15 April 2021

Wieviel ist der Verfassung Transparenz im Lobbyismus wert?

Zur Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen durch das Lobbyregistergesetz

„Transparenz ist sicherlich ein hoher Wert, den wir verfolgen, hat aber keinen Verfassungsrang“, behauptete der CDU-Abgeordnete Patrick Schnieder in der Ersten Beratung des Bundestags zum Lobbyregistergesetz (LobbyRG). Er konnte sich auf die Ansicht von zwei der drei hierzu angehörten Sachverständigen aus der Rechtswissenschaft stützen. Auch in einer Anhörung aus der letzten Legislaturperiode wurde diese These vertreten. Folgerichtig kam der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung zu dem Schluss, dass Eingriffe durch das LobbyRG in vorbehaltlos garantierte Grundrechte nicht gerechtfertigt werden können. Denn es fehle hierfür an der verfassungsimmanenten Schranke. Deshalb enthalten § 2 Abs. 2 Nr. 7 und 12, Abs. 4 LobbyRG Ausnahmen für Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände, die durch die Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG geschützt sind, und für Kirchen sowie andere Religionsgemeinschaften oder Weltanschauungsgemeinschaften, die sich auf die Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1, 2 GG berufen können. Die Ausnahmen gelten auch für deren Interessenvertreter und Interessenvertreterinnen (§ 2 Abs. 4 LobbyRG). Die nähere Analyse ergibt jedoch, dass sich die transparente Gestaltung von lobbyistischer Tätigkeit auf das Demokratieprinzip in Art. 20 Abs. 1, 2 GG stützen kann.

Was lange währt, wird endlich zwingend.

Seit 2008 wird im Bundestag über ein Lobbyregister diskutiert. Die Geschehnisse um die sogenannte Maskenaffäre führte nun dazu, dass der Bundestag am 25. März 2021 einen Gesetzesentwurf zur Einführung eines Lobbyregisters beschlossen hat. Damit wird die freiwillige Eintragung in die seit 1972 bestehende Verbändeliste nach Anlage 2 der GOBT durch eine bußgeldbewährte Registrierungspflicht abgelöst (§ 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1 i.V.m. § 7 LobbyRG). Diese Registrierungspflicht gilt für die Interessensvertretung gegenüber dem Bundestag, der Bundesregierung und den Bundesministerien bis zur Ebene der Unterabteilungsleitung (§ 1 Abs. 1-2 LobbyRG). Interessenvertretung wird dabei sehr weit als jede Kontaktaufnahme zum Zweck der unmittelbaren oder mittelbaren Einflussnahme auf den Willensbildungs- und Entscheidungsprozess dieser Einrichtungen verstanden (§ 1 Abs. 3 LobbyRG). Inhalt des Registers nicht nur Daten zur Identität und Tätigkeit der Interessensvertretung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1-5 LobbyRG), sondern auch finanzielle Offenlegungspflichten bis hin zur Veröffentlichung von Jahresabschlüssen und Rechenschaftsberichten (§ 3 Abs. 1 Nr. 6-8 LobbyRG). Darüber hinaus verpflichtet § 5 LobbyRG Interessensvertreter und Interessensvertreterinnen, einen Verhaltenskodex zu befolgen. Das LobbyRG ist damit ein bemerkenswerter Schritt in der Regulierung des Lobbyismus.

Anders als freiwillige Eintragungspflichten greifen jedoch bußgeldbewehrte Registrierungspflichten in die Grundrechte der Betroffenen ein. Denn das LobbyRG bezweckt die Regulierung der professionellen Interessenvertretung und stellt damit eine nach Art. 12 Abs. 1 GG rechtfertigungsbedürftige Berufsausübungsregelung dar. Insbesondere durch finanzielle Offenlegungspflichten kann ein Eingriff in durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Geschäftsgeheimnisse vorliegen. Soweit durch das LobbyRG personenbezogene Daten erhoben und veröffentlicht werden, liegt hierin außerdem ein Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG). Der vorrangige datenschutzrechtliche Maßstab für das LobbyRG ist allerdings die DSGVO, weil diese bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch Verfassungsorgane grundsätzlich Anwendung findet (vgl. EuGH, Rs. C-272/19 – VQ/Land Hessen). Dabei greift die Öffnungsklausel in Art. 6 Abs. 2 i.V.m. 6 Abs. 1 S. 1 lit. c) und e) DSGVO, die es dem Bund ermöglicht spezifischere nationale Datenschutzbestimmungen zu erlassen oder beizubehalten.

