12 October 2010

Karlsruhe gegen Komasaufen

Jugendliche mit Alkoholvergiftung sind eine üble Sache, und ein großes Boulevard-Thema obendrein, und das ist wohl der Grund, warum es dem Bundesverfassungsgericht jetzt schon zum zweiten Mal in diesem Jahr eine Pressemitteilung wert ist, dass das baden-württembergische Verbot des nächtlichen Alkoholverkaufs nicht verfassungswidrig ist.

In Baden-Württemberg darf von 22 bis 5 Uhr in Läden kein Alkohol verkauft werden. Im Juli war der Kläger ein trinkfester Kunde, der seine allgemeine Handlungsfreiheit durch das Verbot beschnitten sah. Jetzt geht es um die Berufsfreiheit einer Tankstellenpächterin. Die hat auch kein Glück, aber zur Begründung des Nichtannahmebeschlusses holt die 2. Kammer des Ersten Senats diesmal etwas weiter aus.

Gibt es überhaupt eine Kompetenzgrundlage für das Land, ein solches Verbot zu erlassen? Ist es nicht nach Art. 74 I Nr. 20 GG Sache des Bundes, die mit dem Verkauf von Lebensmitteln verbundenen Gefahren zu steuern? Nein, schreibt die Kammer mit der für mich etwas überraschenden Begründung, damit sei nur die Regelung des “bestimmungsmäßigen Gebrauchs” eines Lebensmittels gemeint, nicht des Missbrauchs. Worin liegt der “bestimmungsgemäße Gebrauch” einer Flasche Korn? Das führt die Kammer nicht näher aus.

Ist auch egal, wichtiger ist die Frage, ob das Verbot die Berufsfreiheit der Ladenbesitzer unverhältnismäßig beschränkt. Die Kammer kann keine Überschreitung des Einschätzungsspielraums der Landesregierung erkennen und verweist auf die “naheliegende” Annahme,

dass die Entscheidung zum Erwerb weiterer Alkoholika gerade bei jungen Menschen oftmals erst nach bereits begonnenem Konsum spontan sowie stimmungs- und bedürfnisorientiert erfolgt und daher durch eine Begrenzung der zeitlichen Verfügbarkeit auch die Entstehung von Szenetreffs und der vermehrte Alkoholkonsum an solchen Orten eingedämmt werden können.

Szenetreffs, ogottogott. Das klingt ziemlich tantenhaft, ebenso die Begründung, warum es kein Argument sein soll, dass die besagten jungen Menschen dann woanders hinziehen, um sich zu besaufen: Dort seien dann genügend Ordnungskräfte und soziale Kontrolle vorhanden, dass sich alle schön zusammenreißen.

Andererseits hätte ich auch keine Lust, dass sich vor meinem Schlafzimmerfenster jeden Samstag Abend 2000 Jugendliche volllaufen lassen.

Aber ob solche Verkaufsverbote irgendetwas bringen außer einem Tätigkeitsnachweis wahlkämpfender Politiker, scheint mir doch zweifelhaft. Kein Land hat mehr Erfahrung mit Ausschankbeschränkungen wie Großbritannien, und doch wurde dort das Wort “binge drinking” erfunden. Und als ich Anfang der 90er in Spanien war, war es üblich, mit zu Hause selbst zusammengeschüttetem Fuselzeug in 2-Liter-Flaschen auf die Plaza Mayor zu ziehen. Daran würde auch das markigste Verkaufsverbot nichts ändern.

Foto: Hannes Rikl (duke.roul), Flickr Creative Commons


5 Comments

  1. Johannes Lemken Tue 12 Oct 2010 at 13:01 - Reply

    *** Zitat ***
    Ist es nicht nach Art. 74 I Nr. 20 GG Sache des Bundes, die mit dem Verkauf von Lebensmitteln verbundenen Gefahren zu steuern? Nein, schreibt die Kammer mit der für mich etwas überraschenden Begründung, damit sei nur die Regelung des “bestimmungsmäßigen Gebrauchs” eines Lebensmittels gemeint, nicht des Missbrauchs.
    *** Zitat ***

    Diese Passage halte ich für jedenfalls missverständlich.
    Das Bundesverfassungsgericht sagt gerade nicht, dass Art. 74 I Nr. 20 GG nur eine Gesetzgebungskompetenz für den “bestimmungsmäßigen Gebrauch” eines Lebensmittel enthält. Vielmehr führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass der Bundesgesetzgeber von der Gesetzgebungskompetenz des Art. 74 I Nr. 20 GG nur soweit Gebrauch gemacht hat, wie er es musste um den “bestimmungsmäßigen Gebrauch” eines Lebensmittel zu regeln. Es impliziert damit, dass Art. 74 I Nr. 20 GG die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz gerade auch für den “nicht bestimmungsmäßigen Gebrauch” eröffnet.

