17 February 2016

Konservativismus als Treue zur Verfassung: ein Nachruf auf Antonin Scalia

Hielte man in Deutschland eine Umfrage nach den Namen der Richter des Bundesverfassungsgerichts ab, würde wohl bei den meisten, selbst bei vielen Juristen, Verlegenheit einsetzen. Stellte man in den USA die Frage nach den Namen der Richter des Supreme Court, würde fast jeder Befragte in der Lage sein zu antworten. Würde dieselbe Frage im Ausland gestellt, könnten nicht wenige, selbst Nicht-Juristen, zumindest einen Namen nennen: Antonin Scalia. Am Samstag ist das markanteste Mitglied des amerikanischen Supreme Court unerwartet gestorben. Trotz seiner 79 Jahre strotzte Scalia vor Vitalität und Angriffslust wie immer. Mit seiner Ankunft im Supreme Court 1986 wurden die mündlichen Verhandlungen des Gerichts wieder sehens- und hörenswert. So schweigsam sein konservativer Kollege Clarence Thomas ist – er nimmt in den Verhandlungen nie das Wort –, so eloquent war Scalia und mit seiner Freude an der Auseinandersetzung, auch der polemischen, ein Schrecken der plädierenden Anwälte.

Wie man weiß, ist der amerikanische Supreme Court stärker politisiert als das Bundesverfassungsgericht. In Fällen mit bedeutenden politischen Auswirkungen stimmen die Richter überwiegend nach politischen Lagern ab, vier liberale gegen fünf konservative, von denen einer (Anthony Kennedy) jedoch gelegentlich die Seiten wechselt, und zwar gerade in Fragen mit starkem moralischen Einschlag wie Homosexualität, gleichgeschlechtliche Ehe und so weiter. Scalia war die intellektuelle Leitfigur des konservativen Flügels. Das von ihm abgefasste Urteil zum Recht der Amerikaner auf Waffenbesitz (Washington D.C. v. Heller) ist das letzte große Zeugnis dafür. Aber man muss sich davor hüten, Scalia auf Konservativismus festzulegen. In Fragen der Meinungsfreiheit war er liberaler als selbst der liberalste deutsche Verfassungsrichter. Die Meinungsfreiheit triumphierte fast immer. Für den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, mit dem die meisten anderen Verfassungsgerichte Konflikte zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz wie auch andere Grundrechtskollisionen lösen, hatte er nichts übrig. Er hielt diesen Grundsatz für unamerikanisch.

In Scalias Selbstverständnis war der Konservativismus keine politische Haltung, sondern die Folge seiner Treue zur Verfassung. Der Vorstellung der liberalen Richter, die Verfassung sei ein „living tree“, also ein Rechtsdokument, dass durch Interpretation auf die Probleme und Leitvorstellungen der Gegenwart eingestellt werde müsse, begegnete er mit Sarkasmus. Dem entsprach es, dass er methodologisch gesehen Originalist war. Unter den zwei Strömungen des Originalismus, original intent und original meaning, kam für ihn aber nur die letztere in Frage. Der Versuch, den Sinn einer Norm aus den Absichten ihrer Schöpfer zu erklären und zu diesem Zweck die Vorstellungen von Abgeordneten und Fraktionen zu ermitteln, hielt er für abwegig. Der Text der Verfassungsnormen von 1787 war vielmehr so zu verstehen, wie man die Worte zu dieser Zeit gebraucht hatte, und ganz so verhielt es sich mit den amendments. Das besonders wichtige 14. Amendment aus dem Jahre 1868, die due process clause, enthielt dann eben eine prozedurale Garantie, nicht auch reine inhaltliche, wie heute allgemein angenommen wird. Aber auch hier kann man Scalia nicht festlegen. Viele wegweisende Entscheidungen des Supreme Courts aus der Warren-Ära hätte er gern rückgängig gemacht, wenn sich dafür im Gericht eine Mehrheit gefunden hätte. Das hinderte ihn aber nicht daran, eine lang etablierte Rechtsprechung, selbst wenn er sie für falsch hielt, zu akzeptieren. Er hat einmal sinngemäß von sich gesagt, er sei „a textualist and an originalist, but not a nut“.

