07 August 2016

Die „Dritte Option“ vor dem BGH – Zwischenstopp auf dem Weg zum Verfassungsgericht

Am 22. Juni hat der XII. Zivilsenat des BGH beschlossen, am Donnerstag wurde der Beschluss veröffentlicht: Intergeschlechtlichen Menschen steht auf der Grundlage von § 22 Abs. 3 PStG kein Anspruch auf Eintragung der Kategorie „inter“ oder „divers“ im Personenstandsregister zu. Für die Kampagne „Dritte Option“, die die Klage inhaltlich vorbereitet und begleitet hat, nur ein Zwischenstopp auf dem Weg zum Verfassungsgericht: Ziel der Kampagne ist es – ähnlich wie in Australien schon verwirklicht und in Österreich angestrebt – die Anerkennung intergeschlechtlicher Identität durch einen Anspruch auf entsprechende Eintragung zu erstreiten. Aber der Reihe nach.

Der Beschluss wurde mit Spannung erwartet: Es ist die erste Entscheidung des obersten Gerichtshofes zur Auslegung des am 1. November 2013 in Kraft getretenen § 22 Abs. 3 PStG. Der besagt, dass ein Eintrag des Geschlechts in das Geburtenregister ausbleiben muss, wenn eine Person weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden kann. Er ordnet also eine Leerstelle an.

Gesetzgeberisches Ziel hinter § 22 Abs. 3 PStG war es – basierend auf einer Stellungnahme des Ethikrates von 2012 – medizinische Eingriffe an minderjährigen intergeschlechtlichen Kindern zu minimieren. Eltern sollte der rechtliche Druck genommen werden, unmittelbar nach der Geburt eine Geschlechtseintragung festzulegen und damit die Entscheidung für Operationen vorwegzunehmen. Gleichzeitig sollte mittelbar durch die Gesetzesnovelle Toleranz für geschlechtliche Vielfalt geschaffen werden. Die gesetzliche Leerstelle wird dagegen vielfach eher als ein Tropfen auf den heißen Stein wahrgenommen: Wie soll eine Lücke im Personenstand für Eltern nicht gleich wie eine Stigmatisierung ihres Kindes wirken? Intergeschlechtliche Menschen sprechen weiter von Verleugnung und Unsichtbarmachung durch das Gesetz.

Entsprechend beantragte der_die 1989 geborene intergeschlechtliche Vanja, die_der bei Geburt als „weiblich“ in das Geburtenregister eingetragen wurde, die Änderung des Geschlechtseintrages und somit eine offizielle Anerkennung der Existenz von Intergeschlechtlichkeit.

Verzicht auf das Verfassungsrecht?

Diesen Antrag wies der auch für Familiensachen zuständige Senat des BGH jetzt ab. Ein Anspruch auf Eintragung „inter“ oder „divers“ sei nicht gegeben. Weder der Wortlaut von § 22 Abs.3 PStG noch die Systematik ließen auf einen solchen Anspruch schließen. Auch habe – so zeige das die Auswertung von Gesetzgebungsmaterialien – der Gesetzgeber* die Einführung einer dritten Geschlechtskategorie nicht beabsichtigt, sondern sich bewusst für eine Leerstelle entschieden. Immerhin: Der BGH bestätigt die Entscheidung des OLG Celle, dass eine rückwirkende Änderung des Personenstandes auf den Leerstand für alle intergeschlechtlichen Menschen möglich sein soll, auch wenn bereits im Geburtenregister ein Geschlecht zugeordnet wurde. Das bereits nimmt großen Druck von den Menschen, die nicht unter einem ihnen im Personenstandsregister zugewiesenen rechtlichen Geschlecht leben wollen.

Schwierig hingegen sind die Ausführungen zur verfassungskonformen Auslegung. Nach Ansicht des BGH sei diese nicht vonnöten. Zwar sei es richtig, dass Intergeschlechtlichkeit im Rahmen von Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG unter dem verfassungsrechtlichen Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts stehe, doch müsse dieser Schutz nicht zwangsläufig durch die Gewährleistung einer sogenannten dritten Option verwirklicht werden. Die Gesetzeslage nach § 22 Abs. 3 PStG werde dem Verfassungsrecht schon gerecht.

Denkbar wäre es schon, dass auf der Grundlage von Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 GG das Recht auf Anerkennung der eigenen geschlechtlichen Identität zu einem Anspruch auf Eintragung einer eigenen Kategorie folgt. Das Bundesverfassungsgericht hat unter Bezugnahme auf das Recht auf geschlechtliche Identität in mehreren Entscheidungen für gravierende Änderungen im sogenannten Transsexuellengesetz (TSG) gesorgt. Da liegt die Annahme nahe, dass diese verfassungsrechtliche Erwägung auch intergeschlechtlichen Personen zu einem Recht auf identitäre Anerkennung verhelfen müsse. Das sieht der BGH anders: In concreto handele es sich um einen mit der Rechtsprechung zum Transsexuellengesetz nicht vergleichbaren Anspruch. Die Eintragung von „inter“ oder „divers“ würde nämlich die Schaffung einer weiteren Geschlechtskategorie bedeuten, wodurch „staatliche Ordnungsinteressen“ in weitaus erheblicherem Umfang betroffen wären.

