NPD-Verbot: Die Hürden sind hoch
Herr Grimm, heute beraten die Innenminister über einen neuen Anlauf, die NPD in Karlsruhe als verfassungswidrig verbieten zu lassen. Was würden Sie ihnen raten?
Ich würde ihnen raten, vor der Entscheidung noch einmal Art. 21 des Grundgesetzes zu lesen. Dort steht alles, was relevant ist.
Nämlich?
Art. 21 stellt drei Bedingungen für ein Parteiverbot: Erstens muss sich die Partei gegen die verfassungsrechtliche Grundordnung wenden, also gegen den unverzichtbaren Kerngehalt dieser Ordnung und nicht nur gegen einzelne Vorschriften oder Einrichtungen. Zweitens muss sie diese Ordnung aktiv beeinträchtigen oder beseitigen wollen – nicht nur kritisieren, schlecht machen oder für eine andere eintreten. Alles, was im Meinungsmäßigen bleibt, reicht nicht aus. Ebensowenig reicht das Bestreben, das Grundgesetz auf legalem Weg zu ändern. Drittens muss es die Partei sein, die entschlossen ist, die Ordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, nicht nur einzelne Mitglieder oder Anhänger. Das heißt nicht, dass Äußerungen oder Handlungen Einzelner irrelevant wären, aber sie müssen der Partei zugeschrieben werden können, also Ausdruck der Ansichten und Bestrebungen der Partei sein.
Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass das Bundesverfassungsgericht diese drei Bedingungen als erfüllt ansieht?
Das hängt von dem Material ab, das ihm vorgelegt wird. Nicht die Partei muss beweisen, dass sie die freiheitliche demokratische Ordnung bejaht, sondern der Staat muss beweisen, dass die Partei die Ordnung beseitigen will. Es scheint nun allerdings mehr Material zu geben als 2003, und auch die V-Leute-Problematik, an der das Verfahren damals scheiterte, dürfte den Innenministern diesmal bewusster sein.
Was sich auf jeden Fall beweisen lassen dürfte, ist der Fremdenhass und die Ausländerfeindlichkeit dieser Partei. Reicht das nicht?
Selbst wenn dieser Beweis geführt würde, reichte er für sich allein genommen nicht. Fremdenhass und rassistische Äußerungen oder Handlungen werden strafrechtlich geahndet, nicht durch Parteiverbote. Es liegt allerdings nicht fern, dass jemand, der Fremdenhass oder Rassismus verbreitet, Grundrechte überhaupt ablehnt. Grundrechte gehören jedoch zum Kerngehalt der Verfassungsordnung. Auch das Bestreben, die Grundrechte zu bekämpfen, müsste aber konkret belegt werden.
Wie gehen die Richter denn mit der ungewohnten Rolle, die sie in einem Parteiverbotsverfahren spielen müssen, um?
Sie sind in einer ähnlichen Situation wie ein Strafrichter: Sie müssen nicht nur Rechtsfragen beantworten, sondern Beweise erheben und würdigen. Das ist in den meisten anderen Verfahren, die zum BVerfG gelangen, Sache der unteren Instanzen. Beim Parteiverbot sind die Verfassungsrichter dagegen selbst Tatrichter. Das ist ungewohnt. Aber aus gutem Grund müssen ja drei Richter jedes Senats aus der Justiz kommen und also mit diesen Dingen vertraut sein.
Die NPD hatte kürzlich, wenngleich mit einem untauglichen Antrag, versucht, sozusagen vorbeugend die eigene Verfassungsmäßigkeit feststellen zu lassen. Mal vom Prozessrecht abgesehen – gibt es ein Recht einer Partei, von Verdächtigungen der Verfassungswidrigkeit verschont zu bleiben, wenn diesen nie ein Verfahren folgt?
Diese Diskrepanz ist schon in Art. 21 angelegt: Dort heißt es, Parteien, welche die erwähnten Voraussetzungen erfüllen, seien verfassungswidrig. Sie werden es also nicht erst durch den Spruch des Verfassungsgerichts. Aber erst danach steht es verbindlich fest und führt zu Konsequenzen. Die Frage, ob ein verfassungsgerichtliches Verfahren in Gang gesetzt wird, bleibt indessen den politischen Instanzen überlassen. Man kann also eine Partei für verfassungswidrig halten und das auch sagen und gleichwohl aus politischen Gründen von einem Antrag absehen. Allerdings darf die Behauptung der Verfassungswidrigkeit nicht völlig haltlos sein. Das ist hier nicht anders als bei sonstigen staatlichen Warnungen.
Was passiert, wenn die NPD nach einem Verbot aus Karlsruhe nach Straßburg weiterzieht und Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erhebt?
In Straßburg sind die Hürden für ein Parteiverbot höher als in Karlsruhe. Der EGMR prüft Parteiverbote am Maßstab der Verhältnismäßigkeit. Das ist im Grundgesetz nicht vorgesehen, da reicht es aus, dass die Partei darauf ausgeht, die verfassungsrechtliche Grundordnung abzuschaffen. Der EGMR verlangt auf der Grundlage von Art. 11 der EMRK zusätzlich die ernsthafte Gefahr, dass die Partei dieses Ziel auch erreicht. Es wird also abgewogen zwischen der Schwere des Eingriffs in die Vereinigungsfreiheit – und der wiegt bei der Eliminierung einer Partei aus dem politischen Wettbewerb sehr schwer – und dem Grad der Bedrohung der Demokratie durch diese Partei. Daran sind schon etliche nationale Parteiverbote gescheitert.