Konservativ war Scalia auch in seinem Amerikanismus. Der Sohn italienischer Einwanderer gab sich, wie es oft bei Emigranten der Fall ist, amerikanischer als manche Nachfahren der Mayflower-Generation. Er hielt jede Bezugnahme auf Entscheidungen ausländischer Gerichte für unerlaubt, es sei denn, es handelte sich um englische Gerichte vor der amerikanischen Unabhängigkeit. Man bekommt einen Geschmack davon, wenn man sich das berühmt gewordene, im Fernsehen übertragene Duell zwischen den Richtern Scalia und Breyer über die Frage anschaut, ob ein amerikanisches Gericht bei der Begründung seiner Entscheidungen auf ausländische Urteile verweisen darf. Die Frage entzweit nach wie vor die amerikanische Gesellschaft. Keinem Kandidaten für ein hohes Richteramt wird sie beim confirmation hearing im Senat erspart, und ich weiß nicht, wie oft ich in den USA aufgefordert worden bin, zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Die Verblüffung darüber, dass sie in Europa keine Rolle spielt, war erheblich. Hinter diesem Schutzwall stehend, war es für Scalia aber ein leichtes anzuerkennen, dass andere Richter aufgrund ihrer Verfassung zu anderen Ergebnissen kommen als er selbst. Ich erinnere mich an seinen emphatischen Ausruf bei einer öffentlichen Diskussion über die Unterschiede zwischen amerikanischer und deutscher Grundrechtsinterpretation: „If I were a German justice I would decide exactly like Dieter. But, as it is, I am not a German but an American Justice“.

Die weit über Amerika hinausreichende Bekanntheit von Scalia beruht zu einem besonders großen Teil auf seinen Sondervoten, die von seiner außerordentlichen Formulierungsgabe zeugen und sich nicht nur Juristen einprägten. Bisweilen waren sie von einer Schärfe, welche in Deutschland das kollegiale Verhältnis der Richter zerstört hätte. Aber auch hier gilt wieder, dass Scalia nicht einfach festzulegen ist. Bei aller Streitlust in der juristischen Auseinandersetzung war er persönlich ein außerordentlich liebenswürdiger und geselliger Mensch. Ein Hauptopfer seiner Sondervoten, seine Antipodin auf dem demokratischen Flügel des Supreme Court, Justice Ruth Ginsburg, war ihm persönlich in tiefer Freundschaft verbunden. Beide sind kürzlich sogar gemeinsam der Gegenstand einer Oper geworden. In dieses Bild passt auch, dass Scalia sich durchaus selbst zum Gegenstand von Ironie machen konnte. Berühmt ist seine Antwort, als er auf seine hohe Kinderzahl, neun, angesprochen wurde. Der überzeugte Katholik erklärte, dies sei eben das Ergebnis von „vatican roulette“. Er konnte aber in äußerste Erregung verfallen, wenn man sein Entscheidungsverhalten aus dem Katholizismus zu erklären versuchte. Es sei der Verfassungstext, nicht der katholische Glaube, der für all seine Entscheidungen maßgeblich sei.

Für Präsident Obama ist Scalias plötzlicher Tod eine gänzlich unverhoffte Chance, die Mehrheitsverhältnisse im Supreme Court zu ändern. Er kann einen liberalen Richter ernennen und damit das 5:4-Verhältnis im demokratischen Sinn umkehren. Er benötigt dafür freilich die Zustimmung des Senats, in dem die Republikaner zur Zeit eine Mehrheit von 8 Sitzen haben. 60 Stimmen sind notwendig, damit die Zustimmung zur Richterernennung überhaupt auf die Tagesordnung gesetzt wird. Die Zustimmung sämtlicher Demokraten unterstellt, müssten mindestens 14 republikanische Senatoren gewonnen werden, damit eine Abstimmung angesetzt werden kann. Obama wird gleichwohl von seinem Ernennungsrecht Gebrauch machen und angesichts der geringen Erfolgsaussichten wohl an ehesten eine Person benennen, deren Ablehnung den Republikanern Schwierigkeiten bereitet, die sich dann im Wahlkampf ausschlachten lassen.

