Kein Anspruch auf Sendezeit
Warum die Rundfunkfreiheit kein Einlassticket für rechte Parteien ist
Prozessieren ohne Ende: Regelrecht überschüttet wird die deutsche Justiz von Klagen der AfD. Geklagt wird gegen alles, was sich gegen sie wendet: Äußerungen, sie sei „staatszersetzend“; die Kritik der Kanzlerin an der Wahl Kemmerichs in Thüringen als „unverzeihlich“; die Nichterwähnung der der AfD nahestehenden Erasmus-Stiftung auf einer Infoseite des BMI; die Einstufung als Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz – immergleich der Klagereflex der AfD, die in allen Fällen ihr Recht auf die Chancengleichheit der Parteien verletzt sieht.
Man muss daher nicht im Besitz einer Glaskugel sein, um es kommen zu sehen: Die Frage ist nicht, ob diese Partei im Bundestagswahlkampf 2021 ihre Klagestrategien so weiterführen und gegen vermeintliche Verletzungen ihrer Chancengleichheit gerichtlich vorgehen wird. Offen ist allein: Welche Ereignisse wird sie auswählen, welche Foren wird sie adressieren, welche rechtlichen Formen wird sie nutzen, um sich als vermeintliches Opfer des Politik-Establishments zu gerieren?
Rundfunkfreiheit: Chancengleichheit für Extremist*innen?
Gewiss dürfte auch sein: Ein Bereich, in dem die AfD sich mit Klagegründen im Wahlkampf munitionieren wird, ist die Rundfunkfreiheit. „Wir überlegen gerade, ob wir uns in die Talkshows einklagen“, hatte Parteichef Meuthen bereits 2017 für die Abendunterhaltung formuliert. Aber auch an die TV-Duelle und andere Formate ist zu denken.
Die Unsicherheit gerade im von der AfD grundsätzlich infrage gestellten öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist jedenfalls groß: Müssen ARD und ZDF die Partei bei Wahlsendungen gleichberechtigt zu den anderen Parteien berücksichtigen? Begründet der Grundsatz der Vielfaltsicherung ein Recht auf repräsentative Teilnahme in Talkshows oder anderen Formaten? Muss die AfD im Gesamtprogramm „angemessen zu Wort kommen“ (BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 25. März 2014 – 1 BvF 1/11, Rn. 40), weil sie im Bundestag und in vielen Landtagen die zahlenmäßig größte Oppositionspartei ist? Und wenn ja, was heißt „angemessen“? Was sind die Grenzen der Ausgewogenheit? Gilt der Grundsatz der wehrhaften oder streitbaren Demokratie auch für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Und wie verhält es sich mit der Programmautonomie der Rundfunkanstalten?
Für Redaktionen und Programmverantwortliche im öffentlich-rechtlichen Rundfunk stellt sich diese Frage immer wieder aufs Neue: Gibt es eine Pflicht zum Proporz für die in den Parlamenten vertretenen Parteien, die sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum GG, dem Parteiengesetz, dem Rundfunkstaatsvertrag oder den Landesrundfunkgesetzen zwingend ergibt? Und gilt diese Pflicht auch für rechtsradikale Parteien und deren Vertreter*innen?
In Politik und Medien wurde darüber in den letzten Jahren immer wieder kontrovers diskutiert. Was daran erstaunt: Der rechtliche Rahmen spielte, auch wenn es zahlreiche Gerichtsentscheidungen zu diesen Fragen gibt, in den Debatten oft eine untergeordnete Rolle. Die Diskussion erschöpft sich regelmäßig in Verweisen auf die Pflicht zur Meinungsvielfalt und einen angeblichen Gleichbehandlungsgrundsatz, der allen Parteien – auch der AfD – einen Anspruch zubillige, im Programm angemessen zu Wort zu kommen; eine Argumentation, die dem Wesen der Rundfunkfreiheit, ihren historischen Wurzeln und ihrer Funktion im Gesamtgefüge der verfassungsrechtlichen Werteordnung nicht gerecht wird.
