27 March 2014

“Kontrolle funktioniert nicht, wenn der Kontrollierte sie beherrscht.”

Herr Grimm, gibt es gute Gründe, dass Politiker bzw. staatliche Amtsträger überhaupt in Rundfunkgremien sitzen?

Der Staat hat zu gewährleisten, dass der Rundfunk die Aufgabe erfüllt, die ihm von Artikel 5 des Grundgesetzes zugedacht ist. Ein Mittel zu diesem Zweck ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Die Rundfunkanstalten werden vom Staat eingerichtet. Er bestimmt ihren Auftrag, und stattet sie mit den Geldern aus, die sie zur Aufgabenerfüllung benötigen. Diese Rolle erlaubt es, ihm auch eine begrenzte Mitwirkung in den Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einzuräumen. Eine andere Frage ist, wo die Grenzen genau verlaufen. Diese Frage hat das Bundesverfassungsgericht in dem am Dienstag verkündeten Urteil zu beantworten versucht.

Wie tariert man das aus? Kann man durch feinmaschigere Regelungen eine mögliche Instrumentalisierung des Rundfunks für machtpolitische Zwecke in den Griff bekommen?

Nur begrenzt. Politischer Erfolg hängt in starkem Maß von dem Bild ab, welches das Fernsehen von der Politik und den Politikern vermittelt. Deswegen wird die Politik immer in Versuchung sein, Einfluss auf das Fernsehen zu nehmen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk als vom Staat geschaffene Einrichtung ist dafür anfälliger als der private. Dieser ist anderen Instrumentalisierungsgefahren ausgesetzt. Das Recht kann die Gefahr nicht beseitigen. Es kann sie aber eindämmen. Das ist in dem Urteil unternommen worden, indem Höchstgrenzen für staatliche Amtsinhaber und Mandatsträger sowie andere dem Staat zuzurechnende Personen eingeführt wurden. Ähnliches ist in früheren Urteilen geschehen, indem die Möglichkeiten der Beeinflussung durch die Festsetzung der Rundfunkgebühr oder die Vergabe der Frequenzen erschwert wurden.

Ist das Problem tatsächlich der Staat oder sind es nicht vielmehr gesellschaftliche Kräfte, nämlich die Parteien?

Im demokratischen Staat sind es die Parteien, welche aufgrund der Wahl in die politisch entscheidenden Organe Parlament und Regierung einrücken. Insofern sind die Staatsvertreter in den Gremien ebenfalls Parteimitglieder, in der Regel sogar führende. Die Parteien wiederum erfüllen eine Mittlerfunktion zwischen Staat und Gesellschaft. Sie wurzeln in der Gesellschaft und streben in den Staat. Wenn man sich für eine Kontrolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch die gesellschaftlichen Kräfte entscheidet, um ihn dem direkten Staatseinfluss zu entziehen, gehören die Parteien sicherlich zu diesen Kräften. Als gesellschaftliche Kräfte verfügen sie aber nicht über öffentliche Gewalt. Öffentliche Gewalt können nur Staatsorgane ausüben und auch nur unter den Bedingungen, die in Verfassung und Gesetz festgelegt sind. Deswegen bestehen trotz aller Verbindungen zwischen Parteien und Staat Unterschiede.

Also sollten reine Parteienvertreter und Inhaber von staatlichen Ämtern in den Gremien unterschiedlich behandelt werden?

Jedenfalls habe ich bei reinen Parteivertretern weniger Probleme als bei Politikern, die ein staatliches Amt oder Mandat innehaben. Die Verfügung über öffentliche Gewalt begründet den Unterschied.

Gerade haben wir eine sehr große Koalition. Müsste man dann die Opposition auch in den Gremien durch bestimmte Regelungen stärken?

In den Gremien der Rundfunkanstalten geht es ja nicht um Regierung und Opposition, sondern um die Widerspiegelung gesellschaftlicher Vielfalt. Einen Teil dieser Vielfalt machen die politischen Parteien aus. Diese Vielfalt besteht unabhängig davon, wer gerade mit wem eine Koalition eingeht. In den Rundfunkgremien beargwöhnen und bewachen sich auch die Parteien einer großen Koalition gegenseitig.

