05 February 2021

Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser

V-Leute mit Verfassungsrang II

„Ooops…they did it again” könnte man angesichts des Beschlusses des Zweiten Senats zur parlamentarischen Kontrolle des Einsatzes von sog. V-Personen durch die Nachrichtendienste ausrufen, der – bereits am 16. Dezember des Vorjahres gefasst – am Mittwoch dieser Woche veröffentlicht wurde.

Denn die aktuelle Entscheidung knüpft nicht nur nahtlos an den „Oktoberfestbeschluss“ desselben Senats vom Juni 2017 an, sondern führt die in den letzten Jahren zu beobachtende Linie der Verkürzung der parlamentarischen Kontrollrechte im Sicherheitsbereich auch nach dem kürzlich erfolgten Wechsel in der Berichterstattung ungemindert fort. Soweit in der unmittelbaren Vorgängerentscheidung die Antragsteller zumindest noch einen Teilsieg erringen konnten, hatte es bereits dort des außergewöhnlichen Umstands bedurft, dass die darin verhandelten Ereignisse mehr als 35 Jahre zurücklagen. Neu ist an dem aktuellen Beschluss insofern lediglich, dass er die zuvor lediglich allgemeinen zum parlamentarischen Informationsrecht aufgestellten Maßstäbe nun auch auf die Beweiserhebung im Untersuchungsausschuss (UA) überträgt. Konkret bewertete der Senat die Weigerung des Bundesinnenministers (BMI) und der Bundesregierung (BReg) dem Beweisbeschluss des UA zur Vernehmung eines V-Personen-Führers nachzukommen, als vollständig verfassungskonform.

Hätte es sich nicht um ein Organstreitverfahren, sondern um eine Verfassungsbeschwerde gehandelt – sie hätte auch als Kammerbeschluss ergehen können; vorausgesetzt jedenfalls, dass der Kammer nicht Peter Müller angehört hätte. Denn anders als noch in der Vorgängerentscheidung stimmte dieser nicht nur gegen die Senatsmehrheit, sondern verfasste auch ein beachtliches Sondervotum, in dem er zahlreiche Schwachpunkte der aktuellen Entscheidung klar benennt. (Die im Juni 2020 ernannte Richterin Astrid Wallrabenstein wirkte an der Entscheidung noch nicht mit, so dass diese mit 6:1 Stimmen erging.)

Sachverhalt

Inhaltlich liegen der Entscheidung die Vorgänge rund um den Anschlag auf den Berliner Breitscheidplatz vom Dezember 2016 zu Grunde, zu deren Aufklärung der 1. UA der 19. Legislaturperiode eingesetzt wurde (vgl. dazu den sehr informativen UAPod). Dazu gehören insbesondere die Fragen, ob der Attentäter Anis Amri oder weitere mögliche Beteiligte von den Sicherheitsbehörden als Informationsquelle genutzt wurden und ob mit Rücksicht darauf von Maßnahmen gegen etwaige Beteiligte abgesehen wurde. Im Rahmen dieses Aufklärungsauftrags forderte der UA von BMI und BReg den für die Führung einer oder mehrerer Vertrauenspersonen zuständigen Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) zu benennen, um dessen Vernehmung als Zeuge zu ermöglichen. Unter explizitem Hinweis auf den angesprochenen Vorgängerbeschluss weigerten sich diese jedoch und gaben zunächst lediglich den Beschaffungsleiter der Abteilung „Islamismus und Islamistischer Terrorismus“ sowie später noch den für die Führungsperson zuständigen Referatsleiter „VM-Führung nord- und ostdeutsche Bundesländer“ als Zeugen an. Zur Rechtfertigung der Nichtbenennung beriefen sich BMI und BReg vor allem darauf, dass der Quelle eine „unbeschränkte Vertraulichkeitszusage“ gegeben worden sei, die bereits durch eine Vernehmung des Quellenführers gebrochen werde.