Grundrechtsbindung und -berechtigung des Rundfunks
Ja, die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten unterliegen der Grundrechtsbindung, müssen also die Chancengleichheit im politischen Wettbewerb achten. Auch sind ihre redaktionellen Entscheidungen daran zu messen, ob Art. 21 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG gewahrt sind, ob also die Chancengleichheit der politischen Parteien im Vorfeld einer Wahl verletzt worden ist. Doch diese Verpflichtung auf die Chancengleichheit ist nicht schrankenlos. Der verfassungsrechtliche Grund: Aus der Rundfunk- und Pressefreiheit folgt die Freiheit, das Programm nach eigenen Präferenzen zu gestalten. Das Grundrecht des Art. 5 Abs. 2 GG schützt öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten in ihrer staatsfernen, journalistischen Freiheit.
Mit anderen Worten: Für redaktionelle Sendeformate des öffentlich-rechtlichen Rundfunks greifen formalegalitäre Bindungen staatlichen Handelns, die die Zugangsmöglichkeiten der Parteien an staatliche Leistungen allein an die formale Parteieigenschaft und ihre Stärke binden, nicht unmittelbar. Rundfunkgestaltung folgt anderen Regeln als die Vermietung einer kommunal betriebenen Halle für Parteiveranstaltungen.
Daher gilt auch § 5 Abs. 1 Satz 2 PartG, der ein Mindestmaß an gewährten Leistungen auch im Rundfunk garantiert, in dem die Möglichkeiten der kleineren Parteien im Vergleich mit den bedeutenden Parteien nicht „untergehen“ dürfen, gerade nicht für redaktionell konzipierte Sendungen. Diskussionen, Wahlhearings, TV-Duelle und Talkrunden unterliegen der Bindung an § 5 Abs. 1 Satz 2 PartG nicht. Wen die Redaktionen von Sandra Maischberger, Anne Will, Maybrit Illner oder Hart aber Fair zu einem Thema einladen, bestimmt sich nach anderen Maßstäben als die Frage, in welcher Frequenz die Wahlwerbespots einzelner Parteien im öffentlich-rechtlichen Rundfunk gesendet werden müssen. Denn, so formuliert es das OVG Münster, mit „solchen Sendungen, die den Schutz der Rundfunkfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG genießen, gewähren die Rundfunkanstalten keine Leistungen an Parteien, sondern verfolgen ein journalistisches Konzept zur Erfüllung der ihnen obliegenden Aufgabe, die Öffentlichkeit über die von einzelnen Parteien bzw. Kandidaten verfolgten Ziele und Programme oder auch über das persönliche Profil einzelner Kandidaten zu unterrichten“ (OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15.08.2002 – 8 B 1444/02, Rn. 33).
Angemessene Vielfalt
Wenn nicht formalistische Arithmetik, was aber dann sind die Kriterien für die Rundfunkpräsenz der Parteien? In seinen Urteilen zur Vielfaltsicherung im öffentlich-rechtlichen Rundfunk sucht das Bundesverfassungsgericht einen weiten Rahmen für alle relevanten gesellschaftlichen Gruppierungen in Aufsichtsgremien und im Gesamtprogramm zu garantieren. Wörtlich heißt es:
„Die Aufsichtsgremien sind vielmehr Sachwalter des Interesses der Allgemeinheit. Sie sollen die für die Programmgestaltung maßgeblichen Personen und Gremien darauf kontrollieren, dass alle bedeutsamen politischen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen Kräfte, deren Vielfalt durch ein gruppenplural zusammengesetztes Gremium auch bei ausgewogener Besetzung nie vollständig oder repräsentativ abgebildet werden kann, im Gesamtprogramm angemessen zu Wort kommen können“ (BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 25. März 2014 – 1 BvF 1/11, Rn. 40).
