nicht einfach deregulieren? Dort, wo Geschlecht nicht erforderliche Information ist, also rechtlich nicht relevant ist, sollte es gesetzlich auch nicht genannt sein. Dies gilt auf jeden Fall für das Personenstandsrecht. Die stringente geschlechtliche (Nicht)Regulierung würde sich positiv auf das (Er)Leben einer Vielzahl unterschiedlicher geschlechtlicher Lebens- und Identitätsentwürfe auswirken. Negative Folgen für die Rechtsordnung sind nicht zu befürchten. Es wäre nur ein wenig Mühe aufzubringen, alle Gesetze auf die Relevanz der Angabe von Geschlecht zu überprüfen (einen Überblick bietet hier die Stellungnahme von Lembke für den deutschen Ethikrat).

Mit der Öffnung der „Ehe für alle“ ist ein familienrechtliches Aktualisierungserfordernis bereits weggefallen. Reformbedarf ist allerdings weiterhin im Kindschaftsrecht angebracht, wenn es um die Regulierung von Vater- und Mutterschaft geht, die sich freilich problemlos in eine von der Geschlechtlichkeit unabhängige Elternschaft überführen ließe.

Als ein weiterer rechtlicher Problempunkt könnte sich im Kontext des internationalen Reiseverkehrs erweisen, wenn Länder die Angabe des Geschlechts einer Person als Erfordernis für die Erteilung eines Visums verlangen. Gem. § 9 Abs. 1 Nr. 6 des Passgesetzes ist Geschlecht bislang eine der passrechtlich zu erhebenden Angaben – wie u.a. auch die Augenfarbe (Nr. 8). Gründe der sicheren Identifizierung einer Person anhand solch personenbezogener Marker scheinen dem zugrunde zu liegen. Bliebe das Erfordernis der Geschlechtsangabe wegen der Ermöglichung internationaler Mobilität von Menschen bestehen, so muss sich dieses Erfordernis dennoch nicht auf das deutsche Personenstandsrecht auswirken. Eine Erhebung für die Angabe im Reisepass könnte z.B. eine Erweiterung der Option um eine offene Angabe vorsehen, wie etwa auch von der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation ICAO mit der Angabemöglichkeit „X“ empfohlen. Dies erfordert aber nicht zwingend die personenstandsrechtliche Angabe. Lediglich für den Zweck des Reisens wäre die Angabe passrechtlich (mit einer dritten, offenen Angabemöglichkeit) zu leisten.

Zu bedenken ist zudem ein ganz anderer Regelungsbereich. Nicht selten wird die Befürchtung geäußert, das rechtliche Ausblenden von Geschlecht würde Regelungen und Maßnahmen verunmöglichen, die sich dem Schutz vor Geschlechterdiskriminierung bzw. der Förderung zum Ausgleich bestehender Nachteile widmen. Das ist jedoch nicht der Fall. Das Recht soll auf die Benennung von Geschlecht dort verzichten, wo es irrelevant ist – etwa im Personenstandsrecht. An den Stellen, an denen sich eine Relevanz von Geschlecht als soziale Kategorie ergibt, kann und muss sich Recht sogar darauf beziehen. Als bereits existierende Regelungsmöglichkeit kann auf die Kategorie der Behinderung im Recht verwiesen werden. Das Antidiskriminierungsrecht kennt diverse explizite Regelungen, die Behinderung als (ebenfalls unbestimmten) Rechtsbegriff verwenden, mit dem Ziel, Menschen mit Behinderungen wo erforderlich juristischen Schutz und Förderung zuzusichern. Das Personenstandsrecht erfordert gleichwohl keine der bisherigen geschlechtlichen Vermessung äquivalente Angabe zur Behinderung von Menschen. Allerdings wären mit Blick auf die konkrete Ausgestaltung und Fragen der Anwendbarkeit antidiskriminierungsrechtlicher Regelungen in einem zweiten Schritt durchaus noch Überlegungen anzustellen, die sich mit Fragen der Benennung (Dilemma!) und der Nachweisbarkeit (vgl. hierzu Plett) auseinandersetzen. Ansätze des sog. postkategorialen Antidiskriminierungsrechts (vgl. etwa; Baer; Liebscher u.a., Lembke/Liebscher) bieten hierfür gelungene, erste Anhaltspunkte.


One Comment

  1. VTSM Tue 28 Nov 2017 at 17:52 - Reply

    Es ist erforderlich bei diesem Thema Menschen mit Transsexualität auszuklammern. Bei diesen Personen geht es um die Anerkennung ihres Geschlechts und nicht um irgendeine Geschlechts(Rollen)Identität. Von Frauen und Männern mit transsexueller Vergangenheit (NGS) wird es vielfach abgelehnt mit unter diesem Trans* Begriff zwangsweise vereinnahmt zu werden.

    In diesem Thema wird einmal mehr deutlich warum. Trans* werden Eigenschaften zugewiesen, die für Frauen und Männer mit transsexueller Vergangenheit (NGS) schlicht nicht stimmen und diese Personen diskriminieren. Häufig wird sogar der Eindruck vermittelt, dass diese Frauen und Männer nicht den beiden Geschlechtern zugeordnet werden wollen. Was genau dem Gegenteil dessen entspricht, was sie wünschen.

    Insofern, Menschen mit transsexueller Vergangenheit (NGS), also Menschen die ihre genitale Angleichung an ihr Geschlecht hinter sich haben, sind keine Trans*Personen oder sonst irgendwelche Personen die unter die Kategorie Trans* fallen.

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