Leben in der Abwägung
Die politische und juristische Kernfrage der COVID-19-Pandemie ist spätestens mit den Öffnungsmaßnahmen, den über sie geführten Diskussionen und zahlreichen Gerichtsverfahren wieder offen: Wie steht es mit der Abwägung? Ist auch das Leben, dessen Schutz die umfangreichsten und in der Breite massivsten Grundrechtseinschränkungen in der Geschichte der Bundesrepublik hauptsächlich dienen, in eine solche einzustellen und kann es in ihr verfassungsrechtlich zulässiger Weise überwunden werden? Muss es das ab einem gewissen Punkt sogar?
Eine klare Antwort seitens des Verfassungsrechts – jedenfalls der Institutionen und Personen, die es betreiben und beschreiben – steht bislang aus. Vielmehr scheint die hinsichtlich des neuartigen Coronavirus nach wie vor vorherrschende Ungewissheit im Tatsächlichen auch das Normative zu erfassen. Zuletzt wurde die Methode der Abwägung sogar zu einer bloßen „Metapher“ degradiert und offenbar bereits ihre Existenz negiert. Und tatsächlich scheint sich im derzeitigen verfassungsjuristischen Diskurs fast jedes Ergebnis mit einer Abwägung begründen zu lassen, ohne dass bei näherem Hinsehen oft wirklich Ergebnisse begründet werden.
Abwägungen, zumal grundrechtsnormative, sind schwierig. Das heißt aber nicht, dass sie nicht möglich (i.S.v. rechtlich operabel), und erst recht nicht, dass sie nicht allenthalben sowohl faktisch vorzunehmen als auch rechtlich zu überprüfen sind. Es fehlt nach meiner Wahrnehmung nur allzu oft am theoretischen Wissen bzw. dessen breitflächiger Rezeption, konzeptionellen Fundament und (wohl nicht selten mehr noch) praktischen Willen, sie nur einmal wirklich stringent und methodengerecht durchzuführen. Damit ist nicht gesagt, dass sie immer zu einem definitiven, letztgültigen Ergebnis kämen. Das tun sie sogar in aller Regel nie. Aus diesem Grund resultieren staatliche Spielräume. Der nicht zu unterschätzende Ertrag grundrechtrechtlicher Abwägungen wäre – und ist! –, diese staatlichen Spielräume zu kanalisieren, ihnen verfassungsnormative Grenzen zu setzen. Dies ist entgegen der nihilistischen, im Übrigen ja auch ohne rechte, jedenfalls aber rechtliche Alternativangebote daherkommenden Rede durchaus möglich, setzt aber juristische (überdies ohne interdisziplinäre Bezugnahmen nicht auskommende) Kernarbeit voraus, die sich nicht für Sonntagsreden und (diesen eng verwandte) Gastbeiträge in überregionalen Tageszeitungen eignet. Diese Abwägungsarbeit ist zudem fehleranfällig und angreifbar und widerstrebt daher dem auf Rechthaben fixierten Juristengeist. Ich möchte im Folgenden dennoch versuchen, für sie einen Grundstock an Strukturen kursorisch zu skizzieren. Denn der Abwägung ergeht es im rechtswissenschaftlichen Diskurs derzeit, wie es so vielem Praktischen im Theoretischen oft ergeht: Man redet viel darüber, macht es aber nicht (oder jedenfalls nicht wirklich).
Filterfunktion des Grundrechtseingriffsschemas
Zur juristischen Präzision gehört zunächst, nicht vorschnell in freihändige Abwägungsrhetorik zu verfallen, sondern das dogmatisch übergeordnete Grundrechtseingriffsschema präzise und stringent abzuarbeiten. Dieses erfüllt eine zentrale Filterfunktion und stellt einen durchaus leistungsfähigen verfassungsrechtlichen Prüfungskatalog bereit, anhand dessen sich viele der derzeit hitzig diskutierten Fragen einerseits erst präzise und juristisch operabel stellen und anderseits zu einem nicht kleinen Teil auch bereits beantworten lassen, bevor es zu einer Abwägung überhaupt kommt.