Die Frage lautet dann aber: Wo setzt das Bundesverfassungsgericht die Grenzen der Vielfalt? Bei präziser Betrachtung fallen zwei Einschränkungen ins Auge. Das Urteil aus 2014 stellt erstens klar, dass eine vollständige oder repräsentative Abbildung aller relevanten „Kräfte“ in den Aufsichtsgremien nicht verpflichtend sein kann. Damit überlässt es dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum, ob und in welchem Ausmaß alle in den Parlamenten vertretenen Parteien ein Vertretungsrecht in den Gremien beanspruchen können und ob deren Vertreter*innen als „Sachwalter des Interesses der Allgemeinheit“ anzusehen sind. Auch wenn sich diese Einschränkung nicht direkt aufs Programm bezieht, so dürfte sie doch im Grundsatz auch hier gelten. Dies erschließt sich schon aus der Einschränkung, wonach zweitens nur „bedeutsame“ Kräfte im Gesamtprogramm zu Wort kommen können, wobei der Repräsentationszusammenhang unter dem Vorbehalt steht, dass dies „angemessen“ geschieht.
Das Bundesverfassungsgericht wählt daher keinen rein quantitativen Zugang. Nicht allein vergangene Ergebnisse oder zukünftige Wahlchancen bestimmen die Präsenzrechte. Vielmehr zieht das Gericht inhaltliche Bindungen ein: (1) als „Sachwaltende des Allgemeininteresses“ müssen (2) „bedeutsame“ Kräfte „angemessen“ repräsentiert sein. Der Hintergrund für diese substantiellen Voraussetzungen ergibt sich schon aus dem Wesen der Rundfunkfreiheit und seiner historischen Begründung, wonach der öffentlich-rechtliche Rundfunk als unabhängiges Bollwerk gegen alle Versuchungen etabliert wurde, in den staatlichen Totalitarismus der NS-Zeit zurückzugleiten. Nie wieder Rundfunk als Propagandaapparat eines Reichspropagandaministers!
Die Rundfunkfreiheit wird so gemeinsam mit der Pressefreiheit, der Freiheit der Meinungsäußerung, der Versammlungsfreiheit sowie der Informationsfreiheit schlechthin konstituierend für die freiheitliche demokratische Grundordnung. Und – gerade vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der NS-Diktatur – wird zum Gradmesser der Freiheit der Berichterstattung die Frage der Sicherung des Pluralismus des Rundfunks, seine Möglichkeiten der Abbildung vielfältiger „Informationen, Erfahrungen, Werthaltungen und Verhaltensmuster“ (BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 11. September 2007, 2270/05, Rn. 117).
Keine rein arithmetische Betrachtungsweise
Im Hinblick auf diese „angemessene“ Abbildung „bedeutsamer“ gesellschaftlicher Kräfte setzt das Bundesverfassungsgericht auf die Programmautonomie der Sender. So hat das Gericht in seinem Nichtannahmebeschluss zu der gegen die oben genannte Entscheidung des OVG Münster erhobenen Verfassungsbeschwerde betont, dass dann, wenn die jeweiligen Sendeformate „auf einem schlüssigen und folgerichtig umgesetzten journalistischen Konzept, das unter dem Schutz von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG steht“, beruhen, eine Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit ausscheidet: vorausgesetzt, dass die Parteien „in der Gesamtheit der wahlbezogenen Sendungen von ARD und ZDF ihrer Bedeutung gemäß berücksichtigt worden“ sind (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 30. August 2002 – 2 BvR 1332/02 -, Rn. 7).
Über dieses Gesamtkonzept der wahlbezogenen Sendungen und die Bewertung der Frage, ob die Parteien ihrer „Bedeutung gemäß“ Beachtung finden, entscheiden die Sender im Rahmen ihrer Programmautonomie. Im verfassungsrechtlichen Zugriff verknüpft das Bundesverfassungsgericht über das Prinzip der abgestuften Chancengleichheit die Präsenzansprüche im Rundfunk mit der Frage der programmautonomen Einschätzung zur gesamtgesellschaftlichen Bedeutung der Parteien.