Darüber hinaus wurde von Schliesky und Austermann vertreten, dass das LobbyRG in die Grundrechte derjenigen eingreife, für die lobbyiert wird. Diese Aussage ist in ihrer Allgemeinheit zweifelhaft, weil die vertretenen Grundrechtsträger und Grundrechtsträgerinnen durch das LobbyRG nicht verpflichtet werden. Allerdings existieren Konstellationen, in denen die Grundrechtträgerin oder der Grundrechtsträger Interessensvertretung gemäß § 1 Abs. 3 LobbyRG betreibt und die Interessenvertretung als solche vom Schutzbereich des jeweiligen Grundrechts umfasst ist. So können etwa Einwirkungen durch die Kirche auf die Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch als Akt der Religionsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1, 2 GG gesehen werden und ist der Einfluss der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände auf Arbeits- und Sozialgesetzgebung als von der Koalitionsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG umfasst. Von der Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG geschützt, können außerdem akademische Think Tanks Stellungnahmen zu gesetzgeberischen Handlungsoptionen bei Bundestag, -regierung und -ministerien verbreiten. Das LobbyRG stellt die Tätigkeiten unter Registrierungsvorbehalt und greift hierdurch in die jeweiligen Grundrechte ein.

Subsidiär greift zugunsten der Tätigkeit eines Lobbyisten die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG. Denn diese schützt nicht nur das Recht überhaupt seine Meinung kundzutun, sondern die Wahl von Zeit und Ort der Äußerung (BVerfGE 93, 266 (289)). Dass Interessensvertretung gegenüber dem Bundestag grundsätzlich erwünscht ist, kann zusätzlich aus dem Petitionsrecht nach Art. 17 GG entnommen werden. Aus diesen Determinanten kann die Funktion des Lobbyismus für die Staatsordnung umrissen werden: Lobbyismus ist zivilgesellschaftliche Teilhabe an der demokratischen Willens- und Entscheidungsbildung.

Transparenz ohne Verfassungsrang?

Das LobbyRG greift also in bestimmte vorbehaltlos geschützte Grundrechte ein. Zur Rechtfertigung dieser Eingriffe ist damit eine verfassungsimmanente Schranke erforderlich. Diese könnte im Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 1, 2 GG liegen. Denn das LobbyRG soll die Transparenz von demokratischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen erhöhen und hierdurch das Vertrauen der Öffentlichkeit in deren Legitimität sowie demokratische Teilhabe steigern. Einer solchen Verortung wird allerdings entgegengesetzt, dass der Lobbyismus selbst unverzichtbarer Bestandteil des demokratischen Systems sei. Das eine schließt das andere allerdings nicht aus. Kollidiert die lobbyistische Tätigkeit mit deren Transparenzmachung, ergibt sich eine Frage der praktischen Konkordanz.

Dem GG sind verschiedene Transparenzpflichten bekannt, die einen Anhaltspunkt für ein aus Art. 20 Abs. 1, 2 GG herrührendes Transparenzinteresse darstellen. So statuiert Art. 42 Abs. 1 S. 1 GG den Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit und Art. 21 Abs. 1 S. 4 GG die Offenlegungspflicht der Parteifinanzierung. Hieraus lässt sich noch lange keine allgemeine Transparenzpflicht für demokratische Willensbildungsprozesse ableiten, aber die genannten Beispiele bilden auch kein abschließendes Transparenzregime der Verfassung.

Bereits 1975 formulierte das BVerfG treffend: „Die parlamentarische Demokratie basiert auf dem Vertrauen des Volkes; Vertrauen ohne Transparenz, die erlaubt zu verfolgen, was politisch geschieht, ist nicht möglich“ (BVerfGE 40, 296 (327)). Dort beurteilte das BVerfG die Transparenzerfordernisse bei parlamentarischen Abstimmungen über Abgeordnetendiäten – eine Konstellation mit unvermeidbaren Interessenskonflikten. Zwar könnte man argumentieren, dass sich dieses Urteil auf das LobbyRG nicht übertragen ließe, dagegen sprechen aber die Erwägungen des BVerfG aus dem Urteil zur Veröffentlichung der Nebentätigkeiten und Nebeneinkünfte. Auch hier wird wieder ein Zusammenhang zwischen Transparenz und dem Vertrauen der Bevölkerung in eine demokratische Willensbildung hergestellt (BVerfGE 118, 277 (355)). Wirtschaftliche Abhängigkeiten und Interessenverflechtungen der Abgeordneten zugunsten bestimmter Gruppen oder Personen vermögen den Bundestag in seiner Funktion als Repräsentant des ganzen Volkes in Frage zu stellen, aber dies könne durch Transparenz kontrolliert und berücksichtigt werden. Bürger und Mitabgeordnete würden manche Argumente eines Abgeordneten in einem anderen Licht sehen, wenn dessen wirtschaftlichen Interessenkonflikte bekannt wären. Die Argumentation passt auf das LobbyRG: Unausgewogene Interessensvertretung zugunsten von bestimmten Gruppen oder Personen könnte zu deren übermäßigen Berücksichtigung im demokratischen Willensbildungsprozess führen und so die Repräsentationsfunktion des Bundestags in Zweifel ziehen. Dem setzt das LobbyRG Transparenz und damit demokratische Kontrolle entgegen.