Mit Schriftsatz vom 11. Dezember 2018 beantragten die demokratischen Oppositionsfraktionen des Bundestages sowie ihre im UA vertretenen Obleute, das BVerfG möge im Wege des Organstreitverfahrens eine Verletzung der dem Deutschen Bundestag aus Art. 44 I 1 GG zukommenden Rechte feststellen.

Entscheidungsgründe

Auch in dem Aufbau der Entscheidungsgründe entspricht der Beschluss ganz wesentlich dem vorangegangenen Oktoberfestbeschluss: Abschnitt C.I. enthält die seit der Entscheidung zum Flick-Untersuchungsausschuss bekannten Ausführungen in Bezug auf Reichweite und Grenzen der parlamentarischen Kontrollrechte; Abschnitt C.II. bildet eine Art Maßstabsteil mittlerer Reichweite, in dem das parlamentarische Kontrollrecht gerade in Bezug auf V-Personen-Einsatz und Nachrichtendienste konkretisiert wird; in Abschnitt C.III. erfolgt schließlich die Subsumtion des konkret zu entscheidenden Falls.

C. I. – Allgemeine Grundsätze zum parlamentarischen Untersuchungsrecht

Unter C. I. findet sich, wie gesagt, wenig Neues: Insbesondere fällt es in dieser allgemeingehaltenen Darstellungsform der Senatsmehrheit noch sehr leicht, die besondere Bedeutung des parlamentarischen Kontrollrechts zu betonen.

Aufhorchen lässt insofern lediglich eine kurze Passage, in der das Gericht das Ergebnis der folgenden Abwägung bereits auf dieser Ebene vorwegnimmt: So sei die BReg in Bezug auf die mögliche Beschränkung des parlamentarischen Kontrollrechts durch das Staatswohl insbesondere nicht verpflichtet, „Verschlusssachen, die Dienstgeheimnisse enthalten, dem Bundestag vorzulegen, wenn dieser nicht den von der Bundesregierung für notwendig gehaltenen Geheimschutz gewährleistet […] oder die Funktionsfähigkeit des Verfassungsschutzes beeinträchtigt werden kann“ (Rn. 93; H.d.d.V.).

Während der erste Halbsatz der bekannten ständigen Rechtsprechung entspricht und auch dementsprechend belegt wird, stellt der zweite Halbsatz in dieser Form eine Neuerung dar – die insoweit fehlenden Präjudizien werden allerdings auch nicht durch Argumente ersetzt. Wie im weiteren Verlauf deutlich werden wird, handelt es sich aber um eine wesentliche Erweiterung des Maßstabs, die es der Senatsmehrheit ermöglicht, eine Beeinträchtigung des Staatswohls auch dann anzunehmen, wenn der Geheimschutz unbestritten gewährleistet wird.

C.II. –Maßstab mittlerer Reichweite

Nach den unter C. II. formulierten Maßstäben besteht auch im Bereich des Einsatzes verdeckter Quellen „ein gewichtiges Informations- und Kontrollinteresse des Untersuchungsausschusses“ (Rn. 97). Angesichts der verdeckten Arbeitsweise der Dienste und dem damit verbundenen „Risiko für Fehlsteuerungen, Zielkonflikte und Missbrauch“ könne dieses sogar „von hervorragender Bedeutung“ sein (Rn. 98, 101). Deshalb dürfe das Untersuchungsrecht des BT auch nicht durch „eine routinemäßige Erteilung von Vertraulichkeitszusagen an V-Personen unterlaufen“ werden, mit der es die die Vertraulichkeit garantierenden Behörden ansonsten „in der Hand“ hätten, „über das Beweiserhebungsrecht des Untersuchungsausschusses zu disponieren“ (Rn. 102).