Nicht anders handhaben das die Landesverfassungsgerichte. Auch sie praktizieren keinen rein auf formalen Gleichheitserwägungen beruhenden Anspruch einzelner Parteien auf Rundfunkpräsenz. So lehnte der Verfassungsgerichtshof des Saarlandes einen Antrag der NPD im Saarland auf Teilnahme an einer „Elefantenrunde“ (Verfassungsgerichtshof des Saarlandes, Lv 3-17, Urteil vom 16. März 2017) unter Hinweis darauf ab, dass die „öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt ein konsistentes und kohärentes Konzept“ verfolgt habe. Und der Bremer Staatsgerichtshof formuliert zu einer entsprechenden Chancengleichheitsrüge der DVU in Bremen unmissverständlich, dass „aufgrund des Prinzips der abgestuften Chancengleichheit […] ein Spielraum für redaktionelle Gestaltungsmöglichkeiten“ bleibt; „auch während des Wahlkampfs ist die Rundfunkfreiheit nicht aufgehoben, sondern nur modifiziert“ (Staatsgerichtshof der Freien Hansestadt Bremen, Urteil vom 23.12.1996 – St 5/96).
Allein die formale Begründung, dass die AfD im Bundestag und einigen Landtagen die zahlenmäßig größte Oppositionsfraktion stellt, wird damit keinesfalls ausreichen, um daraus einen verfassungsrechtlich begründeten Rechtsanspruch abzuleiten, regelmäßig im Programm zu Wort zu kommen oder nach Proporzregeln in Gremien oder Talkshows vertreten zu sein.
Extremist*innen sind keine Sachwalter des Allgemeininteresses
Die Rundfunkfreiheit als gegen einen „rassistischen, militaristischen, antisemitischen, antidemokratischen Propagandarundfunk“ gerichtete Freiheit verlangt aber nicht nur prozedurale Maßnahmen zur angemessenen Vielfaltsicherung. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes bindet die Rundfunkfreiheit und den chancengleichen Zugang zu ihren Einrichtungen vielmehr auch an inhaltliche Voraussetzungen: Präsenzansprüche können nur von „Sachwaltenden des Allgemeininteresses“ erhoben werden. Die vom Bundesverfassungsgericht beschworene Vielfältigkeit von „Informationen, Erfahrungen, Werthaltungen und Verhaltensmuster“ (BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 11. September 2007, 2270/05, Rn. 117) steht daher unter Kollektivvorbehalt.
Konkretisierungen dieses Vorbehalts finden sich auf Ebene der Landesmediengesetze. So wird in § 5 des WDR-Gesetzes der Vielfaltsicherung zwar eine ebenso große Bedeutung zugemessen wie in den Rundfunkurteilen des Bundesverfassungsgerichts, gleichzeitig werden ihr aber auch hier klare Grenzen gesetzt. Demnach gehört es zu den Programmgrundsätzen des WDR, die „demokratischen Freiheiten“ zu „verteidigen“. Ähnliche Formulierungen finden sich in Art. 4 Abs. 2 Ziff. 11 des Bayerischen Rundfunkgesetzes, wonach die „in der Verfassung festgelegten Grundrechte und Grundpflichten“ als „Leitlinien der Programmgestaltung“ gelten und „Sendungen verboten“ sind, „die Vorurteile gegen Einzelne oder Gruppen wegen ihrer Rasse, ihres Volkstums, ihrer Religion oder Weltanschauung verursachen oder zu deren Herabsetzung Anlass geben können.“ Und § 7 Abs. 2 des NDR-Staatsvertrages verpflichtet den Sender darauf, „in seinen Programmen die Würde des Menschen zu achten und zu schützen. Er soll dazu beitragen, die Achtung vor Leben, Freiheit und körperlicher Unversehrtheit, vor Glauben und Meinung anderer zu stärken, und sich für die Erhaltung von Natur und Umwelt einzusetzen.“ Diese Regelungen der Rundfunkgesetze geben den in § 41 Abs. 1 des Rundfunkstaatsvertrages festgelegten Programmgrundsätzen Ausdruck, wonach der öffentlich-rechtliche Rundfunk „die Würde des Menschen sowie die sittlichen, religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen anderer zu achten“ und „auf ein diskriminierungsfreies Miteinander“ hinzuwirken habe.
