14 February 2018

Konzernmacht und Verantwortung für Menschenrechte und Umwelt: Neue Wege in der Schweiz

In der Schweiz könnten Unternehmen schon bald durch die Verfassung in die Pflicht genommen werden, weltweit für Menschenrechte und Umwelt Verantwortung zu übernehmen. Das ist das Ziel einer Volksinitiative mit dem Titel „Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt“ (Konzernverantwortungsinitiative), die die schweizerische Bundesverfassung (BV) um eine neue Verfassungsbestimmung zur „Verantwortung von Unternehmen” ergänzen soll. Die dem Vernehmen nach aussichtsreiche Initiative zielt darauf ab, ein rechtsverbindliches Regelwerk zum Schutz von Menschenrechten und Umwelt im Zusammenhang mit Auslandstätigkeiten von in der Schweiz ansässigen und transnational tätigen Unternehmen zu schaffen. Schweizer Unternehmen sollen verpflichtet werden, internationale Menschenrechte sowie internationale Umweltstandards auch bei unternehmerischen Tätigkeiten jenseits der Schweizer Landesgrenzen zu respektieren und für im Ausland begangene Menschenrechtsbeeinträchtigungen und Umweltschädigungen vor schweizerischen Gerichten haften.

Eine solche weltweite Verantwortung verbindlich auf Verfassungsstufe zu verankern, wäre einzigartig. Auf völkerrechtlicher Ebene wird der Problematik zunehmender Machtausübung transnationaler Unternehmen und möglicher Menschenrechtsverletzungen sowie Umweltvergehen hauptsächlich mit weichen Instrumenten der Corporate Social Responsibility begegnet (siehe Ruggie-Prinzipien). Private Wirtschaftsakteure direkt an menschenrechtliche Garantien zu binden, wird zwar intensiv im Völkerrecht debattiert, derzeit jedoch (noch) überwiegend abgelehnt. Insoweit liegt der völkerrechtliche Fokus auf möglichen staatlichen Regulierungspflichten; inwiefern das Völkerrecht den Heimatstaaten transnational agierender Unternehmen eine allgemeine Rechtspflicht auferlegt, die Auslandsaktivitäten ihrer Unternehmen zu regeln, bleibt jedoch weiterhin unklar.

Was die Initiative vorsieht

Konkret soll die angedachte Verfassungsbestimmung der Initiative, die sich aktuell in Beratung bei der zuständigen Parlamentskommission befindet, im Falle einer Zustimmung von Volk und Ständen dem schweizerischen Gesetzgeber eine Pflicht zur Regulierung der in der Schweiz ansässigen Unternehmen auferlegen (Entwurf von Art. 101a Abs. 1 E-BV). Sie legt ferner die Grundsätze fest, an denen sich die Umsetzung auf Gesetzesebene zu orientieren hätte:

  • Unternehmen mit satzungsmäßigem Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung in der Schweiz sollen auch im Ausland internationale Menschenrechte und Umweltschutz respektieren (Respektierungspflicht, Art. 101a Abs. 2 lit. a E-BV).
  • Schweizer Unternehmen sollen im Ausland eine risikoorientierte Sorgfaltsprüfung durchführen, die darauf abzielt, geeignete Maßnahmen zur Verhütung von Verletzungen von Menschenrechten und zum Umweltschutz zu ergreifen, bestehende Verletzungen zu beenden und hinsichtlich getroffener Maßnahmen Rechenschaft abzulegen (Sorgfaltspflicht, Art. 101a Abs. 2 lit. b E-BV).
  • Schweizer Unternehmen sollen für Menschenrechtsverletzungen und Umweltvergehen, die im Zusammenhang mit Auslandstätigkeiten begangen wurden, vor schweizerischen Gerichten haften (Haftungsregelung mit Exkulpationsbeweis, Art. 101a Abs. 2 lit. c E-BV).
  • Schließlich sollen die nach diesen Grundsätze erlassenen Bestimmungen unabhängig von den Regelungen des internationalen Privatrechts gelten (Art. 101a Abs. 2 lit. d E-BV; siehe auch die Erläuterungen des Initativkomitees zum Initiativtext und die Botschaft des schweizerischen Bundesrates zur Initiative).