Der Begriff der Staatsferne, um den sich auch das gestrige Urteil dreht, stammt aus den frühen 60er Jahren. Seither hat sich nicht nur die Rundfunk-, sondern auch die Medienlandschaft generell fundamental gewandelt. Passt der Begriff überhaupt noch?

Völlig unabhängig von diesem Wandel bleibt es dabei, dass die Ausübung von Macht kontrollbedürftig ist. Einer der wichtigsten Kontrolleure sind die Medien, und unter diesen nimmt das Fernsehen noch immer eine besondere Rolle ein. Kontrolle funktioniert nicht, wenn der Kontrollierte sie beherrscht. Staatsferne bedeutet Unabhängigkeit der publizistischen Tätigkeit, beim Rundfunk also Unabhängigkeit des Programms von staatlicher Einflussnahme. Das ist heute so aktuell wie in den sechziger Jahren. Nur von einem unabhängigen Standpunkt aus können die Medien einschließlich des Rundfunks die Gesellschaft mit denjenigen Informationen versorgen, die ihre Glieder zur persönlichen Entfaltung und demokratischen Partizipation benötigen. Deswegen muss nicht nur der direkten, sondern auch der indirekten, subtilen Einflussnahme auf die publizistische Tätigkeit begegnet werden. Das hat das Verfassungsgericht in früheren Entscheidungen zu tun versucht und auch in der jetzt verkündeten.

Wie verhält sich denn dazu der Aspekt, dass die Meinungsvielfalt über die Gremien abgesichert werden muss?

So wie die staatlichen Machthaber nicht unkontrolliert bleiben können, können auch die publizistischen Machthaber nicht unkontrolliert bleiben. Es drohen sonst Einseitigkeiten oder Vermachtungen oder Funktionsverfehlungen, die auf Kosten der Vielfalt und damit auch auf Kosten der Persönlichkeitsentfaltung und der demokratischen Herrschaft gingen. Da nun der Staat, als eines der Kontrollobjekte, diese Kontrolle nicht selber ausüben darf, muss nach einem anderen Weg gesucht werden, und in Deutschland besteht er seit dem Neubeginn nach 1945 in gesellschaftlicher Kontrolle, wahrgenommen im Wesentlichen durch die gesellschaftlichen Assoziationen, Verbände, Bewegungen. Dabei wird unterstellt, dass die gesellschaftliche Vielfalt in den Gremien auch ein geeigneter Garant für Vielfalt im Programm der Rundfunkanstalten ist.

Im Urteil wird besonders hervorgehoben, dass im Sinne der Vielfalt auch Personen und Gruppen in den Gremien vertreten sein müssen, die nicht in Verbänden organisiert sind. Was wäre ein Beispiel für eine solche Gruppe, die für einen modernen Rundfunk mehr berücksichtigt werden müsste?

Jedes Rundfunkgesetz sieht eine andere Gremienzusammensetzung vor. Deswegen fällt es mir jetzt schwer, eine durchgängig vernachlässigte Gruppe zu benennen. Ich selbst würde es für wichtiger halten, dass nicht nur Vertreter von Gruppen in die Gremien einzögen, sondern auch Personen, die allein aufgrund ihrer individuellen Autorität in Betracht kommen. Woher nimmt man die und wer darf sie benennen? Das ist kein einfaches, aber doch ein lösbares Problem. Man müsste Benennungsrechte für unabhängige Persönlichkeiten vergeben.

Wenn man lauter Vertreter einzelner Gruppen in den Gremien hat, führt das nicht nur zu einer Kumulierung von Partikularinteressen?