Antifaschistische Rundfunkverfassung
Diese Normbestände konkretisieren zugleich den verfassungsrechtlichen Auftrag zur Wahrung der Menschenwürde und des demokratischen Prozesses und formulieren damit eine Wahrnehmungsvoraussetzung für den Gleichheitsanspruch von Parteien auf Rundfunkpräsenz: Nur Parteien, die Sachwaltende der hier genannten Allgemeininteressen sind, können überhaupt in den Genuss von Präsenzansprüchen kommen.
Nicht jede Abweichung vom Common Sense rechtfertigt es hierbei, Präsenzansprüchen im Rundfunk unter Hinweis auf die Programmautonomie entgegenzutreten. Erst wenn gegen Fundamentalsätze des Grundgesetzes verstoßen wird, scheidet die Allgemeininteressen verpflichtete Sachwaltung aus. Das ist der Fall, wenn eine Partei sich gegen die Menschenwürde und das Demokratieprinzips, aber auch gegen die Friedensverpflichtung des Grundgesetzes (Art. 26 GG) stellt.
Das Grundgesetz hat als post- und antifaschistische Verfassung die grundlegende Entscheidung getroffen, dass das Allgemeinwohl zuvörderst die Achtung der Menschenwürde und der Konstitutionsbedingungen der Demokratie erfordert. Das ist unter dem Grundgesetz nicht politisch verhandelbar. Wer sich gegen diese Grundsätze stellt, handelt verfassungsfeindlich.
Welche Normen so schwer wiegen, dass sie die Verfassungsfeindlichkeit indizieren und auch die Parteien nach Art. 21 GG in ihrer Tätigkeit verpflichten, hat das Bundesverfassungsgericht im Zweiten NPD-Urteil mit der Akzentuierung des antifaschistischen Grundtenors des Grundgesetzes herausgearbeitet. Gerade die Wesensverwandtschaft einer Partei mit dem Nationalsozialismus stelle ein Indiz dafür dar, dass diese Partei gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Ziele verfolge. Denn die „zentralen Prinzipien des Nationalsozialismus (Führerprinzip, ethnischer Volksbegriff, Rassismus, Antisemitismus) [verstoßen] gegen die Menschenwürde und verletzen zugleich das Gebot gleichberechtigter Teilhabe aller Bürger am politischen Willensbildungsprozess sowie – aufgrund des Führerprinzips – den Grundsatz der Volkssouveränität“ (BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13, Rn. 598).
Rechtsextreme Gruppierungen oder Parteien, die wie die AfD einen homogenen völkischen Nationalismus vertreten und wesentlichen Grundrechten wie der Meinungs- und Rundfunkfreiheit, dem Diskriminierungsverbot oder der Religionsfreiheit – also insgesamt der Menschenwürde – offen feindlich gegenüberstehen, die Krieg als legitimes Mittel der Politik einschätzen, dürften demgemäß kaum als Sachwalter*innen des Allgemeininteresses oder „bedeutsam“ im Sinne einer Meinungsvielfalt anzusehen sein, die von ihnen selbst bekämpft wird. Und selbst wenn einzelne Vertreter*innen der Partei öffentlich als „bürgerlich“ oder „konservativ“ auftreten mögen, so dürfte doch die Gesamtbetrachtung der Partei mit ihren zahlreichen rechtsextremistischen Gliederungen schwerer ins Gewicht fallen als die offensichtlich wohlkalkulierte Strategie einer so bezeichneten „Selbstverharmlosung“, die die verfassungsfeindlichen Ziele der AfD nur zu kaschieren versucht (siehe ARD-Magazin MONITOR vom 19.09.2019).
Programmautonomie der Sender
Wo ein Rechtsanspruch auf Programmpräsenz aus dem Grundsatz der Vielfaltsicherung und Chancengleichheit für die AfD also nicht begründet werden kann, bleibt es der Programmautonomie der Sender und der Redaktionen überlassen, wie sie mit den Vertreter*innen der AfD im Programm umgehen wollen. Diesen Grundsatz hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung aus dem Jahr 2007 deutlich hervorgehoben. Demnach steht „die Entscheidung über die zur Erfüllung des Funktionsauftrags als nötig angesehenen Inhalte und Formen des Programms […] den Rundfunkanstalten zu“ (BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 11. September 2007, 2270/05, Rn. 124).
