Mutter, Mutter, Kind?!
Es geht ein Ruck durch das Abstammungsrecht. Gleich zwei Gerichte haben am 24. März 2021 dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob das geltende, mehrheitlich biologistisch verstandene Abstammungsrecht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Beide Fälle betreffen die rechtliche Elternschaft zweier miteinander verheirateter Frauen, deren Kind mittels anonymer Samenspende gezeugt wurde – und könnten der Auftakt für ein grundlegendes Umdenken rechtlicher Elternschaft sein.
Mutter, VATER, Kind
Wird ein Kind in eine Ehe hinein geboren, so werden die Eheleute Eltern des Kindes (vgl. §§ 1591, 1592 Nr. 1 BGB). Voraussetzung dafür ist jedoch, dass es sich bei den Eheleuten um eine Frau und einen Mann handelt (§ 1592 Nr. 1 BGB). Ist die gebärende Frau mit einer nicht-männlichen Person verheiratet (Geschlechtseintrag weiblich, divers oder ohne Geschlechtseintrag), erhält das Kind nicht automatisch bei Geburt zwei Elternteile, sondern nur einen: die gebärende Person (Mutter nach § 1591 BGB). Der zweite Elternteil ist für die Begründung der rechtlichen Elternschaft auf die Stiefkindadoption verwiesen – ein Verfahren, bei dem die gesamte Familie einer umfassenden behördlichen und gerichtlichen Prüfung unterzogen wird und das zudem frühestens sechs Monate nach Geburt des Kindes begonnen werden kann. Dies hat der BGH zuletzt 2018 bestätigt. Deutschlandweit stellen das nun mehrere Familien gerichtlich in Frage: Sie fordern Rechtssicherheit für sich und ihre Kinder und halten den Zwang zur Durchführung eines Adoptionsverfahrens für diskriminierend und unzumutbar.
Zwei Gerichte haben sich nun (im Ergebnis) der Argumentation der Antragsstellerinnen angeschlossen und damit ausdrücklich gegen die Auffassung des BGH gestellt: Sie halten die zivilrechtlichen Abstammungsregelungen für verfassungswidrig und haben die Fälle dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Zu diesem Ergebnis kommen sie mit unterschiedlicher Begründung – einmal im Schwerpunkt freiheits- und einmal ausschließlich gleichheitsrechtlich.
Verletzung des Elternrechts, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG
Der 21. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle (Az. 21 UF 146/20) argumentiert, dass die fehlende gesetzliche Regelung einer „Mit-Mutterschaft“ die mit der Geburtsmutter verheiratete Ehefrau in ihrem verfassungsrechtlich geschützten Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt. Das Recht und die Pflicht zur Pflege und Erziehung der Kinder beruhe nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darauf, dass die Eltern dem Kind das Leben gegeben haben und ihm sozial und familiär verbunden sind. Diese grundlegenden Begründungselemente zum Elternrecht ließen sich ohne Weiteres auf gleichgeschlechtliche Ehegatten und Partner*innen übertragen, die ein Kind mit den Methoden der Reproduktionsmedizin empfangen haben. Elterliche Rechte und Pflichten ergeben sich daher nach der Ansicht des Senats nicht nur für leibliche Eltern, sondern – in Fällen der Zeugung des Kindes im Wege einer anonymen Keimzellenspende – auch für die Partnerin der Mutter (Rn. 91). Entscheidend sei, dass auch diese im Einverständnis mit der Mutter für das aus der künstlichen Befruchtung hervorgehende Kind dauerhaft und unauflöslich Verantwortung übernehmen wolle. Neben der Samenspende seien auch der gemeinsame Entschluss und die Erklärungen beider Partnerinnen im Rahmen der medizinisch unterstützten Fortpflanzung notwendige Voraussetzung dafür, dass neues Leben entsteht. Dies begründe die Verpflichtung gegenüber dem Kind und damit zugleich das Recht, die Pflege und Erziehung des Kindes wahrnehmen zu können (Rn. 93). Zusammengefasst in den Worten des Senats: „Wie für leibliche Eltern gilt auch für die Wunscheltern, dass gerade ihnen das Wohl des Kindes mehr am Herzen liegt als irgendeiner anderen Person, einschließlich der Spendereltern […].“ (Rn. 94).