All das zeigt die Überlegenheit des deutschen Richterwahlverfahrens. Nicht nur hilft die Begrenzung der Amtszeit, Erstarrungen der Rechtsprechung vorzubeugen. Vor allem wirkt der Wahlmodus einer Politisierung des Gerichts entgegen. Dabei ist weniger an die Aufteilung der Ernennungsrechte auf Bundestag und Bundesrat zu denken, die sich nicht als sehr folgenreich erwiesen hat, weil sie durch Parteiloyalitäten überlagert wird. Wohl aber hat das Erfordernis einer Zweidrittel-Mehrheit eine segensreiche Wirkung gehabt. Jeder Richter des Bundesverfassungsgerichts verdankt seine Position der Mehrheit und der Minderheit, und Fraktionen, wie der Supreme Court sie kennt, hat es in Karlsruhe nicht gegeben. Das Ausscheiden eines einzelnen Richters könnte schwerlich dieselben politischen Konsequenzen haben wie in den USA. Selbst der Umstand, dass in Deutschland Verfassungsänderungen wesentlich leichter sind als in den USA und damit auch eine demokratische Korrektur von Verfassungsrechtsprechung möglich ist, mildert das Problem der „countermajoritarian difficulty“, von der Amerika geradezu besessen ist.


16 Comments

  1. Gerold Keefer Wed 17 Feb 2016 at 13:54 - Reply

    “Macht, auch wenn sie auf demokratischen Wahlen beruht, kann sich im Verfassungsstaat nicht umstandslos in Recht umsetzen, sondern muss bestimmten Legitimitätsanforderungen genügen.” – Dieter Grimm

    Seit dem 04.09.2015 passiert genau das in großem Stil in Deutschland. Den amtierenden Verfassungsrichtern ist dies nach bald einem halben Jahr noch nicht aufgefallen. Zeigt sich darin etwa “die Überlegenheit des deutschen Richterwahlverfahrens” oder ist es eher das Ergebnis das Parteienkartells, das Staat, Justiz und große Teile der Medien in festem Griff hat?

    Habe die Ehre

    Gerold Keefer

    Quelle: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/dieter-grimm-ueber-das-verfassungsgericht-in-polen-13995517.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2

  2. Aufmerksamer Leser Wed 17 Feb 2016 at 14:52 - Reply

    Vielen Dank für den hervorragenden Nachruf. Nur an die vermeintliche “Überlegenheit des deutschen Verfahrens” möchte ich doch ein kleines Fragezeichen setzen. Zahlen wir hierdurch (jedenfalls in jüngerer Zeit) nicht alle jedenfalls den “Preis”, dass Persönlichkeiten wie Scalia gerade nicht in das BVerfG gewählt werden?

  3. Tellerrandgucker Wed 17 Feb 2016 at 15:31 - Reply

    Ein freundlicher Nachruf. Dabei kann man ruhig aussprechen, dass Scalia, nach deutschen Maßstäben, rechtsdogmatisch extreme und radikale Positionen vertrat, und in den USA auch zu großer Geltung verholfen hat.

    Man stelle sich einen deutschen Verfassungsrichter als “Originalisten” vor, der die Auffassung verträte, einzig die Wortlautauslegung des Gesetzes sei für die Urteilsfindung maßgeblich. Historische Auslegung nach dem Willen der Gesetzgeber, teleologische Auslegung nach Sinn und Zweck der Norm, alles Humbug (von rechtsvergleichender Auslegung ganz zu schweigen). Und der Wortlaut, der muss ausgelegt werden in dem Sinne, wie er zur Zeit der Verabschiedung der Norm verstanden wurde. Das BGB also nach dem Verständnis des späten 19. Jahrhunderts, das GG nach den späten 1940er Jahren …

    Polemisch (Scalia würde es annehmen) könnte man feststellen: nach diesen Maßstäben legen z.B. die Wahhabiten (Saudis und der IS) den Koran aus. Im Westen wird das allgemein als Irrweg in der Religion angesehen.

