09 December 2021

Mit Auto-Autos gegen die Klimakrise?

Warum bei der Regulierung autonomer Fahrzeuge Nachhaltigkeitsüberlegungen eine Rolle spielen sollten

Autonome Autos (salopp manchmal „Auto-Autos“) sind Kraftfahrzeuge, welche „die Fahraufgabe ohne eine fahrzeugführende Person selbständig“ (§ 1d Abs. 1 Z. 1 StVG) erfüllen können. Sie werden oft als die Verkehrstechnologie der Zukunft angesehen und gelten auch als Schlüsseltechnologie in der „Verkehrswende“, also im Umbau der Mobilitätssysteme zu einem nachhaltigen Umgang mit der Umwelt. Die Verselbständigung der Steuerungstechnik macht den Autoverkehr allerdings nicht zwangsläufig ökologischer. Ob autonome Fahrzeuge zu nachhaltigerer Mobilität und damit zum Klimaschutz beitragen, ist vor allem von entsprechender rechtlicher Steuerung abhängig. Das am 27. Juli 2021 während der „Sommerpause“ (und der Europameisterschaft) in Kraft getretene Gesetz zum autonomen Fahren enthält keine Absicherungen, dass die Wende zum autonomen Fahren auch nachhaltig gestaltet wird und zu einer ökologisch verstandenen „Verkehrswende“ führt. Das gilt auch für den nun angenommenen „Ampel-Koalitionsvertrag“, wenngleich er die „Transformation der Automobilindustrie“ ausruft und Deutschland zum „Innovationsstandort für autonomes Fahren“ machen möchte (S. 27).

Autonome Fahrzeuge und Klimaschutz

Autonome Fahrzeuge sind nicht per se klimafreundlicher als herkömmliche Autos. Mit den vom Antrieb verursachten Emissionen hat autonomes Fahren insofern nichts zu tun, als die dazu nötige Technologie sowohl für Autos mit Verbrennungsmotor als auch für solche mit alternativen Antrieben funktioniert.

Betrachtet man die zur Automatisierung erforderliche technische Ausstattung im Auto selbst sowie die nötige Infrastruktur außerhalb des Autos, führt die Einführung autonomer Fahrzeuge (unabhängig vom Antrieb) zu einem Mehr an Ressourcen- und Energieverbrauch: Mehr Sensoren und mehr Rechenkapazität im Auto, 5G-Internet, WLAN an Kreuzungen etc. als notwendige Infrastruktur außerhalb des Autos. Den Menschen hinter dem Steuer zu ersetzen bedeutet Ressourcen- und Energieaufwand.

Im Einzelnen sind die Zusammenhänge komplex und werden in verschiedenen Fachdisziplinen erforscht, zu denen insbesondere die Verkehrs- und Raumplanung, aber auch die Verhaltensökonomie gehören. So ist die Klimabilanz autonomer Fahrzeuge nicht isoliert, sondern im Kontext des gesamten Verkehrssystems (einschließlich des Mobilitätsverhaltens) zu betrachten. Autonome Fahrzeuge sparen z.B. Energie durch „intelligentes“, bspw. stauvermeidendes, Fahrverhalten. Geht man aber davon aus, dass diese Technologie die Sicherheit im Straßenverkehr tatsächlich stark erhöht und bezieht man den Inklusionseffekt mit ein (fast alle Menschen können derartige Fahrzeuge benutzen), so ist mit einer Steigerung des Verkehrsaufkommens zu rechnen (Schlagwort „induzierter Verkehr“). Hinsichtlich der Sicherheit haben autonome Fahrzeuge allerdings kein Innovationsalleinstellungsmerkmal: Würde der individualisierte Straßenverkehr in Zukunft massiv abnehmen (was nicht nur mit autonomen Fahrzeugen bewerkstelligt werden kann), dann sinkt wohl auch die Unfallwahrscheinlich entsprechend. So ist das Sicherheitsargument für Auto-Autos mit Vorsicht zu genießen. Auch Zersiedelungseffekte, die Errichtung von (einzelnen) Gebäuden im unbebauten Raum außerhalb der Ortskerne, und damit einhergehende Umweltbelastungen können sich durch den Einsatz automatisierter Fahrzeuge einstellen, worauf eine Forschungsgruppe der TU Wien hinweist: „Fortschreitende Zersiedelung ist, ohne steuernde Maßnahmen, der erste räumliche Effekt automatisierter und vernetzter Fahrzeuge. Aufgrund des Erreichbarkeitszuwachses durch neue Mobilitätsservices werden Flächenreserven aktiviert, welche Druck auf regionale Bodenmärkte ausüben“.