Begrenzt werde dieses Recht jedoch durch die Funktionsfähigkeit der Nachrichtendienste, „für die der Schutz der Identität der V-Person und die Geheimhaltung ihrer Arbeitsweise von erheblicher Bedeutung“ sein könne, sowie „durch die Grundrechte der betroffenen V-Personen“ (Rn. 97, 103). Wie schon im Oktoberfestbeschluss wird dies daraus hergeleitet, dass das GG zur „Wahrung der inneren und äußeren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland […] ausdrücklich die Errichtung von Verfassungsschutzbehörden und Nachrichtendiensten“ zulasse, die zugleich „Ausdruck der Grundentscheidung des Grundgesetzes für eine wehrhafte Demokratie, des Selbstbehauptungswillens des Rechtsstaates und damit Bestandteil des Sicherheitssystems der Bundesrepublik Deutschland“ seien. Bei dem Einsatz von V-Personen durch die Nachrichtendienste handele es sich zudem „um eine vom Gesetzgeber gebilligte Methode zur verdeckten Informationsbeschaffung“ (Rn. 104).

Der nachrichtendienstliche Einsatz von V-Personen könne diesen gegenüber „die umfassende Zusicherung und Wahrung von Vertraulichkeit erfordern“ (Rn. 105). Anders als „V-Personen beziehungsweise V-Person-Führer der Strafverfolgungsbehörden“ müssten solche der Nachrichtendienste auch nicht „mit einer unmittelbaren Vernehmungssituation im Rahmen eines auf Verwertbarkeit der gewonnenen Informationen gerichteten öffentlichen Verfahrens“ rechnen, „weil sie bei einer umfassenden Vertraulichkeitszusage davon ausgehen dürfen, dass ihre Erkenntnisse nur auf den in den Nachrichtendiensten üblichen Kommunikationskanälen abgeschöpft werden“ (Rn. 106). Werde dies nicht gewährleistet, „könne der Informationszugang des Verfassungsschutzes in das extremistische Milieu“ nicht nur im Falle einer Enttarnung „über einen längeren Zeitraum entfallen“ (Rn. 109 f.). Der Verlust einer Quelle könne auch bereits dadurch eintreten, dass „eine Vertraulichkeitszusage durch behördliche Verhaltensweisen erschüttert“ werde, „mit denen die V-Person nicht rechnen musste oder die aus ihrer Sicht eine Aufdeckung ihrer Identität befürchten lassen“. Bereits der „subjektive Eindruck, die Vertraulichkeit sei nicht gesichert“, könne ausreichen, „um auch andere aktive Quellen […] von einer weiteren Zusammenarbeit abzuhalten und die Gewinnung neuer Quellen zu erschweren“. Dies wiederum könne die Aufgabenerfüllung der Nachrichtendienste gefährden, „die auf den langfristigen Einsatz von V-Personen im betreffenden Milieu angewiesen“ seien (Rn. 112).

Geraten „verfassungsrechtlich verankerte Geheimhaltungsinteressen und parlamentarisches Aufklärungsinteresse in Konflikt, müssen sie in der Weise in Ausgleich gebracht werden, dass beide soweit wie möglich ihre Wirkung entfalten“ (Rn. 114). Durch eine Beweiserhebung im Bereich des Einsatzes verdeckter Quellen der Nachrichtendienste würden „berechtigte Geheimhaltungsinteressen weder in jedem denkbaren Fall beeinträchtigt“, noch sei „eine solche Beeinträchtigung stets zu besorgen“ (Rn. 115). Soweit eine Verletzung des Staatswohls sowie der Grundrechte der V-Person aufgrund mangelnden Geheimschutzes zumindest fernliegend erscheine, könne die BReg eine Mitwirkung nur dann verweigern, „wenn allein die Zusage und Wahrung uneingeschränkter Vertraulichkeit die Arbeitsfähigkeit der Nachrichtendienste in einem bestimmten Milieu gewährleisten“ könne. Für das Vorliegen derartiger spezifischer Umstände, “bedürfe es einer besonderen vorherigen Begründung“ (Rn. 119).

