Keine Meinungsfreiheit für Troll-Journalismus
Erinnert sich noch jemand an Gabriele Pauli? Passend zum Start der neuen Dschungelcamp-Staffel erinnert uns heute ein Kammerbeschluss aus Karlsruhe an die einstige “CSU-Rebellin” und Stoiber-Stürzerin und daran, wozu wir als kollektive Bildzeitungsleser- und RTL-Gucker-Öffentlichkeit so alles fähig sind.
Bild-Kolumnist Franz-Josef Wagner hatte damals eine seiner “Post-an…”-Kolumnen über Paulis Latex-Fotos verfasst, ein Text von einer Ekligkeit, vor der alle derzeit auf RTL gezeigte Kakerlakenkotze verblasst. Darin beschrieb er Pauli als “durchgeknallte Frau” und schob ihr zur Erklärung ihres Verhaltens allerlei unter, was ich hier nicht wiedergeben will.
Pauli versuchte vergebens, sich gerichtlich zu wehren, und das hat jetzt die 3. Kammer des Ersten Senats auf den Plan gerufen: Die ruft dem OLG München die Existenz der Schranken des Art. 5 GG ins Gedächtnis. Die Meinungsfreiheit von BILD.de und Wagner gibt ihnen nicht das Recht, mit dem Kaminbesteck im Seelen- und Sexualleben Dritter herumzuoperieren.
Damit grenzt die Kammer diesen Fall von dem Sachverhalt eines Beschlusses von 2009 ab, wo das BVerfG die Bezeichnung “durchgeknallt” noch als von der Meinungsfreiheit gedeckt hatte durchgehen lassen. Damals ging es um ZEIT-Mitherausgeber Michael Naumann, der sich in einem Fernsehinterview über die Ermittlungen gegen Michel Friedman dazu hatte hinreißen lassen, einen Staatsanwalt als “durchgeknallt” zu bezeichnen.
Durchgeknallt ist aber nicht gleich durchgeknallt, und Naumann ist nicht gleich Wagner. Man müsse berücksichtigen, so die Kammer,
dass es sich vorliegend um einen bewusst geschriebenen und als Verletzung gewollten Text handelt, der nicht Ausdruck einer spontanen Äußerung im Zusammenhang einer emotionalen Auseinandersetzung ist.
Von Auseinandersetzung könne ohnehin gar keine Rede sein:
Die Beklagte verschiebt mit ihrem Text die öffentliche Auseinandersetzung um die Person der Beschwerdeführerin in dem inkriminierten Absatz hin zu rein spekulativen Behauptungen über den Kern ihrer Persönlichkeit als Privatperson. Sie stützt diese auf Beurteilungen, die thematisch den innersten Intimbereich betreffen, ohne dass diese Spekulationen irgendeinen Tatsachenkern hätten.
Das scheint mir eine schöne Definition des Trolls zu sein. Jedenfalls einen Teilabschnitt dieses unerfreulichen Phänomens des Online-Journalismus trifft diese Passage sehr präzise: Wagner trollt. Zwar nicht unter dem Schutzmantel der Anonymität, aber dafür unter dem des Zerrbilds vom versoffenen Genie. Den Schutz der Meinungsfreiheit sollte man Trollen nicht auch noch umhängen.
Genialer Einstieg in den Artikel, Dschungelcamp! Genial auch, Wagner als “versoffenes Genie” zu bezeichnen, obwohl man dadurch natürlich gefährlich in die Nähe eigener Trollerei rückt. Das bringt mich zu meiner Frage: Hat die Kammer nicht übersehen, dass das von Wagner betrollte Verhalten der Beschwerdeführerin zuvor ebenfalls Trollerei war? Hätte man da wirklich so hart einsteigen müssen, dass man nun nicht mehr “durchgeknallte Frau” sagen darf? Troll schlägt sich, Troll verträgt sich, hat man doch früher immer gesagt.
Es handelt sich um einen klassischen Fall von Hate Speech, dem – ich möchte hinzufügen: glücklicherweise – das deutsche Verfassungsrecht Einhalt zu gebieten erlaubt. Dem BVerfG ist darin beizupflichten, eine Grenze zu ziehen, soweit es nur noch um die Herabwürdigung einer Person geht, mag sie sich auch in einer Weise exponiert haben, die nicht auf das Wohlgefallen aller trifft.
Mir scheint aber gleichwohl der Hinweis angebracht, dass es hier um die stereotype Beleidung mit sexualisiertem Inhalt geht, die Frau Pauli gerade als Sexualobjekt (“Domina”, “frustrierte Frau”) angreift. Darauf weist das BVerfG nicht ausdrücklich hin, lässt damit freilich einen wichtigen Kontext der Äußerung Wagners außer acht.