Diese Regelungen sollen dabei nicht nur für Schweizer Unternehmen als solche gelten, sondern sich auch auf die durch sie kontrollierten Unternehmen im Ausland erstrecken. Der Begriff der Kontrolle wird in der vorgeschlagenen Verfassungsnorm näher erläutert und bestimmt sich nach den tatsächlichen Verhältnissen (Art. 101a Abs. 2 lit. a E-BV). Kontrolle kann auch faktisch durch rein wirtschaftliche Machtausübung vorliegen (Art. 101a Abs. 2 lit. a E-BV). Darüber hinaus soll die Sorgfaltspflicht nicht nur in Bezug auf kontrollierte Unternehmen, sondern auch für sämtliche Geschäftsbeziehungen von Schweizer Unternehmen im Ausland gelten (Art. 101a Abs. 2 lit. b E-BV). Obwohl sich die Sorgfaltspflicht auf die gesamte Wertschöpfungskette bezieht, sollen Schweizer Unternehmen nach der geplanten Haftungsregelung jedoch (nur) für Schäden haften, die durch die von ihnen kontrollierten Unternehmen in Ausübung ihrer geschäftlichen Verrichtung verursacht wurden (Art. 101a Abs. 2 lit. c E-BV).

Ein globaler Trend

Die völkerrechtlichen Instrumente belassen den Staaten einen weiten Gestaltungsspielraum, ob und anhand welchen Regelungsansätzen sie die Verantwortlichkeit von Unternehmen in ihren Rechtsordnungen ausgestalten wollen. In der Botschaft zur Initiative setzt der Schweizer Bundesrat explizit auf ein international abgestimmtes Vorgehen (und somit eigentlich auf Soft Law Regelungen) sowie auf rechtlich nicht verbindliche Maßnahmen im nationalen Recht, wie sie z.B. im Nationalen Aktionsplan zur Implementierung der Ruggie-Prinzipien der Schweiz vorgesehen sind. Der Bundesrat erwarte, dass Schweizer Unternehmen ihre menschenrechts- und umweltschutzbezogene Verantwortung „auch ohne gesetzliche Verpflichtungen“ wahrnehmen.

Inwiefern die freiwillige Selbstverpflichtung von Unternehmen gerade im Menschenrechtsbereich auch tatsächlich wirkt, lässt sich angesichts zahlreicher Vorwürfe gegenüber transnationalen Unternehmen wegen möglicher Menschenrechtsverletzungen im Ausland bezweifeln. Die Volksinitiative setzt genau an diesem Punkt an und fordert verbindliche Regeln für Unternehmen im nationalen Recht.

Das Kernanliegen der Initianten ist dabei keineswegs isoliert, sondern reflektiert einen internationalen Trend, transnationale Unternehmen in ihren Heimatstaaten zunehmend durch harte Rechtspflichten auf innerstaatlicher Ebene zur Einhaltung von internationalen Menschenrechten und Umweltschutz bei Tätigkeiten im Ausland anzuhalten. Das Herzstück dieser Rechtsentwicklung bildet die gesetzliche (bzw. hier verfassungsrechtliche) Ausgestaltung der unternehmerischen Sorgfaltspflicht sowie ihre gerichtliche Durchsetzung in den nationalen Rechtsordnungen. Ein französisches Gesetz von 2017 zu Sorgfaltspflichten von französischen Unternehmen verpflichtet größere Unternehmen zur Durchführung einer Sorgfaltsprüfung anhand eines sog. Sorgfaltsplans („plan de vigilance“). Diese Pflicht gilt nicht nur für französische Unternehmen als solche, sondern auch für kontrollierte Unternehmen und Zulieferer im Ausland, allerdings nur sofern eine etablierte Geschäftsbeziehung zwischen den Unternehmen besteht. Weitere Länder, darunter z.B. Italien oder Deutschland, erwägen ähnliche Gesetzgebungsprojekte zu Sorgfaltspflichten von Unternehmen. Ebenfalls erwähnenswert ist der Anstieg zivilrechtlicher Klagen von Opfern im Ausland vor innerstaatlichen Gerichten der Heimatstaaten von Unternehmen, wie etwa jüngst in Deutschland gegen den Energiekonzern RWE.

Durchaus interessant ist dabei, dass Staaten die Regulierung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten von Unternehmen sowie deren Durchsetzung mittels Transformation von vorwiegend völkerrechtlichem Soft Law in rechtsverbindliches innerstaatliches Recht mit grenzüberschreitender Wirkung für Unternehmen in ihren Rechtsordnungen sicherstellen. Diese Entwicklung von Soft Law zu Hard Law zeigt die Korrelation zwischen den verschiedenen Regulierungsebenen – von Völkerrecht und Landesrecht – auf: Die vorgeschlagene Verfassungsnorm, in der es im Kern um die Einführung einer umfassenden Sorgfaltspflicht für Schweizer Unternehmen geht, orientiert sich an völkerrechtlichen Richtlinien. Diese dienen gar als Legitimationsgrundlage.