So ist die gebotene Abwägung immer auf ganz konkrete Maßnahmen zu beziehen. Dies grenzt den Kreis der im Eingriffsmodus betroffenen Grundrechte ebenso ein wie die durch die Einzelmaßnahme mittelbar verursachten Folgewirkungen (selbstverständlich sind in der Abwägung wiederum auch Kumulations-, Relations- und Stufeneffekte zu berücksichtigen). Nur an eine konkrete Maßnahme können auch die Prüfungsschritte der Geeignetheit und Erforderlichkeit anknüpfen, die ebenfalls eine manchmal überschätzte, manchmal aber auch unterschätzte normative Leistungsfähigkeit besitzen. Ein guter Teil der derzeit (verfassungs)rechtlich entscheidenden Fragen kann – und muss, will man hier nicht tatsächlich am Selbstverständnis des Rechtsstaats rütteln – obendrein bereits auf der vergleichsweise unscheinbaren Prüfungsstufe der hinreichenden (verfassungsgemäßen) Ermächtigungsgrundlage beantwortet werden. Auch insoweit ist sorgfältige juristische Kernarbeit erforderlich – wird sie aber tatsächlich geleistet (wie etwa hier, hier oder hier), kann man hier bereits zu klaren und eindeutigen Ergebnissen gelangen. Hierzu zählt etwa, dass die Ermächtigungsgrundlagen des Infektionsschutzgesetzes jedenfalls eine Ausgangssperre nach französischem, spanischem, italienischem oder chinesischem Vorbild nicht hergeben – eine andere Auffassung wäre nach allem, was etwa im Hinblick auf Wesentlichkeitstheorie, Bestimmtheitsgrundsatz und Spezialitätsprinzip zum (verfassungs-)juristischen Gemeingut zählt, schlicht grotesk. All diese Schritte, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, machen die grundrechtliche Abwägung verfassungsnormativ überhaupt erst handhabbar und praktikabel.
Grundrechtseingriffe und Eingriffszweck
Die zur Bekämpfung der Pandemie ergriffenen Maßnahmen führ(t)en zu Grundrechtsbeeinträchtigungen, die nahezu den gesamten Grundrechtskatalog erfassen. Mit diesen temporären Belastungen hat es jedoch nicht sein Bewenden: Aufgrund teils sehr komplexer Wirkungszusammenhänge sind sie mit gravierenden Folgewirkungen für nahezu das gesamte individuelle, gesellschaftliche, wirtschaftliche und staatliche Leben verbunden. Dem gegenüber steht vergleichsweise monothematisch der Gesundheits- und Lebensschutz.
Ja, geht es überhaupt um Lebensschutz? Dies wurde auf diesem Blog bestritten und zur Stützung dieser These nichts Geringeres als (so der Subtext: zentrale) „grundrechtliche Denkkategorien“ bemüht. Der Schutz von Menschenleben könne – oder dürfe (die grundrechtlichen Denkkategorien, in denen angeblich argumentiert wird, werden bereits an dieser Stelle nicht ganz klar) – nicht das Ziel der Maßnahmen sein, da sonst „zunächst alle Kraftfahrzeuge verboten werden“ müssten (auch hier drängt sich die Nachfrage auf, welche Denkkategorien denn genau zu diesem Schluss führen sollen). Stattdessen gehe es um Gesundheit (was wiederum angesichts von jährlich zigtausenden Verletzten im Straßenverkehr zu der Nachfrage führt, warum nicht zunächst alle Kraftfahrzeuge verboten werden müssten). Gesundheit könne wiederum ebenfalls nicht der pauschale Zweck der Grundrechtseingriffe sein, sondern letztlich nur ein „gesundheitsrelevanter Aspekt“, nämlich die „Vermeidung der Überforderung des Gesundheitssystems“.
