Nazis im Staatsdienst?
Divergierende Rechtsprechungslinien zum Ausschluss aus dem juristischen Vorbereitungsdienst
Der Sächsische Verfassungsgerichtshof hat im Oktober 2021 die Nichtzulassung eines führenden Kaders der neonazistischen Kleinstpartei III. Weg zum Rechtsreferendariat für verfassungswidrig erklärt und Anfang November 2021 die rückwirkende Einstellung angeordnet. Das Gericht hat in dieser Entscheidung einen neuen Maßstab für die Zugangshürden zum juristischen Vorbereitungsdienst gebildet: nur diejenigen können ausgeschlossen werden, die die freiheitlich-demokratische Grundordnung (fdGO) auch in strafbarer Weise bekämpfen. Damit weicht der Sächsische Verfassungsgerichtshof stark von der Rechtsprechungslinie des Bundesverfassungsgerichts ab und konterkariert alle im selben Fall ergangenen Gerichtsentscheidungen. Eine hinreichende Antwort auf Neonazis und rechte Netzwerke im öffentlichen Dienst gibt er damit nicht.
Der Fall „Rechtsreferendar III. Weg“
Der Beschwerdeführer, ein Kader der Partei III. Weg, hatte sich bereits vergeblich auf den Vorbereitungsdienst im öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis in Bayern, Thüringen und Sachsen beworben. Seine Ablehnung wurde durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof, die Oberverwaltungsgerichte Thüringen und Sachsen sowie den Verfassungsgerichtshof Thüringen bestätigt. Eine Verfassungsbeschwerde wurde vom BVerfG wegen formaler Mängel abgewiesen.
Im frisch novellierten Sächsischen Juristenausbildungsgesetz gibt es zwei Ausschlusstatbestände, auf die eine Ablehnung von Bewerber:innen gestützt werden kann. Nach dem neu eingefügten § 8 III S. 2 Nr. 3 SächsJAG ist die Aufnahme erstens zu versagen, wenn die Bewerber:in die freiheitlich-demokratische Grundordnung (fdGO) in strafbarer Weise bekämpft. Zweitens übernimmt die Novelle in § 8 IV Nr. 1 b) SächsJAG ein bereits in der alten Juristenausbildungsordnung vorhandenen Ausschlusstatbestand. Nach dieser Vorschrift kann die Zulassung verweigert werden, wenn in der Person Tatsachen die Gefahr begründen, dass durch die Einstellung wichtige öffentliche Belange ernstlich beeinträchtigt werden. Das Oberlandesgericht Dresden hatte als Ausbildungsbehörde eine solche Gefahr bei dem Beschwerdeführer angenommen, da er sich fortgesetzt und führend in verfassungsfeindlichen Organisationen wie dem III. Weg, der NPD oder dem mittlerweile verbotenen Freien Netz Süd betätigte. Dabei wurde allerdings nur vermutet, dass der abgelehnte Beschwerdeführer die fdGO auch auf strafbare Weise bekämpfte.
Der Sächsische Verfassungsgerichtshof sieht in der Ablehnung nun einen Eingriff in die Ausbildungs- und Berufswahlfreiheit aus Art. 29 I u. 28 I S. 1 SächsVerf. Da der juristische Vorbereitungsdienst ein staatliches Ausbildungsmonopol auch für Berufe in der freien Wirtschaft darstelle, dürften keine strengeren Kriterien als beispielsweise für den Beruf der Anwält:in in der Bundesrechtsanwaltsordnung aufgestellt werden: „Denn in diesem Fall würde der Zugang zu einem Beruf versperrt, für den der Bundesgesetzgeber geringere Zugangshürden normiert hat.“ Ein Eingriff sei deswegen nach beiden Tatbeständen nur verhältnismäßig, wenn die Bewerber:in die fdGO auf nachgewiesen strafbare Weise bekämpfe. Da die Ablehnung des III. Weg-Kaders nur auf weit zurückliegende Straftaten gestützt war, musste sie an diesem Maßstab scheitern. Diese Entscheidung hat die Novellierung des Sächsischen Juristenausbildungsgesetzes, die eigentlich Zugangshürden erhöhen sollte, also in ihr Gegenteil verkehrt.
