20 May 2018

Nicht nur eine Frage der Finanzierung: Karlsruhe verhandelt zum Rundfunkbeitrag

Bislang hat es das Bundesverfassungsgericht mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gut gemeint. Es hat die Einführung privaten Rundfunks mit geringeren Vielfaltsanforderungen davon abhängig gemacht, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk die Aufgabe der Grundversorgung erfüllt (BVerfGE 73, 118) und die Anstalten vor staatlichen Übergriffen geschützt (zuletzt Urteil des Ersten Senats vom 25. März 2014 – 1 BvF 1/11). Was ist nun vom aktuellen Verfahren zum Rundfunkbeitrag (1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17) zu erwarten?

Im Kern geht es um die Frage, ob das vorliegende Modell, nach dem der Rundfunkbeitrag unabhängig davon erhoben wird, ob ein Empfangsgerät existiert, verfassungswidrig ist. Zudem wurden Verstöße gegen den Gleichheitsgrundsatz geltend gemacht, etwa weil für jede Wohnung ein Rundfunkbeitrag verlangt wird unabhängig davon, wie viele Personen dort wohnen, aber auch wegen der Berechnung der Beiträge für dienstlich genutzte Fahrzeuge.

Dass das Bundesverfassungsgericht letzte Woche zwei Tage mündlich verhandelt hat, überrascht auch vor dem Hintergrund, dass das Bundesverwaltungsgericht alle relevanten Fragen schon geprüft hatte. Dabei hatte es sich eng an der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts orientiert und keine neuen Dogmatiken entwickelt, die das Verfassungsgericht nun korrigieren müsste. Insofern war eigentlich nur zu warten, dass das Gericht Probleme im Detail sieht, etwa bei der Staffelung der Beiträge im nicht-privaten Bereich.

Wenn das Gericht nun doch grundsätzlicher prüft, stellen sich im Wesentlichen zwei Fragen: Ist der Beitrag in der aktuellen Ausgestaltung wirklich als Gegenleistung für den individuell zurechenbaren Vorteil anzusehen, die öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogramme empfangen zu können? Und wird dieser Vorteil verlässlich erfasst, wenn die Beitragspflicht einzig darauf abstellt, dass jemand eine Wohnung unterhält? Beim alten Konzept der Rundfunkgebühr, das an das Bereithalten eines Empfangsgerätes anknüpfte, hatte das Bundesverfassungsgericht kein Problem mit der Zahlungspflicht, auch wenn Bürger und Bürgerinnen glaubhaft versicherten, keine öffentlich-rechtlichen Programme zu nutzen (BVerfGE 87, 181 [201]). Allerdings ist die Inhaberschaft einer Wohnung sicher ein schwächerer Indikator für den „individuell zurechenbaren Vorteil“, den man für eine verfassungskonforme Abgabe dieser Art benötigt, als das Bereithalten eines Empfangsgerätes.

Insofern wäre es wohl sachgerechter, erst gar nicht auf die konkrete Möglichkeit der Nutzung öffentlich-rechtlicher Angebote abzustellen. Vielmehr ist der individuelle Vorteil für die Vorzugslast darin zu sehen, dass Bürger und Bürgerinnen überhaupt am System Rundfunkkommunikation teilhaben können, was nur der Fall ist, wenn das Funktionieren dieses Systems institutionell abgesichert ist. Dies wäre auch deshalb konsequent, weil der Rundfunkbeitrag eben nicht nur der Finanzierung der Öffentlich-Rechtlichen, sondern der „Gesamtveranstaltung Rundfunk“ dient, was angesichts des oben genannten Junktims (Privatfunk in dieser Form nur, wenn die öffentlich-rechtliche Säule des Systems die Grundversorgung garantiert) auch plausibel erscheint. Dies macht den Beitrag noch nicht zur Steuer, da es weiterhin eine Kopplung zwischen Erhebungszweck und Verwendung der Finanzmittel gibt.

Es wäre allerdings eine überraschende Abkehr von den bisherigen Grundlagen der Rechtsprechung, wenn das Bundesverfassungsgericht das Modell grundsätzlich in Frage stellte. Dass eine Reform notwendig war, hat das Gericht immerhin schon anerkannt, als es prüfte, ob internetfähige PCs als Empfangsgeräte bei der Ermittlung der Gebührenpflicht (nach altem Recht) einbezogen werden können (Nichtannahmebeschl. vom 22.10.2012 – 1 BvR 199/11). Es stellte dabei maßgeblich auf die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für die öffentliche Kommunikation und die Notwendigkeit ab, eine stabile Finanzierung zu sichern und eine „Flucht aus der Rundfunkgebühr“ zu verhindern.

Bleibt die Frage der gerechten Verteilung der Last. Insgesamt wird man in einer Welt, in der alles gemessen und individualisiert werden kann und wird, mit einer höheren Begründungslast für Typisierungen rechnen müssen, die dem Gesetzgeber im Abgabenrecht von der Rechtsprechung bislang recht großzügig zugebilligt wurden. Vor diesem Hintergrund ist die Prüfung, ob das Anknüpfen an die Wohnung und die Staffelungen im nicht-privaten Bereich zulässig sind, nicht ohne Risiken. Allerdings ist auch die Zahl der Alternativen überschaubar.

