01 October 2013

Kein Vollstreckungsschutz für insolvente Kommunen

Der EGMR in Straßburg hat letzte Woche eine Entscheidung veröffentlicht, die in diesen Zeiten der Staatsschuldenkrise die Banken die Ohren spitzen lassen dürfte: Die Mitgliedsstaaten der EMRK dürfen ihre insolventen Kommunen nicht davor schützen, dass deren Gläubiger ihre rechtskräftig festgestellten Ansprüche eintreiben und in das Kommunalvermögen vollstrecken. Ein kommunales Insolvenzrecht, das vollstreckbare Titel wirkungslos macht, verstößt nach Meinung einer EGMR-Kammer gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Denn solche Titel gelten als Eigentum, und das setzt sich auch gegen das öffentliche Interesse durch, die kommunalen Schulen, Bibliotheken und Schwimmbäder vor dem Gerichtsvollzieher zu schützen.

Der Fall, um den es dabei ging, hatte es allerdings in sich: Die beiden Kläger hatten  zwanzig Jahre (!) lang vergeblich versucht, ihren gerichtlich festgestellten Schadensersatzanspruch von der süditalienischen Stadt Benevento einzutreiben. Die Stadt hatte sich 1993 insolvent erklärt. In Italien gibt es – anders als in Deutschland – ein kommunales Insolvenzrecht, das eine Entschuldung von Kommunen ermöglicht (allerdings natürlich ohne sie aufzulösen, was Unternehmen in der gleichen Situation blühen würde). Erklärt sich eine Kommune für insolvent, wird eine „Außerordentliche Liquidierungskommission“ eingesetzt, die die Altschulden abwickelt.

Nach 20 Jahren war indessen immer noch nicht geklärt, was aus den Ansprüchen der Kläger werden sollte. Einen Zugang zu einem Gericht, um sich dagegen zu wehren, gab es nicht. Das, so die EGMR-Kammer, verletzt obendrein das Recht der Gläubiger auf ein faires Verfahren.

Zunächst aber sieht die Kammer das Recht der Gläubiger auf Eigentum verletzt, und zwar nicht nur dadurch, dass die Kommune ihre Schulden nicht bezahlt hat, sondern auch dadurch, dass der Staat die Gläubiger daran gehindert hat, aus ihren Titeln zu vollstrecken. Das Argument, in der Insolvenz müsse man alle Gläubiger gleich behandeln, lässt die Kammer nicht gelten. Dass kein Geld da sei, könne keine Rechtfertigung sein, rechtskräftige Urteile ins Leere laufen zu lassen. Anders als bei privaten Schuldnern gehe es hier um Schulden eines Staatsorgans („organe de l’Etat“).

Apropos überlange Verfahrensdauer: Dass da auch bei uns nicht immer alles zum besten steht, zeigt eine jüngst veröffentlichte Kammerentscheidung des BVerfG zu einem Arbeitsrechtsstreit, der sich ebenfalls über zwanzig Jahre hingezogen hatte. Auch für Karlsruhe hört sich da der Spaß auf: Der Beschwerdeführer sei in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verletzt, auch wenn er selbst zur verlängerten Dauer des Verfahrens beigetragen habe. Denn das Verhalten der Parteien entbinde „die Gerichte nicht von der rechtsstaatlichen Pflicht, ein zügiges Verfahren sicherzustellen.“

Mit der aktuellen Krise will die Kammer ihre Entscheidung offenbar nicht in Verbindung gebracht sehen. Sie taucht in der Entscheidung nur mittelbar auf, und zwar in Gestalt eines Zitats: Im Mai 2013 hatte er zwei Klagen gegen die griechischen Sparmaßnahmen als unzulässig abgewiesen. Zwar kratzten die Kürzungen der Gehälter, Renten und Sozialleistungen um 20 Prozent im öffentlichen Dienst an dem Eigentumsrecht der Beamten. Die außergewöhnliche Krise verlange aber außergewöhnliche Maßnahmen, daher seien die Eingriffe gerechtfertigt. Schließlich seien alle Beamten gleichermaßen betroffen und die Sparmaßnahmen im allgemeinen Interesse. Den Klägern bliebe genug zum Überleben, ein fairer Ausgleich habe stattgefunden.

Für so eine Argumentation sieht die Kammer im Fall Benevento offenbar keinerlei Raum.


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