Diese Feststellung stimmt insoweit, als dass die Schaffung einer dritten Geschlechtskategorie die bestehende Rechtslage im Abstammungs- und Eherecht, die von einer binären Geschlechtsordnung ausgeht, hinfällig machen würde. Damit eröffnet der Senat den Blick auf einen viel größeren Kontext: den der Verfassungsmäßigkeit der binären Geschlechterordnung im deutschen Recht. Hauptargument des BGHs ist also, dass an die Neuregelung in § 22 Abs. 3 PStG keinerlei materielle-rechtliche Rechtsfolgen im Familienrecht geknüpft sind: Vielmehr sei die Regelung nur von deklaratorischer Natur.

Verletzung durch deklaratorische Normen?

Damit verkennt der BGH, welche Relevanz eine bloß „deklaratorische“ Regelung haben kann. Sicherlich, für Menschen, die dem binären Geschlechtersystem entsprechen, ist dies nicht immer sichtbar. Dabei ist evident, dass ein Eintrag im Personenstandsregister eine ganz spezifische Nähe zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht aufweist. Bei Personen, die nicht in die geschlechtlich vermeintlich binäre Welt passen, wird die Identität häufig in Frage gestellt. Sei es beim Bezahlen mit EC-Karte, beim Schwimmbadbesuch, bei der Toilettennutzung, auf Reisen oder im Sportunterricht: Die “nicht Passenden” werden aufgefordert, Identität, Geschlecht und Zugehörigkeit nachzuweisen. Nicht über ein Personaldokument zu verfügen, das die eigene Identität als existierende dokumentiert und damit gegenüber dritten als relevant markiert, führt dazu, dass Menschen, die nicht in das Zwei-Geschlechter-System passen, in Ermangelung eines solche Papiers Situationen meiden, in denen ihr Geschlecht eine Rolle spielen könnte. Die Folge ist eine erhebliche Erschwerung der Partizipation am öffentlichen Leben.

Strategisch sinnvoll ist es daher, die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Das hat nämlich schon mehrfach Verständnis für Personen außerhalb der Normgesellschaft bewiesen und gleichzeitig staatliche Ordnungsinteressen ins Verhältnis zum individuellen Rechtssubjekt gesetzt.

Warten auf das Verfassungsgericht

Hier letztlich könnte gerade die erste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu Transsexualität eine sinnvolle Parallele bieten. Wie in späteren Entscheidungen zum Transsexuellengesetz machte das Bundesverfassungsgericht schon 1978 deutlich: Erwartungen an Geschlecht sind durchaus wandelbar – ebenso wie Geschlecht selbst. Besonders allerdings war: Es gab noch keinen vom Gesetzgeber beschlossenen Anspruch auf Änderung des rechtlichen Geschlechts. Und durch diese nichtvorhandene Regelung wurde die gesamte Gesetzeslage, die eine rechtliche Änderung des Geschlechtseintrages verhinderte, verfassungswidrig. In Bezug auf Intergeschlechtlichkeit bleibt zu hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht ähnlich wie in seinen Urteilen zu Transgeschlechtlichkeit bereit ist mit geschlechtlichen Erwartungen aus dem Familien- und Personenstandsrecht zu brechen. Am 2. September wird Vanja mit Unterstützung der Kampagne „Dritte Option“ Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht einlegen.


One Comment

  1. Peter Camenzind Wed 10 Aug 2016 at 23:56 - Reply

    Eine unterbleibene Geschlechtsangabe im Personenstandsregister ist nur bei zwischengeschlechtlicher Identiät möglich. Damit kann dies faktisch bereits deklaratorisch quasi einer dritten Kategorie gleichkommen. Manchen mag dies nicht genügen, dass nicht ausdrücklich eindeutig eine zwischengeschlechtliche Identität ausgewiesen ist. Dies obwohl doch tatsächlich mehr, nämlich eine Geschlechtsidentität dazwischen vorliegt. Es kann nur nicht ganz klar scheinen, inwiefern sich jemand mit einer zwischengeschlechtlichen Identität eher auf eine öffentliche Toilette trauen kann, wenn in dem Personenstandsregister eine zwischengeschlechtliche Identiät ausdrücklich vermerkt ist, statt nur einer unterbleibenen Eintragung etc. Bei zwischengeschlechtlicher Identität kann eine Benutzung einer öffentlichen Toilette gleichermaßen Schwierigkeiten begründen, unabhängig von ausdrücklichen oder unterlassenen Eintragungen im Personstandsregister. So etwa, wenn die benutzte geschlechtsspezifische unterschiedene Toilette einer Geschlechtsidentität vom rein äußerlichen Erscheinungsbild widerspricht.

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