Of Chicks and Men
Anmerkungen zum BVerwG-Urteil über die Tötung männlicher Küken
Mit Urteil vom 13. Juni 2019 hat das Bundesverwaltungsgericht im Revisionsverfahren um die rechtliche Zulässigkeit der millionenfachen Tötung von Eintagsküken entschieden: Das Töten männlicher Küken ist tierschutzrechtlich „nur noch übergangsweise“ zulässig, bis „voraussichtlich in Kürze“ ein marktreifes Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei zur Verfügung steht. Obschon die Begründung noch nicht im Volltext vorliegt, sollen im Folgenden einige Schlaglichter auf dieses, aus tierschutzrechtlicher Sicht kritikwürdige, Urteil geworfen werden.
Hintergrund des Rechtsstreits bildet die in Brütereibetrieben seit Jahrzehnten gängige (und bis 2013 behördlicherseits geduldete) Praxis, die zur Eierproduktion bestimmten Küken unmittelbar nach dem Schlüpfen nach Geschlecht zu sortieren und die Männchen – in Deutschland jährlich über 45 Millionen – aufgrund ihrer ökonomischen „Nutzlosigkeit“ mittels Vergasung oder Homogenisierung zu töten. Als Schlüsselfrage war durch das BVerwG zu klären, ob für die Küken-Tötung ein „vernünftiger Grund“ i.S.v. § 1 S. 2 TierSchG vorliegt und inwieweit wirtschaftliche Interessen hierbei zu berücksichtigen sind.
Grundsätzliche Unvereinbarkeit der Küken-Tötung mit der Grundkonzeption des TierSchG
Aus tierschutzrechtlicher Sicht ist zunächst begrüßenswert, dass das BVerwG die Küken-Tötung an sich – insbesondere im „Lichte des im Jahr 2002 in das Grundgesetz aufgenommenen Staatsziels Tierschutz“ – als grundsätzlich nicht mit dem TierSchG vereinbar zu bewerten scheint. Zweck der Erzeugung von Küken aus Zuchtlinien mit hoher Legeleistung sei allein die Aufzucht von weiblichen Legehennen. Dem Leben der männlichen Küken würde demgegenüber aufgrund der von vornherein feststehenden „Nutzlosigkeit“ jeglicher Eigenwert abgesprochen, was mit dem Grundgedanken des Tierschutzgesetzes unvereinbar sei.
Diese Einschätzung ist in Einklang mit der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, wonach die ethische Grundkonzeption des TierSchG stets einen Ausgleich zwischen tierlichen Schutz- und menschlichen Nutzungsinteressen erfordert und es hiernach unzulässig wäre, die „Belange des ethisch begründeten Tierschutzes über die Grenze eines angemessenen Ausgleichs“ zurückzudrängen.
Wirtschaftlichkeit ist kein „vernünftiger Grund“ (erster Ordnung) für das Töten an sich…
Konkreter hielt das BVerwG mit Deutlichkeit fest, dass „das Töten der männlichen Küken für sich betrachtet nach heutigen Wertvorstellungen nicht mehr auf einem vernünftigen Grund“ beruhe, zumal die „Belange des Tierschutzes [schwerer wiegen] als das wirtschaftliche Interesse der Brutbetriebe“ und das „wirtschaftliche Interesse an speziell auf eine hohe Legeleistung gezüchteten Hennen … für sich genommen kein vernünftiger Grund … für das Töten der männlichen Küken aus diesen Zuchtlinien“ sei.
Kurzum: Das BVerwG bestätigt die in der Fachliteratur vorherrschende Meinung, dass die einzig durch wirtschaftliche Interessen begründete Tötung der Küken für sich genommen nicht von einem „vernünftigen Grund“ getragen ist. Diese Klarstellung ist insofern als bedeutsamer Teilerfolg für den Tierschutz zu werten, als mit dem Urteil der Vorinstanz (OVG Münster) eine erhebliche Aufweichung des „vernünftigen Grundes“ befürchtet wurde, wohingegen das BVerwG nun ein grundsätzliches Bekenntnis zur gefestigten „wirtschaftliche Interessen sind kein vernünftiger Grund“-Rechtsprechung und Doktrin signalisiert hat.
… aber ein „vernünftiger Grund“ (zweiter Ordnung) für das Töten „ohne vernünftigen Grund“?