Abweichung von der BVerfG-Linie der 1970er
Damit stellt der Sächsische Verfassungsgerichtshof einen völlig neuen Maßstab für die Rechtfertigung von Ausschlüssen aus dem Referendariat auf. In der Grundsatzentscheidung zum Extremistenbeschluss von 1975 leitete das BVerfG aus den Grundsätzen des Berufsbeamtentums in Art. 33 V GG eine Verfassungstreuepflicht ab, die sich auf den gesamten öffentlichen Dienst erstreckt. Jede Person, die nicht die Gewähr bietet, jederzeit für die fdGO einzutreten, kann vom Zugang zum öffentlichen Dienst ausgeschlossen werden. Beschwerdeführer war damals ein Bewerber für den juristischen Vorbereitungsdienst in Schleswig-Holstein, der zuvor Mitglied in der Roten Zelle Jura an der Uni Kiel gewesen war. Für den juristischen Vorbereitungsdienst galt allerdings auch schon in der „Extremistenbeschluss“-Entscheidung ein abgeschwächter Maßstab der Verfassungstreue. Es müsse auch ohne die Gewähr der aktiven Verfassungstreue möglich sein, den Vorbereitungsdienst außerhalb des Beamtenverhältnisses abzuleisten. Referendar:innen, die sich verfassungsfeindlich betätigen, können jedoch immer noch fristlos entlassen werden. In einer Entscheidung zur Juristenausbildungsordnung Hamburg stellte das BVerfG 1977 fest, dass solche aktiv verfassungsfeindlichen Bewerber:innen von vornherein aus dem Referendariat auszuschließen sind (BVerfGE 46, 43).
In der Folge interpretierte das Bundesarbeitsgericht diese Rechtsprechungslinie 1987 so, dass im Vorbereitungsdienst außerhalb des Beamtenverhältnisses keine aktive Verfassungstreue zu fordern sei, sondern eine neutrale Haltung zur Verfassung genüge. Ganz offensichtlich handelt es sich dabei um einen anderen Maßstab als den, den der Sächsische Verfassungsgerichtshof anlegt. Eine Auseinandersetzung mit der Rechtsprechungslinie des Bundesarbeitsgerichts sucht man in der Entscheidung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes jedoch vergeblich.
Der Fall des III. Weg-Bewerbers hätte dem BVerfG Anlass gegeben, zu überprüfen, ob die Rechtsprechung der 1970 er Jahr im Geiste der Kommunistenverfolgung heute noch zu halten ist. Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde des Bewerbers aber wegen der mangelhaften Begründung nicht zur Entscheidung angenommen.
Blinder Fleck: Parteienprivileg
Alle Entscheidungen im Fall „Rechtsreferendar III. Weg“ haben den blinden Fleck, dass sie sich nur oberflächlich mit der Frage auseinandersetzen, ob eine Tätigkeit für eine legale Partei überhaupt einen Ausschluss aus dem Vorbereitungsdienst rechtfertigen kann (zum Beamtenverhältnis auch Franz Josef Lindner). Gemäß Art. 21 IV GG darf nur das BVerfG über die Verfassungswidrigkeit und den Finanzierungsausschluss von Parteien entscheiden. Der Ausschluss von Parteimitgliedern aus dem öffentlichen Dienst durch die Exekutive könnte demnach unzulässiger Weise die Verfassungsfeindlichkeit einer nicht verbotenen Partei geltend machen und den BVerfG-Vorbehalt damit umgehen. Bis in die 1960er Jahre galt, dass niemand bis zur Entscheidung des BVerfG die Verfassungswidrigkeit einer Partei feststellen konnte. In der Grundsatzentscheidung zum Extremistenbeschluss hatte das BVerfG 1975 jedoch bestimmt, dass der Ausschluss aus dem Beamtenapparat in einer Einzelfallentscheidung auch durch die Mitgliedschaft in einer nicht verbotenen Partei – damals vor allem der DKP – begründet werden könne. Vor den angeblich bloß mittelbaren Nachteilen der Berufsverbote für die Partei sollte das Parteienprivileg nicht schützen. Viel zu spät hatte der EGMR 1995 dann aber im Fall einer DKP-Lehrerin aus Niedersachsen entschieden, dass legale Parteitätigkeiten, wie Kandidaturen oder Vorstandsmitgliedschaften nicht ausreichen, um den Eingriff in die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit aus Art. 10, Art. 11 EMRK durch eine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zu rechtfertigen. So wurde beispielsweise jüngst der Ausschluss des AfD-Bundestagsabgeordneten Thomas Seitz aus der Staatsanwaltschaft nur auf dessen persönliche, menschenverachtenden Äußerungen gestützt und gerade nicht auf dessen Parteitätigkeit.