Die inhaltlichen Grenzen dieser Programmautonomie sind in den bereits zitierten Programmgrundsätzen festgelegt. Die darin beschriebene Verfassungsorientierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks setzt auch hier die Grenze der Ausgewogenheit dort, wo Parteien das Wort überlassen wird, die die demokratischen Freiheiten attackieren oder rassistische Vorurteile verbreiten.
So klar der Rundfunkstaatsvertrag und die Rundfunkgesetze die Grenzen formulieren, so verunsichert scheinen viele Programmverantwortliche mit der AfD im Programm umzugehen. Dabei geht es hier nicht darum, die Partei totzuschweigen oder sich nicht mit ihr auseinanderzusetzen. Einem kritischen Umgang mit der AfD steht nichts im Wege – im Gegenteil: Er ist angesichts der offenkundigen Gefahr, die diese Partei für das demokratische Gemeinwesen darstellt, sogar dringend geboten.
Den Versuchen von Vertreter*innen der Partei, deren völkisch-nationalistische und zutiefst rassistische Ideologie in die Mitte der Gesellschaft zu tragen, darf sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk jedoch nicht zur Verfügung stellen. Dafür hat er gute verfassungsrechtliche Argumente – und hoffentlich auch das nötige journalistische Selbstbewusstsein, um den Feinden von Freiheit und Demokratie entschlossen entgegen zu treten.
„… greifen formalegalitäre Bindungen staatlichen Handelns, die die Zugangsmöglichkeiten der Parteien an staatliche Leistungen allein an die formale Parteieigenschaft und ihre Stärke binden, nicht unmittelbar.“
„Wenn nicht formalistische Arithmetik, was aber dann sind die Kriterien für die Rundfunkpräsenz der Parteien?“
„Nicht anders handhaben das die Landesverfassungsgerichte. Auch sie praktizieren keinen rein auf formalen Gleichheitserwägungen beruhenden Anspruch einzelner Parteien auf Rundfunkpräsenz.“
„Allein die formale Begründung, dass die AfD im Bundestag und einigen Landtagen die zahlenmäßig größte Oppositionsfraktion stellt, wird damit keinesfalls ausreichen …“
Die Autoren des Beitrags scheinen es mit dem Formalen nicht zu haben.
„Das Grundrecht des Art. 5 Abs. 2 GG schützt öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten in ihrer staatsfernen, journalistischen Freiheit.“
Das mit dem Grundrecht mag ja sein. Die Praxis am Bildschirm erlebe ich anders. Da wird im Fernsehinterview oder DLF-Interview bei AfD-Politikern nachgehakt und darauf insistiert, dass die Frage nicht beantwortet wurde. So stelle ich mir einen Interviewer vor. Andere Politiker kommen mit ihrem Geschwurbel bei Interviewfragen ohne Rückmeldung durch den Interviewer durch (da scheint es so etwas wie eine Beißhemmung bei den Interviewern zu geben). Das Interview von Frau Slomka mit Herrn Gabriel am 28. November 2013 im “heute-Journal” ist nur die Ausnahme, die die Regel betätigt (und da hat Frau Slomka sich ein Thema ausgesucht, bei dem sie meines Erachtens nicht punktete). Für die übrigen Interviews könnte man die früheren Kremlastrologen reaktivieren, die dem Publikum übersetzen, was der Politiker den möglicherweise gemeint haben könnte. Staatsfern? Echt jetzt?
Nur zwei Anmerkungen:
Dass der Begriff „Antifaschismus“ nicht ausschließlich aber eben auch von der „DDR“ zur Legitimation eines Verbrecherregimes missbraucht wurde, vermag ihn nicht für alle Zeiten zu delegitimieren – anders etwa als Begriffe wie das genuin wertneutrale „völkisch“ im Lichte seiner Verwendung im NS-Regime –, verweist aber bereits auf eine bemerkenswert unsensible Sprache, vor allem wenn der Begriff im Kontext eines Beitrages zur Meinungs- (und Rundfunk-)freiheit verwandt wird, nach der Menschenwürde sicherlich eines der vornehmeren Grundrechte. Dass der Begriff provoziert und polemisiert, ist jedenfalls auf diesen Mißbrauch durch das SED-Regime zurück zu führen; warum man ihn dennoch so plakativ anbringt, ihn sogar in Zusammenhang mit dem Begriff „Verfassung“ (wenn auch nur „Rundfunkverfassung“) setzt, eine Frage, die – egal, wie man sie beantwortet – nur weitere Fragezeichen setzt.
