Iren wollen Strafbarkeit der Blasphemie aus der Verfassung streichen
Laizisten dürfte die irische Verfassung wie der leibhaftige Böse erscheinen (kleiner Scherz). Sie ist zwar nicht mehr gar so erzkatholisch wie bei ihrer Verabschiedung 1937, aber immer noch mehr als genug: Ihre Präambel ruft auch im Jahr 2014 noch zu allererst die “heilige Dreifaltigkeit” an, und auch sonst wird, wer nach Zeugnissen der Frömmigkeit in diesem Dokument sucht, überreichlich fündig.
Dazu kann man auch Art. 40 § 6 I zählen:
The publication or utterance of blasphemous, seditious, or indecent matter is an offence which shall be punishable in accordance with law.
Diese Formulierung hat wenig praktische Bedeutung, außer dass sie den irischen Gesetzgeber zu sonderbaren Klimmzügen zwingt. Sie wird aber so oder so wohl nicht mehr lange zum europäischen Verfassungserbe zählen. In Irland läuft zurzeit, wie hier schon mehrfach erwähnt, ein partizipatives Verfahren zur Reform der Verfassung mit einem Bürgerkonvent, der Änderungen an der Verfassung vorschlägt. Der hat jetzt mit großer Mehrheit beschlossen, dass die Strafbarkeit der Blasphemie in der Verfassung nichts verloren hat.
I think it would be reasonable to say that this topic was not an issue that would have been foremost in most people’s minds,
schreibt der Vorsitzende des Konvents Tom Arnold mit in seinem Bericht.
Indeed, many would not have been aware that such a clause existed in the Constitution.
Aus den vielen Zuschriften, die der Konvent von den Irinnen und Iren empfangen habe, seien aber zwei Dinge klar geworden:
Firstly, there seemed to be an overwhelming support for the removal of the clause. And secondly, the issue is regarded (…) as part of a much wider debate, including the role of God and religion in the Constitution and the separation of Church and State.
Mit einer Mehrheit von 61% entschied sich der Konvent, die Streichung der Blasphemie-Klausel aus der Verfassung zu streichen – aber in der Frage, ob an deren Stelle ein einfach-gesetzliches Verbot der Blasphemie treten solle, war das Meinungsbild ziemlich genau 50:50. Ganz klar (81%) war aber, dass das Verbot nicht die Form der gegenwärtigen Verfassungsklausel haben sollte, sondern “A new set of detailed legislative provisions to include incitement to religious hatred”.
Der Konvent hat sich dabei von Experten beraten lassen, darunter Neville Cox vom Trinity College Dublin. Er verweist darauf, dass die Strafbarkeit der Blasphemie seit der frühen Neuzeit im Gesetzesrecht und im Common Law nur wenig mit Gott zu tun hatte und um so mehr mit Hochverrat und Aufruhr gegen die anglikanische Staatskirche und damit gegen das Recht des Landes selbst.
Aber auch ein Blasphemie-Gesetz im eigentlichen Sinne, also als Verbrechen gegen Gott, sei nicht so ungewöhnlich wie es scheint, so Cox – und nennt als Beispiel das deutsche Verbot, den Holocaust zu leugnen:
… it is worth making the point that many societies have ‘magic words’ of this kind and prohibit their utterance because the speaking of such words, for whatever reason, is deemed by that society to be profoundly immoral and consequently profoundly offensive. Examples would include holocaust denial in Germany and, arguably, certain laws against hate speech with would prohibit the utterance of the so called ‘N’ word which is so powerful that people don’t even like to have it come out of their mouths.
Da bin ich gespannt, ob der EGMR einverstanden ist – wenn der den Strafprozess vom Opfer her denkt…