Lustration durch Kahlschlag: Wie die Ukraine Justiz und Verwaltung säubert
An Radikalität fehlt es dem jüngsten Versuch der ukrainischen Regierung, Justiz und Verwaltung von Anhängern des alten Regimes zu säubern, gewiss nicht – doch ob ihm auch Erfolg beschieden sein wird, ist mehr als ungewiss. Das Gesetz “Über die Säuberung des Regierungsapparats”, das am 15. Oktober in Kraft getreten ist, sieht programmatisch einen Rundumschlag vor – ehemalige KGB-Agenten sind genauso von Entlassung und Ausschluss aus dem Staatsdienst betroffen wie Führungskräfte und einfache Vollzugsbeamte aus der Janukowitsch-Ära. Der Adressatenkreis umfasst mindestens eine halbe Millionen Beamte. Wie eine so große Zahl ersetzt werden soll ist noch ungeklärt. Darüberhinaus fällt an diesem Lustrationsgesetz besonders seine nationalistischen Tendenzen auf, das Fehlen einer unabhängigen Behörde und die Hast, mit der die „Lustration“ in der Ukraine vorangetrieben wird. Dieses zweite Gesetz steuert in eine völlig andere Richtung als das erste aus Mai diesen Jahres, in dem ein sehr kleiner Kreis von Richtern von einer eigens gebildeten Spezialkommission überprüft werden sollte.
Erklärtes Ziel des Gesetzes ist es, das Vertrauen in den Staatsapparat wiederherzustellen und das “Regierungssystem” europäischen Standarts anzugleichen. Mittel zu diesem Zweck ist die Entfernung „belasteter“ Personen und deren Suspendierung vom Staatsdienst für die Dauer von zehn Jahren. Etwas versteckt findet sich, ganz am Ende von Art. 12, eine Ausnahme für Personen, die in der „antiterroristrischen Aktion“ in der Ostukraine gekämpft haben.
Jeder Zusammenhang mit Janukowitsch wird pönalisiert
Die Liste der Gründe für eine Entlassung ist sehr lang. Sie beginnt mit Personen, die bestimmte leitende Positionen für mindestens ein Jahr während Janukowitschs Regierungszeit, 25. Februar 2010 bis 22. Februar 2014, besetzten; etwa Minister, der Leiter der Nationalbank oder des Antikorruptionsbüros. Die willkürliche gewählte Dauer von einem Jahr bewahrt dabei den aktuellen Präsidenten Poroschenko davor, auf Grund der neun Monate, die er unter Janukowitsch Minister war, entfernt zu werden. Des Weiteren werden Personen, die bestimmte Ämter im Zeitraum zwischen dem 1. Dezember 2013 und 22. Februar 2014, innehatten, entlassen. Ob den betreffenden Personen überhaupt strafbare Hanldungen wie Korruption zur Last gelegt werden können, interresiert vor diesem Gesetz nicht. Jeder Zusammenhang mit Janukowitsch wird pönalisiert.
Doch trifft das Gesetz keineswegs nur Janukowitschs Führungspersonal, sondern auch alle Personen, die bestimmte besonders umstrittene Gesetze ausgeführt haben – etwa das während des Euromaidan erlassene Gesetz zur Freistellung von Verstößen gegen das Versammlungsrecht. Dabei wird nicht bestraft, wer im Zusammenhang mit der Ausführung des Gesetzes gegen Grund- und Menschenrechte verstoßen hat, sondern jeder, der im Zusammenhang mit dem Gesetz Weisungen gegeben oder ausgeführt hat – unabhängig von dem Unrecht, dass der Betreffende dabei realisiert hat. Das zeigt, dass nicht Schuld oder Unschuld des Einzelnen interessiert, sondern der Zusammenhang mit dem Regime Janukowitsch wesentlicher Ausgangspunkt für die Säuberung des Staatsapparates ist.