    Aber Scalia hat diese Auffassung für die Jurisprudenz vertreten. Wie gesagt, ein Radikaler.

  4. Kann man auch anders sehen Wed 17 Feb 2016 at 19:43 - Reply

    @ Tellerrandgucker: „Polemisch (Scalia würde es annehmen) könnte man feststellen: nach diesen Maßstäben legen z.B. die Wahhabiten (Saudis und der IS) den Koran aus. Im Westen wird das allgemein als Irrweg in der Religion angesehen.“

    In einem anderen Nachruf habe ich gelesen, dass Scalia kein grundsätzliches Problem mit einer Verfassungsänderung gehabt hätte. Solange die aber ausbleibt, wollte er den Wortlaut der geltenden Verfassung als Richter „ernst“ nehmen. Wenn der Gesetzgeber in Attentismus verharrt, war dies für ihn kein Grund, dies auf anderem Weg zu kompensieren.

    Beim Wort des Propheten stellt sich im Übrigen eine Änderung des Textes anders dar als bei einer Verfassungsänderung.

  5. PG Wed 17 Feb 2016 at 20:23 - Reply

    Mir ist nicht ganz klar, worin wirklich der Vorteil des deutschen Richterwahlsystems liegen soll. Wenn im Senate 60 Stimmen für die Ansetzung der Abstimmung nötig sind, dann ist das im Ergebnis kaum von einer 2/3-Mehrheit entfernt. Die unterschiedliche Politisierung muss also andere Gründe haben (Historie, Nominierung durch den Präsidenten…). In im Fall Horst Dreier hat man gesehen, dass auch bei uns eine Wahl ganz schnell politisiert werden kann und zu ganz schnellen Reaktionen führt.

    @Tellerrandgucker: Das ist mal wieder eine typische deutsche überhebliche Sicht. Betrachtet man es mal rein rechtsdogmatisch und nicht politisch, so ist Sinn von Scalias Auslegung, dass dem Parlament mehr und ein paar Richtern weniger Macht zukommt. Darin liegt erst einmal nichts schlechtes und schon gar nicht der Untergang des Abendlandes. Sonst wird demokratische Legitimation – trotz ihrer Mankos – doch auch immer gern hoch gehalten („Wesentlichkeitstheorie“ etc.; man denke etwa nur an die ständigen Rufe nach einer Kodifizierung des Arbeitskampfrechts, die aufgrund des Richterrechts bei uns nun überflüssig ist). Nur weil bei uns das BVerfG ganz gut funktioniert, bedeutet das nicht, dass ein größerer richterlicher Spielraum nicht doch Gefahren schafft. Zum anderen nehmen wir unsere Auslegungsmethoden völlig unkritisch an, weil wir es so gelernt haben. Man kann aber sehr wohl z.B. mal hinterfragen, welchen Stellenwert irgendwelche Aussagen einzelner Abgeordneter im Gesetzgebungsprozess haben sollten.

  6. schorsch Thu 18 Feb 2016 at 11:49 - Reply

    Och, Keefer, is gut jetzt. Zu Ihren Rechtsauffassungen haben wir uns genug unterhalten. Sonst beschweren Sie sich aber, dass überhaupt nicht rechtsförmig gehandelt würde. Insofern passt das Grimmsche Zitat schon nicht. Aber endgültig krude wird es nun mit Ihrer Einbeziehung des Bundesverfassungsgerichts. Das klingt bei Ihnen so, als müsse das Gericht eigeninitiativ zu allen wichtigen Verfassungsfragen Stellung beziehen. Sie wissen aber schon, dass Gerichtsentscheidungen im Rahmen von Gerichtsverfahren auf Anträge durch Antragsberechtigte folgen?