Der Einsatz autonomer Fahrzeuge kann also je nach konkreter Ausgestaltung positive oder auch negative Auswirkungen im Hinblick auf die von den Fahrzeugen (direkt oder indirekt) verursachten Klimabelastungen haben (siehe für eine optimistische Analyse bspw. die Fraunhofer Studie 2019; skeptischer hingegen hier). Unter der Annahme, dass diese neue Technologie bloß die aus dem 20. Jahrhundert stammenden gesellschaftlichen Mobilitätsgewohnheiten fortschreibt und somit keinen Beitrag zur nötigen Nachhaltigkeitstransformation leistet, kritisieren Transformationsforscher wie Harald Welzer das Festhalten am motorisierten Individualverkehr zurecht als nicht zukunftsfähig (siehe zB hier: das E-Auto als „das Methadon der fossilen Mobilität“).

Nachhaltigkeit als Grundsatz rechtlicher Regulierung

Nachhaltigkeit ist ein Schlagwort, welches das junge 21. Jahrhundert prägt und auch rechtlich auf verschiedenen Ebenen verankert ist (siehe z.B. auch die neue Zeitschrift für Nachhaltigkeitsrecht). Auf internationaler Ebene wurde mit dem Brundtland-Bericht 1987 eine vielbeachtete Definition von „sustainable development“ geschaffen: „Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können“ (siehe für die englische Originalversion hier). Die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen geben Ziele für nachhaltige Entwicklung vor und auch eine Zielbestimmung des EUV verlangt das Hinwirken auf „ein hohes Maß an Umweltschutz und Verbesserung der Umweltqualität“ (Art. 3 Abs. 3 EUV). Auf nationaler Ebene ist im österreichischen Recht die Nachhaltigkeit durch das Bundesverfassungsgesetz über die Nachhaltigkeit, den Tierschutz, den umfassenden Umweltschutz, die Sicherstellung der Wasser- und Lebensmittelversorgung und die Forschung als Staatsziel verankert (BGBl I 111/2013 idF I 82/2019).  Für die Bundesrepublik Deutschland statuiert Art. 20a GG klar, dass der Staat „auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen“ zu schützen hat. Auch auf unterverfassungsrechtlicher Ebene führt die Herausforderung der Klimakrise zu vielfältigen rechtlichen Reaktionen, wenn auch teilweise erst nach einem Rüffel aus Karlsruhe, welcher allerdings über den Anlassfall hinaus beträchtliche Auswirkungen auf die gesetzgeberischen Aktivitäten haben wird. Wie bereits in zahlreichen Beiträgen kommentiert (z.B. hier, hier und hier), betrat das Gericht unter anderem mit der dogmatischen Figur der „intertemporalen Freiheitssicherung“ Neuland, indem es ein grundrechtliches Verbot der „einseitigen Verlagerung der durch Art. 20a GG aufgegebenen Treibhausgasminderungslast in die Zukunft“ ableitete (Leitsatz 4).

Regulierung autonomer Fahrzeuge im Kontext der Klimaschutz- und Nachhaltigkeitsgesetzgebung

Die Mobilität ist einer jener Sektoren, welche besonders dringend auf eine nachhaltige Umgangsform mit den natürlichen Lebensgrundlagen auszurichten sind. Laut Umweltbundesamt sind die gesamten Kohlendioxid-Emissionen des Straßenverkehrs in Deutschland in den letzten 30 Jahren stetig angestiegen. Ein strukturelles Problem ist – in den Worten des Umweltbundesamtes –, dass „[d]as Mehr an Pkw-Verkehr […] den Fortschritt auf[hebt]“. Dazu kommt (mit Blick auf Umwelt- und Gesundheitsschutz) das bislang wenig wahrgenommene Problem des Gummiabriebs von Autoreifen, welches mit 120.000 Tonnen Gummi pro Jahr nur in Deutschland die größte Mikroplastik-Ursache ist (siehe bspw. hier).

Mobilität bedarf im Kontext der Nachhaltigkeitstransformation folglich noch stärkerer rechtlicher Regelung. Die Technologie für autonome Fahrzeuge wird in nicht allzu ferner Zukunft zur Verfügung stehen (siehe zu einer Vorstufe in Deutschland das oftmals unbekannte Beispiel „vay“) bzw. tut sie es bereits (siehe z.B. den fahrerlosen Taxidienst „Waymo“ in Phoenix, der nun auch in San Francisco startet, oder „Apollo Go“ von Baidu in mehreren Städten Chinas). In welchem Umfang und in welcher Weise diese Technologie genutzt werden soll, ist aber eine wichtige gesellschaftliche Entscheidung, in der Kosten und Nutzen klar benannt und vernünftig abgewogen werden müssen – eine Entscheidung, die nicht durch legislatives „Business as usual“ in Form isolierter „Technologie-Regulierung“ übergangen werden sollte.

Voraussetzung dieser Abwägung ist die Beantwortung der Frage, inwieweit diese Technologie tatsächlich zur Nachhaltigkeitstransformation beitragen kann. Dass sie überhaupt nur in jenem Umfang, in dem sie einen solchen Beitrag leisten kann, eingesetzt wird, ist sodann durch rechtliche Regulierung sicherzustellen (dazu gleich unten). Damit das autonome Fahren nicht zu einer Technologie wird, die als „alternativlos“ und als bloß noch in den Details regelungsbedürftig angesehen wird, bedarf es also evidenzbasierter rechtlicher Steuerung (siehe auch hier), welche das autonome Fahren im Kontext der nötigen Mobilitätstransformation als Ganzes im Blick behält.