C.III – Subsumtion des konkreten Falles

In Hinblick auf den konkreten Fall attestiert die Senatsmehrheit dem UA zwar „ein gewichtiges Interesse“ an der Vernehmung des V-Person-Führers. Auch könne mit Blick auf mögliche Geheimschutzvorkehrungen weitgehend ausgeschlossen werden, dass eine Gefährdung des Staatswohls oder der Grundrechte durch die Veröffentlichung geheimhaltungsbedürftiger Informationen drohe. Gleichwohl seien besondere Umstände benannt worden, „wonach allein die Wahrung der zugesagten uneingeschränkten Vertraulichkeit gegenüber der V-Person ausreichend erscheint, um die Aufgabenerfüllung des Bundesamtes für Verfassungsschutz im konkret betroffenen Milieu zu gewährleisten“. Vor diesem Hintergrund müsse „das Aufklärungsinteresse des Untersuchungsausschusses hinter den Belangen des Staatswohls“ zurückstehen (Rn. 122).

Die Bedeutung, die einer unbeschränkten Vertraulichkeitszusage zukomme, sei von dem Kontext und den begleitenden Umständen eines Quelleneinsatzes abhängig (Rn. 127). Dabei sei das islamistisch-terroristische Milieu „ausweislich des nachrichtendienstlichen Erkenntnisstandes in Kleinstgruppen organisiert und stark abgeschottet“. Zur Aufdeckung von möglichen Verrätern werde „systematische Gegenaufklärung“ betrieben. Die Frage der Zugehörigkeit zur Gruppe oder zum Kreis der Verräter sei allgegenwärtig. Zugleich bestehe eine hohe Gewaltbereitschaft, „die insbesondere gegen jene gerichtet ist, die mit dem zu beseitigenden freiheitlichen Staat kooperieren“. Der Verräter werde „zum Ungläubigen, zum Feind, der mit allen Mitteln zu bekämpfen ist“ (Rn. 130).

Vor diesem Hintergrund erscheine es nachvollziehbar, „dass die V-Person die Vernehmung ihrer Führungsperson „als unzumutbare Einschränkung, gar Bruch der ihr zugesicherten Vertraulichkeit verstehen und in der Folge die Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz aufkündigen werde“. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass die V-Person im Zweifel nicht absehen und sich auch nicht selbst vergewissern könne, welche konkreten Geheimhaltungsmaßnahmen zum Schutz ihrer Identität ergriffen würden (Rn. 131). „Plausibel“ erscheine angesichts der beschriebenen Charakteristika des beobachteten islamistisch-terroristischen Milieus auch die Befürchtung, dass nicht nur „die konkret betroffene Quelle ihren Einsatz“ beende, sondern auch „andere Quellen ihre Zusammenarbeit aufkündigen“. Dies habe im spezifischen Fall erhebliches Gewicht, „da sich Quellen in einem islamistisch geprägten Milieu nur schwer gewinnen lassen“ (Rn. 132).

Angesichts dieser spezifischen Gegebenheiten komme der Gewährleistung uneingeschränkter Vertraulichkeit für die Aufgabenerfüllung des BfV vorliegend ein besonders hoher Stellenwert zu, weshalb das Aufklärungsinteresse des Parlaments hinter den überwiegenden Belangen des Staatswohls zurücktreten müsse (Rn. 133). Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass dem Aufklärungsinteresse des UA durch die Ermöglichung der Vernehmung unmittelbarer Dienstvorgesetzter in gewissem Umfang Rechnung getragen worden sei. Dass der Quelle in diesem Fall die fortgesetzte Wahrung der Vertraulichkeitszusage trotz Benennung eines Dienstvorgesetzten auch noch hinreichend plausibel vermittelt werden könne, sei nachvollziehbar dargelegt (Rn. 134).