Soweit nun aber das BVerwG in einem weiteren Schritt das Vorliegen eines „vernünftigen Grundes“ für die (einstweilige Fortsetzung der) Küken-Tötung dennoch bejaht – nota bene unter maßgeblicher Berücksichtigung ebensolcher wirtschaftlicher Gründe – wird die Begründung indes schwer nachvollziehbar. Das BVerwG führt hierzu aus:
„Die bisherige Praxis wurde allerdings … jahrzehntelang hingenommen. Vor diesem Hintergrund kann von den Brutbetrieben eine sofortige Umstellung ihrer Betriebsweise nicht verlangt werden. … Ohne eine Übergangszeit wären die Brutbetriebe gezwungen, zunächst mit hohem Aufwand eine Aufzucht der männlichen Küken zu ermöglichen, um dann voraussichtlich wenig später ein Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei einzurichten oder ihren Betrieb auf das Ausbrüten von Eiern aus verbesserten Zweinutzungslinien umzustellen. Die Vermeidung einer solchen doppelten Umstellung ist in Anbetracht der besonderen Umstände ein vernünftiger Grund für die vorübergehende Fortsetzung der bisherigen Praxis.“
Über die Hintertür eines zu „hohen Aufwands“ (der natürlich nichts anderes als eine wirtschaftliche Einbuße darstellt) führt das BVerwG letztendlich doch wieder Wirtschaftlichkeitserwägungen als ausschlaggebend in die Abwägung ein und lässt sie als „vernünftiger Grund“ gelten.
Der Sache nach hat das BVerwG damit wirtschaftliche Interessen (an einer kosteneffizienten, hochspezialisierten Produktionsweise) zwar richtigerweise nicht als „vernünftiger Grund“ erster Ordnung für das Töten an sich akzeptiert, zugleich aber wirtschaftliche Interessen (an der Vermeidung des Aufwands einer Produktionsumstellung, deren Notwendigkeit unmittelbar aus der Unvernünftigkeit des Tötens erwächst) als „vernünftiger Grund“ zweiter Ordnung taxiert – also als derivativer „vernünftiger Grund“ für das Fehlen eines originären „vernünftigen Grundes“, oder als „vernünftiger Grund“ für das fortwährende Töten „ohne vernünftigen Grund“. Anders gewendet: Eben jene wirtschaftlichen Folgen, welche sich als folgerichtige Konsequenz aus dem Fehlen des „vernünftigen Grundes“ für das Töten ergäben – nämlich die Umstellung auf eine tierschutzkonforme Produktionsweise, die ohne „unvernünftiges“ Töten auskommt – fungieren hier als behelfsmäßiger „vernünftiger Grund“ für die Beibehaltung der Tötungspraxis ungeachtet ihrer Unvernünftigkeit.
Die vom BVerwG angestrengte Begründung der Heilung des Unvernünftigen erweckt den Eindruck, dass es letztlich darauf hinausläuft, dass den Brütereibetrieben solcherlei wirtschaftliche Einbußen partout nicht zugemutet werden sollen. Dass sich die Brütereibetriebe erfolgreich auf die angebliche Alternativlosigkeit jener Tötungspraxis und die damit zusammenhängende Härte eines Ausstiegs zu berufen vermögen, ist im Übrigen auch deshalb besonders stoßend, als diese „Notlage“ erst durch gezielte, auf einseitige Höchstleistung ausgerichtete Zuchtmaßnahmen geschaffen wurde und sich die Geflügelindustrie somit selbst in diese Sackgasse manövriert hat.
Vermischung der tierschutzrechtlichen und grundrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung
Mit dieser wenig überzeugenden Begründung der einstweiligen Rechtmäßigkeit der Küken-Tötung hat das BVerwG ferner die an sich (unter verfassungsrechtlichem Gesichtspunkt) berechtigten Bedenken zur Unverhältnismäßigkeit eines sofortigen Verbots der Küken-Tötung an falscher Stelle verbucht. Die angeführten Erwägungen der Unzumutbarkeit des hohen Aufwands einer doppelten Umstellung machen die Küken-Tötung nämlich nicht vernünftig, sondern bestenfalls in Anbetracht der besonderen Umstände aus Verhältnismäßigkeitsgründen vorübergehend noch tolerierbar bzw. nicht ohne angemessene Übergangsfrist untersagbar.
