Keine Freizügigkeit für Staatsoberhäupter
László Sólyom ist ein Bürger der Europäischen Union und hat als solcher das Recht, aus seinem Heimatland Ungarn in die Slowakei zu reisen, wann immer er das möchte. Er muss nur seinen Ausweis vorlegen, dann müssen die Slowaken ihn reinlassen. Das befiehlt ihnen Art. 21 AEUV.
Nun war Herr Sólyom 2009 nicht nur Unionsbürger, sondern auch noch Präsident der (damals noch so genannten) Republik Ungarn. Staatsoberhaupt also. Und Staatsoberhäupter muss man mitnichten einreisen lassen: Denn für sie gelten besondere völkerrechtliche Regeln, etwa der Diplomatenstatus.
Eine derartige Besonderheit ist geeignet, die Person, die diesen Status genießt, von allen anderen Unionsbürgern abzugrenzen, so dass die Einreise dieser Person in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats nicht denselben Voraussetzungen unterliegt, die für die anderen Bürger gelten.
So der Europäische Gerichtshof (EuGH) heute in einer Entscheidung, die in mehr als einer Hinsicht das Attribut kurios verdient: Nicht nur ist der Sachverhalt von ausgesuchter Bizarrheit. Obendrein handelt es sich um einen der ganz seltenen Fälle, wo ein EU-Mitgliedsstaat gegen einen anderen ein Vertragsverletzungsverfahren angestrengt hat. Das ist erst das sechste Mal, dass so etwas überhaupt vorkommt, das vierte Mal, dass es dazu ein Urteil gibt, und wohl das erste Mal, dass es sich um einen richtigen, handfesten diplomatischen Eklat handelt.
Das hat seine speziell ungarischen Gründe. Hintergrund des Falls ist, dass Sólyoms slowakisches Reiseziel, die Stadt Komáro, aus Sicht der ungarischen Nationalkonservativen ein Teil der unerlösten ungarischen Muttererde ist, weil sie vor fast 100 Jahren mal zu Ungarn gehörte und viele ethnische Magyaren dort leben. Die slowakische Regierung witterte hinter der Reise großungarische Ambitionen und senkte deshalb vor Sólyom den Schlagbaum.
Anders als die Schlussanträge von Generalanwalt Yves Bot enthält das Urteil keine Zeile zu dem Problem, dass es doch unter EU-Mitgliedsstaaten eigentlich nicht sein kann, sich mit diplomatischen Unfreundlichkeiten dieser Art zu beharken. Die Slowakei bekommt Recht, Ungarn nicht, und punktum.
Foto: Stéphane Martin, Flickr Creative Commons
László Sólyom ist ein Bürger der Europäischen Union und hat als solcher das Recht, aus seinem Heimatland Ungarn in die Slowakei zu reisen, wann immer er das möchte. Er muss nur seinen Ausweis vorlegen, dann müssen die Slowaken ihn reinlassen. Das befiehlt ihnen Art. 21 AEUV.
Nun war Herr Sólyom 2009 nicht nur Unionsbürger, sondern auch noch Präsident der (damals noch so genannten) Republik Ungarn. Staatsoberhaupt also. Und Staatsoberhäupter muss man mitnichten einreisen lassen: Denn für sie gelten besondere völkerrechtliche Regeln, etwa der Diplomatenstatus.
Eine derartige Besonderheit ist geeignet, die Person, die diesen Status genießt, von allen anderen Unionsbürgern abzugrenzen, so dass die Einreise dieser Person in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats nicht denselben Voraussetzungen unterliegt, die für die anderen Bürger gelten.
So der Europäische Gerichtshof (EuGH) heute in einer Entscheidung, die in mehr als einer Hinsicht das Attribut kurios verdient: Nicht nur ist der Sachverhalt von ausgesuchter Bizarrheit. Obendrein handelt es sich um einen der ganz seltenen Fälle, wo ein EU-Mitgliedsstaat gegen einen anderen ein Vertragsverletzungsverfahren angestrengt hat. Das ist erst das sechste Mal, dass so etwas überhaupt vorkommt, das vierte Mal, dass es dazu ein Urteil gibt, und wohl das erste Mal, dass es sich um einen richtigen, handfesten diplomatischen Eklat handelt.