Dreh- und Angelpunkt der Argumentation zur AfD und ihrer stiefmütterlichen Behandlung durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist die „Feststellung“ der Autoren, die AfD vertrete „einen homogenen völkischen Nationalismus“ und stünde „wesentlichen Grundrechten wie der Meinungs- und Rundfunkfreiheit, dem Diskriminierungsverbot oder der Religionsfreiheit – also insgesamt der Menschenwürde – offen feindlich“ gegenüber. Mehr noch: Sie schätze „Krieg als legitimes Mittel der Politik“ ein und dürfte deshalb aus dem Kreis der „Sachwalter*innen des Allgemeininteresses“ ausgestoßen werden. Derart schwerwiegende Zuschreibungen dann lediglich mit einem Sendebeitrag ausgerechnet des Politmagazins zu „belegen“, für das einer der Autoren selbst verantwortlich zeichnet, grenzt bereits an unfreiwillige Komik.
Fazit: Dem großen Unmut in – auch über das AfD-Sympathisantentum hinausreichenden – Kreisen der Zuschauer (m/w/d) wird man mit der Argumentationslinie „Was wir senden, bestimmen immer noch wir selbst“ kaum wirksam begegnen
Sehr merkwürdig an diesem Traktat erscheint, neben den von den Vorkommentatoren bereits angemerkten Ungereimtheiten auch, mit welch kollektivistischer Argumentation hier jedem Repräsentanten einer legalen Partei der Anspruch auf Repräsentation in öffentlichen! Medien abgesprochen wird.
Mal abgesehen davon dass die inhaltlichen Behauptungen von Restle und Co schon in Ihrer Schrillheit mehr als zweifelhaft erscheinen muss man sich fragen, warum jedem Vertreter einer Partei a priori ein Auftritt in öffentlichen Medien untersagt werden soll nur weil abtrakt die, höchst subjektiv begründete, Erwartung besteht dieser werde irgendetwas degoutantes von sich geben.
Auch die Frage ob es nicht dem Zuschauer selbst überlassen sein sollte sich eine Meinung zu den jeweiligen Auftritten und Aussagen solcher Politiker zu bilden wird hier auf mehr als gesinnugspaternalistische Art und Weise beantwortet.
Insgesamt wirkt es so, als verstünden die Autoren die Aufgabe der öffentlich- rechtlichen Medien nicht als objektiv neutralitätsverpflichtete Informationsinstanz sondern als politisches Kampfinstrument der eigenen weltanschaulichen Überzeugungen.
Wie sehr eine solche Haltung dem, von den Autoren ad nauseam bemühten, Verfassungsprinzipien des Grundgesetzes entspricht darf dann doch bezweifelt werden.