Zu kurzer Prozess mit der Sowjet-Vergangenheit
Doch nicht nur Janukowitschs Amtszeit wird aufgearbeit, auch die Zeit vor der Unabhängigkeit der Ukraine wird erstmalig adressiert. Wer unter Sowjetherrschaft in leitenden Positionen gearbeitet hat oder Geheimdienstmitarbeiter im KGB war, wird ebenfalls entlassen.
Mit Blick auf andere Staaten ders ehemaligen Sowjetunion Ostblocks (hier ist Autorin und Redaktion ein Fehler unterlaufen, bitten um Entschuldigung, Anm.d.Red.), wie Tschechien oder Polen, die sich ihrer Vergangenheiten bereits angenommen haben, ist dies sicherlich ein sinnvoller Schritt, wenngleich mit mindestens zwanzigjähriger Verspätung.
Die große zeitliche Differenz steht im starken Widerspruch zur Geschwindigkeit, mit der auch diese Personen nun aus ihren Ämtern entfernt werden sollen: Die Überprüfung eines Beamten soll vier und darf nicht mehr als sechs Wochen dauern. Über die Erfolge dieser Entlassungen soll bereits einen Monat nach Inkrafttreten des Gesetzes ein öffentliches Beratunsgremium für Lustration berichten, dem Vertreter von Medien und Öffentlichkeit angehören werden. Ähnlich medial ins Zentrum gerückt wurden 36 hochrangige Personen, die auf Grund des Gesetzes entfernt werden. Ihre Namen wurden auf der Website der Regierung veröffentlicht. Eine solche öffentliche Anprangerung ebenso wie der Erfolgsbericht und die angestrebte Geschwindigkeit des Luustrations-Prozesses hat mehr mit der gewünschten Öffentlichkeitswirkung als mit einer wirkungsvollen Reinigung der Verwaltung zu tun.
Eine langsame, dafür aber gründlichere Säuberung des Staatsapparats hätte den Zustand durch den etwas längeren Verbleib der Beamten nicht weiter verschlechtert. Die Hast setzt zwar das politische Zeichen: Wir reinigen uns schnellstmöglich von alten, russischen und damit feindlichen Einflüssen. Gründlichkeit wäre hier jedoch der Geschwindigkeit vorzuziehen gewesen und hätte – anders als bei Profiteuren Janukowitschs – auch keinen größeren Schaden mehr anrichten können, als bereits in den vergangenen 20 Jahren eingetreten.
Nationalisierung des Staatsapparats?
Nicht nur die überstürzte Reinigung von früheren, russischen Einflüssen zeigt, dass die Ukraine ihren Staatsapparat durch dieses Gesetz nationalisieren möchte. Auch wird entfernt, wer öffentlich zum Separatismus aufgerufen hat, oder sich rassistisch gegen ukrainischen Bürgern geäußert hat. Verschuldensunabhängig wird zudem aus dem Staatsdienst entfernt, wer nicht die ukrainische Staatsangehörigkeit besitzt. Dabei umfasst der Staatsdienst alle Personen, die nach deutschem Verständnis Angestellte im öffentlichen Dienst oder Beamten sind.
Immunisiert gegen die Überprüfung und damit geschützt vor der Entfernung aus dem Amt sind hingegen alle, die sich am Krieg gegen Pro-Russische Separatisten beteiligen, oder, um es mit den Worten des Gesetzes zu sagen, an „antifaschistischen Aktionen im Osten des Landes“.
Dieser Regelung haftet eine gewisse Kreuzzug-Logik an: Wer unter Lebensgefahr für einen „höheren Zweck“ kämpft, wird von früheren Sünden gereinigt. Der „höhere Zweck“ ist in diesem Fall die Ukraine. Dass ein Mitarbeiter im Staatsdienst, der in Lugansk oder Donezk seine Vaterlandsliebe bekundet hat, ist aber kein sinnvoller Anhaltspunkt für die Prognose, dass die betreffende Person in Zukunft rechtstreuer Teil einer funktionsfähigen Verwaltung sein wird. Ein sachlicher Grund für diese Privilegierung besteht damit nicht, sie überhöht stattdessen den Einsatz im Osten der Ukraine zu einer Heldentat, die den betroffenen Staatsdiener über Seinesgleichen stellt, so dass er sich nicht wie die anderen den Reinigungsprozessen unterziehen muss.
