02 September 2019

König Midas, Hauptmann Kettensäge und die Mittel des Völkerrechts zum Schutz der Biodiversität

Spätestens seit der Veröffentlichung des UN Global Assessment Report im Mai 2019 wissen wir, dass etwa eine Million der insgesamt acht Millionen Arten vom Aussterben bedroht sind – mehr als jemals zuvor in der Geschichte unseres Planeten. Das sechste globale Massensterben von Tieren und Pflanzen erfordert ein konzertiertes Vorgehen der internationalen Staatengemeinschaft. Doch nationale Alleingänge, wie des US-Präsidenten Trump und seines brasilianischen Amtskollegen Bolsonaro, nehmen zugunsten der heimischen Wirtschaft unwiederbringliche Verluste der Artenvielfalt in Kauf, die den Bestand der Ökosysteme weltweit gefährden. Welche Mittel hält das Völkerrecht bereit, um dem entgegenzuwirken?

Artenschutz mit Preisschild

In der griechischen Mythologie wünschte sich der goldgierige König Midas vom Gott Dionysos die Fähigkeit, dass alles, was er berührt, zu Gold werde. Mit seiner Liebe zu Öl, Gas und Kohle scheint der amtierende US-Präsident Donald Trump ähnlich kurzsichtig wie König Midas, der bald feststellen musste, dass er Gold nicht essen kann. Trump macht keinen Hehl daraus, dass ihm Regularien, die den Schaffenskräften von Wirtschaftsunternehmen Grenzen setzen könnten, ein Dorn im Auge sind. Dies gilt offenbar vornehmlich für Regelungen zum Schutz von Umwelt und Natur. Für besondere Entrüstung sorgt derzeit ein Paket aus drei Verwaltungsverordnungen zur Änderung des Anwendungsbereichs des Endangered Species Act (ESA), das am 12. August vorgestellt wurde. Der 45-Jahre alte ESA, der durch US-Präsident Nixon ins Leben gerufen wurde, gilt weltweit als eine der wirkungsvollsten nationalen Gesetzgebungen zum Schutz bedrohter Arten: Seinen Mechanismen wird u.a. die Rettung des majestätischen Weißkopfadlers, des Buckelwals und des Grizzlybären zugeschrieben. Durch die Änderungsvorschläge der US-Regierung sollen die Schutzstandards des ESAs nun erheblich abgesenkt werden.

So statuiert Nixons Artenschutzgesetz beispielsweise den Grundsatz, dass wirtschaftlichen Erwägungen beim Schutz von Flora und Fauna kein Gewicht beigemessen werden darf: Demnach dürfen Entscheidungen nur auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren, „without reference to possible economic or other impacts“. Die neuen Verwaltungsverordnungen sollen es US-Bundesbehörden erlauben, die Bedeutung des Erhalts einer bestimmten Art gegen die wirtschaftlichen Einbußen korrespondierender Schutzmaßnahmen abzuwägen. Sie werden es auch erschweren, künftige potentielle Lebensräume für Tiere als Schutzgebiete zu deklarieren: Längst ist absehbar, dass der Klimawandel Tiere dazu zwingen wird, ihre angestammten Territorien zu verlassen, wie zum Beispiel Eisbären, deren Eisdecke wegschmilzt, oder Zugvögel, deren Flugmuster sich durch die Temperaturunterschiede verändern. Nunmehr sollen die zuständigen Regierungsbeamten bestimmen können, welchen konkreten Zeitraum sie als vorhersagbare Zukunft erachten. Entwicklungen von Lebensräumen, die noch mehrere Jahrzehnte entfernt sein könnten, dürften fortan voraussichtlich ignoriert werden, da sie als „spekulativ“ gelten.

Mehrere Umweltschutzverbände, darunter Earth Justice und der Sierra Club, haben bereits Klage gegen das Verordnungspaket erhoben. Die US-Bundesstaaten Kalifornien und Massachusetts wollen ebenfalls den Rechtsweg beschreiten. Sollten die Verordnungen vor Gericht Bestand haben, reiht sich das Regelungspaket ein in eine tumultartig wachsende Liste von Maßnahmen zur Deregulierung des US-amerikanischen Umweltrechts. Gerade einmal zwei Wochen nach der Verkündigung der Überarbeitung der ESA-Verordnungen wurde bekannt, dass Trump offenbar plant, einen Großteil des Regenwaldes in Alaska zur Abholzung freizugeben