Diese Argumentation ist – man verzeihe das naheliegende Wortspiel – „lebensfremd“ und steht im Übrigen auch mit den „grundrechtlichen Denkkategorien“ nicht in Einklang, die zu ihrer Stützung bemüht werden. Sie verkennt, dass Zwecke im menschlichen wie staatlichen Handeln stets gestaffelt und miteinander verkettet sind und daher nie isoliert voneinander betrachtet werden können. Es ist zwar richtig, dass Zwecke sich im handlungstheoretischen und -normativen Rahmen umso besser operationalisieren lassen, je enger, näher und spezifischer sie gefasst werden. In diesem Sinne ist die „Vermeidung der Überforderung des Gesundheitssystems“ durchaus greifbar und operabel (wenn auch nicht der alleinige Zweck der Maßnahmen, siehe sogleich). Dies ändert jedoch nichts daran, dass dieser Zweck im entscheidungstheoretischen und -normativen Rahmen (m.a.W.: im Hinblick auf die politisch notwendig zu treffende und grundrechtlich notwendig zu kontrollierende Abwägungsentscheidung, die hinter den ergriffenen Maßnahmen steht) zwingend auf die dahinterstehenden Zwecke bezogen, gewissermaßen materiell aufgeladen werden muss, um hier operabel zu sein.
So kann die Vermeidung der Überforderung des Gesundheitssystems tatsächlich nicht zum Selbstzweck der Schutzmaßnahmen mutieren – und darf es aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht. Vielmehr sind aus ebendiesen stets die materiellen Rechtsgüter und Interessen in den grundrechtlichen Blick zu nehmen, deren Schutz es dient. Zu diesen zählt neben der Gesundheit jedenfalls in der Intensivmedizin selbstverständlich auch das Leben (wer glauben würde, dass das Gesundheitssystem ausschließlich die Gesundheit schützt, müsste auch glauben, dass Zitronenfalter Zitronen falten). Und dieser Aspekt des Lebensschutzes ist der Zweck, um den es neben dem Gesundheitsschutz im Hier und Jetzt vor allem geht, zulässigerweise gehen darf und für den Staat grundsätzlich auch gehen muss. Während COVID-19 bei den meisten Betroffenen einem harmlosen grippalen Infekt gleicht, sind es seine insbesondere für die sogenannten Risikogruppen (zu denen in Deutschland mindestens 20 Millionen Menschen gehören) alles andere als seltenen und mit einem vergleichsweise hohen Sterberisiko verbundenen schweren Verlaufsformen, die den zum Schutz dieser Grundrechtsgüter verpflichteten Staat auf den Plan rufen. Vor dem Hintergrund zahlreicher Sterbefälle trotz intensivmedizinischer Behandlung(smöglichkeit) – in Deutschland sind dies derzeit alle – darf und muss dieser im Übrigen auch bereits unabhängig von einer Überlastung des Gesundheitssystems tätig werden, womit wir bei der – ebenfalls dem Gesundheits- und Lebensschutz dienenden – Infektionsverhütung durch die „kontaktbeschränkenden Maßnahmen“ angekommen sind.
Abwägungserfordernis
Hier weist der Vergleich mit den Verkehrstoten (zu denen allerdings noch die zigtausend (teils Schwer- und Schwerst-)Verletzten hinzugerechnet werden müssen – jährlich, versteht sich) auf einen richtigen und wichtigen Punkt: In einer Welt der Knappheit gibt es nichts umsonst – und für einen grundrechtsgebundenen Staat gleichzeitig nichts um jeden Preis. Menschliches, gesellschaftliches und staatliches Handeln beruht stets auf einer Abwägung gegenläufiger Interessen und Belange, die sich für den Staat nicht zuletzt als Grundrechtsgüter respektive Grundrechtspositionen präsentieren. Der (insofern nicht zufällige, sondern dem Leben entnommene) Modus der Abwägung bedingt, dass Gewinne auf der einen Seite regelmäßig mit Verlusten auf der anderen Seite erkauft werden müssen.