Wie bereits an anderer Stelle vorgeschlagen, hätte sich daher eine Auflösung über die grundrechtliche statt über die tierschutzrechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung als juristisch elegantere Lösung angeboten. Das heißt, die Küken-Tötung hätte aufgrund des Fehlens eines „vernünftigen Grundes“ als rechtswidrig qualifiziert werden, die konkrete Untersagungsverfügung aber dennoch über die nachgelagerte Ermessensprüfung als unverhältnismäßig bewertet werden können, vorausgesetzt, man möchte der Argumentation des BVerwG grundsätzlich folgen.
Über Intuitionen, Zahlen und vergessene reale Implikationen
Das tragende Argument für die einstweilige Rechtmäßigkeit der Küken-Tötung ist gemäß BVerwG die Vermeidung einer unnötig aufwändigen Doppelumstellung, bis „voraussichtlich in Kürze Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei zur Verfügung stehen“. Diese Argumentation erscheint zwar intuitiv nachvollziehbar, stellt sich bei genauerer Betrachtung aber als begründungsbedürftiger dar.
Zum einen ist anzumerken, dass der technische Fortschritt zwar schon seit Jahren von Politik, Industrie und Gerichten als Lösung des Küken-Problems herbeigesehnt und in Aussicht gestellt wird, es bisher allerdings noch nicht absehbar ist, wann diese „Erlöserfigur“ in der Form eines marktfähigen Verfahrens zur in-ovo-Geschlechtsbestimmung tatsächlich in Erscheinung treten wird (von einer verbindlichen Übergangsfrist hat das BVerwG denn auch abgesehen).
Zum anderen, selbst unter der extrem optimistischen Annahme, dass diese Technologie bereits in einem Jahr deutschlandweit verwendet würde, sind die mit einem solchen Aufschub einhergehenden Opfer auf der anderen Seite zu bedenken. Die stillschweigende Intuition des Gerichts scheint zu sein, dass die Schutzinteressen der innerhalb dieses relativ kurzen Zeitraums betroffenen Küken den durch die Umstellungen bedingten hohen Aufwand aufseiten der Brütereibetreiber nicht aufzuwiegen vermögen. Vergegenwärtigt man sich jedoch die kognitiv kaum vorstellbare Anzahl von 45’000’000 Küken und das mit ihrer Tötung einhergehende Leiden durch CO2-Vergasung oder Homogenisierung, so darf man sich durchaus die Frage stellen, ob eine doppelte Umstellung wirklich per se als unzumutbar gelten kann, oder ob es den Brütereibetrieben in Anbetracht des massiven und dringlichen Schutzinteresses der betroffenen Küken nicht möglicherweise doch zuzumuten wäre, ihre Produktionsweise nötigenfalls zweimal statt nur einmal an tierschutzrechtliche Vorgaben anzupassen.
Insbesondere ist zu vermuten, dass das BVerwG anders entschieden hätte, wenn „lediglich“ 450’000 Küken jährlich getötet würden und das Verfahren zur Geschlechtsbestimmung aber erst in 100 Jahren verfügbar wäre – obschon der Schaden aufseiten der Tiere und der Aufwand einer Doppelumstellung identisch wären. Dass intuitives Denken insbesondere bei großen Zahlen an seine Grenzen stößt, ist in Psychologie, Verhaltensökonomie und Entscheidungstheorie allgemein bekannt; der Rechtsprechung scheint dieser bias leider nicht bewusst zu sein. Für 45’000’000 Küken jährlich ist dies fatal.
Der Küken-Fall als Metapher für die Schwäche des rechtlichen Tierschutzes
Der vom BVerwG gesprochene „Solange-Vorbehalt“ (wonach die an sich rechtswidrige Tötungspraxis solange zulässig bleibt, bis der Eierindustrie eine ökonomisch opportune Alternative aufgetischt wird) liest sich letztlich auch als schwaches Zeugnis für die Rechtswirksamkeit des TierSchG, oder, um es etwas überspitzter auszudrücken, gar als Kapitulation des Rechtsstaats und seiner normativen Ordnung vor der tierindustriellen Realität. Jedenfalls stellt sich die Frage, ob die Staatsgewalt wahrlich auf die dank technischer Fortschritte eintretende faktische Obsoletheit der Küken-Tötung zuwarten muss, bis sie ein Verbot auszusprechen in der Lage ist, oder ob es nicht vielmehr (insbesondere vor dem Hintergrund des Staatsziels Tierschutz) staatliche Aufgabe wäre, das TierSchG in der Praxis durchzusetzen und nötigenfalls auch korrigierend auf tierschutzwidrige facts on the ground einzuwirken.