Das nun verschärfte Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG) enthält auch Vorgaben zur Reduktion der Treibhausgasemissionen im Verkehr. Auch auf Ebene der Europäischen Union ist die Festlegung von Emissionsgrenzwerten für Fahrzeuge ein zentrales Thema. Damit ist aber nur ein Rahmen für weitere regulatorische Maßnahmen gesetzt. Entsprechender Regulierungsbedarf besteht z.B. ganz allgemein hinsichtlich der Lenkung des Verkehrsaufkommens auf unterschiedliche (möglichst klimaschonende) Verkehrsmittel (siehe z.B. die Einführung des „Klimatickets“ in Österreich). Auto-Autos dürfen die bestehenden nicht-automatisierten PKWs nicht „1 zu 1“ ersetzen. Stattdessen sollten die durch autonome Fahrzeuge ohnehin zerfließenden Grenzen zwischen Individual- und Kollektivverkehr mit Anreizen hin zu letzterem bewegt werden. Das könnte bspw. durch gezielte Förderungen von autonomen Fahrzeugen, die für Kollektivverkehr geeigneten sind, wie Auto-Autobussen oder autonomen U-Bahnen usw., erreicht werden. Die Entwicklung und Zulassung von Auto-Autos sollte außerdem bereits in einem frühen Stadium mit sharing-Modellen (und dem E-Antrieb) regulatorisch verbunden werden. Anknüpfend an Vorschläge zu autofreien Städten bzw. Zonen (Beispiel: Pontevedra in Spanien), könnten in (Innen-)Städten nur mehr kollektiv genutzte Auto-Autos zugelassen werden. Damit gäbe es für Menschen, die in Städten leben, keine oder nur noch schwache Gründe, sich einen eigenen PKW zu kaufen. Die Botschaft ist, dass es zahlreiche Regulierungsmöglichkeiten gibt, wenn einmal offen gelegt ist, dass das Auto-Auto per se kein Allheilmittel ist.

Bei der rechtlichen Regulierung autonom fahrender Fahrzeuge ist also weitaus mehr zu bedenken als bloße Emissionsgrenzwerte. Auch die mit autonomen Fahrzeugen einhergehenden – nachhaltigkeitsbezogenen – Chancen sollten nicht vergessen werden, z.B. die Reduktion von umweltschädlichen Individualfahrten und die Verringerung der Zahl der PKWs durch die oben angesprochenen sharing-Modelle. „Gezielt eingesetzt, können automatisierte Fahrzeuge hochqualitative Mobilitätsservices in Gebieten ermöglichen, in denen der klassische öffentliche Nahverkehr scheitert“, meint zB Mathias Mitteregger, Koordinator eines an der TU Wien durchgeführten Forschungsprojekts zur Bedeutung autonomer und vernetzter Fahrzeuge im städtischen Raum. Der Koalitionsvertrag (S. 50) lässt zumindest erahnen, dass der Handlungsbedarf in Bezug auf „[d]igitale Mobilitätsdienste, innovative Mobilitätslösungen und Carsharing“ erkannt wurde, welche in „eine langfristige Strategie für autonomes und vernetztes Fahren öffentlicher Verkehre“ einbezogen werden sollen. Ob die rechtliche Steuerung ausreicht, wird es allerdings genau zu beobachten gelten.

Schlussbetrachtungen

Auto-Autos haben das Potenzial, die Mobilität der Zukunft zu prägen. Ohne breiten politischen Diskurs, der wissenschaftlich zu begleiten ist, drohen allerdings technische Entwicklungen die Oberhand zu nehmen, ohne dass diese durch normative Vorgaben in die richtigen Bahnen gelenkt werden. Von dieser technischen Entwicklung werden grundrechtlich sensible Fragestellungen berührt, die auch über die in diesem Zusammenhang vielfach diskutierte Thematik von Dilemma-Problemen unterschiedlicher Kollisionsvermeidungssysteme hinausgehen. Das ist spätestens seit dem Klimabeschluss des BVerfG klar. Bezüglich des Zusammenhangs zwischen Nachhaltigkeit und dem Einsatz autonomer Fahrzeuge besteht allerdings noch in erheblichem Umfang Steuerungspotential und – mit Blick auf die unionsrechtlichen und verfassungsrechtlichen Zielvorgaben wie auch auf den Klimabeschluss – Steuerungsbedarf.

 

Wir bedanken uns für hilfreiche Kommentare bei Leonie Möck, Norbert Paulo, Isabel Staudinger und Teresa Weber sowie für die Finanzierung beim Zentrum für Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr (dtec.bw).


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