Im Unterschied dazu wurden die Ablehnungen des III. Weg-Bewerbers vor allem mit dessen Parteibetätigungen und Leitungsfunktionen begründet. Es sind aber genau solche legalen Parteifunktionen und -ämter, die der EGMR als Ausschlussgrund nicht hat gelten lassen. Die Fachgerichte und der Thüringer Verfassungsgerichtshof problematisieren diesen Umstand jedoch nur höchst oberflächlich. Der Sächsische Verfassungsgerichtshof musste sich mit dieser Frage nicht beschäftigen: Indem er den Maßstab zur Bestimmung der Ausschlusskriterien auf die Strafbarkeitsschwelle verschob, konnte er die Frage, wo die Linie zwischen legaler Parteibetätigung und persönlichen verfassungsfeindlichen, einen Ausschluss rechtfertigenden Äußerungen im Lichte der EGMR-Rechtsprechung verläuft, offen lassen.
Ein rechtspolitisches Dilemma
Die rechtspolitische Bewertung des „sächsischen Wegs“ fällt zwiespältig aus. Das klare strafrechtliche Kriterium, das wenig Spielraum für ausufernde staatliche Gesinnungsprüfungen lässt, schafft Rechtssicherheit. Keine höheren Zugangshürden als in der Bundesrechtsanwaltsordnung aufzustellen, ist ein überzeugendes Argument.
Einen mehr als bitteren Beigeschmack hinterlässt dabei allerdings die Tatsache, dass jahrzehntelang vor allem für linke Bewerber:innen massive Eintrittshürden aufgebaut wurden. Die damals praktizierte Regelanfrage hatte Millionen von Bewerber:innen für den öffentlichen Dienst und die Vorbereitungsdienste ins Fadenkreuz der Geheimdienste gerückt (dazu etwa Alexandra Jaeger). Dieser Umstand verdeutlicht einmal mehr die politischen Konjunkturen, denen das staatliche Neutralitätsarrangement unterliegt. Dass der neue Weg ausgerechnet in Sachsen eingeschlagen wurde, lässt nun befürchten, dass der dortige Vorbereitungsdienst sich zur Anlaufstelle rechter Bewerber:innen entwickelt, denen der Zugang in anderen Bundesländern verschlossen bleibt. Dass ein Referendar, der als Teilnehmer an einem organisierten Naziangriff rechtskräftig wegen schweren Landfriedensbruchs verurteilt wurde, seinen Vorbereitungsdienst in Sachsen überhaupt antreten und nach der Verurteilung 2020 sogar fortsetzen konnte, hatte bundesweit bereits zu Recht für Aufsehen gesorgt.
Aus dieser Gemengelage ergibt sich ein handfestes rechtspolitisches Dilemma. Eine Eignungsprüfung von Bewerber:innen an politisch-materiellen und hochgradig unbestimmten Maßstäben wie der Verfassungstreue öffnet Türen, die sich möglicherweise schwer wieder schließen lassen. An zumindest deutlich formalere und bestimmtere Kriterien wie der Strafbarkeit anzuknüpfen, kann dieser Gefahr begegnen. Es ist deswegen auch richtig, gegen rassistische Netzwerke im Staat an erster Stelle andere Maßnahmen als ausufernde Eignungsprüfungen oder gar ein Comeback der Regelanfrage beim Verfassungsschutz zu fordern. Solche Maßnahmen können unabhängige Ermittlungsstellen, eine Stärkung der Selbstorganisationen von Betroffenen und der antifaschistischen Zivilgesellschaft oder eine Reform der Ausbildung sein. Die Frage der politischen Zugangshürden zum öffentlichen Dienst ist damit aber keineswegs beantwortet.
Für eine effektive Antwort auf Neonazis und rechte Netzwerke in den Sicherheitsbehörden, und in den Vorbereitungsdiensten, ist es vor allem notwendig, den Begriff der freiheitlich-demokratischen Grundordnung neu auszubuchstabieren. Er stellt wegen Art. 21 II GG den verfassungsrechtlichen Dreh- und Angelpunkt aller Ausschlussmechanismen dar, muss aber von den ideologischen Altlasten des Kalten Kriegs befreit und vor allem menschenrechtlich hergeleitet werden (zu den Altlasten Sarah Schulz). Dabei müsste die Gefährdung der Bevölkerung durch gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit im Mittelpunkt stehen, wie Tim Wihl bereits im Anschluss an die „NPD Verbot II“-Entscheidung von 2017 vorschlug: weg von einer Gefährdung des Staates durch sogenannte „extremistische“ Gruppierungen, hin zur Gefährdung von Menschen durch den Extremismus der Mitte – auch innerhalb der Staatsapparate.