Auch das Schutzgut Leben ist hiervon nicht ausgenommen. Der motorisierte Straßenverkehr ist ein gutes Beispiel, ein anderes ist der ebenfalls vielbemühte Grippe-Vergleich: Selbst schwerste Influenza-Epidemien mit nicht selten über zwanzigtausend Todesopfern führen nicht dazu, dass über nur ansatzweise ähnlich eingriffsintensive Maßnahmen wie die gegenwärtigen auch nur nachgedacht wird. Tatsächlich muss sich grundsätzlich auch das Lebensgrundrecht einer Abwägung mit konkurrierenden Interessen und Grundrechtspositionen stellen, soweit es mit diesen in Konflikt gerät. Im Hinblick auf die hier in Rede stehenden Maßnahmen ergibt sich das allein schon daraus, dass diese breitflächig und massiv in Grundrechte der Bürger eingreifen und diese einen im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu erfüllenden Abwägungsanspruch bereits aus eigenem Recht erheben.
Abwägung
Das Entscheidende an dieser Abwägung ist nun – und ich möchte an dieser Stelle der Präzision des Arguments wegen explizit auf die Doppeldeutigkeit von „das Entscheidende“ hinweisen –, dass ihr Ergebnis nicht ohne Weiteres vorweggenommen werden kann. Ein wesentlicher Grund hierfür ist, dass man grundrechtliche Abwägungsrelationen spätestens ab einer gewissen, hier schon lange überschrittenen Komplexitätsstufe aus entscheidungstheoretischen Gründen nicht exakt bestimmen kann. Das ist der entscheidungstheoretisch zwingende und (zumindest nach menschlichem Ermessen) unabänderliche Grund für die verfassungsrechtlichen Gestaltungsspielräume des demokratischen Gesetzgebers, ja wohl für Demokratie (in den uns bekannten Formen) als solche. Es ist im Übrigen zugleich der Grund dafür, dass die Legislative Entscheidungen und damit verbundene Entscheidungsspielräume an die Exekutive delegieren darf und muss. Diese aus epistemologischen und empirischen Gründen bestehende Unsicherheit ist vielfach mehr oder weniger statisch, sie wird in der gegenwärtigen Krise noch dazu durch äußerst dynamische Elemente und eine besonders hohe Komplexität geprägt.
In der gleichwohl notwendigen grundrechtlichen Kontrolle staatlicher Maßnahmen kann es daher nie darum gehen, das einzig positiv richtige Ergebnis zu finden (denn sonst wäre der Staat praktisch handlungsunfähig und dass es gute Gründe für einen generell handlungsfähigen Staat gibt, sollte nicht ernsthaft diskutabel sein), sondern im Wesentlichen nur darum, evident falsche Ergebnisse auszuscheiden (wobei im Rahmen der Bestimmung dessen, wann es sich „evident“ um ein „evident falsches“ Ergebnis handelt, aus freiheitlichen Gründen jedenfalls in gewissem Maße eine „Ablehnungsprärogative“ der Grundrechte bzw. der zu ihrer Wahrung berufenen letzten Instanz in Karlsruhe anzuerkennen sein dürfte).
Abwägungsrelationen
Ein großes konzeptionelles wie praktisches Problem der Abwägung ist insbesondere die Inkommensurabilität der betroffenen Grundrechtspositionen. Wieviel wiegt der Lebensschutz gegenüber massiven wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen? Wieviel wiegen die Bildungs- und Lebenschancen eines (neben der Schulschließung womöglich auch noch von häuslicher Gewalt betroffenen) Achtjährigen aus prekären Verhältnissen gegenüber den Überlebenschancen eines 69-jährigen Rauchers und Porschefahrers? Wieviel wiegt das Interesse einer 20-jährigen Studierenden, einen Sommer über im Park grillen, Fußball spielen, Freunde treffen zu können, gegenüber der ohnehin nur noch für Wochen währenden Lebensperspektive einer sedierten 93-jährigen mit multiplen Vorerkrankungen?