Zu dem Gedanken von “Weichtier”:
So ist es. Die systematische Umarmung staatstragender Parteien und ihrer Funktionärinnen durch ARD/ZDF ist ein Defizit. Es schwächt Opposition und drängt Menschen in angeblich alternative Medien und Telegrammkanäle. Die Umhüllung des NSU-Terrors oder dem Nazikomplott beim KSK durch Chiffren und herabspielende Termini sind gefährlich. Rundfunk muss auch in den politischen Zweikampf. Doch hat diese Kritik ihren ganz eigenständigen Gehalt unabhängig der besprochenen Frage der Abbildungspflicht von Nazis und Rechtsextremisten . In ihr steckt doch die Aufforderung an den Rundfunk Regierung und Opposition stärker herauszufordern. Betrachtet man die Korruption innerhalb der Union oder die Verstrickung des Finanzministers in den Wirecard-Skandal kann sehr wohl gefragt werden, wo genau der für den Rundfunk so wichtigen Angriffsmodus verborgen ist und warum stattdessen dauernd zu Gunsten der betroffenen Politikerinnen gegen die Bande gespielt wird. Doch betrifft diese Diskussion eine gänzlich andere Frage wie ich eben beschrieben habe. Die Kritik ist Ausdruck der Frage, ob sich der Rundfunk auch zu einer Kritik traut, die nicht nur zu kurzfristigen Skandalen führt, sondern darüber hinaus den potentiellen Untergang einer Volkspartei wie der Union provozieren könnte. Genau das ist nicht der Fall. Teile des Rundfunks sind gespickt – katalysiert durch den rasanten Aufstieg der AfD – durch eine ständige fast schon apokalyptische Angst vor einem Kollaps des politischen Systems, was wiederum in einem eher behutsamen Umgang mit evidenten Verstößen der Regierenden mündet. Mag diese Motivation zumindest im Ansatz als tugendhaft bezeichnet werden, stört sie das Austauschverhältnis demokratischer Auseinandersetzung erheblich und führt zu einem extremen Vertrauensverlust der Zuschauerinnen. Den Befund der Abwanderung auf Telegram/Youtube/Whatapp/Facebook/Instagram bestreitet heute niemand mehr.
Die Folge so einer Kritik ist aber nicht die formale Anerkennung einer rechtsextremen, völkischen Partei wie der AfD, die nur zur weiteren Beschädigung demokratischer Prozesse führt, sondern eine Schärfung journalistischer Angriffsmittel und das Herausfiltern neuer, innovativer journalistischer Instrumente.
2. Die Verwendung des Wortes Antifaschismus
Ich halte es für brandgefährlich den Begriff Antifaschismus isoliert wegen der Begriffsnutzung durch die DDR als unanwendbar zu bezeichnen. Antifaschismus als Terminus rührt aus der italienischen Partisanenbewegung im Kampf gegen den Faschistenführer Mussolini und infizierte sodann international Bewegungen, die sich gegen aufkeimende Faschismen zur Wehr setzten. Und um im Bilde des von Ihnen angeführten “Staatsantifaschismus” zu bleiben. Ja wohl die DDR hat diesen Begriff missbraucht, doch ist es nicht allzu fahrlässig dadurch dem Antifaschismus an sich seiner Legitimationsgrundlage zu berauben? Angesicht der vielen Errungenschaften der antifaschistischen Kämpfe, die in Ost und West geführt und gewonnen wurden, ist eine solche fingierte Überschattung durch die DDR zwar wirkungsvoll, aber hilft sie denn? Auch hier wäre die richtige Folge doch eine Aufarbeitung dieses in Teilen gescheiterten Staatsantifaschismus und eine Berichtigung mit dem Ziel einer Verbindung von Demokratie und Antifaschismus. Für dieses Beispiel der potentiellen Verbindbarkeit von Antifaschismus und Demokratie steht doch die Zeigner Regierung 1923 in Sachsen. Anstatt das Wort aus dem Gedächtnis zu löschen – ruft man sich nochmal den ungefähren Zeitpunkt der Entstehung 1920/1921 in Erinnerung – ist eine genaue Kontextualisierung erforderlich, die immer zum Ziel hat den Antifaschismus als Herzkammer der Demokratie in Schach zu halten und entsprechend seiner Entwicklungsoffenheit zu modifizieren. So wie es eben bei all den anderen Begriffen auch geschieht. Anders gewendet: wer sich dieser Modifikation und detailgenauen Betrachtung ausgerechnet beim Antifaschismus nicht begeben will, hinterlässt Fragezeichen, wieso er sie bei all den anderen das Grundgesetz prägenden Begriffe hingegen zulässt. Ich verweise nur auf die aktuelle Debatte zum Terminus “Rasse” im Grundgesetz und der regen Beteiligung um das richtige Verständnis und die auffallende Offenheit der Rechtswissenschaft diesen Begriff “neu” zu formen und “einzuordnen”.