This article belongs to the debate » Freunde, die zuhören: NSA-Spionage auf deutschem Boden
29 October 2013

“Nine Eleven hat das amerikanische Rechtsbewusstsein verschoben”

In den USA werden die Enthüllungen, dass die NSA auch die Staats- und Regierungschefs der europäischen Verbündeten systematisch abhört, offenbar hauptsächlich als Problem der politischen Opportunität wahrgenommen und nicht als rechtliches Problem. Wie erklären Sie sich das?

Dafür gibt es hauptsächlich zwei Erklärungen. Zum einen ist in Amerika die Vorstellung verbreitet, die amerikanische Verfassung schütze die US-Bürger vor ihrem Staat. Gegenüber Ausländern dürfe er sich mehr herausnehmen, vor allem wenn es dem Schutz der Amerikaner diene. Viele nehmen sogar an, dass die amerikanische Staatsgewalt nur auf dem Territorium der USA an die Verfassung gebunden sei. Das ist nicht unumstritten, aber doch eine häufig vertretene Ansicht. Zum anderen hat die Erfahrung von “Nine eleven” das amerikanische Rechtsbewusstsein verschoben. Der Schutz vor Terroranschlägen wird heute als Rechtfertigungsgrund für vieles betrachtet, was früher als verboten gegolten hätte. Auch das ist nicht unkontrovers, aber ebenfalls weit verbreitet.

Ist die Tätigkeit ausländischer Geheimdienste, ob solche von verbündeten Staaten oder nicht, überhaupt ein juristisch fassbarer Vorgang?

Juristisch fassbar ist er durchaus. Wenn es sich um ein Vorgehen handelt, das nach dem Recht des Staates, auf dessen Territorium es stattfindet, rechtswidrig ist, dann gilt dieses Verbot auch für ausländische Geheimdienste, es sei denn der betreffende Staat habe es ihnen durch Abkommen erlaubt. Wenn ein solches Verbot nicht existiert, kann man es im Weg der Gesetzgebung schaffen. Man kann auch mit dem abhörenden Staat einen Vertrag schließen, der die Tätigkeit untersagt. Die Schwierigkeiten liegen eher auf der tatsächlichen Ebene. Technisch ist es möglich, Kommunikationen, die auf dem Territorium eines Staates stattfinden oder von diesem ausgehen oder in ihm empfangen werden, abzuhören, ohne dass das Staatsgebiet betreten werden muss. Und wenn Rechtsnormen bestehen, gesetzliche oder vertragliche, dann bleibt noch immer die Schwierigkeit, die Rechtsverstöße zu entdecken. Ohne Snowden haetten wir alles, was uns jetzt in Aufregung oder Empörung versetzt, nicht gewusst.

Manche spekulieren, die Bundesregierung dulde stillschweigend die Praxis der NSA bzw. sei aufgrund von völkerrechtlichen Verträgen aus der Nachkriegszeit dazu sogar verpflichtet. Darf sie das verfassungsrechtlich überhaupt dulden, geschweige denn sich zu einer solchen Duldung verpflichten? Wo verlaufen da die Grenzen, die das Grundgesetz zieht?

Auch die auswärtige Gewalt der Bundesrepublik ist an das Grundgesetz gebunden. Das Bundesverfassungsgericht hat schon häufiger völkerrechtliche Verträge der Bundesrepublik mit anderen Staaten auf ihre Vereinbarkeit mit der deutschen Verfassung überprüft.

Kann man nach der NSA-Affäre noch vernünftigerweise hoffen, den globalen Kampf der politischen und wirtschaftlichen Interessen in eine regelgebundene Ordnung zu überführen?

Ein einzelner Staat kann das von vornherein nicht. Die Regelungen, die er setzt, gelten nur für seine Organe oder auf seinem Territorium. Global agierende Akteure, gleichviel ob politische oder wirtschaftliche, müssen global kontrolliert werden. Wo der Territorialbezug schwindet, steht der einzelne Staat auf verlorenem Posten. Damit ist die nationale Politik auf den Verhandlungsweg verwiesen, und da begegnen wir den bekannten Problemen. Wer unter den Ausspähungspraktiken leidet, wird regelungsbereit sein, wer davon profitiert nicht. Selbst wenn diejenigen Staaten, denen die Grundrechte etwas wert sind, sich einigten, blieben noch die vielen anderen übrig. Das ist aber kein Grund, gar nicht erst den Versuch internationaler Übereinkommen zu machen. Man muss sich freilich darauf einstellen, dass solch große Vorhaben nur in kleinen Schritten zu verwirklichen sind.

Sollte die NSA-Affäre für uns ein Anlass sein, endlich mit einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik in der Europäischen Union Ernst zu machen?

Es muss vielleicht nicht gleich die gesamte Außen- und Sicherheitspolitik sein. Es wäre schon viel gewonnen, wenn die in Vorbereitung befindliche Datenschutzverordnung der EU auf die neuen Erkenntnisse antwortete und dann alsbald in Kraft gesetzt würde. Das wäre einer dieser kleinen Schritte.

Die Fragen stellte Maximilian Steinbeis.


5 Comments

  1. Kritiker Tue 29 Oct 2013 at 15:50 - Reply

    Irgendjemand sollte dem Ersten Senat auch einmal etwas vom 11. September erzählen. War ja nicht ganz unwichtig, das Ereignis.