Ein Grund dafür, dass sich das Gericht so intensiv mit dem Thema auseinandersetzt, dürfte allerdings auch darin liegen, dass es die öffentliche Diskussion um die Zukunft des dualen Rundfunksystems befördern möchte. Anders als in der Schweiz, wo die Initiative zur Abschaffung der Rundfunkgebühren eine öffentliche Auseinandersetzung bewirkt hat, an deren Ende die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer sich bewusst und überzeugt zum öffentlich-rechtliche System bekannt hat, findet die Debatte in Deutschland überwiegend in Experten-Zirkeln statt. Dabei gibt es überzeugende Argumente für das System, etwa die Notwendigkeit, eine immer diversere Gesellschaft in eine Öffentlichkeit zu integrieren, in der die für die Demokratie essentielle Meinungs- und Willensbildung stattfinden kann. Dem Gericht ist sicher klar, dass das System breit akzeptiert sein muss. Es genügt nicht, es verfassungsrechtlich abzusichern.

Vor diesem Hintergrund dürften vor allem die sechs Bundesländer, die gerade an einer grundlegenden Reform von Auftrag und Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks arbeiten, mit Interesse nach Karlsruhe schauen. Vielleicht finden sie Hinweise darauf, dass ein Modell verfassungskonform ist (und unter welchen Voraussetzungen), das den Rundfunkbeitrag an einen Index koppelt und eine grundsätzliche Budgetierung für die Anstalten vorsieht, wobei diese dann weitgehend eigenständig definieren könnten, welche Angebote sie mit den verfügbaren Mitteln unterbreiten. Viel spricht dafür, dass es geht, aber Hinweise des Gerichtes würden sicher die Chance erhöhen, dass alle Länder bei diesem Reformvorhaben mitziehen.


13 Comments

  1. Wöhrle Mon 21 May 2018 at 07:11 - Reply

    Zitat
    Dass das Bundesverfassungsgericht letzte Woche zwei Tage mündlich verhandelt hat
    Zitatende
    Der Blogbeitrag wurde vermutlich schon vor der Verhandlung geschrieben. Es gab nur einen Tag der mündlichen Verhandlung.

    • Joachim Jahn Mon 21 May 2018 at 07:25 - Reply

      So ist es!

  2. fofo Mon 21 May 2018 at 12:11 - Reply

    Das Argument der indiskriminierten Beitragspflicht aufgrund “Möglichkeit der Nutzung” müsste in Zeiten digitaler Übertragung und Verschlüsselungstechniken ad acta gelegt werden.

  3. Paul Mon 21 May 2018 at 17:49 - Reply

    Wie kommt man eigentlich darauf, das eine Grundversorgung der Bürger nötig wäre? Jahrtausende ging’s auch ohne.
    Die Grundversorgung ist nur zur Manipulation der Bürger da. Das sollte das Bundesverfassungsgericht endlich einsehen und dem Spuk ein Ende machen.

    • Tilman Tillmann Sat 2 Jun 2018 at 12:16 - Reply

      Danke für den Hinweis auf den Background des Autors. Damit wird auch klar, weshalb der Autor den wirklichen ‘Erhebungszweck’ geschickt ausblendet. MP Reiner Haselhoff(CDU) hat dazu bereits in 2016 alles gesagt. Insbesondere die ‘ausufernde Altersversorgung’ machte einen ‘Modellwechsel’ so erforderlich.(epd medien Nr. 6 vom 5. Februar 2016)
      Der KEF-Vorsitzende Heinz Fischer-Heidelberger erklärte vor einigen Wochen, dass ‘nicht die Anstalten selbst, sondern die Zeit'(sic!) schuld sei daran, den Rundfunkbeitrag in 24 Monaten um nochmal 1,70 E. anzuheben. Das Budget liegt dann bei 11,2 Mrd. Euro jährlich. Noch Fragen?

      Quelle: http://www.sueddeutsche.de/medien/rundfunkbeitrag-es-geht-schlicht-um-kosten-1.3892793?reduced=true

  4. Peter Camenzind Tue 22 May 2018 at 09:37 - Reply

    Durch ein Beitragspflicht, welche an die Wohnung o.ä. anknüpft, können Personen ohne Wohnungsinhaberschaft begünstigt sein und Personen, welche mehrere Wohnungen o.ä. innehaben, benachteiligt sein (“Sixt”). Ersteres kann zulässig scheinen, letzteres weniger. Dies, soweit es um verantwortliche Nutzungsmöglichkeit gehen soll. Solche kann nur durch eine Mehrzahl an Wohnungen o.ä. kaum solche Unterscheidung hinreichend rechtfertigend erweitert scheinen.
    Zulässig kann eher nur eine persönliche Anknüpfung an Wohnungsinhaberschaft o.ä sein, unabhängig davon wieviele Wohnungen o.ä. man innehat.