Schließlich seien dem UA von der BReg auch die für die Ablehnung des Beweisersuchens maßgeblichen Gründe hinreichend und plausibel dargelegt worden (Rn. 135).

Grundsatzkritik der Maßstäbe

So wenig sich die Maßstäbe gegenüber dem Oktoberfestbeschluss geändert haben, so wenig gilt dies auch für die an ihnen zu übende Kritik.

Nach wie vor setzt der Senat seine in der Entscheidung zum UA-NSA eingeschlagene Linie fort, den ursprünglich – mit Blick auf den Geheimschutz – rein prozedural gedachten Gedanken des Staatswohls zu materialisieren und dessen Verwirklichung einseitig in den Aufgaben der nachgeordneten nachrichtendienstlichen Exekutivbehörden zu erblicken. Wie in der Grundrechtsrechtsprechung schon seit langem üblich werden dabei zugleich bloße Kompetenznormen zu verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen stilisiert, aus denen nicht nur die Rechtfertigung der entsprechenden Aufgaben, sondern – mit Blick auf die V-Personen – zugleich auch der eingesetzten Mittel folgt.

Dabei übergeht der Senat erneut seine frühere Erkenntnis, wonach die Verwirklichung des Staatswohls BReg und BT nur gemeinsam anvertraut und in einer freiheitlichen Demokratie nur prozedural verstanden werden kann. Als „Staatswohl“ ist dann das anzusehen, was das verfassungsrechtlich vorgesehene Zusammenspiel der verschiedenen Gewalten an Ergebnissen produziert. Dann kann aber auch nicht der Anteil der Exekutive bei der Bestimmung dessen, was als Staatswohl gelten soll, einseitig herausgehoben werden. Vielmehr dient die Informations- und Kontrollfunktion des Parlaments ebenso der Verwirklichung des Staatswohls: Dieses kommt nicht nur in der Sicherheit durch, sondern gerade auch in der Sicherheit vor Exekutivbehörden zum Ausdruck.

Demgegenüber erachtet das BVerfG die Tätigkeiten der Sicherheitsbehörden nun offensichtlich als wichtiger als deren politische Kontrolle. Dies mag man vielleicht politisch so vertreten. Aus der Verfassung lässt sich eine derartige Präferenz aber nicht herleiten.

Sachverhaltsermittlung

Auch die Sachverhaltsermittlung des Senats erweist sich als defizitär. Wie auch schon in Vorgängerentscheidungen macht er sich gänzlich die Sichtweise der BReg zu eigen.

Einer der Punkte, in denen dies besonders deutlich wird, liegt in der Frage, inwieweit Vertraulichkeitszusagen gegenüber V-Personen unterschiedlich zu gewichten seien, je nachdem, ob diese von der Polizei oder den Nachrichtendiensten an ihre jeweiligen Zuträger abgegeben werden. Insofern bezeichnend ist, dass der Senat, trotz des Raums, den er der diesbezüglichen Diskussion bei der Darstellung des Parteivorbringens einräumt, sich anschließend im Rahmen seiner Begründung vollständig die Sichtweise der BReg zu eigen macht, ohne dies auch nur im Entferntesten näher zu begründen oder zumindest anzuerkennen, dass dieser Punkt zwischen den Parteien umstritten war (Rn. 106; vgl. demgegenüber SV, Rn. 25). Dabei wäre es interessant gewesen, wie sich eine entsprechende Sichtweise, bei der die gerichtliche Verwendbarkeit der gesammelten Informationen keine Rolle zu spielen scheint, etwa mit der zunehmend Verbreitung findenden Annahme eines Kooperationsverhältnisses zwischen den Sicherheitsbehörden verträgt oder welcher Nutzen eigentlich von der Sammlung nicht rechtswirksam verwertbarer Informationen ausgehen soll.