Dem Autor stimme ich insoweit zu, dass ein Verweis auf die Zulassung zur Bundesrechtsanwaltskammer ein überzeugendes Argument ist. Es scheint wenig nachvollziehbar nahezu alle juristischen Berufe vom Feld zu räumen, selbst wenn der Gesellschaft und den richtigerweise am Ende des Aufsatzes besonders hervorgehoben Menschen keinerlei Schaden droht. Das hieße einerseits den Staatsdienst vollends auszuschließen, andererseits fehlt es wohl aber an triftigen Gründen eine etwaige Tätigkeit als Anwalt für Mietrecht zu verwehren.
Leider legt Herr Deyda innerhalb möglicher Lösungsansätze für das rechtspolitische Dilemma ein stärkeres Gewicht auf potentiellen Zugangbeschränkungen als auf die nur kurz angesprochene Reform der Ausbildung. Zwar bietet eine Neuordnung der Zugangskriterien für den jur. Vorbereitungsdienst die Chance solch unliebsame Ergebnisse zu vermeiden, eine differenzierte Gefährdungseindämmung unter Bewahrung einer möglichst großen Berufsauswahlfreiheit bedarf meines Erachtens dagegen eher die Aufteilung des Vorbereitungsdienstes und sei es auch nur durch die Ersetzung einzelner Stationen.
Zunächst vielen Dank für den Beitrag!
– “Aus dieser Gemengelage ergibt sich ein handfestes rechtspolitisches Dilemma. (…) Die Frage der politischen Zugangshürden zum öffentlichen Dienst ist damit aber keineswegs beantwortet.”
Meines Erachtens hat die Rechtsprechung durchaus valide und solide Kriterien und Grundsätze entwickelt, nach denen die Verfassungstreuepflicht beurteilt werden kann (vgl. z.B. Gutachen des WD BT, abrufbar: https://www.bundestag.de/resource/blob/830660/4134ec1799a63e902b28d2ff837385bd/WD-6-006-21-pdf-data.pdf). Auf das Kriterium einer Strafbarkeit oder gerichtliche Feststellungen kommt es dabei nicht zwingend an; vielmehr obliegt es der für die Einstellung zuständigen Stelle eine eigene (Prognose-)Entscheidung zu fällen.
Der von Ihnen beschriebene Fall zeigt mE gerade, dass ein Anknüpfen an “formale Kriterien” einige Fallstricke mit sich bringt. Es kann niemals ausgeschlossen werden, dass Verfassungsfeinde auch im öffentlichen Dienst vertreten sind. Wer dies dennoch versucht, trägt mE letztlich selbst zur Erosion der verfassungsmäßigen Ordnung bei. Die Forderung nach “Unabhängigen Ermittlungsstellen, einer Stärkung der Selbstorganisationen von Betroffenen und der antifaschistischen Zivilgesellschaft” klingen mE in diesem Zusammenhang mehr nach Zweifeln an der Einschätzungsfähigkeit öffentlicher Stellen als nach einer vielversprechende Alternative – eine “Demokratisierung” behördlicher Einstellungsentscheidungen bzw. -verfahren wird das von Ihnen beschriebene Dilemma nicht lösen: das Bild einer/s unpolitischen, neutralen und lupenreinen Staatsbediensteten bleibt eine Wunschvorstellung, der Schutz der Verfassung vor Verfassungsfeinden ein stetiger, schwieriger Kampf.
Jonas Deyda hat Recht: Die Entscheidung des Sächs.VerfGH bedeutet eine Abkehr vom sog. “Extremistenbeschluss” des BVerfG vom 22. Mai 1975. Gerade in Anbetracht des 50. Jahrestages des Ministerpräsidentenbeschlusses vom 28. Januar 1972 betr. “Radikale im öffentlichen Dienst” wäre allerdings daran zu erinnern, dass die damalige “Leitentscheidung” des BVerfG verfassungsrechtlich durchaus angreifbar war, weil sie eine rechtliche Grauzone zwischen der nur vom BVerfG festzustellenden Verfassungswidrigkeit einer politischen Partei und der vom GG geschützten Tätigkeit für diese kreierte. Das wurde schon damals mit Recht kritisiert, so z. B. im Minderheitsvotum des Richters Rupp, durch E.-W. Böckenförde (in: Koschnick (Hg.), Der Abschied vom Extremistenbeschluss, Bonn 1979, S. 76 ff.) und andere (ausführlich Kutscha, Verfassung und “streitbare Demokratie”, Köln 1979, S. 206 ff.).