Das hat seine speziell ungarischen Gründe. Hintergrund des Falls ist, dass Sólyoms slowakisches Reiseziel, die Stadt Komáro, aus Sicht der ungarischen Nationalkonservativen ein Teil der unerlösten ungarischen Muttererde ist, weil sie vor fast 100 Jahren mal zu Ungarn gehörte und viele ethnische Magyaren dort leben. Die slowakische Regierung witterte hinter der Reise großungarische Ambitionen und senkte deshalb vor Sólyom den Schlagbaum.
Anders als die Schlussanträge von Generalanwalt Yves Bot enthält das Urteil keine Zeile zu dem Problem, dass es doch unter EU-Mitgliedsstaaten eigentlich nicht sein kann, sich mit diplomatischen Unfreundlichkeiten dieser Art zu beharken. Die Slowakei bekommt Recht, Ungarn nicht, und punktum.
Foto: Stéphane Martin, Flickr Creative Commons
Die Entscheidung des EuGh scheint mir logisch und geht mit der Situation auf übliche Weise um, nehme ich an. Ein Bekannter erzählte einmal, dass an der deutsch-niederländischen Grenze die niederländische Königin ein Grenzdorf besuchte, das sich als ein Dorf fühlte, aber auf beiden Seiten der Grenze lag. Obwohl sie das Dorf besuchte, durfte sie die Grenze nicht überschreiten, weil das aufgrund ihres Status als Souveränitätsträgerin streng genommen eine kriegerische Handlung darstelle. Nur nach vorheriger Einladung deutscher Behörden sei ihr das Überschreiten der Grenze möglich. Für mich klingt es so, als habe der Gerichtshof sich ungefähr in diesem Sinne geäußert. Vermutlich wäre es anders gewesen, wenn der ungarische Präsident einen Verwandtenbesuch gemacht hätte oder zum Shoppen eingereist wäre. Er trat aber als Souveränitätsträger Ungarns auf, nicht als einfacher Unionsbürger.
Oder mache ich hier einen Denkfehler?
I think there is an essential step missing: Much as I believe that all of this is OK under international law, and much as I believe that international law is a part of the European Legal Order (although I thought it was a bit rich to cite Kadi for that proposition), I am left wondering why the general rule of international law was not abolished between the Member States of the EU by virtue of their ratification of the EU Treaties.
I suspect that the rapporteur’s analysis of this point – which may or may not have followed the AG’s par. 53-54 – was cut in order to achieve a sufficient consensus among the Judges. That’s one of the down sides of not allowing concurring and dissenting opinions…
Also interesting: the Commission intervened on the side of Slovakia, i.e. arguing for a narrow reading of the free movement rights. Presumably this is because they, in their earlier reasoned opinion, concluded that Slovakia was right on the merits, but I still wonder why they didn’t simply stay out of this.
Die Entscheidung der Kommission, sich für den slowakischen Standpunkt einzusetzen, scheint mir weise zu sein (zumindest aus einer langfristigen Perspektive). Der Europäischen Kommission muss an einer gedeihlichen Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten und an einer breiten Akzeptanz des Unionsrechts gelegen sein. Beides wird nicht gefördert, wenn Amtsträger eines Mitgliedstaates einen anderen Mitgliedstaat besuchen ohne das mit diesem abzusprechen und dabei historische Wunden wieder aufreißen. Dabei dürfte die Europäische Kommission auch andere Gebietskonflikte zwischen derzeitigen und potentiellen künftigen Mitgliedstaaten vor Augen gehabt haben (Nordirland, Balkan, Zypern).
Dagegen überzeugt die Begründung des EuGH nur begrenzt. Es wäre an deutlich näherliegende (auch unionsrechtliche) Rechtfertigungsgründe zu denken gewesen, stattdessen wird die völkerrechtliche Schutzpflicht des besuchten Staates für den besuchenden Amtsträger angeführt (Rn. 47 f.) – das erscheint als Argument eher bizarr. Die Mutmaßung, dies gründe in einer Vereinfachung der Konsensfindung, dürfte ins Schwarze treffen.