Erinnert sei an Judith Butlers brillanten Aufsatz “Burning acts: Injurious speech”, U. Chi. L. Sch. Roundtable, 1996, 199.
ich bezeichne nicht Wagner als versoffenes Genie, sondern als jemand, der unter dem Schutzmantel seines Rufs als versoffenes Genie sich ein Maß an Trollerei erlauben kann, das jemand ohne diesen Schutzmantel nicht für sich in Anspruch nehmen könnte. (Womit sich auch der Punkt mit der Gegentrollerei erledigt haben dürfte.)
Und von Frau Paulis Aktivitäten kann man halten was man will, aber Trollerei kann ich dabei eigentlich nicht erkennen…
“Durchgeknallte Frau”, das ist ja das Schöne an dieser Entscheidung, kann man sehr wohl noch sagen, aber nicht in einem Kontext, in dem man damit völlig ins Blaue hinein jemandem irgendwelche sexuellen Abartigkeiten unterjubelt (= Trollerei)
@Max: Sich als Landrätin in Latexklamotten ablichten zu lassen – das soll irgendetwas anderem dienen als einem nicht-sachbezogenen und nicht-konstruktiven Diskussionsbeitrag? Nicht dass ich dies schlimm fände, aber sich dann aufzuregen über eine schnöde “stereotype Beleidigung mit sexualisiertem Inhalt” (Danke, @K. Mangold) ist doch vielleicht etwas bigott.
Sie war, soweit ich weiß, zu dem Zeitpunkt längst keine Landrätin mehr, und selbst wenn waren ihre Fotos kein “Diskussionsbeitrag”, sondern einfach nur Fotos, die eine Frau von sich hatte machen lassen, weil sie dachte, dass sie alle super finden, und SELBST WENN käme Ihr Bigotterievorwurf dem Minirockträgerinnen-sind-selbst-schuld-wenn-sie-vergewaltigt-werden-Topos bedenklich nahe, finden Sie nicht? Ich meine, haben Sie mal gelesen, was der Typ über sie geschrieben hat?
Interessante Argumentation – durch ein bestimmtes Verhalten (Fotostrecke) hätte sich also Ihrer Auffassung nach, Aufmerksamer Leser, Frau Pauli jeglichen Schutzanspruches gegenüber derartigen Äußerungen begeben? Das will mir nun überhaupt nicht einleuchten.
@Max, Katharina: Nein, ich habe nur die Zusammenfassung der Kammer gelesen, zu dem, was das “versoffene Genie” geschrieben hat. Ich kann mich an die nämlichen Fotos auch nicht mehr wirklich erinnern, aber ich glaube nicht, dass es “einfach nur Fotos, die eine Frau von sich hatte machen lassen, weil sie dachte, dass sie alle super finden”. Man muss sich ja nur kurz vorstellen, was so eine Illustrierte sagen würde, wenn Frau Müller von Nebenan eine solche Fotostrecke anbietet. Die Nummer macht nur Sinn, wenn es eine Landrätin ist (oder Nonne, Strafrechtsprofessorin, you name it). Und deswegen verwirkt Frau Pauli natürlich nicht jeglichen Schutzanspruch – aber vielleicht den Schutzanspruch, induzierte Gegenprovokationen gerichtlich (!) abzuwehren.
na, dann lesen Sie erst mal, die Passage ist in dem Beschluss ja wörtlich wiedergegeben. Und dann reden wir, ob man das als “induzierte Gegenprovokation” bezeichnen kann.
@Max: Ich sagte bereits: ich habe die Passage gelesen. Das versoffene Genie lehnt öffentlich Pornographie ab und kritisiert Frau P., weil sie pornographisch auftritt. Dazu kommt eine “stereotype Beleidigung mit sexualisiertem Inhalt” (nochmals Danke, @K. Mangold). So what? Was soll die Titanic denn demnächst noch über die katholische Kirche schreiben dürfen?
@Max: Ein Kollege rät mir gerade, Dich wegen des Vergewaltigungsvergleichs zu verklagen! Mache ich natürlich nicht…
na, da bin ich aber froh. Wobei, Ihr Name auf dem Schriftsatz, das wär’ die Sache wert…
Hehe.
Ich find Post von Wagner klasse, es ist das einzig Lesenswerte in der BILD. Das Urteil find ich durchgeknallt.
@Aufmerksamer Leser: Die “durchgeknallte Frau” ist ja hier mit der Kammer das Kondensat der vorausgegangenen Ausführungen: “frustrierte Frau” usw. (Tz. 24, 3), und die sind wirklich harter Stoff. Mit @Max kann ich hier ebenfalls keinerlei “induzierte Gegenprovaktion” erkennen. Die Argumentation der Kammer lässt hier m.E. nichts zu wünschen übrig (Tz. 25 f.).
@Aufmerksamer Leser, Katharina: Die “Domina” hat die Kammer durchgehen lassen, also nicht beanstandet, ebenso alles “Pornographische” (Tz. 22, 5). Das ist ja vielleicht auch aufschlussreich.