Die Ausnahmeregelung wirft zusätzlich regulative Schwierigkeiten auf. Wie ein Nachweis über die Beteiligung in der „antifaschistischen Aktion im Osten des Landes“ erbracht werden kann, ist ungeklärt. Weil ein solcher Nachweis aber gleichzeitig den einzigen Ausweg aus der Überprüfung bietet, ist zu erwarten, dass zahlreiche Nachweise aller Art, Originale, wie Fälschungen, auftauchen werden. Damit ist die Ausnahmeregelung nicht nur rechtspolitisch fragwürdig, sondern sogar gefährlich für die Lustration.
Keine unabhängige Lustrationsbehörde – „Reinigung“ im Sinne der Regierung?
Den größten Schaden bei der vorgesehenen Reinigung der Verwatung wird voraussichtlich das Fehlen einer unabhängigen Behörde verursachen. Mit den Überprüfungen ist das ukrainische Justiz-Ministerium in Kooperation mit den Dienststellen der betreffenden Beamten beauftragt. Um gleiche Behandlung der Beamten bei der Überprüfung zu sichern, wäre es notwendig gewesen, einen unabhängige Behörde einzuführen.
Die jetzige Aufgabenverteilung öffnet der Regierung über die Zuständigkeit des Justizministeriums einen großen Spielraum. Den kann sie beispielsweise dazu nutzen, Regierungstreue in illegitimer Weise bei den Überprüfungen zu berücksichtigen. Der „Staatsapparat Janukowitsch“ würde so nicht zur unabhängigen Gewalt im Staat gewandelt, sondern zum Instrument einer neuen Regierung unter einem neuen Präsident. Dieser kann, ironischer Weise mittels eines „Lustrationsgesetzes“ so Exekutive wie Judikative in seinem Sinne gestalten.
Auch die Einbindung der Behörden ist problematisch. Die Hierarchien in den Behörden können auch hier leicht zu Manipulation führen, so dass beispielsweise Vorgesetzte sich unliebsamer Kollegen entledigen indem sie verhindern, dass diese in ihre Überprüfung einwilligen. Ohne diese Einwilligung, wird eine Beamter ohne weitere Prüfung aus dem Amt entfernt. Es ist zu erwarten, dass die Behörden gereinigt werden – nur nicht im Sinne des Gesetzes, sondern im Sinne der Behördenleiter.
Chaos und Korruption kraft Gesetz – Was waren und sind Alternativen?
Das Gesetz über die Reinging des Regierungsapparats will sehr viel sehr schnell erreichen. Wahrscheinlicher als ein Erfolg des „Lustrationsgesetztes“ sind zahlreiche Klagen Betroffener vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Doch was wären Alternativen gewesen?
Wäre der Staatsapparat so belassen worden, wären Gelder und „Wohltaten“ des Staates in Form von Urteilen und Verwaltungsakten wie gehabt weiter geflossen. Diametral entgegen steht der eingeschlagene Weg durch das zweite „Lustrationsgesetz“, der nicht zu einem selektiven Austausch im tatsächlichen Sinne eine Lustration, sondern viel mehr zu einem Personalwechsel durch Entlassung von vielen Hundert Tausend Staatsdienern führt.