Um private Wirtschaftsakteure in die Pflicht zu nehmen, müssen die unterschiedlichen Regulierungsebenen durch neue Formen von Regelungsansätzen verstärkt miteinander verknüpft werden, anstatt die Lösung der freiwilligen Selbstbindung von Unternehmen zu überlassen. Unternehmerische Sorgfaltsprüfungsverfahren erfordern sensible menschenrechtliche Risikoanalysen, die eine besondere Komplexität aufweisen. Daher macht es Sinn, einen einheitlichen und rechtsverbindlichen Referenzrahmen für Sorgfaltspflichten von Unternehmen einzuführen, der sodann durch die Verknüpfung von unterschiedlichen Regelungsansätzen konkretisiert werden könnte. Die Einhaltung dieser hohen Schutzstandards käme letztlich auch dem Unternehmen und dessen Marke zugute.

Die Konzernverantwortungsinitiative ist also grundsätzlich zu begrüßen…

Rechtliche Probleme könnte die Ausdehnung des räumlichen Geltungsbereichs der Verantwortlichkeit von Schweizer Unternehmen auf durch diese – und sei es auch nur faktisch – kontrollierte Unternehmen im Ausland sowie ausländische Geschäftspartner machen. Es kommt auf die wirtschaftliche Machtausübung an. Ein solcher Vorschlag ist innovativ, jedoch im Falle der Rechtsanwendung nicht unproblematisch. Im Unterschied zu den Ruggie-Prinzipien, die für die Begründung von Verantwortung entlang der Wertschöpfungskette von einem unbestimmten Begriff der unmittelbaren Verbundenheit von Geschäftstätigkeit, Produkten oder Dienstleistungen ausgehen (Leitprinzip 13 und 19), wird der durch die Initianten vorgeschlagene Kontrollbegriff anhand von greifbaren Eckpunkten bzw. „Kontrollparametern“ erläutert: Maßgebend für eine haftungsrelevante Kontrolle sollen nach den Erläuterungen zum Initiativtext (1) die gesellschaftsrechtliche Beteiligung, (2) die konkrete Ausgestaltung der vertraglichen Vereinbarungen zwischen den betroffenen Unternehmen, (3) die Zahl der Zulieferer, (4) die Struktur und Komplexität der Zuliefererkette und (5) die Marktstellung der betroffenen Unternehmen sein (Erläuterungen, S. 43 f.).

Bei ausländischen Tochtergesellschaften und Alleinbezugsverträgen von Schweizer Unternehmen wird es somit wohl möglich sein, ein Kontrollverhältnis bzw. eine wirtschaftliche Machtausübung zu bejahen. Schwieriger erscheint es demgegenüber bei Minderheitsbeteiligungen an ausländischen Unternehmen sowie insbesondere bei rein vertraglichen Rechtsbeziehungen (wie z.B. mit Zulieferern).

Die Problematik lässt sich am von den Initianten aufgeführten Fallbeispiel des Ankaufs von durch Kindern geschürftes Gold durch eine Schweizer Raffinerie im Tessin erläutern. Dabei geht es um die Verarbeitung von Gold aus Togo in der Schweiz, obwohl Togo gar kein Gold produziert. Das Gold stammt aus kleingewerblichen Minen in Burkina Faso, das Kinder unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen abbauen. Von dort wird das Gold von Zwischenhändlern illegal nach Togo geschmuggelt, von wo aus ein togoisches Tochterunternehmen das Gold nach Genf ausfliegt.

Ließe sich die Menschenrechtsverletzung in Burkina Faso dem Schweizer Unternehmen zurechnen? Der Initiativtext würde Fälle umfassen, in denen ein Schweizer Unternehmen oder eine Tochtergesellschaft in Togo das Gold direkt von den Minen beziehen würde. Interessanter (und v.a. praktisch relevanter) sind jedoch die Fälle, in denen – wie im oben geschilderten Fall – ein oder mehrere Zulieferer dazwischengeschaltet werden. Mit den vorgeschlagenen Kontrollparametern der Vorschriftserläuterung „Zahl der Zulieferer“ sowie „Struktur und Komplexität der Zuliefererkette“ bietet die Initiative jedenfalls einen gewissen Spielraum, auch diese Fälle komplexer Lieferketten miteinzubeziehen. Wie das oben aufgeführte Beispiel zeigt, verlangen effektive Haftungsmechanismen sektorspezifische und kontextualisierte Konkretisierungen von grenzüberschreitenden Kontrollverhältnissen im Einzelfall. Alles andere wäre praktisch unzureichend.


3 Comments

  1. O. Sauer Thu 15 Feb 2018 at 18:40 - Reply

    Der Link auf das AA ist leider tot.

    • O. Sauer Sun 18 Mar 2018 at 23:13 - Reply

      .. ist offenbar behoben. Danke!

  2. WSVL Mon 26 Feb 2018 at 22:39 - Reply

    Thanks! And thanks for sharing your great posts every week!

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