Noch ein EGMR-Urteil zur Religionsfreiheit: Auf die Bibel schwören oder nicht?
It’s Kruzifix-Urteil all over: Das Thema Staat und Religion ist ganz groß zur Zeit, und man könnte den Eindruck gewinnen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte alles tut, damit das so bleibt.
In seiner jüngsten Entscheidung Dimitras wendet sich der EGMR gegen die griechische Regelung im Strafprozessrecht, in Gerichtssälen auf die Bibel schwören zu lassen.
Bei näherem Hinsehen ist diese Entscheidung aber kein Zeichen laizistischen Eiferertums: Die Straßburger Kammer kommt zu dem Schluss, dass diese Regelung gegen die Glaubensfreiheit verstößt, nicht weil da eine Bibel im Spiel ist, sondern weil man, wenn man ohne Bibel schwören will, erklären muss, warum. Ach, Sie sind Atheist? Interessant, interessant. Na, dann lassen wir die Bibel weg.
Dass das in Hinblick auf die negative Glaubensfreiheit problematisch ist, leuchtet mir sofort ein. Ich will kein Bekenntnis ablegen müssen vor dem Staat. Das ist von ganz anderem Kaliber, als zugemutet zu bekommen, Muslimen beim Beten zuzusehen.
In Deutschland kann man, soweit ich weiß, mit oder ohne religiöse Formel schwören, ohne das groß begründen zu müssen. Das ist mit keinerlei Bekenntnis verbunden. Niemand fragt mich, warum ich so oder anders schwöre. Damit habe ich kein Problem. Aber als Zeuge einem Richter meine Glaubensrichtung auseinandersetzen zu müssen, damit er mich in die richtige Eideskategorie einsortieren kann, das würde mir zutiefst gegen den Strich gehen.
Es sei noch auf die “eidesgleiche Bekräftigung” hingewiesen im deutschen Verfahrensrecht. Der Gesetzgeber akzeptiert damit sogar die Konflikte des Gewissens, die sich durch das Schwören an sich ergeben könnten, (Dazu § 65 StPO, § 484 ZPO).
auf dem Papier vielleicht nicht, aber Aygül Özkan musste sich für ihr “so wahr mir Gott helfe” sehr wohl rechtfertigen. nicht vor dem staat, aber vor dem ganzen rest…
§ 65 StPO ist auch unkorrekt. Die angegebene Verfahrensweise ist nicht nur mit ein Eid gleichzustellen aber auch eine andere Form des Eides und daher falsch.
Das Ablegen eines Eides oder die Bekräftigung impliziert ein Recht, bewusst, die Unwahrheit zu sagen. Dieses Recht muss durch eine besondere Formel entzogen werden, es wird vermutet das der betroffene, solange er die Zeremonie nicht über sich ergehen lies, Schuldig ist.