„Hauptmann Kettensäge“ und der brasilianische Regenwald

Mit dieser Politik steht Trump bekanntlich nicht alleine da. In Brasilien macht sich sein Amtskollege Jair Bolsonaro seit seinem Amtsantritt im Januar 2019 in Windeseile daran, die Vision des Ex-Präsidenten Lula da Silva von Brasilien als einem Platz für Naturschutzgebiete in Rauch aufgehen zu lassen. Brasilien zählt zu den Ländern mit der größten Biodiversität weltweit. Allein die Regenwälder des Amazonasbeckens sind Heimat für ein Drittel aller weltweit bekannten Tierarten. Seit Bolsonaro an der Macht ist, hat die Zerstörung dieses Naturschatzes jedoch präzedenzlose Ausmaße angenommen: Allein im Juli sollen 2254 Quadratkilometer gerodet worden sein – das entspricht der Fläche von drei Fußballfeldern in der Minute. Bolsonaro, der sich wenig ironisch als „Hauptmann Kettensäge“ rühmt, zieht eine Schar Großgrundbesitzer, die größte Abgeordnetengruppe im brasilianischen Parlament, hinter sich her. Diese machen selbst vor den Grenzen der indigenen Schutzreservate, die etwa 13 Prozent des brasilianischen Staatsgebietes ausmachen, keinen Halt. Internationale Kritik an dieser Politik wehrt Bolsonaro gerne mit dem Hinweis darauf ab, dass die Art der Nutzung des brasilianischen Regenwaldes eine innerstaatliche Angelegenheit darstellt. Doch so einfach ist es nicht. Nicht zuletzt wegen ihrer CO²-Regulierungsfunktion ist der Erhalt gesunder und resilienter Waldbiotope von globaler Relevanz. Aber bedeutet globale Relevanz auch globale Verantwortung? Welche Antworten hält das Völkerrecht angesichts nationaler Alleingänge zu Lasten weltweit bedeutsamer Biotope bereit? Ein paar Überlegungen:

(Ohn-)Macht des Völkerrechts?

Auf der Suche nach völkerrechtlichen Strategien zum Schutz der Ökosysteme liegt es nahe, beim Umweltvölkerrecht zu beginnen, genauer: beim internationalen Artenschutzrecht.

Sowohl Brasilien als auch die USA sind Vertragsparteien des Washingtoner Artenschutzübereinkommens. Brasilien ist auch dem Übereinkommen über die biologische Vielfalt beigetreten. Die USA hingegen haben die sog. Biodiversitätskonvention lediglich gezeichnet, sie aber bis heute nicht ratifiziert. Sie können daher mitverhandeln, sind jedoch nicht zur Umsetzung verpflichtet. Brasilien ist außerdem erst am 1. Oktober 2015 dem Übereinkommen zur Erhaltung wandernder wild lebender Tierarten beigetreten, das die Kooperation von Staaten fördert, deren Territorien Lebensräume von migrierenden Tierarten umfassen. Genau in diesem Kooperationsgedanken liegt aber eine der Schwachstellen der Artenschutzabkommen im Speziellen sowie des Umweltvölkerrechts im Allgemeinen: Die Wirksamkeit dieser Normensysteme hängt wesentlich von der Bereitschaft der Staaten ab, Verpflichtungen einzugehen und diese umzusetzen. Die Vertragsstaatenkonferenzen können Empfehlungen zur Umsetzung oder Auslegung des jeweiligen Abkommens geben – sanktionieren können sie nicht (vgl. ausf. dazu: Aguila/ Viñuales, A Global Pact for the Environment, 2019, S. 16ff.).

Um diesen Problemen abzuhelfen, legte die UN-Generalversammlung am 10. Mai 2018 den Grundstein für den Entwurf eines einheitlichen, international rechtsverbindlichen Regelwerkes (A/RES/72/277). Der sog. Globale Umweltpakt soll zentrale völkergewohnheitsrechtliche Grundsätze des Umweltvölkerrechts kodifizieren, das bestehende Umweltvertragsrecht konsolidieren und verbleibende Regelungslücken schließen. Darüber hinaus sieht der derzeitige Entwurf die Schaffung eines individuellen Menschenrechts auf eine saubere und gesunde Umwelt vor, wie es beispielsweise durch den ehemaligen UN-Sonderberichterstatter für Umwelt und Menschenrechte, John Knox, gefordert wurde und bislang nur durch regionale Menschenrechtsabkommen garantiert wird. Diese Verknüpfung des Umweltvölkerrechts mit den Menschenrechten ist logisch und notwendig. Denn der unwiederbringliche Verlust von Arten bedroht auch die Art des Homo sapiens.

