14 October 2011

Hausbesetzervereine habe auch Rechte

In Genf, am Boulevard des Philosophes in der Nähe der Universität, gab es lange ein besetztes Haus, erkennbar an dem wunderschönen feuerroten Horn, das seine Seitenfassade ziert (s. Bild). Das Horn spielte auf den Namen an den sich die Hausbesetzer gegeben hatten: RHINO – ein Akronym, für das es gleich zwei Auflösungen gibt, nämlich “Retour des Habitants dans les Immeubles Non Occupés” oder “Restons Habitants dans les Immeubles que Nous Occupons”, was aber auf das gleiche hinausläuft, nämlich: Hier finden sich Leute zusammen, um das Eigentum anderer ohne deren Einverständnis in Besitz zu nehmen.

Das dürfen sie bekanntlich nicht. Aber genauso bekannt ist, dass es sehr schwierig ist, sie daran zu hindern, zumal dann, wenn die Häuser sowieso nur unrenoviert leer stehen, aus welchen Gründen auch immer. Der Hauseigentümer im konkreten Fall versuchte jedenfalls nach der Besetzung 1988 jahrelang, die Besetzer loszuwerden. Erst 2002 konnte er sich allerdings dazu entschließen, eine Baugenehmigung für die Renovierung zu beantragen. Die bekam er 2005, und um das Haus dafür leer zu kriegen, klagte er darauf, RHINO aufzulösen. Das gelang letztinstanzlich 2007, woraufhin das Haus tatsächlich geräumt wurde.

Darf man das, einen Verein, mit dem man sich streitet, einfach auflösen lassen? Nein, sagt im konkreten Fall der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in einer schon einige Tage alten, aber um so schöneren Entscheidung: Man kann nicht über Jahre einen unrechtmäßigen Zustand hinnehmen und dann plötzlich einen Verein auflösen, was für sich genommen zur Beendigung dieses Zustands gar nichts beiträgt. Die Vereinigungsfreiheit darf nicht dafür bluten müssen, dass man sich aus politischen Gründen dagegen entscheidet, besetzte Häuser mit der Polizei zu räumen.

Auf etwas anderem Wege zu dem gleichen Schluss kommt der neue portugiesische Richter Paulo Pinto de Albuquerque. Er holt sehr viel weiter aus für seine Begründung als die Richtermehrheit, aber die Meinungsverschiedenheit scheint mir nicht so unüberwindbar zu sein, dass sich mir die Notwendigkeit einer Concurring Opinion aufdrängt.

 


5 Comments

  1. Paul Fri 14 Oct 2011 at 16:22 - Reply

    Schade das es das immer noch gibt. Besser wäre es den Leuten ein Generationsübergreifendes günstige Wohnen anzubieten

  2. Johannes L. Fri 14 Oct 2011 at 19:57 - Reply

    Gibt es da eine englisch- oder deutschsprachige Zusammenfassung von? Ein automatischer Übersetzer führt leider zu unbefriedigenden Ergebnissen.

    Und ein Flüchtigkeitsfehler im Text: Die Entscheidung ist vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, nicht vom Europäischen Gerichtshof. Das könnte leicht beeinflußbare Journalisten verwirren. :-)

  3. Murke Sat 15 Oct 2011 at 08:19 - Reply

    @ Johannes L.

    Einer dieser leicht beeinflussbaren Journalisten rieb sich ob Ihres Kommentars verwundert die Augen, las das Posting ein zweites Mal, um festzustellen:
    Bei der Erstlektüre hatte das Unbewusste den Flüchtigkeitsfehler automatisch um die Zuständigkeit korrigiert und das Haupthirn an Strasbourg denken lassen.

    Dass die Boulevarddeppen immer wieder um journalistischen Maßstab in Sachen Gerichtsgeografie gemacht werden, schafft wirklich wenig Freude. :-(

  4. AX Sun 16 Oct 2011 at 15:57 - Reply

    Die Gerichtsbezeichnung wurde leider immer noch nicht korrigiert.
    Auch müsste “Die Versammlungsfreiheit darf nicht dafür bluten müssen…” wohl richtig “Die Vereinigungsfreiheit…” heißen (auch wenn beides in Art. 11 EMRK verankert ist).

  5. Max Steinbeis Sun 16 Oct 2011 at 20:17 - Reply

    Tschuldigung, jetzt ist es korrigiert. Wobei ich die leicht beeinflussbaren Journalisten hierzulande einigermaßen in Schutz nehmen muss, da weiß man nach meiner Erfahrung um den Unterschied zwischen EGMR und EuGH. Die britische Presse ist es, die sich da regelmäßig einen Dreck drum schert.

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