Zugleich bleiben die Folgen, die nach Ansicht des Senats aus einer Vernehmung des V-Mann-Führers resultieren, äußerst abstrakt und wolkig. Deutlich wird dies bereits an den Formulierungen, die die Senatsmehrheit zur Beschreibung verwendet (alle H.d.d.V.):

Anwerbung und Führung von V-Personen werden ohne eine behördliche Zusage der Vertraulichkeit, „in manchen Fällen kaum denkbar sein“ (Rn. 106). „Zugleich können als Folge Reaktionen des beobachteten Milieus zu befürchten sein […]“ (Rn. 108). „Ist der Schutz […] nicht zu gewährleisten, kann dies aber auch gravierende Nachteile […] mit sich bringen. Wird eine V-Person enttarnt, führt dies in aller Regel dazu, […]. Der dadurch entstehende Informationsverlust kann vielfach […] nur schwer kompensiert werden, weil […] ihre Anwerbung oftmals einen schwierigen und langwierigen Prozess erfordert […]. Je konspirativer […], desto schwieriger dürfte sich die Anwerbung einer neuen V-Person gestalten. […] mit möglicherweise erheblichen Folgen für die öffentliche Sicherheit“ (Rn. 109 f.). „Nicht ausgeräumt ist damit allerdings […], dass die Vernehmung des V-Person-Führers […] die ernsthafte Besorgnis begründet […]“ (Rn. 126).

Übernommen wird der Vortrag der BReg insbesondere auch hinsichtlich der umfangreichen Spekulationen über das Innenleben der Quellen:

Die Offenbarung von Informationen „mag von den Betroffenen als ein solcher Bruch der Vertraulichkeitszusage angesehen werden. Bereits der subjektive Eindruck […] kann ausreichen, um […] die Gewinnung neuer Quellen zu erschweren. Dies wiederum kann die Aufgabenerfüllung der Nachrichtendienste gefährden […]“ (Rn. 112). Den V-Personen drohe „ausweislich des nachrichtendienstlichen Erkenntnisstandes“ unmittelbare Gefahr für Leib, Leben und Freiheit. Sie sähen sich einer „Jagd auf die Quelle“ ausgesetzt. Dies begründe „sowohl eine gesteigerte Sensibilität […] im Hinblick auf alle Vorgänge, die aus ihrer Sicht zu einer Enttarnung führen können, als auch das Bedürfnis nach uneingeschränkter Vertraulichkeit. Es erscheint daher plausibel, wenn die Antragsgegner […] davon ausgehen, dass das Bedürfnis, sich des Bestehens dieser Vertraulichkeit beständig zu vergewissern, […] nicht nur eine entsprechende Zusage zu Beginn der Zusammenarbeit erfordert“ (Rn. 130). „Vor diesem Hintergrund erscheint das Vorbringen der Antragsgegner nachvollziehbar, dass die V-Person die Vernehmung ihrer Führungsperson […] als unzumutbare Einschränkung […verstehen werde…]. Aus ihrer Sicht wird vielmehr relevant sein […]. Aus Sicht der Quelle verbleibt dabei immer auch die Gefahr […]. Erschwerend kann dabei aus Sicht der V-Person hinzukommen […]“ (Rn. 131). „Plausibel erscheinen auch die von den Antragsgegnern befürchteten weiteren Konsequenzen […]. […Es…] ist nicht nur damit zu rechnen, dass die konkret betroffene Quelle ihren Einsatz beendet. Zu befürchten ist gleichzeitig, dass auch andere Quellen ihre Zusammenarbeit aufkündigen. […] Der Verlust einer Quelle oder mehrerer Quellen in einem solchen Umfeld erscheint daher geeignet, den nachrichtendienstlichen Zugang zu Informationen […] zu verschließen“ (Rn. 132). „Dass der Quelle in diesem Fall – anders als bei der Vernehmung des V-Person-Führers selbst – die fortgesetzte Wahrung der Vertraulichkeitszusage trotz Benennung eines Dienstvorgesetzten auch noch hinreichend plausibel vermittelt werden kann, ist nachvollziehbar dargelegt“ (Rn. 134).