Der Mensch ist auch nur eine Art

Ohne den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen wird die Gewährleistbarkeit der Menschenrechte selbst in Frage gestellt. Kaum irgendwo wird die Abhängigkeit des

Menschen von einer intakten Umwelt derzeit unmittelbarer deutlich als bei den indigenen Völkern in den Regenwäldern Brasiliens, welche durch die Kahlschlagpolitik Bolsonaros und die verheerenden Brände akut gefährdet werden. Die Zerstörung des Regenwaldes untergräbt zahlreiche Menschenrechte, vom Recht auf Gesundheit (Art. 12 Abs. 1 UN-Sozialpakt) über das Recht auf Nahrung (Art. 11 Abs. 1 und 2 UN-Sozialpakt) und auf sauberes Wasser (Resolution 64/229 der UN-Generalversammlung vom 28. Juli 2010) bis hin zum Recht auf Kultur im Sinne des „way of life eines Volkes (Art. 15 UN-Sozialpaktes und Art. 27 AEMR).

Brasilien hat alle UN-Menschenrechtskonventionen ratifiziert, mit Ausnahme der Wanderarbeitnehmerkonvention. Das Land ist auch Vertragsstaat der Interamerikanischen Menschenrechtskonvention. Die USA hingegen – international berühmt-berüchtigt für ihre Politik des Exzeptionalismus – sind lediglich dem UN-Zivilpakt beigetreten, damit zumindest aber an die elementaren bürgerlichen und politischen Menschenrechte gebunden. Menschenrechte vor Gericht geltend zu machen, ist jedoch eine zeitraubende Angelegenheit, denn es müssen erst die nationalen Gerichte angerufen werden, bevor man sich im Falle einer negativen Entscheidung Hilfe bei einem UN-Ausschuss holen kann.

Die Problematik des Artensterbens könnte indes schon bald an anderer, prominenter Stelle innerhalb des UN-Systems behandelt werden: Im UN-Sicherheitsrat.

Artensterben auf der Agenda des UN-Sicherheitsrates?

Der Sicherheitsrat trägt gemäß Art. 24 der UN-Charta die Verantwortung für „den Weltfrieden und die internationale Sicherheit“. Wie passen Artensterben und Klimawandel in diesen Zuständigkeitsrahmen? Zwar benennen weder das Pariser Klimaabkommen noch die UN-Nachhaltigkeitsziele den Klimawandel als eine Bedrohung für Frieden und Sicherheit. Dennoch mehren sich in den vergangenen Jahren die Stimmen, die an den Sicherheitsrat appellieren, sich mit den Gefahren steigender Meeresspiegel, Stürmen, Dürren und Versalzung auseinanderzusetzen und die Frage seiner Zuständigkeit zu klären. Wie bereits angedeutet, sind bei der Befassung mit klimatischen Entwicklungen Fragen des Biodiversitätsschutzes naturgemäß mitzudenken. Deutschland hat bereits im Jahr 2011, als die BRD zuletzt Ratsmitglied war, die übrigen Mitglieder des Gremiums von dem Zusammenhang zwischen Klimastabilität und Weltfrieden überzeugt (S/PRST/2011/15). Im Rahmen der Mitgliedschaft von 2019 bis 2020 will die Bundesregierung daran anknüpfen: Außenminister Heiko Maas hat im Juni erklärt, der Sicherheitsrat müsse verstärkt präventiv agieren und zwar auch dann, wenn keine Waffengewalt angewendet werde. Mit Russland, welches die Zuständigkeit des Sicherheitsrates vehement bestreitet, und den USA, die den Ausstieg aus dem Klimaschutzabkommen angekündigt haben, stehen aktuell indes gleich zwei Vetomächte einem baldigen Paradigmenwechsel entgegen. Doch die Zeit drängt. Das größte Potential für eine zügige und effektive Einflussnahme auf nationale Politiken scheint aktuell in bi- und multilateralen Handelsabkommen zu liegen. Denn Trump und Bolsonaro interessieren sich nicht für den Erhalt der Ökosysteme – wohl aber für klingelnde Kassen.

Die “Südbrücke” als wirtschaftlicher Hebel für mehr Artenschutz?