  7. Tellerrandgucker Thu 18 Feb 2016 at 14:16 - Reply

    @Kann man auch anders sehen: Vermutlich würden auch deutsche (Verfassungs)Richter für sich in Anspruch nehmen, den Wortlaut einer Norm ernst zu nehmen. Nur die Meinung Scalias, es komme !ausschließlich! darauf an, die ist radikal, und in Deutschland seit mehr als hundert Jahren überwunden (vgl. § 133 BGB)

    @PG: Richtig, größerer richterlicher Spielraum kann zu Mißbrauch führen. Uralter Streit (Stichwort “judicial activism”), den ich hier nicht aufgewärmen mag.

    Wer (wie Scalia) meint, der ursprüngliche Wortsinn einer Regelung sei entscheidend für die Rechtsanwendung, muss entweder die Normen bei Bedarf an neue Umstände anpassen, oder redet einer Erstarrung des Rechtssystems das Wort. Die ständige Erneuerung einer Verfassung ist schwierig, gerade in den USA, und mit gutem Grund. Da scheint mir das Risiko übermäßigen judicial activism vorzugswürdig gegenüber dem Risiko einer fundamentalistischen/”originalistischen” Erstarrung des Rechts im ausgehenden 18. Jahrhundert.

  8. CGHR Thu 18 Feb 2016 at 17:09 - Reply

    Ich würde die “Überlegenheit des deutschen Richterwahlverfahrens” zuspitzen zur Überlegenheit des deutschen (und auch europäischen) Rechtssystems. Das ist in seiner Allgemeinheit sicherlich polemisch; das US-System hat aber eine Vielzahl von Problemen, unter denen die Wahl der Richter des SCOTUS nur ein geringes darstellt.

  9. schorsch Thu 18 Feb 2016 at 19:05 - Reply

    @CGHR: Probleme gibt es im US-System sicher zuhauf. Ich staune allerdings, dass es die hier nicht geben soll. Sie waren wohl länger nicht mehr vor Gericht.

    Man könnte zudem sagen: In jedem Rechtssystem gehört die Besetzung von Richterstellen immer zu den grundsätzlichen Problemen. Das Dilemma, dass Besetzungen einerseits demokratisch (politisch) legitimiert werden müssen, andererseits die Amtsausübung nicht politisiert werden soll, ist unauflösbar. Das hiesige Verfahren wird ja doch auch immer wieder kritisiert, als Parteiklüngel in Hinterzimmern etwa (fragen Sie mal bei Heribert Prantl nach). Auch dass die Möglichkeit der Wiederwahl (und ihrer Verweigerung) beim EuGH eine Rückwirkung auf die Amtsausübung entfaltet, liegt zumindest nahe.

    Mir scheint vielmehr als das Berufungsverfahren ein anderer Unterschied zu den USA entscheidend. Die amerikanischen Richter bürgen mit ihren Namen für ihre Meinungen. Das erlaubt es, sie für ihre Amtsausübung verantwortlich zu halten. Und in der Tat wird ja immer wieder in der Öffentlichkeit über die Kohärenz ihrer Verfassungsvorstellungen diskutiert. Oder fragen Sie mal Ted Cruz, was er zur Zeit von John Roberts hält. Das wäre in Deutschland wohl in der Tat nicht möglich.

  10. Gerold Keefer Fri 19 Feb 2016 at 08:59 - Reply

    > Insofern passt das Grimmsche Zitat schon nicht.

    Es passt. Ihnen vielleicht nicht.

