02 April 2014

Muss sich Cameron für seinen Geheimdienst vor dem EuGH verantworten?

Franz Mayer hat vor einigen Monaten hier geprüft, was das Europarecht gegen das von Edward Snowden enthüllte Überwachungsprogramm TEMPORA des britischen Geheimdiensts GCHQ  ausrichten kann. Jetzt hat die Grünen-Bundestagsfraktion die Initiative ergriffen und Kommissionspräsident Manuel Barroso in einem Brief aufgefordert, beim EuGH ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Großbritannien einzuleiten: Mit der großflächigen Überwachung der elektronischen Kommunikation verletzte Großbritannien die europäischen Grundrechte und das Diskriminierungsverbot.

Die Aktion der Grünen ist erstmal politisch ein interessanter Schachzug. Dass es einem EU-Mitgliedsstaat nicht erlaubt sein kann, genau das mit uns zu machen, was wir gegenüber der amerikanischen NSA lauthals als flagranten Eingriff in unsere Grundrechte beklagen, scheint auf der Hand zu liegen. Barroso hat zwar einen Ermessensspielraum, ob er ein VVV einleitet, aber einfach ignorieren wird er den Brief der Grünen-Fraktion nicht können. Wenn er, was ich mal unterstelle, keine Lust verspüren wird, sich mit einem solchen Verfahren Cameron zum Feind zu machen, den er womöglich noch bräuchte, wenn sich für ihn doch noch eine Chance auf eine dritte Amtszeit auftut, dann gerät er damit doch zumindest unter Erklärungsdruck.

Und wie sieht es rechtlich aus? Das Problem ist, dass die Mitgliedsstaaten sorgfältig darauf geachtet haben, dass ihnen in Dingen, in denen es um die angebliche nationale Sicherheit geht, kein europarechtliches Problem entstehen kann. Die Datenschutzrichtlinien sehen insoweit großräumige Bereichsausnahmen vor. Diese sind, wie Franz Mayer gezeigt hat, im Wortlaut den britischen Rechtsgrundlagen für die GCHQ-Überwachungspraxis nachgebildet.

Ich habe die Begründung, die die Grünen ihrem Brief an Barroso beigelegt haben, hier vorliegen. Ihr Argument geht so: Zwar stehe ausdrücklich im EU-Vertrag, dass die nationale Sicherheit allein Angelegenheit der Mitgliedsstaaten bleiben soll, und auch die Datenschutzrichtlinie 2002/58/EG nehme den Schutz der inneren Sicherheit von ihrem Anwendungsbereich aus. In Artikel 15 der Richtlinie stehe aber, dass die Mitgliedsstaaten das Datengeheimnis insoweit einschränken können, soweit das „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, angemessen und verhältnismäßig“ ist.

Daraus könne man ablesen, dass die Richtlinie voraussetzt, dass das Unionsrecht der Maßstab für Datenschutzeingriffe bleibt, auch wenn diese dem Schutz der nationalen Sicherheit dienen sollen – ebenso wie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die EMRK, deren Wortlaut in der zitierten Formel durchscheint.

Wenn man mal im Anwendungsbereich des Unionsrechts ist, dann ist der Prüfungsmaßstab relativ klar: Die Grundrechtecharta und die EMRK schützen die Unionsbürger davor, dass ihre persönlichen Daten ohne gesetzliche Grundlage und Kontrolle gesammelt und ausgewertet werden. Den Opt-Out der Briten aus der Grundrechtecharta thematisiert das Schreiben erst gar nicht, zu Recht, da er nichts an der Bindung Großbritanniens an den etablierten europäischen Grundrechtebestand ändert. Für den “chilling effect”, den die Überwachung und Speicherung von Kommunikationsdaten auf die freie Ausübung von Grundrechten hat, können sich die Grünen auf die Schlussanträge von Generalanwalt Pedro Cruz Villalón im Verfahren um die Vorratsdatenspeicherung berufen.

Angedeutet wird in dem Schreiben auch ein fundamentalerer Weg, die Überwachung europarechtlich zu thematisieren:

Die Freiheitlichkeit der Kommunikation und der Schutz des Privatlebens gehörten zu den gemeinsamen Grundlagen einer freiheitlichen Demokratie und somit zu den Grundwerten der Europäischen Union (Art. 2 EUV), die alle Mitgliedsstaaten zu bewahren haben.

Artikel 2 beinhaltet die Wertegrundlagen der Europäischen Union insgesamt – den Maßstab, an dem sich Beitrittskandidaten in punkto Rechtsstaatlichkeit und Grundrechtsschutz messen lassen müssen. Wie man ihn gegenüber bereits beigetretenen Mitgliedsstaaten durchsetzt, ist eine Debatte, die gegenwärtig vor allem mit Blick auf Ungarn, Rumänien und Bulgarien geführt wird. Dass es dafür womöglich auch im europäischen Westen denkbare Anwendungsfälle gibt, ist eine interessante Facette.

Einen weiteren Ansatzpunkt sehen die Grünen im Verbot der Diskriminierung nach Staatsangehörigkeit (Art. 18 AEUV): Von den Maßnahmen seien überwiegend Nicht-Briten betroffen. Nur diesen könne die Rechtfertigung, das “wirtschaftliche Wohl Großbritanniens” zu sichern, entgegen gehalten werden. Mit dieser Formel könne obendrein Wirtschaftsspionage in anderen Mitgliedsstaaten gedeckt werden.

Was immer dabei herauskommt: Wenn der Grünen-Vorstoß dazu beiträgt, dass in Europa über die Reichweite des europarechtlichen Schutzes gegen geheimdienstliche Übergriffe der Mitgliedsstaaten gestritten wird, hat er seinen Zweck schon erfüllt.


No Comments

  1. MJermies Thu 3 Apr 2014 at 10:13 - Reply

    Schöner Vorstoß. Was ich nicht verstehe ist, warum er von der Bundestagsfraktion und nicht von der European Green Party ausgeht. Da hätte ich mir ein bisschen mehr Engagement gewünscht.

    http://campaign.europeangreens.eu/

  2. Martin Holterman Sat 5 Apr 2014 at 23:38 - Reply

    I don’t think such a case as much of a chance of succeeding:

    Artikel 346
    (ex-Artikel 296 EGV)

    (1) Die Vorschriften der Verträge stehen folgenden Bestimmungen nicht entgegen:
    a) Ein Mitgliedstaat ist nicht verpflichtet, Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe seines Erachtens seinen wesentlichen Sicherheitsinteressen widerspricht;

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