Karlsruhe bremst auch für Nazis
Wer nach dem Wunsiedel-Urteil geglaubt hatte, Nazis sei fürderhin in punkto Meinungsfreiheit kompletto der Stuhl vor die Tür gestellt, der sieht sich getäuscht.
Die 1. Kammer des Ersten Senats hat heute eine Bewährungsauflage gegen einen Nazi gekippt, die diesem für fünf Jahre untersagte, “rechtsextremistisches und nationalsozialistisches Gedankengut publizistisch zu verbreiten”.
Dieses Verbot verstoße gegen den Bestimmtheitsgrundsatz, weil kein Mensch sagen kann, wo rechts aufhört und rechtsextrem anfängt – genauer: weil diese Abgrenzung gerade durch geistige Auseinandersetzung geschehe, also durch Ausübung der Meinungsfreiheit, und nicht durch deren polizeiliche oder justizielle Einschränkung.
Aber nicht nur.
Das Verbot verstößt zum Zweiten nämlich auch gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz:
Unverhältnismäßig sind jedenfalls an Meinungsinhalte anknüpfende präventive Maßnahmen, die den Bürger für eine gewisse Zeit praktisch gänzlich aufgrund seiner gehegten politischen Überzeugungen von der – die freiheitlich demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierenden – Teilhabe an dem Prozess der öffentlichen Meinungsbildung ausschließen; dies kommt einer Aberkennung der Meinungsfreiheit selbst nahe, die nur unter den Bedingungen des Art. 18 GG zulässig ist.
Kein Sonderrecht gegen Nazi-Meinungen? Wirklich?
Überraschend daran ist, dass die Kammer mit keinem Wort auf die Überlegungen des Senats im Wunsiedel-Urteil zurückgreift, wonach im Fall des Nationalsozialismus auch ein gezieltes Gesetz zur Unterdrückung einer bestimmten Meinung mit Art. 5 GG vereinbar sein kann. Zitat:
Angesichts des sich allgemeinen Kategorien entziehenden Unrechts und des Schreckens, die die nationalsozialistische Herrschaft über Europa und weite Teile der Welt gebracht hat, und der als Gegenentwurf hierzu verstandenen Entstehung der Bundesrepublik Deutschland ist Art. 5 Abs. 1 und 2 GG für Bestimmungen, die der propagandistischen Gutheißung des nationalsozialistischen Regimes in den Jahren zwischen 1933 und 1945 Grenzen setzen, eine Ausnahme vom Verbot des Sonderrechts für meinungsbezogene Gesetze immanent.
Gut, dort ging es um die Grundrechtsschranke “allgemeines Gesetz” und nicht um den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Ich bin auch einigermaßen sicher, dass das Ergebnis so oder so nicht anders ausgefallen wäre.
Aber komisch ist das schon. Da wäre doch ein Wort der Erklärung am Platze gewesen.
Oder wollten sich die drei Kammerherren von dem Senatsbeschluss (den sie doch mitgetragen hatten) distanzieren?
Ich sehe keinen Widerspruch zu Wunsiedel und auch keinen Bedarf für eine Klarstellung o.ä. Der Wunsiedel-Beschluss legitimiert gerade kein Sonderrecht gegen (heutige) Nazis, sondern nur ein Sonderrecht gegen bestimmte Äußerungen, die sich auf die (historische) nationalsozialistische Willkürherrschaft beziehen. Der Beschluss betont dementsprechend immer wieder den engen Anwendungsbereich der Bereichsausnahme von Art. 5 II GG und bekennt sich ausdrücklich zu der früheren versammlungsrechtlichen Rechtsprechung, die ein allgemeines Sonderrecht gegen Neonazis gerade ablehnte (Rn. 67 f. des Wunsiedel-Beschlusses). Es ging hier im Fall ja keineswegs darum, dem Beschwerdeführer lediglich die Glorifizierung gerade der historischen nationalsozialistischen Willkürherrschaft zu untersagen, sondern ihm wurde für politische Äußerungen weitgehend ein Maulkorb verpasst. Auch “nationalsozialistisches Gedankengut” kann durch Stellungnahmen zum heutigen Zeitgeschehen artikuliert werden.
Im Grunde bin ich auch ein Anhänger einer weiten Auslegung der Meinungsfreiheit. Diese Entscheidung geht jedoch insofern an der Realität vorbei, als genau das im Wunsiedel-Beschluss genannte Bürgerengagement als Gegenmittel gegen die Rechtsextremen zu schwach ausgeprägt ist (vor allem in ländlichen Regionen Ostdeutschlands) und oftmals von Politik, Verwaltung und Justiz diesem Engagement Steine in den Weg gelegt werden. Der neue Beschluss wäre glaubwürdiger, wenn die Justiz (hier meine ich allerdings vorwiegend die Verwaltungsgerichte) nicht oft genug die Meinungsfreiheit der gegen Nazis Protestierenden einschränken würde.
Zudem müsste allmählich klar werden, dass das Verbot der Verherrlichung der Nazi-Verbrechen leer läuft: Die Neonazis finden ohne Probleme Wege, ohne direkten Bezug auf die Altnazis ihre Ideologie zu verbreiten. Diese “Waffe” wird also zunehmend stumpf.
Es ist zu hoffen, dass das OLG dem Nazi sehr genau auf die Finger schaut und bei erneutem Verstoß gegen den Volksverhetzungsparagraphen entsprechende Entscheidungen trifft. Es hat den Anschein, als ob hier ein unverbesserlicher Überzeuglungstäter am Werk ist.
Es tritt ein grundsätzliches Problem auf wenn der Gesetzgeber versucht eine Ideologie und deren positive Darstellung zu verbieten. In einer Demokratie, wo Meinungsfreiheit ein hohes Gut ist treten in einem solchen Fall zwangsweise immer wieder Situationen auf, die schwierig einzuordnen sind. Eine bessere Lösung als die aktuelle Praxis um Nazi-Verherrlichungen zu unterbinden weiß ich jedoch auch nicht.
[…] hat: Wer rechts oder sogar rechtsradikal ist, ist deshalb noch lange nicht draußen. Dessen Meinungs-, dessen Versammlungsfreiheit ist von Polizei und Justiz zu schützen wie die jedes anderen […]