Die Idee ist, dass die Gremienmitglieder zwar von Interessengruppen entsandt werden, in den Räten aber als Sachwalter der Allgemeinheit handeln. Das verlangt im Augenblick des Eintritts in den Sitzungssaal des Funkhauses einen Rollenwechsel, der mehr oder weniger gut gelingen kann. Jedenfalls wird man durch das Zusammentreffen so vieler Interessen gezwungen, die Relativität des eigenen Interesses anzuerkennen. Die Gefahr, die Sie benannt haben, besteht aber. Die Einbeziehung von Staatsvertretern in die Gremien hätte sich daher auch mit dem Ausgleich der Schwächen der partikularen Interessenvertretung rechtfertigen lassen.

In der Praxis wird doch in der Regel nicht im Gremium selbst, sondern in informellen und intransparenten Hinterzimmerzirkeln entschieden. Bei den Rundfunkgremien heißt das „Freundeskreise“. Kann man vom BVerfG realistisch erwarten, diese Flucht in die Informalität zu stoppen?

Die Praxis ist von Anstalt zu Anstalt verschieden. Wo es Freundeskreise gibt, fallen dort Vorentscheidungen, wie sich die verschiedenen Kreise im Plenum verhalten wollen. Wenn die Mehrheitsverhältnisse es gestatten, steht damit manchmal das Ergebnis der Plenarentscheidung fest, aber keineswegs immer. Das Bundesverfassungsgericht hat es insbesondere unternommen, Sperrminoritäten der Staatsvertreter aufzulösen. Im Übrigen gibt es die informellen Freundeskreise nur, weil sich die Vertreter der gesellschaftlichen Gruppen freiwillig hinter die politischen Parteien scharen. Niemand kann sie dazu zwingen, und wenn sie es schon tun, kann niemand sie dazu zwingen, so abzustimmen wie im Freundeskreis besprochen. In der freiwilligen Parteienhörigkeit besteht der Fehler, und dagegen lässt sich mittels des Rechts wenig tun.

Wir hatten vorhin schon kurz über die Rundfunkfinanzierung gesprochen. Vorgestern wurde in München auch über den Rundfunkbeitrag verhandelt. Wirkt sich auch hier das Konzept der Staatsferne aus, gerade bei der Frage, ob dies per Steuer oder Beitrag geschehen sollte?

Ja, das hat Auswirkungen. Der Rundfunkbeitrag wird ja bisher in einem komplizierten Verfahren beschlossen: Die Rundfunkanstalten melden ihren Bedarf an, eine unabhängige Kommission untersucht, ob der Bedarf besteht, und aufgrund ihres Beschlusses entscheiden die Landesparlamente über den Beitrag. Wollen sie vom Beschluss der Kommission abweichen, müssen sie gute Gründe haben. Das ist der Versuch des Bundesverfassungsgerichts gewesen, den Staatseinfluss auf das Programm mittels Finanzentscheidungen möglichst abzustellen. Wenn man den Rundfunk aus einer Steuer finanziert, sind diese Vorkehrungen hinfällig. Dann entscheidet das Parlament, und der indirekten, subtilen Einflussnahme auf das Programm stehen die Tore wieder offen. Deswegen ist die Steuer keine der Staatsferne und der Unabhängigkeit dienliche Lösung.

Halten Sie die aktuelle Regelung zum Rundfunkbeitrag unter diesem Aspekt für problematisch?

Ich glaube, dass die neue Regelung im Licht der Erfahrungen, die man jetzt mit ihr macht, nochmals überprüft werden muss, hinsichtlich der Höhe des Beitrags – die Neuregelung soll ja aufkommens-neutral sein – und hinsichtlich einiger Modalitäten. Im Grundsatz habe ich aber an dem neuen System nichts auszusetzen. Es handelt sich nicht um eine Steuer, denn der Rundfunkbeitrag wird nicht zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs des Staates erhoben und verwendet. Es lässt sich auch rechtfertigen, dass er unabhängig von der tatsächlichen Nutzung des Rundfunks erhoben wird. Ein Rundfunk, der den verfassungsrechtlichen Erwartungen entspricht, liegt im Interesse der gesamten Gesellschaft. Deswegen kann man sie auch insgesamt heranziehen.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Grimm.

Das Interview führte Henrike Maier.


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