Lustig an dem Beschluss ist noch, dass die “durchgeknallte Frau” ohne den Absatz davor ziemlich sicher keine Stattgabe ergeben hätte. Der Unterlassungsantrag im Ausgangsverfahren bezog sich aber allein auf die “durchgeknallte Frau” und nicht auf diesen Absatz. Tz. 24 hilft da meines Erachtens nicht weiter. Hätte Frau Pauli auch gewonnen, wenn in der Kammer ein Richter-Richter gewesen wäre, der es mit prozessualen Fitzeleien evtl. etwas pingeliger nimmt?
Ansonsten volle Zustimmung zu O. Sauer. Der Beschluss ist glücklicherweise von einer Unterdrückung “induzierter Gegenprovokationen” genauso weit entfernt wie von der verfassungsrechtlichen Absegnung eines Kriteriums “Hate Speech”, das sich dann nach Belieben bzw. nach Empörungsgrad ausfüllen ließe.
@Gosman: Dass der Kontext einer Äußerung gewürdigt werden muss, ist schon richtig, das hätte ein Richter-Richter auch so gemacht. Die Frage ist lediglich, ob der Kontext so fürchterlich ist, wie die Kammer meint.
@Aufmerksamer Leser: Es geht hier nicht um die Würdigung der Äußerung, sondern um die Reichweite der Unterlassungsverpflichung. Der Antrag von Frau Pauli hat den Kontext der “durchgeknallten Frau” gerade nicht mit umfasst; eine antragsgemäße Verurteilung hätte dazu geführt, dass die Äußerung gerade auch unabhängig von diesem Kontext hätte unterlassen werden müssen.
@Gosman: Nun machen Sie die Kammer nicht schlechter als sie ist! Die Unterlassung umfasst immer nur die Äußerung, nicht den Kontext der Äußerung. Ob die Äußerung unterlassen werden muss, richtet sich immer nach dem Kontext (vgl. meinen letzten Hinweis). Eine antragsgemäße Verurteilung hätte tatsächlich dazu geführt, dass die Äußerung von der Beklagten generell zu unterlassen gewesen wäre.
Das ist ja der Witz, über den wir hier die ganze Zeit diskutieren! Die Kammer meint, “durchgeknallte Frau” aus dem Munde der Beklagten stehe in einem Kontext, der schlimm/übel/perfide/böse ist. Deswegen hatte Frau Pauli jetzt Erfolg. Ich dürfte Sie, lieber Herr Gosman, aber trotzdem auch zukünftig noch “durchgeknallte Frau” nennen, denn ich liefere bislang keinen Kontext, der das schlimm//übel/perfide/böse macht.
Nochmals: Ich streite hier überhaupt nicht um die Würdigung der Äußerung. Die halte ich für völlig eindeutig und Ihre These von der “induzierten Gegenprovokation” in diesem Fall für ganz verfehlt.
Mir geht es hier aber um den Streitgegenstand des Ausgangsverfahrens. Frau Pauli hätte ihren Unterlassungsantrag ohne weiteres so formulieren können, dass er den Absatz vor der “durchgeknallten Frau” mitumfasst. Ellenlange Anträge sind zur Präzisierung des Streitgegenstands gerade im Presserecht auch völlig üblich. Einen solchen ellenlangen Antrag, der den Absatz davor mit nennt, hätte Frau Pauli auch stellen müssen, weil – das ist gerade die Pointe des Kammerbeschlusses – die “durchgeknallte Frau” nur deshalb unzulässig ist/von Verfassungs wegen sein muss, weil sie die Summe aus dem Absatz davor zieht. So aber bekommt Frau Pauli, wenn sie nach Zurückverweisung der Sache gewinnt, mehr als ihr zusteht bzw. zumindest als ihr von Verfassungs wegen zustehen muss. Allenfalls kann man den Kammerbeschluss damit rechtfertigen, dass ein den Vorabsatz umfassendes Unterlassungsurteil von Frau Paulis Antrag als Minus gedeckt ist. Das deutet die Kammer aber nicht einmal an.
@Gosman: “So aber bekommt Frau Pauli, wenn sie nach Zurückverweisung der Sache gewinnt, mehr als ihr zusteht bzw. zumindest als ihr von Verfassungs wegen zustehen muss.”
Ihnen dämmert hoffentlich, dass die Kammer findet, dass Frau Pauli exakt das zusteht, von dem Sie, lieber Herr Gosman, sagen, dass es ihr nicht zusteht? Sie können die Richter hier gerne kritisieren, aber ihre Beschlüsse werden von ihnen gelesen, bevor sie unterschrieben werden.
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Nachtreten: Genauso wie ich nunmehr Sajuntz, NJW 2015, S. 595 (596), mit dem Fazit: “Es entsteht der Eindruck, als habe man die Betroffene nicht schutzlos lassen wollen, nachdem diese die falsche Textpassage angegriffen hatte.”