    Zur Entscheidung selber möchte ich anmerken, dass mir das Aufgreifen von Angaben des Drogen- und Suchtberichts 2009 in Randnummer 17 Bauchschmerzen bereitet. Der Drogen- und Suchtbericht der Bundesregierung leidet nämlich daran, dass viele seiner Aussagen mangelnde Quellennachweise haben und viele Definitionen schwammig bleiben. Zwar sind die vom Bundesverfassungsgericht übernommenen Aussagen im Kern zutreffend, aber ich würde mir doch eine etwas intensivere Auseinandersetzung mit Datenmaterial wünschen, wenn Statistiken als “Beweis” für die Notwendigkeit von Eingriffsgestzen angeführt werden. Insbesondere da es mit dem DHS-Factsheet Binge Drinking eine wesentlich bessere aufgearbeitete und mit Quellenangaben versehene Übersicht gibt. So findet man im Factsheet – anders als im Drogen- und Suchtbericht 2009 – eine brauchbare Definition des Begrifs “binge drinking”, beziehungsweise die verschiedenen verwendeten Definitionen.

  2. cumIUS Tue 12 Oct 2010 at 13:30 - Reply

    Alkoholverbot bei Nacht verfassungsgemäß II…

    Bereits im Juni wies das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde eines Kunden gegen das Alkoholverkaufsverbot zwischen 22 bis 5 Uhr ab. Nun versuchte der Pächter einer Tankstelle mit angeschlossenem Shop den §3a des Gesetzes über die Ladenöf…

  3. Tourix Tue 12 Oct 2010 at 13:34 - Reply

    In Norwegen hatte man auch mal ein großes Alkoholproblem.
    Daher erhöhte man ganz massiv die Steuern auf alkoholische Getränke und diese durften zudem nur in lizensierten Läden verkauft werden.
    Das sogenannten “Leichtbier” mit wenig Alkohol durfte auch im Supermarkt verkauft werden, alles andere durfte nur in besondere Läden, die deutlich besser geschützt waren als Banken, verkauft werden.
    Inzwischen ist man dabei, nach und nach dabei diese strengen Regeln zu lockern.

  4. Mausflaus Tue 12 Oct 2010 at 17:38 - Reply

    man könnte auch den Konsum überall verbieten und “Alkoholzonen” einführen; gekennzeichnet durch lustige gelbe rechtecke auf dem boden und in der mitte steht ein glascontainer…

    ich glaube nicht dass das nachtverkaufsverbot wirklich was bringt – es verlagert das problem nurvon der straße/tanke in die kneipen/bars. vor 10 wird sich warmgesoffen und danach gehts ab zur party.

  5. Larsv Tue 12 Oct 2010 at 21:12 - Reply

    ” Die Kammer kann keine Überschreitung des Einschätzungsspielraums der Landesregierung erkennen und verweist auf die “naheliegende” Annahme,

    dass die Entscheidung zum Erwerb weiterer Alkoholika gerade bei jungen Menschen oftmals erst nach bereits begonnenem Konsum spontan sowie stimmungs- und bedürfnisorientiert erfolgt und daher durch eine Begrenzung der zeitlichen Verfügbarkeit auch die Entstehung von Szenetreffs und der vermehrte Alkoholkonsum an solchen Orten eingedämmt werden können.”

    eine brilliante fachliche umschreibung für: erst nach ein wenig getrinke fällt die entscheidung für ein ordentliches saufgelage.

    die regelung wird sicher ein wenig schikane verursachen, aber nicht die entscheidung junger menschen generell beeinflussen, ob sie “feiern gehen” wollen oder nicht.

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