Aber sind das nicht hauptsächlich Verfahren aus der Türkei? Ist das mit unserem Fall überhaupt vergleichbar?
Ich habe in den Urteilen des EGMR, die ich kenne, keine Indizien dafür gefunden, dass dieser die jeweilige Demokratie in ihrer Qualität bewerten würde.
Wo kommt diese Diskrepanz zwischen Grundgesetz und EMRK denn her?
Sie hat historische Gründe. Das Grundgesetz hat aus der Erfahrung mit dem Untergang der Weimarer Verfassung die Lehre gezogen, dass es möglich sein muss, eine verfassungsfeindliche Partei frühzeitig zu bekämpfen, nicht erst wenn sie kurz vor dem Erfolg steht. Andere Länder haben diese Erfahrung nicht gemacht. Alteingewurzelten Demokratien wie der englischen oder amerikanischen ist der Gedanke eines Parteiverbots sogar fremd. Viele halten ihn dort für undemokratisch.
Ist da nicht auch etwas dran?
Es geht in der Tat um einen erheblichen Eingriff in den freien politischen Wettbewerb um Wählerstimmen. Für eine verbotene Partei kann man nicht mehr stimmen. Man sollte auch bedenken, dass der Verbotsantrag von den Parteien beschlossen wird, die in den antragsberechtigten Staatsorganen sitzen, also von Konkurrenten der Partei, die ausgeschaltet werden soll. Deswegen muss verhindert werden, dass diese das Parteiverbot benutzen, um einen lästigen Konkurrenten loszuwerden. Das ist der Grund, dass Parteien, anders als Vereine, nicht einfach von der Exekutive verboten werden können, sondern allein durch das Bundesverfassungsgericht und auch nur mit einer Zweidrittelmehrheit im Senat.
Sind wir nicht inzwischen selber als Demokratie gefestigt genug, um diese Frage so gelassen sehen zu können wie Briten und Amerikaner?
Als das Grundgesetz geschrieben wurde, war nicht absehbar, dass wir einmal eine solch gefestigte Demokratie werden würden. Es ist aber glücklicherweise so gekommen. Meines Erachtens können auch wir daher heute gelassener mit Parteiverboten umgehen und die offene Auseinandersetzung dem Verbotsverfahren vorziehen, so wie ja auch nach dem KPD-Verbot 1956 gegen die zahlreichen neu gegründeten kommunistischen Parteien kein Verbotsantrag gestellt wurde, ohne dass deswegen die Demokratie in Gefahr geraten wäre. Das Verfassungsgericht kann solche Erwägungen freilich nicht anstellen. Wenn der Antrag gestellt wird, muss es entscheiden.
Die Fragen stellte Maximilian Steinbeis
Ich bin ziemlich sicher, dass wenn das BVerfG zur Auffassung kommt, dass die NPD eine verfassungswidrige Partei ist, egal was der EGMR sagt das Verbot stehen wird. Die EMRK-freundliche Auslegung reicht nur soweit, wie die Grundfeste der Verfassung nicht angetastet werden. Das wäre hier aber offensichtlich der Fall.
Davon mal ab scheint mir der EGMR durchaus Sympathien für die deutsche Anti-Nationalsozialismus-Position zu haben. Aber das ganze offenbart mal wieder die Probleme des Grundrechtsschutzes im Mehrebenensystem. Die EMRK/der EGMR sind wichtige Errungenschaften, genauso wie das Bundesverfassungsgericht. Aber ob das Nebeneinander den Grundrechtsschutz besser macht, wag ich zu bezweifeln.
Angesichts der differenzierteren Aussagen im Interview selbst wirkt es jedenfalls für mich so, als wäre die Überschrift nicht richtig passend…welcher Äußerung soll denn zu entnehmen sein, dass ein Verfahren “juristisch riskant und politisch fragwürdig” wäre?
Höchst interessant zum Verhältnis der NPD zur verfassungsrechtlichen Grundordnung ist übrigens ein Artikel aus der heutigen FAZ, in dem ausschließlich aus eigenen NPD-Publikationen zitiert wird: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/npd-schriften-volles-programm-11982306.html
@KD: Stimmt, ist vielleicht ein bisschen überpointiert. Hab’s geändert.
Was ich mich frage: Wie hoch stehen die Chancen, mit dem “gerade in Deutschland”-Argument vor dem EGMR zu bestehen?
Wenn man nach dem EGMR “mit Rücksicht auf den spezifischen geschichtlichen und sozialen Kontext in Deutschland” der PETA die “Massentierhaltung sind Holocaust”-Vergleiche gerade oder sogar nur hier verbieten darf (<a href="https://staging.verfassungsblog.de/peta-holocaust-egmr-menschenwuerde/#.UMqRAay9rck"hier kritisch bespochen von Max Steinbeis, allerdings wohl noch nicht rechtskräftig), kann man das nicht auch für ein NPD-Verbot fruchtbar machen?
Gerade in Deutschland mit seiner NS-Vergangenheit sollte man doch eine Partei verbieten können, die darauf aus ist, Deutschland in diese Vergangenheit zurückzuführen?
Und noch eine Frage: Was wären denn die Rechtsfolgen eines für die (dann verbotene) NPD positiven EGMR-Urteils?