12 October 2010

Jobverlust mit 65 geht alterdiskriminatorisch in Ordnung

Am 65. Geburtstag verliert man seinen Job. Der Arbeitsvertrag endet automatisch. Denn dann soll man in Rente gehen.

So steht es in vielen Tarifverträgen, und so ist das seit Menschengedenken in Deutschland üblich. Es hatte ja auch die längste Zeit niemand etwas dagegen. Wer geht schon gerne arbeiten, wenn man auch einen immerwährenden Urlaub mit schönem monatlichem Scheck der BfA genießen kann.

Für viele sieht die Welt indessen heute anders aus. Die Rente reicht nicht, man muss sowieso weiter arbeiten gehen. Aber den Job, den man hatte – den ist man, Tarifvertrag sei Dank, erst mal los.

Wenn das keine Altersdiskriminierung ist, was dann?

Frau Rosenbladt bekommt 228 Euro Rente

Die heutige Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), trotzdem in der Zulässigkeit solcher Tarifvertragsregelungen keinen Verstoß gegen das Europarecht zu erkennen, ist erst mal nicht weiter überraschend: Entsprechendes hatte der EuGH schon 2007 in Bezug auf Spanien und 2009 in Bezug auf Großbritannien festgestellt.

Geklagt hatte eine Putzfrau namens Gisela Rosenbladt (wie schon weiland Christel Schmidt wird ihr jetzt das Privileg zuteil, ihren Namen in Form eines EuGH-Urteils verewigt zu sehen). Sie putzte seit 1994 in einer Bundeswehrkaserne, wöchentlich zehn Stunden, zuletzt für etwas mehr als 300 Euro. Damit war 2008, als sie 65 wurde, Schluss.

Ihr Rentenanspruch: 228,26 Euro netto.

Die Zulässigkeit tarifvertraglicher Altersgrenzen dient arbeitsmarktpolitischen Zwecken: Sie soll dafür sorgen, dass Jüngere Zugang zum Arbeitsmarkt finden, damit sie sich selbst eine Altersversorgung aufbauen können und gleichzeitig die Rente der vorangegangenen Generation aus ihren Abgaben finanzieren.

Gut möglich, dass das Humbug ist. Warum es arbeitsmarktpolitisch richtig sein soll, Leuten ihren Job zu nehmen, nur weil sie einen bestimmten Geburtstag gefeiert haben, hat mir noch nie besonders eingeleuchtet. Als ob es so wäre, dass hinter jedem Alten ein Junger steht, der geduldig darauf wartet, seinen Arbeitsplatz einzunehmen. So war das vielleicht in der Kohlezeche in den 50er Jahren. Aber heute doch nicht mehr.

Was nicht heißt, dass ich das Urteil nicht trotzdem für richtig halte. Es zeugt von richterlicher Zurückhaltung, den sozial- und arbeitsmarktpolitischen Umbau der Politik zu überlassen. Das ist nie verkehrt.

Foto: Hrag Vartanian, Flickr Creative Commons


One Comment

  1. Jens Tue 12 Oct 2010 at 14:44 - Reply

    Wie sieht es bei einer Erhöhung des Rentenalters auf 67 aus? Das ist doch dann quasi ein Wegfall der Geschäftsgrundlage.

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