Ein besserer Weg liegt zwischen diesen Extremen in dem was „Lustration“ eigentlich meint – die Reinigung der Verwaltung durch Überprüfung und punktuellen Austausch. Dieser Weg wurde durch das erste Lustrationsgesetz beschritten. Hier wurde die Überprüfung von einem beschränkten Kreis von Richtern eingegrenzt. Zunächst sollten nur diejenigen Richter überprüft werden, die im Zeitraum des „Euromaidans“ im letzten Winter, Urteile gegen die Demonstranten auf dem Maidan erlassen haben. Dafür war eine Spezialkommision vorgesehen, die diese Prüfungen vornehmen soll. In weiteren, zeitversetzten Schritten, hätte so zunächst die Justiz überprüft werden können mit gleichzeitigem starkem Fokus auf das „Wie“ der Neubesetzung. Mit einer gereinigten Justiz ließen sich Straftaten in der Exekutive – wie Korruption – von Amtswegen verfolgen. Zuarbeiten könnte eine unabhängige Behörde, der Zugang zu Akten aus der Amtszeit Janukowitschs und Geheimdienstdokumenten verschafft wird. Die Überprüfung sollte bei den kaskadenartig den Hierarchien von oben nach unten folgen. Vor allem muss gelten: nicht so viel und nicht sofort.
Hinter diesem Gesetz stand das Ziel, ein Zeichen zur zeitnahen Wahl zu setzen und den Forderungen des Volkes nach Korruptionsbekämpfung gerecht zu werden. Wie angespannt die öffentliche Meinung in diesen Fragen ist, zeigte sich darin, dass sich an die parlamentarischen Entscheidung für dieses Gesetz Jubel und Rauchbomben vor dem ukrainischen Parlament anschlossen.
Und auch im Parlament ist bei Erlass des Gesetzes nicht alles mit demokratischen Dingen zugegangen: Die Namen derer, die nicht für das Gesetz stimmen, sollten veröffentlicht werden. Für Abwesende durfte dank einer unter Janukowitsch üblichen Abstimmungsvariante gestimmt werden. Und schließlich lag den Abgeordneten zur Abstimmung der Text dieses überaus zweifelhaften Gesetzes nicht vor.
Na, herzlichen Glückwunsch Frau Bertram! Schöner kann man einen faschistischen Putsch und die darauf folgende Machtübernahme nicht in ein wohlgesetztes westliches Wertesystem setzen. Da gab’s ja wohl jede Menge Anleihe in Hohenschönhausen! Es gibt für die Putschisten keine Alternative zur Säuberung des Machtapparates. Lesen Sie mal dazu Marx und insbesondere Lenin! Wie fast alle der jungen Generation können Sie zwar Ereignisse und Wirkungen gut und fundiert beschreiben, aber keine Zusammenhänge darstellen und tiefgründig Ursachen aufzeigen. Trotzdem mit freundlichen Grüssen
Soldat 82
Zitat: Mit Blick auf andere Staaten der ehemaligen Sowjetunion, wie Tschechien oder Polen, die sich ihrer Vergangenheiten bereits angenommen haben, ist dies sicherlich ein sinnvoller Schritt, wenngleich mit mindestens zwanzigjähriger Verspätung.
das ist ein gravierende sachlicher Fehler! Diese Länder waren nie(!!!) Mitglied der SU.
Wäre man bei uns in der BRDGMBH nach dem 2. WK. auch so verfahren, dann hätten unsere Naziwendehälse schlechte Karten gehabt, denn die Nachkriegsparteien waren voll besetzt mit denen.
Das ist wirklich der Hammer.
Das wäre so, als ob etwa die Grünen in Stutgart alle früheren Beamten wegen ihrer CDU-Nähe pauschal entlassen würden, natürlich erst nach Prüfung durch eine Kommission, besetzt mit “grünen” Juristen.
Oder besser noch, die Linkspartei gewinnt die naächste BTW und danach werden Union, Grüne, SPd und FDP als verfassungsfeindlich verboten, weil sie mit Hartz IV und Agenda2010 gegen das Sozialstaatsgebot des GG verstiessen. Völlig Irre.
Und vielen Dank, Frau Bertram, für diese ausführlichen und sachlichen Informationen, die man -leider- ind unseren Qualitätsmedien nicht zu lesen bekommt.
Und darüber komme ich auch nicht hinweg: Die MdP stimmen ab, ohne zu wissen worüber, und man kann für Abwesende stimmen.
Tja, Sooo schlecht war Janukowitsch wohl doch nicht…..
Und frohe Weihnachten