Am 28.06.2019 verkündete die EU-Kommission, dass nach jahrelangen Verhandlungen eine Einigung der Europäischen Union und der Mercosur-Staaten zur Gründung einer gemeinsamen Freihandelszone erzielt wurde. Dabei hatte Frankreichs Präsident Emanuel Macron noch kurz zuvor angedroht, das Freihandelsabkommen zu blockieren, wenn keine zusätzlichen Garantien zum Schutz des Regenwalds und ein Bekenntnis zum Pariser Klimaabkommen abgegeben werden – mit Erfolg. Nunmehr sieht der Vertragstext vor, dass sich alle Unterzeichnerstaaten dazu verpflichten, die Klimakonvention effektiv zu implementieren. Auch im Hinblick auf Umwelt- und Naturschutz setzt das Übereinkommen, das mit 780 Millionen Einwohnern die größte Freihandelszone der Welt schaffen soll, ambitionierte Maßstäbe: Es enthält ein eigenes Kapitel, in dem die EU Nachhaltigkeitsstandards verankert hat, so wie schon in den Übereinkommen mit Japan und Mexiko. Neben dem Klimaschutzabkommen verschreiben sich die Vertragsparteien u.a. dem Washingtoner Artenschutzübereinkommen. Brasilien verpflichtet sich zudem, Maßnahmen gegen die fortschreitende Entwaldung zu ergreifen.

Um in Kraft zu treten, bedarf das praktisch unterschriftsreife EU-Mercosur-Abkommen allerdings noch der Ratifizierung durch alle EU-Mitgliedsstaaten und das europäische Parlament – ein Verfahren, das Jahre in Anspruch nehmen kann und dessen Ausgang keineswegs gewiss ist. Dennoch gilt wie bei allen zwischenstaatlichen Verträgen Art. 18 der Wiener Vertragsrechtskonvention, wonach jede zukünftige Vertragspartei verpflichtet ist, sich bereits nach der Unterzeichnung aller Handlungen zu enthalten, die Ziel und Zweck des Vertrags vereiteln würden. Wenn Freihandelsabkommen wirksam zum Schutz der Natur eingesetzt werden sollen, darf es freilich nicht bei Lippenbekenntnissen bleiben. Dass die EU bereit ist, ihre Wirtschaftsbeziehungen als Druckmittel einzusetzen, hat sie beim G7-Gipfel in Biarritz unter Beweis gestellt. Die Brände am Amazonas und die weltweite Empörung angesichts der Untätigkeit des brasilianischen Präsidenten haben den Ausschlag dazu gegeben, Bolsonaro abermals deutlich zu machen, dass seine Missachtung von Umwelt- und Naturschutz nicht geduldet wird. Der Druck der EU-Staaten scheint Wirkung zu zeigen: Unter anderem hat Bolsonaro am 28.08.2019 ein Gesetz angekündigt, das in der für den Regenwald sensiblen Trockenphase jegliches Brandlegen verbieten soll und noch am selben Tag im brasilianischen Amtsblatt veröffentlicht werden sollte. Dennoch werden angesichts der fortwährenden Provokationen Bolsonaros Forderungen an die EU-Staaten lauter, das Freihandelsabkommen vollständig zu boykottieren. Frankreich, Irland und Luxemburg drohen nun mit einem Veto. Wie dieser Prozess verläuft, wird wesentlich davon abhängen, wie sich die Bundesrepublik positioniert.

In der Debatte schwingt eine Grundsatzfrage mit, die stets aufgeworfen wird, wenn mit Staaten verhandelt wird, die völkerrechtliche Prinzipien missachten: Legitimieren die wirtschaftlichen Verbindungen das Verhalten des verletzenden Staates oder könnten sie zu einer Verhaltensmodifikation beitragen, die den verletzten Rechtsgütern zu Gute kommt? Eine Absage an die Freihandelszone wäre kurzzeitig ein deutliches politisches Signal, das aber auch schnell wieder verpufft. Gleichzeitig würde sich die EU dauerhafte Verhandlungskanäle auf Basis der Wirtschaftsbeziehung verbauen. Es ist mehr als zweifelhaft, ob es im Sinne des Biodiversitätsschutzes wäre, dass Bolsonaro dem wirtschaftlichen Isolationskurs der USA folgt oder gar einen unabhängigen Handelsvertrag mit den USA schließt. Die EU sollte stattdessen den Hebel der Handelspolitik nutzen, um von Brasilien langfristig ein belastbares Bekenntnis zu Umwelt- und Klimaschutz einzufordern – und das Nachhaltigkeitskapitel um eindeutige und messbare Regelungen und Sanktionen zu ergänzen. Sich in dieser Frage zurückzuhalten, wird auf Dauer teuer – und geht zu Lasten von uns allen.


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