Belege, die geeignet wären, die diesbezüglichen Spekulationen auf eine Tatsachengrundlage zu stellen, finden sich keine. Stattdessen zitiert das Gericht sich selbst, wobei auch die zitierten Stellen keine entsprechenden Nachweise enthalten, oder Publikationen, die von Angehörigen der Sicherheitsbehörden verfasst wurden und insoweit ebenfalls nur Behauptungen aufstellen, die sie nicht weiter belegen (Rn. 109 ff.). Die von Seiten der Sicherheitsbehörden seit einiger Zeit verfolgte Strategie, ihre Sichtweise verstärkt in die wissenschaftliche Diskussion einzubringen, trägt hier ersichtlich Früchte.

Demgegenüber wäre es durchaus interessant gewesen, wie die Entscheidung ausgefallen wäre, wenn sich der Senat einmal die Mühe gemacht hätten, derartigen Spekulationen all die konkreten Fälle gegenüberzustellen, in denen es einer externen Kontrolle des Umgangs der Dienste mit ihren V-Personen zwingend bedurft hätte.

Regel ohne Ausnahme?

Schließlich erweist sich auch die Anwendung der selbst gegebenen Maßstäbe durch die Senatsmehrheit auf den vorliegenden Fall als fehlerbehaftet.

So betont die Senatsmehrheit in dem von ihr aufgestellten Maßstab etwa, dass nicht schon die Vertraulichkeitszusage als solche zu einem Ausschluss der Kontrollbefugnisse führen dürfe, da es die die Vertraulichkeit garantierenden Behörden ansonsten in der Hand hätten, über das Beweiserhebungsrecht des Untersuchungsausschusses zu disponieren (Rn. 102) und im Ergebnis die Tätigkeit von Nachrichtendiensten in diesem Bereich vor dem Zugriff eines Untersuchungsausschusses nahezu vollständig abgeschirmt würde (Rn. 118). Auch attestiert sie dem UA im konkreten Fall „ein gewichtiges Interesse“ an der Vernehmung des V-Person-Führers. (Rn. 122).

Im Rahmen der eigentlichen Subsumtion ist die Senatsmehrheit aber nicht Willens oder in der Lage, diesem Gewicht des parlamentarischen Untersuchungsrechts auch tatsächlich Geltung zu verschaffen – hierauf weist auch das Sondervotum deutlich hin (SV, Rn. 4 ff.)

Tatsächlich stellt die Senatsmehrheit ihre Entscheidung so dar, als ob es sich um das Ergebnis einer Einzelfallabwägung handeln würde (Rn. 122).

Bereits unter dieser Perspektive stellt sich die Argumentation innerhalb der Abwägung als defizitär dar: Hier wäre bereits kaum nachzuvollziehen, warum die auf weitreichenden Spekulationen beruhenden Nachteile für die Arbeit der Nachrichtendienste, die schon aus der bloßen Vernehmung des V-Mann-Führers folgen sollen, eine stärkere Beeinträchtigung des Staatswohls darstellen sollten, als die ganz konkret greifbaren Nachteile bei der Wahrnehmung des parlamentarischen Untersuchungsrechts, die aus der Weigerung der Bundesregierung entstehen. Widersprüchlich ist es insoweit auch, wenn der Senat darauf verweist, dass durch die Möglichkeit zur Vernehmung der Vorgesetzten dem Aufklärungsinteresse teilweise genüge getan worden sei, wenn das Gericht ansonsten in ständiger Rechtsprechung betont, dass es das Recht eines UA sei, „diejenigen Beweise zu erheben, die er für erforderlich hält“ (so auch SV, Rn. 31). Auffallend ist auch, dass auf der Gegenseite keinerlei Auseinandersetzung damit stattfindet, ob im konkreten Fall Umstände gegeben sind, die das Gewicht des Aufklärungsinteresses noch einmal erhöhen könnten.