Der Senat sieht hinsichtlich des verfassungsrechtlichen Elternrechts die biologischen Zusammenhänge durch die Möglichkeiten und Entwicklungen der Fortpflanzungsmedizin weitgehend zurücktreten und die funktionalen Elemente an Bedeutung gewinnen. Eine gleichgeschlechtliche Elternschaft sei dann durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützt und eine zweite Frau „gleichsam […] natürliche Mutter“, wenn angesichts der faktischen Verbindung mit dem Kind, des Willens zur dauerhaften Verantwortungsübernahme und der Verbundenheit zur Austragenden die dauerhafte Übernahme der Elternfunktion zu erwarten sei (Rn. 98). Den Weg zur Begründung der Elternstellung über die Stiefkindadoption hält der Senat mit Blick auf das Eltern-Kind-Verhältnis für nicht erforderlich und zum Teil (hinsichtlich der mehrmonatigen Probezeit) auch unzumutbar (Rn. 129-133).
Neben der Verletzung der Freiheitsrechte der Ehefrau und des Kindes (auf Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) sieht der Senat eine nicht gerechtfertigte Diskriminierung sowohl der Geburtsmutter als auch der Ehefrau und des Kindes nach Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG (Rn. 149 ff.). Da der Ehemann der Geburtsmutter kraft Gesetzes gemäß § 1592 Nr. 1 BGB Vater des Kindes werde, während die Ehefrau der Geburtsmutter nicht die zweite Elternstelle zu dem Kind erhalte, würden die Ehen von verschiedengeschlechtlichen Paaren mit Kindern und die Ehen von gleichgeschlechtlichen Paaren mit Kindern unterschiedlich behandelt. Tatsächlich bestünde aber sowohl für die verschiedengeschlechtliche Ehe wie auch für die gleichgeschlechtliche Ehe ein jeweils spezifisches Zuordnungskriterium des zweiten Elternteils zu dem Kind: Bei verschiedengeschlechtlichen Ehen sei es die Vermutung der genetischen bzw. leiblichen Abstammung, bei gleichgeschlechtlichen Ehen – aufgrund des Elternrechts des Ehegatten aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG – der Willensentschluss zur medizinisch assistierten Zeugung des Kindes und die erklärte Verantwortungsübernahme (Rn. 153). Eine sachliche Rechtfertigung für die unterschiedliche Regelung sei – insbesondere aufgrund des hier anzulegenden strengen Maßstabes (Nähe zu zu Art. 3 Abs. 3 GG) – nicht zu erkennen (Rn. 155).
Diskriminierung gegenüber verschiedengeschlechtlichen Eltern bei Zeugung durch qualifizierte Samenspende, Art. 3 Abs. 1 GG
Die Richter*innen des 3. Zivilsenats des Berliner Kammergerichts als Senat für Familiensachen (Az. 3 UF 1122/20) begründen ihre Vorlage an das Bundesverfassungsgericht ausschließlich damit, dass eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung des Kindes und der Ehefrau nach Art. 3 Abs. 1 GG gegenüber vergleichbaren Fällen in verschiedengeschlechtlichen Ehen vorliege (Rn. 64 ff.). Viel stärker als das OLG Celle geht das KG dabei auf die konkrete Situation der medizinisch assistierten Samenspende im Vergleich zu heterosexuellen und anderen Paaren ein. Seit Einführung des § 1600d Abs. 4 BGB im Jahr 2018 könne im Falle einer sogenannten qualifizierten Samenspende (im Wesentlichen: ärztlich unterstütze künstliche Befruchtung) der Samenspender in keinem Fall mehr als Vater festgestellt werden. Damit habe die Gesetzgebung entschieden, dass in diesen Fällen die Zuordnung eines Mannes (des Ehemannes) als Vater des Kindes von seiner biologischen Elternschaft völlig unabhängig sei. Kinder, die durch ärztlich unterstützte künstliche Befruchtung mit Hilfe eines anonymen Samenspenders gezeugt wurden, würden also ungleich behandelt, je nachdem, ob sie in einer verschiedengeschlechtlichen oder gleichgeschlechtlichen Ehe der Mutter geboren worden seien. Dies sei verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. In beiden Fällen sei die Zuordnung der rechtlichen Elternschaft völlig losgelöst von der biologischen Elternschaft.
Auch das KG ist der Ansicht, dass das Kind und die Ehefrau der Mutter auch nicht auf den Umweg einer Adoption verwiesen werden können.
Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG
Beiden Beschlüssen gemein ist, dass sie die besonderen Gleichheitsrechte außer Acht lassen. Eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG, liegt jedoch vor.