  2. Rensen Tue 29 Oct 2013 at 17:57 - Reply

    @Kritiker: Und inwiefern soll der Erste Senat des BVerfG der Bedeutung von 9/11 mit seinen Entscheidungen (!) nicht gerecht geworden sein? Und was soll 9/11 rechtfertigen, etwa das Abhören der deutschen Bundeskanzlerin, weil sie .. ja, weil sie was bitte? Was haben die USA denn damit in Erfahrung bringen wollen in Bezug auf 9/11?
    Nein! Mit der objektiven Bedeutung von 9/11 kann man in Sachen NSA/Merkel ebensowenig daherkommen wie mit dem Argument, man habe schließlich Leben geschützt und gerettet! Merkel als Gefährderin der USA, die aber vom Präsidenten noch ´ne nette kleine Medaille verliehen bekommt? Wozu bloß haben die USA die kleinen grauen Kästen auf dem Dach der US-Botschaft mitten im Regierungsviertel von “Feindes-“, upps, “Freudes-Land” gebraucht? In Sachen 9/11 hätten Fragen vermutlich durchaus gereicht! Mag man auch in der Vergangenheit nicht in jeden Krieg mitgezogen sein, haben deutsche Behörden doch keineswegs den Informationsaustausch in Sachen 9/11 verweigert.
    Fazit: Mag man das Verhalten der USA teilweise auch auf 9/11 zurückführen, muss man die jüngsten Vorfälle doch in ganz anderem Lichte betrachten und kann sich mit Hinweisen auf 9/11 nicht zufiredengeben. Hier sind mit Rücksicht auf die Vergangenheit verständliche Sicherheitsdbedürfnisse offensichtlich für ganz andere Zwecke missbraucht worden.

  3. Kritiker Wed 30 Oct 2013 at 09:24 - Reply

    Welche Entscheidung? zB Vorratsdatenspeicherung. .

  4. Blickensdörfer Wed 30 Oct 2013 at 09:37 - Reply

    „Das amerikanische Rechtsbewusstsein verschoben“?

    „Verschoben“ wird das deutsche herrschende Verständnis von einem „amerikanischen Rechtsbewusstsein“.

    „Verschoben“ wird das deutsche herrschende Verständnis vom Schutz der Bürger vor „ihrem Staat“ dahin, dass dafür „ihr Staat“ seine Bürger von den „politischen und wirtschaftlichen Interessen“ anderer „Staaten“ schütze müsse, welche der Verwirklichung seiner Bürger-Interessen entgegenstehen.

    „Verschoben“ wird das deutsche herrschende Verständnis von der USA als „Weltmacht“, von einer Macht über eine Welt, die eingeteilt sei in „Freunde“ und „Feinde“, von der „Weltmacht USA“ (nur) über „Feinde“.

    „Verschoben“ wird das deutsche herrschende Verständnis von der USA dahin, dass auch diese (nur) Teilnehmer am „globalen Kampf der „politischen und wirtschaftlichen Interessen““ sind.

    „Verschoben“ wurde bisher aber nicht das deutsche herrschende Verständnis, dieser Kampf könne in einer regelgebundenen Ordnung geführt werden, es könne diese Ordnung von einer „Weltmacht“ gegen gegensätzlicher „politischer und wirtschaftlicher Interessen“ eingeführt und durchgesetzt werden.

  5. Rensen Wed 30 Oct 2013 at 11:40 - Reply

    @Kritiker:
    1. In der Entscheidung zur Vorratsdatenspeicherung hat der Erste Senat dem Gesetzgeber sehr wohl einen Spielraum belassen, der EU-RiLi nachzukommen. Der Senat hat ganz im Gegenteil lediglich die Ausfüllung des Spielraums geprüft und die Verpflichtung an sich gar nicht in Frage gestellt. Auch wenn man die Argumentation nicht in jeder Hinsicht für glücklich hält, kann man nicht pauschal behaupten, der Senat hätte die Bedeutung von 9/11 verkannt. Solche Behauptungen kehren an sich gebetsmühlenartig immer dann wieder, wenn wieder von einem (geplanten) Anscvhlag die Rede ist. Das Gleiche gilt von den polemischen Äußerungen der Gegenseite, die imemr dann im Trend liegen, wenn wieder ein “Datenskandal” aktuell ist. Beides hilft nicht weiter, sondern die Bundesregierung inklusive BMJ und BMI hätte sich längst um eine europarechtliche Klärung bemühen und jedenfalls sodann zur Umsetzung nach den Vorgaben des BVerfG schreiten müssen. Erst danach hätte man die Anwendung evaluierern können. Dazu aber ist es aus Gründen, die mit dem BVerfG nichts, aber auch gar nichts zu tun haben, nicht gekommen.

    2. Die aktuellen Vorwürfe hinsichtlich der Überwachung von Merkel unter Nutzung des US-Botschaftsgeländes lassen sich nicht mit 9/11 erklären. Wer die Berichte über die Kongress-Hearings zur Kentnnis genommen hat, wird erkennen, dass die USA auch selbst nicht hiervon ausgehen, sondern ihre Überwachungs-Maßnahmen als Teil der “Leadership” verstehen. Nicht einmal die USA versuchen also, alle Überwachungsmaßnahmen mit 9/11 in Zusammenhang zu bringen.

    Fazit: Weder hat irgendjemand die Bedeutung von 9/11 in Frage gestellt, noch behauptet irgendjemand, dass sich damit sämtliche Überwachungsmaßnahmen der USA rechtfertigen ließen.

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