Dass die Senatsmehrheit gar keine Einzelfallabwägung vornimmt, sondern vielmehr ganz generell die Funktionsfähigkeit nachgeordneter Exekutivbehörden höher gewichtet als deren Kontrolle durch das unmittelbar demokratisch legitimierte Parlament wird auch daran deutlich, dass die Punkte, die die Bedeutung einer Vertraulichkeitszusagen gerade für das islamistische Milieu begründen sollen, „im gesamten Bereich des gewaltbereiten politischen Extremismus anzutreffen“ sind und lediglich die „von der Senatsmehrheit ergänzend in Bezug genommene religiöse Aufladung des Verrats auf den islamistischen Terrorismus beschränkt sein dürfte“ (SV, Rn. 38).

Dementsprechend ist überhaupt nicht ersichtlich, wie auf der Grundlage dieser Argumentation jemals das Untersuchungsrecht in der Abwägung überwiegen sollte. Entgegen der eigenen Beteuerungen werden so im Ergebnis weite Teile des Einsatzes von V-Personen aus dem parlamentarischen Untersuchungsrecht herausgenommen. Dies kommt „einer substanziellen Entleerung des Rechts von Untersuchungsausschüssen zur Kontrolle des Einsatzes von V-Personen in gewaltbereiten extremistischen Milieus gleich“ (SV, Rn. 39).

Fazit

Die Entscheidung setzt die jüngere Rechtsprechungslinie des Zweiten Senats zur Einschränkung des parlamentarischen Untersuchungsrechts im Sicherheitsbereich fort und bekräftigt sie weiter. Konsequenterweise leidet sie dabei unter den gleichen Fehlern, die auch die vorangegangenen Entscheidungen auszeichnen: Die aufgestellten Maßstäbe und ihre Herleitung können nicht überzeugen. Die Sachverhaltsermittlung erfolgt einseitig zu Gunsten der Exekutive. Die Anwendung der eigenen Maßstäbe erfolgt fehlerhaft und in sich widersprüchlich. Ganz gleich, wie sehr der Senat im Abstrakten die Bedeutung des parlamentarischen Untersuchungsrechts beteuern mag: Im Ergebnis werden die Rechte des unmittelbar demokratisch legitimierten Bundestags zur Disposition nachgeordneter Exekutivbehörden gestellt. Hoffnung macht insofern lediglich, dass nunmehr auch aus dem Senat selbst heraus Kritik an dieser Rechtsprechungslinie formuliert wird.


2 Comments

  1. Raimund Vollmer Sat 6 Feb 2021 at 18:27 - Reply

    Hervorragende Analyse. Ich war als Laie bestürzt zu lesen, dass offensichtlich auch von der Jurisdiktion her die Bedeutung der Legislative immer mehr eingeschränkt wird. Ich wünschte mir, es gäbe dazu eine breitere Diskussion unter uns Wählern. Wir sollten uns fragen, wie wir unsere Parlamente stärken können. Denn die Legislative ist erste Gewalt und nicht irgendwie nachgeordnet. Besser fände ich es auch, wenn von Gewaltentrennung die Rede waräre, nicht von Gewaltenteilung. Die Parlamente repräsentieren uns, den Souverän. Bleiben Sie, bitte, sehr, sehr aufmerksam! Das ist der Wunsch eines “Normalbürgers”, der auch weiterhin das Gefühl haben möchte, in einer parlamentarischen Demokratie zu leben.

  2. Gerald Tauber Sun 7 Feb 2021 at 10:52 - Reply

    Gute Analyse eines eher obskuren Urteils. Allein die Aussage in der Urteilsbegründung: “Ein V-Person-Führer der Verfassungsschutzbehörden verfüge auch über keine Erfahrungen im Umgang mit dem Spannungsfeld von Zeugenaussage und Selbstschutz.” lässt einem nicht nur mit der Stirn runzeln.

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