Kinder wie jene in den dargestellten Verfahren werden als eheliche Kinder ihrer nicht-heterosexuellen Eltern benachteiligt gegenüber ehelichen und auch nichtehelichen Kindern von heterosexuellen Paaren: Weil ihre Mütter nicht mit einem Mann – sondern einem Menschen nicht-männlichen Geschlechts – verheiratet sind, kommt ihnen nicht qua Geburt der gleiche rechtliche Schutz zu. Sie trifft eine massive rechtliche Unsicherheit und Benachteiligung: Den Kindern wird die Hälfte der rechtlichen Absicherung und Fürsorge vorenthalten. Sollte der Geburtsmutter etwas zustoßen, wären die Kinder rechtlich gesehen Vollwaise und würden im schlimmsten Fall in staatliche Obhut kommen – obwohl sie bis dahin mit einem zweiten sorgenden Elternteil aufgewachsen sind. Auch haben die Kinder im Falle des Versterbens des zweiten Elternteils keinen Anspruch auf Halbwaisenrente.
Auch die beiden (Wunsch-)Eltern werden benachteiligt gegenüber heterosexuellen Ehen und Partnerschaften, da ihre Ehe keine Wirkung in abstammungsrechtlicher Hinsicht entfaltet und auch keine anderweitige Elternschaftsanerkennung möglich ist.
Beide Benachteiligungen erfolgen aufgrund des Geschlechts: Die Möglichkeiten zur Erlangung der zweiten Elternstellung sind an das männliche Geschlecht geknüpft.
Ungleichbehandlungen aufgrund des Geschlechts sind nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 85, 191, 107) jedoch nur zulässig, wenn sie aufgrund biologischer Unterschiede zwingend erforderlich sind. Dies ist hier aber nicht der Fall. Rechtliche Elternschaft kann sich aufgrund unterschiedlicher Zuordnung ergeben. Die (vermutete) biologische Zuordnung mag die häufigste, muss aber nicht die einzige sein. Entscheidend ist der Wille zur dauerhaften Verantwortungsübernahme. Dass dieser zwingend an die biologische Zuordnung geknüpft ist, wird (spätestens) durch die Diversifizierung von Familienformen und durch die Reproduktionsmedizin in Frage gestellt. Zudem können eventuelle Rechte leiblicher Eltern sowie das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung unabhängig von der rechtlichen Absicherung der tatsächlich gewollten und gelebten Elternschaft gesichert werden.
Das Abstammungsrecht ist einer der letzten Bereiche geschlechtsbezogener Anknüpfung – und geschlechtsbezogener Diskriminierung – im deutschen Recht. Die Beschlüsse aus Celle und Berlin betreffen den besonderen Fall der medizinisch-assistierten Samenspende bei Frauenpaaren. Die Argumentationen, insbesondere die Ausführungen des OLG Celle zur Begründung von Elternschaft durch erklärte Verantwortungsübernahme, können aber den Blick öffnen für die bestehenden Diskriminierungen nicht-heterosexueller Familien unterschiedlichster Art. Der Zusammenhang von biologischer Elternschaft und dem Willen zur Verantwortungsübernahme war noch nie zwingend (insbesondere auf männlicher Seite); die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin, die zunehmende Flexibilität des Personenstandsrechts (divers, ohne Geschlechtseintrag, Geschlechtseintragswechsel) und die wachsende Anzahl queerer Familien rütteln an biologischen Vorannahmen und ihrem Zusammenhang zur Elternschaft. Die Beschlüsse des OLG Celle und des KG Berlin können daher vor dem Bundesverfassungsgericht (und für einen späteren Gesetzgebungsprozess) der Auftakt sein für ein grundlegendes Umdenken rechtlicher Elternschaft: von der überragenden Bedeutung (vermuteter) biologischer Zuordnung hin zu einem funktionalen Verständnis rechtlicher Elternschaft, wo es entscheidend auf den Willen zur Übernahme elterlicher Verantwortung ankommt – und nicht auf den Geschlechtseintrag der Eltern.
„Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme“ – das erscheint als zentrale Begründung für die Frage, ob hier eine Diskriminierung nicht-heterosexueller Eltern vorliegt, und damit ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz.
Aus meiner Sicht übersieht dies grundlegende Tatsachen, es ist kein durch Subsumption gewonnenes Ergebnis, sondern ein Postulat. Der biologische Vater existiert gerade unabhängig von der Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme, er wird zum Unterhalt herangezogen etc.
Die Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme kann man in einem sozialistisch-kollektivistisch veranlagten Staat auch dem Staat selbst zuschreiben – soll er dann Elternschaft innehaben? Ist im Falle der Trennung, i.e. der Aufgabe der Verantwortungsübernahme, dann auch der nächste nicht-heterosexuelle Partner ein(e) weitere(r) Mutter/Vater, der/die dritte?
„Funktionale“ Elternschaft wie im Artikel beschreibt es gut – nur warum es dem Gesetzgeber nicht erlaubt sein soll, zwischen „wirklicher“ und politischnormativ festgelegter und wunschgemäß festzulegendem „Sichkümmern“ zu unterscheiden – das bleibt im Artikel offen, weil es kaum begründungsfähig ist.