Ich teile die Sorge um ein massives Eindringen von Rechtsradikalen in den öffentlichen Dienst und vor allem in die Sicherheitsbehörden. Viel gewonnen wäre allerdings schon durch eine konsequente strafrechtliche Verfolgung von Straftaten wie z. B. den verschiedenen Tatbeständen der Volksverhetzung, § 130 StGB, wie sie inzwischen in rechten Telegram-Chatgruppen gang und gäbe sind, und sich daran anschließende disziplinarrechtliche Maßnahmen. Die bloße Gesinnung darf allerdings kein Anlass für nachteilige Maßnahmen sein.
S. 12 f. der Entscheidung Vf. 49-IV-21 (HS) vom 27.10.2021: „Daran ändert nichts, dass u. a. für die Berufung in das Richterverhältnis nach § 9 Nr. 2 DRiG – verfassungsrechtlich unbedenklich – vorausgesetzt wird, dass Anwärter die Gewähr dafür bieten müssen, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten. Denn der Vorbereitungsdienst ist Teil der – einer von einer derartigen Tätigkeit klar abgegrenzten und dieser deutlich vorgelagerten – juristischen Ausbildung. Aus diesem Grund sind an die Verfassungstreue des Bewerbers für den juristischen Vorbereitungsdienst weniger strenge Anforderungen zu stellen als an Anwärter, die eine Übernahme in das Richterverhältnis anstreben. Zwar ist im Rahmen des juristischen Vorbereitungsdienstes eine Wahrnehmung sitzungsdienstlicher Aufgaben bei Gericht, Staatsanwaltschaft und Verwaltung möglich; dies geschieht jedoch ausschließlich zu Ausbildungszwecken und ist mit einer dauerhaften Übertragung selbständiger staatlicher Entscheidungsmacht – wie sie bei der Berufung in ein Richterverhältnis erfolgt – nicht vergleichbar. Diese Unterschiede rechtfertigen verschiedene Anforderungen im Hinblick auf die Einstellung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, je nachdem, ob es um die dauerhafte Berufung in das Richterverhältnis bzw. in das Berufsbeamtentum geht oder – wie hier – lediglich um eine zeitlich befristete Übernahme in ein öffentlich-rechtliches Ausbildungsverhältnis als Voraussetzung für den Beruf des Volljuristen auch außerhalb des staatlichen Bereiches.“
Ich habe als Angeklagter in einem Strafverfahren also hinzunehmen, dass ich einem Referendar als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft gegenüber sitze, der bis in jüngere Zeit der Neonaziszene angehörte, v.a. in der Partei „Der III. Weg“ engagiert war/ist – weil diese Partei nicht verboten ist (S. 13 der Entscheidung). Der darf dort allein sitzen.
Bei Referendarinnen mit Kopftuch muss hingegen beim Sitzungsdienst eine Ausbildungsperson zugegen sein (so in Berlin, vgl. Gärditz 2/10/2020 auf diesem Blog) oder aber die Referendarin darf ggf. gar keinen Sitzungsdienst wahrnehmen (Hessen). Weil das Kopftuch sichtbar ist? Der Referendar dürfte über seine politischen Aktivitäten auch identifizierbar sein – dann ist mir seine Weltanschauung offen ersichtlich (jedenfalls ist das in anderen Fällen denkbar, ohne dass dies die Wertungen dieser Entscheidung beeinflussen würde). Im Übrigen muss ich ja abstrakt mit solchen Weltanschauungen rechnen, da sie im Vorbereitungsdienst nun ausdrücklich zulässig sind.
Das soll nicht die Entscheidungen kritisieren, aber doch die (vielleicht – noch – nicht verfassungsrechtlichen, aber) gravierenden rechtspolitischen Wertungswidersprüche ansprechen: Schutz der Berufsfreiheit von Personen mit (angeblich rein innerer) nazistischer Weltanschauung; und Härte gegenüber muslimischen Frauen mit Kopftuch, die unter dem Schutz von Art. 4 Abs. 1-2 GG stehen. Man kann nur hoffen, dass die betroffenen Referendarinnen so etwas nicht mehr lange erleben müssen.