Außerdem wird mittlerweile die hinreichende Transparenz von staatlicher Entscheidungsfindung als wesentliche Voraussetzung für ein demokratisches Staatswesen gesehen. Von veränderten Verhältnissen zeugen die Informationsfreiheitsgesetze auf Bundesebene und in 13 Bundesländern aus den letzten Jahrzehnten. Das BVerfG zählt deshalb im Maastricht-Urteil zur Demokratie auch, dass „die Entscheidungsverfahren der Hoheitsgewalt ausübenden Organe und die jeweils verfolgten politischen Zielvorstellungen allgemein sichtbar und verstehbar sind“ (BVerfGE 89, 155 (185)). Dabei spielt es für die öffentliche Nachvollziehbarkeit auch eine Rolle inwieweit Interessensvertretungen auf demokratische Entscheidungsverfahren Einfluss nehmen. Nach Ansicht der Verfasser kann sich deshalb das LobbyRG auf das Demokratieprinzip in Art. 20 Abs. 1, 2 GG stützen.

Praktische Konkordanz nur durch Ausnahme?

Kann das LobbyRG das Demokratieprinzip für sich geltend machen, könnten die Ausnahmen für Kirchen und Koalitionen dennoch aus Gründen der praktischen Konkordanz verfassungsrechtlich zwingend sein. Denn konfligieren unterschiedliche Verfassungsgüter, müssen diese nach dem Prinzip praktischer Konkordanz in einen schonenden Ausgleich gebracht werden. Ohne detailliert auf die einzelnen Grundrechte und deren Konflikt mit dem Demokratieprinzip einzugehen, können hier nur wenige vorsichtige Annahmen getroffen werden. § 3 Abs. 1 Nr. 7 und 8 LobbyRG verpflichten zu Angaben über Zuwendungen der öffentlichen Hand und Schenkungen Dritter, sowie zur Veröffentlichung von Jahres- und Rechenschaftsberichten. Diese Offenlegungspflichten gelten also unabhängig davon, ob die finanziellen Mittel tatsächlich für die Interessensvertretung aufgewendet werden. Dies wirft die Frage nach der Erforderlichkeit dieser Offenlegungspflicht auf, wenn der Aufgabenkreis der registrierungspflichten Organisation über die reine Interessensvertretung in Berlin hinausgeht – wie eben bei Koalitionen und Kirchen. Insbesondere Gewerkschaften haben starke Gründe dafür, den Umfang ihrer Streikkassen geheim zu halten. Dennoch erscheint deshalb keine umfassende Ausnahme für Kirchen und Koalitionen einschließlich der von ihnen beauftragten Interessensvertreter und Interessensvertreterinnen zwingend. Ein Beispiel für eine mögliche Regelung könnte das EU-Transparenzregister sein. Darin finden sich Informationen über die Anzahl der Beschäftigten und mit Angaben zu den jährlichen finanziellen Aufwendungen im Bereich Interessensvertretung von zahlreichen Koalitionen und kirchlichen Organisationen, ohne dass hierdurch Nachteile für diese bekannt sind.

Unabhängig davon, ob Ausnahmen für Kirchen und Koalitionen verfassungsrechtlich zwingend oder politisch gewollt sind, müssen diese im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG konsequent umgesetzt werden. So fällt auf, dass eine weitere Ausnahme zugunsten der Wissenschaftsfreiheit nach Art. 5 Abs. 3 GG fehlt, obwohl das GG diese wie die Religions- und Koalitionsfreiheit vorbehaltlos garantiert und die Pflichten des LobbyRG – wie gezeigt – durchaus einen Eingriff in Art. 5 Abs. 3 GG darstellen können. Nachdem hierfür ein sachlicher Differenzierungsgrund weder genannt noch ersichtlich ist, könnte dies einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz darstellen.

Fazit

Abschließend ist also festzustellen, dass der Gesetzgeber die Ausnahmen des LobbyRG nicht folgerichtig gestaltet hat und somit deren Vereinbarkeit mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz in Zweifel steht. Außerdem verfügt der Gesetzgeber über größere verfassungsrechtliche Spielräume bei der Regelung des Lobbyismus, als er bislang annahm. Denn Transparenz im Lobbyismus hat Verfassungsrang.


One Comment

  1. Jasper Meyer Mon 26 Apr 2021 at 14:39 - Reply

    Volle Zustimmung!

    Als Ausweg für etwaig geheim zu haltende Streikkassen: nach dem Gesetz können Interessenvereinigungen die geforderten finanziellen Angaben verweigern. Dies wird dann im Lobbyregister vermerkt, § 3 Abs. 2 LobbyRG. Eine Ordnungswidrigkeit ergibt sich hieraus nicht. Wenn die jeweilige Organisation ihre Gründe für die Verweigerung öffentlich nachvollziehbar darlegt, könnte man das Problem damit umgehen.

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