Eine hier kurz skizzierte Möglichkeit, diesem Problem bis zu einem gewissen Grad Herr zu werden, ist, Kategorien gemeinsamer materieller Interessen und Rechtsgüter zu bilden, um Eingriffe, Schutz und Wirkungen miteinander zu vergleichen. Tatsächlich ermöglicht gerade das Lebensgrundrecht als basales Grundrecht insofern ein relativ hohes Maß an Vergleichbarkeit:
Leben (und Gesundheit) werden durch die kontaktbeschränkenden Maßnahmen nicht nur einseitig geschützt, sondern auch gefährdet. Dass in ihrer Folge häusliche Gewalt zunimmt, sich Suchtkrankheiten, Depressionen und sonstige psychische Krankheiten verschärfen oder auch erst bilden und sich das in einer erhöhten Suizidgefahr niederschlägt, wird jedenfalls plausibel vermutet (ist bisher jedoch noch nicht mit Daten unterlegt). Bereits der bloße Bewegungsmangel hat – insofern nachgewiesenermaßen – einen (stark) negativen gesundheitlichen Effekt, der sich mit der (sport- und bewegungslosen) Zeit zu einem signifikant erhöhten Sterberisiko auswachsen wird. Einen ähnlichen Effekt besitzt die Arbeitslosigkeit, die infolge der durch die Maßnahmen ausgelösten wirtschaftlichen Verwerfungen massenhaft droht.
Auch im Hinblick auf die Lebensqualität, die materiell hinter einer Vielzahl der derzeit zu verbuchenden Freiheitsverluste einschließlich diverser Folgewirkungen steht, bildet das Leben – als deren basaler Träger – eine in Ansätzen durchaus operable Vergleichsgrundlage. Sein Verlust stellt nämlich nichts anderes als deren Totalverlust dar, was in gewissen Maßen einen interpersonellen, zeitlich und inhaltlich quantifizierten Vergleich ermöglicht.
Abwägungsergebnis
Grundrechtliche Abwägungen ließen sich unter anderem mithilfe eines solchen idealtypischen Modells, das noch viel weiter ausdifferenziert, mit Daten unterlegt und um komplexe Zurechnungserwägungen ergänzt werden müsste, bis zu einem gewissen Grad verfassungsnormativ belastbar operationalisieren. Wer demgegenüber weiter resigniert und in den Abgesang auf die Abwägung, ja auf die Grundrechte, wie wir sie kennen, einstimmt, dem sei folgende Kontrollfrage gestellt: So in den kommenden Monaten durch belastbare Studien festgestellt werden würde, dass die Letalität (unbehandelt) von COVID-19 im Promillebereich liegt (erste Indizien gibt es bereits), gleichzeitig eine medikamentöse Behandlung möglich werden sollte, welche diese noch einmal deutlich reduziert und die Mortalität (ohne bzw. mit schwach-eingriffsintensiven Maßnahmen) zumindest in mit der Grippe vergleichbare Größenordnungen bringt: Ließen sich die bisherigen Kontaktbeschränkungen angesichts der breitflächigen und gravierenden, sich im Verlauf mehrerer weiterer Monate noch dramatisch intensivierenden Grundrechtsbeeinträchtigungen und der zahlreichen drohenden Folgeschäden (und wenn sich gleichzeitig etwa nur hinsichtlich der angesprochenen Felder der häuslichen Gewalt, psychischer Krankheiten, des Anstiegs von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in der Zwischenzeit besorgliche empirische Trends abzeichnen) allen Ernstes verfassungsrechtlich zulässigerweise aufrechterhalten? Und wäre das klare Nein auf diese Frage nicht das Ergebnis einer genuinen grundrechtlichen Abwägung?
Das ist freilich (hypothetische) Zukunftsmusik. Nach meiner Einschätzung, die ich hier freilich nicht näher darlegen kann, aber eigentlich sollte, ist auf Grundlage der aktuellen Datenlage nicht ersichtlich, dass es bezogen auf die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen der ersten Phase etwa nach dem Modell Nordrhein-Westfalen zu gravierenden Grundrechtsverstößen gekommen wäre (etwas anderes dürfte teils für andere Bundesländer, allen voran Bayern gelten und etwas anderes dürfte unter dem Aspekt von Folgerichtigkeit und Gleichheit auch für einige Maßnahmen der Lockerungsphase gelten). Diese Beurteilung kann sich freilich im Laufe der Zeit infolge einer veränderten Datenlage, aber auch schlicht durch die zeitliche Akkumulation von Grundrechtsbelastungen und deren Folgewirkungen ändern.