  11. Chris Fri 19 Feb 2016 at 09:05 - Reply

    Der Unterschied zwischen dem deutschen und dem US-System der Richterberufung ist in meinen Augen fundamental:
    In Deutschland ist es die Wahl der Richter (ob man das System des Richterwahlausschusses nun gut oder schlecht findet, sei mal dahin gestellt) – der Bundestag kann also auswählen, wen er möchte. In den USA ist es hingegen im Grunde eine Ernennung durch den Präsidenten ist. Der Senat muss zwar “advice and consent” geben, also zustimmen – er kann aber eben nur über die vom Präsidenten ernannte Person abstimmen und keine Auswahl treffen, und üblicherweise hat er auch keine andere Wahl als den Richter dann zu genehmigen, wenn er nicht wirklich politisch “Dreck am Stecken” hat oder einfach unqualifiziert ist. Dass man einen US-Bundesrichter also viel einfacher und eindeutiger mit “seinem” Präsidenten – und damit mit einer Partei bzw. einem ideologischen Lager – verbinden kann als bei uns, trägt sicherlich auch zu einer solchen Ideologisierung bei, ist aber faktisch auch richtig, denn im Ergebnis entscheidet der US-Präsident und nicht der US-Senat, wer Richter wird.
    Ich kann bei unseren Verfassungsrichtern hingegen nicht sagen, wer sie jeweils vorgeschlagen hat – was ja auch viel weniger eine Rolle spielt, weil sie ja am Ende mit 2/3-Mehrheit gewählt worden sind, also auch die andere große Partei zugestimmt hat und es dann doch irgendwie ein Konsens war. Es ist im Ergebnis ja doch ein Konkordanzsystem.

    Die deutsche Wahl-2/3-Mehrheit kann man dabei auch nicht mit der Closure-Vote-Mehrheit im US-Senat vergleichen, wie das PG hier getan hat – denn dabei geht es ja immer darum, einen (formellen) Filibuster im Senat zu überkommen. Ein Filibuster ist aber immer ein reines Obstruktionswerkzeug, und deswegen politisch extrem riskant – denn man trifft damit ja keine Entscheidung, sondern man verhindert, dass überhaupt eine Entscheidung getroffen wird, weil man die Befassung mit der Sache überhaupt verhindert. Und wenn man die aktuelle Presseberichterstattung in den USA zu diesem Thema betrachtet, wird viel darüber spekuliert, ob die Republikaner es sich politisch überhaupt erlauben können, eine Nominierung auf diesem Wege zu “sabotieren”, oder ob ihnen das politisch bei den Wahlen gewaltig auf die Füße fällt, in dem es den Demokraten gute Argumente liefert, ihre Wähler gegen die Republikaner zu mobilisieren und am Ende nicht nur die Präsidentschaft, sondern auch den Senat wieder zurück zu holen.

    Es gibt also in meinen Augen gravierende Unterschiede zwischen den Systemen, und auch wenn das deutsche Richterwahlsystem so seine Schwächen hat. Aber wenn ich zwischen den Systemen wählen müsste, würde ich immer das deutsche System wählen – any day of the week.

  12. Pascal Sat 20 Feb 2016 at 01:38 - Reply

    Was ist denn eigentlich ein unpolitisches Verfassungsgericht?

  13. schorsch Sun 21 Feb 2016 at 13:48 - Reply

    @Pascal: Wer spricht von unpolitisch? Wir haben aber ein Gericht, dass nicht entlang der Frontlinien des politischen Prozesses gespalten ist. Und in dem die Richter_innen sich nicht als Gesandte einer politischen Partei verstehen. Das hat doch was.

  14. Christian Schmidt Tue 23 Feb 2016 at 13:42 - Reply

    Ein unpolitisches Verfassungsgericht waere eins das kaum Arbeit hat.

    Politisch wird es doch meistens wenn die Politik versagt, wenn das Gericht ueber Sachen entscheiden muss die politisch entschieden werden sollten – und koennten wenn sich entscheidenden (Politik-)Akteure nicht weigern wuerden, oder bewusst versuchen sich mehr Macht zu sichern ohne sich an die vorgesehenden Regeln halten zu wollen (Beispiele in D: diverse Rundfunkentscheidungen, Bundestagswahlrecht)

  15. Matthias Tue 23 Feb 2016 at 14:33 - Reply

    @AL: An welche “Persönlichkeiten wie Scalia” denken Sie denn so, mal rein theoretisch?

  16. Gerold Keefer Sat 27 Feb 2016 at 14:53 - Reply

    Über Tote soll man ja nur Gutes berichten. Aber im Luxushotel-Bett bezahlt von John Poindexter, einem alten Bekannten aus den Iran-Contra-Zeiten, zu sterben ist für Herr Scalia wenig schmeichelhaft.

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