Neun Abgeordnete sind kein Parlament
Der Bundestag muss zustimmen, wenn das Geld der Deutschen verliehen oder ausgegeben wird. Das wissen wir seit letztem September. Jetzt hat sich unser Erkenntnisstand insofern vermehrt, als wir wissen, dass der BUNDESTAG zustimmen muss, wenn das Geld der Deutschen verliehen oder ausgegeben wird.
Die Bundesregierung hatte nach dem Urteil vom September geglaubt, die geforderte Beteiligung des Parlaments an der Euro-Rettung lasse sich auch dadurch herstellen, dass neun handverlesene Mitglieder des Bundestags dieses Recht anstelle ihrer 620 Kolleginnen und Kollegen ausüben, auf dass nicht am Ende die Parlamentsbeteiligung zu etwas ausarte, was sich der Kontrolle der Regierung entzieht.
An dieser famosen Idee war das BVerfG nicht ganz unschuldig, hatte es doch in seinem Urteil ohne weitere Begründung (wohl um das Gesetz nicht für nichtig erklären zu müssen) ausdrücklich für zulässig erklärt, statt aller 620 Abgeordneten nur die 41 Mitglieder des Haushaltsausschusses zu beteiligen. Wenn das so ist, hatte sich offenbar der Gesetzgeber gedacht, warum dann nicht gleich die geringstmögliche Zahl, die halbwegs die Kräfteverhältnisse der Fraktionen noch abbildet? Und so wurde es gemacht.
Das zwingt den in Rumpfbesetzung (ohne Di Fabio und Mellinghoff) auftretenden Zweiten Senat in seinem heute verkündeten einstimmigen Urteil zu ein paar klarstellenden Bemerkungen:
- Wenn man ein Sondergremium einrichtet, weil eine Befassung des Plenums des Bundestags zu allen möglichen fürchterlichen Folgen führen würde, dann müsste eine Befassung des Plenums tatsächlich zu den besagten fürchterlichen Folgen führen.
- Wenn man behauptet, die Voraussetzungen für dieses Sondergremium lägen in bestimmten Fällen “regelmäßig” vor, dann müssen die Voraussetzungen in diesen Fällen tatsächlich regelmäßig vorliegen.
- Wenn man dieses Gremium so besetzt, dass sich die Kräfteverhältnisse der Fraktionen darin wiederspiegeln, dann müssen sich darin auch tatsächlich die Kräfteverhältnisse der Fraktionen wiederspiegeln (d.h. die Union kann der FDP nicht einfach einen Sitz abtreten, nur weil sie das für koalitionspolitisch opportun hält).
Das Urteil kommt nach mancher Entscheidung der letzten Zeit keineswegs überraschend. Nach der wiederholten Stärkung der Rechte des Parlaments vor allem gegenüber der Exekutive frage ich mich, was all diejenigen nun sagen, die vom paradigmatischen Gegensatz zwischen parlamentarischem Gesetzgeber und dem Verfassungsgericht (manche haben letzteres gar als “Vetospieler” charakterisiert) geschrieben haben (daran ändert auch die Erweiterung zu einem Kräftedreieck (unter Hinzunahme der parl. Opposition) nichts). Hier hat das BVerfG unzweifelhaft den BTag als ganzes gegenüber der BReg gestärkt.
Also rein formal betrachtet, geht es in der gestrigen Entscheidung doch um die Rechte des einzelnen Abgeordneten gegenüber dem Bundestag. Danach findet das Recht des Bundestags zur Selbstorganisation seine Grenzen in den Teilhaberechten des Abgeordneten. Natürlich ist das Gremium in diesem Fall ein Kind der Regierung, aber dennoch würde ich die Entscheidung nicht ohne weiteres in eine Reihe etwa mit Lissabon und dem Urteil zur Griechenland-Hilfe und EFSF vom letzten September stellen.