  5. Jorge Thu 24 May 2018 at 13:43 - Reply

    Aus der Auswahl der Leitverfahren kann ich eigentlich nicht erkennen, dass es bei den Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht auch um „die Mär der angeblichen Unabhängigkeit der örR“ gehen soll, die der Akzeptanz und Glaubwürdigkeit von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in diesem Lande großen Schaden zugefügt hat. Aus meiner Sicht wäre es sowieso besser, wenn man in diesem Kontext von einer Doktrin der staatlichen Pressefreiheit sprechen würde, da ich davon ausgehe, dass das Bundesverfassungsgericht an dieser unsinnigen Maxime eben nicht rütteln wird. Unter dieser Doktrin verstehe ich die vorherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, die davon ausgeht, dass Pressfreiheit in einem Staat nur dann möglich sei, wenn öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mit staatlicher Hilfe finanziert werden würden. Diese Doktrin ist für mich schon alleine deshalb absurd, weil eine solche durch den Staat geförderte Presse in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Staat steht, dass dieser ihr eben nicht erlauben wird, frei von staatlichem Einfluss zu handeln. Ein solches Abhängigkeitsverhältnis wird dann nicht dadurch eingeschränkt, dass man die Anzahl der Beamten in einem Rundfunkrat limitiert, wie man es im so genannten ZDF-Urteil versucht hat zu lösen (vgl. Urteil des 1. Senats vom 25. März 2014 – 1 BvF 1/11 und 1 BvF 4/11). So etwas ist Unsinn.

    Bundesverfassungsgericht, Landesregierungen und Landesrundfunkanstalten sollten in dieser Richtung mal ehrlicher werden, so wie es in der Schweiz der Fall gewesen ist, als die Vertreter des Schweizer Fernsehens seine Bürger bei der Volksabstimmung mit der Behauptung eingeschüchtert haben, dass es ohne sie nur noch Fernsehen aus Frankreich, Deutschland und Italien geben würde.

  6. Witali Sun 27 May 2018 at 01:00 - Reply

    Wo ist der Richterspruch???
    Wie ist es ausgegangen???

    • Maximilian Steinbeis Sun 27 May 2018 at 01:03 - Reply

      Der Richterspruch ist in Arbeit!!! Das war nur die Verhandlung!!! Verkündungstermin in ein paar Monaten!!!

  7. Error418 Sun 27 May 2018 at 22:01 - Reply

    Wie “fofo” schon schrieb, ließe sich das ganze auch einfach dadurch lösen das sie ihren ganzen Kram verschlüsseln und wer das Angebot nutzen will, zahlt dann dafür es empfangen bzw. entschlüsseln zu können.
    Abo- und Pay-to-View Systeme auf Plattformen wie Netflix, Sky usw. funktionieren prima und wären vom Prinzip ein super Vorbild für dieses Dilemma. Stattdessen wird an dem absurden System festgehalten wo Leute dazu genötigt werden dafür zu zahlen (ob nun wie früher pro Gerät oder heute pro Wohnung) nur weil sie die Möglichkeit hätten das Programm zu empfangen, auch wenn keinerlei Interesse daran besteht.

    Aber da ARD und Konsorten dann mit Sicherheit wesentlich weniger Geld bekämen als jetzt wo man verpflichtet ist es ihnen in den Rachen zu werfen, würden sie sowas von sich aus wohl nie anbieten.

    Überspitzt gesagt ist das wie der früher schon öfter scherzhaft zu dem Thema angebrachte Vergleich Kindergeld zu beantragen weil man ja die nötigen Geräte
    (Genitalien) besitzt, auch wenn man kein Interesse am Produkt (Kind) hat.

    Desweiteren stimme ich “Paul” darin zu das die angeblich “nötige” Grundversorgung mal hinterfragt werden sollte.

    Aber ich bin mal gespannt was die Zukunft für ein Urteil bringt.

  8. Claudia K. Sun 17 Jun 2018 at 20:05 - Reply

    Wenn das BVerfG die Rundfunkabgbe als Sonderabgabe “Beitrag” durchwinkt, würde das eine wesentliche Voraussetzung für einen Beitrag kippen – dass ein Beitrag nur für “besondere” Leistungen für spezielle Gruppen erhoben werden darf.
    Der Rundfunk wird jedch unterschiedslos für die Allgemeinheit bereitgestellt.

    Damit wäre das Tor offen für die Erhebung nahezu beliebiger Beiträge an der Steuer vorbei – nutzungsunabhängig und – noch schlimmmer – einkommensunabhängig.
    Welche Behörde könnte nicht eine “besondere” Leistung benennen, die jeder nutzen “könnte”, und die folglich extra per Beitrag finanziert werden könnte?

  9. Jorge Fri 14 Sep 2018 at 13:23 - Reply

    Am 18. Juli 2018 gab es dann doch Urteile. Die Causa „Rundfunkbeitrag“ ist damit noch lange nicht erledigt. Es wurde nach fünf Jahren mal so gerade eben geklärt, dass der Rundfunkbeitrag keine Steuer ist.
    Jorge en contra de RBStV
    http://disenoweb-jorge.blogspot.com/2018/08/la-doctrina-de-la-libertad-de-prensa.html

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