In ähnlicher Weise sendet auch die mit dem Hinweis auf die jahrzehntelange behördliche Duldung angedeutete Erwägung eines „Vertrauensschutzes“ ein denkwürdiges Signal der Resignation vor dem offenkundigen, massiven Vollzugsdefizit im Tierschutzrecht. Wie das AG Ulm dagegen unlängst zutreffend festhielt, sollte in „einem Rechtsstaat … niemand ein schutzwürdiges Vertrauen darauf haben, dass sein rechtswidriges Verhalten … tatsächlich geduldet wird … Einen derartigen Freibrief für eine Massentierhaltung fernab von Recht und Gesetz kann es in einem Rechtsstaat nicht geben.“ Ansonsten droht der verfassungsrechtlich wie einfachgesetzlich verankerte Tierschutz ein zahnloser Tiger zu bleiben – oder eben ein männliches Küken, das zwar im Abstrakten schützenswert ist, dessen man sich im Konkreten, wenn es wirtschaftlich unbequem wird, dann aber doch (mit oder ohne vernünftige Gründe) ohne allzu große Hürden entledigen kann.
Eine treffende Analyse und ein toller Post! Ich bin mir nur nicht sicher, ob das BVerwG in der PM mit der Formulierung „[D]ie Vermeidung einer solchen doppelten Umstellung ist in Anbetracht der besonderen Umstände ein vernünftiger Grund für die vorübergehende Fortsetzung der bisherigen Praxis.“ nicht vielleicht bereits eine Verhältnismäßigkeitserwägung bezeichnen wollte und das hier lediglich unvollkommen (im Sinne einer Allgemeinverständlichkeit) zum Ausdruck gebracht hat. Die Urteilsverkündung habe ich nicht erlebt und auch keine verlässliche Quelle dazu finden können. „In Anbetracht der Umstände ein vernünftiger Grund“ soll aber evtl. nichts anderes heißen als „Anlegung des eigentlichen Vernunftmaßstabs wäre in concreto unverhältnismäßig“. Ich bin gespannt auf die Urteilsgründe.
Besten Dank für diesen Hinweis, Herr Ponwitz.
Ich stimme Ihnen insoweit zu, als der unbestimmte Rechtsbegriff des “vernünftigen Grundes” bereits eine Güterabwägung erfordert. D.h. bereits im Rahmen der Prüfung, ob ein “vernünftiger Grund” für die Tötung vorliegt, muss eine umfassende Verhältnismässigkeitsprüfung vorgenommen werden, also insbesondere geprüft werden, ob ein schutzwürdiges Eingriffsinteresse vorliegt und das Tötungsinteresse schwerer wiegt als das Schutzinteresse des Tieres.
Insofern liegen im vorliegenden Fall zweierlei Verhältnismässigkeitsprüfungen vor: die erste beim “vernünftigen Grund”, die zweite – falls der “vernünftige Grund” verneint worden wäre und die Tötung daher rechtswidrig wäre – im Rahmen der Ermessensprüfung. Selbst wenn nämlich die Behörde einen rechtswidrigen Zustand feststellt und hierauf gestützt eine Untersagungsverfügung erlässt, muss diese ermessensfehlerfrei erfolgen.
Die Erwägungen des BVerwG zur Unzumutbarkeit einer sofortigen Umstellung wären m.E. sachdienlicher im Rahmen der zweiten Verhältnismässigkeitsprüfung (Ermessen) verwertet worden. Es sind dies nämlich nicht Gründe, welche die Tötung vernünftig machen, sondern Gründe, welche eine sofortige Untersagung der Tötung gegebenenfalls unverhältnismässig machen. Der feine – aber wichtige – Unterschied wäre, dass die Kükentötung somit als rechtswidrig klassifiziert worden wäre und es hierauf gestützt dann darum gegangen wäre, wie die Behörden auf diesen rechtswidrigen Zustand reagieren können, d.h. wie eine Untersagungsverfügung verhältnismässig auszugestalten wäre.
Liebe Frau Stucki,
vielen Dank für Ihre Replik, über die ich mich gefreut habe und die noch mehr zur Systematisierung beiträgt.
Ich sehe allerdings nach wie vor nicht, wie das BVerwG unter Heranziehung einer Art “vernünftigen Grundes zweiter Ordnung” überhaupt zu einer dogmatisch konsistenten Urteilsbegründung kommen könnte.
Die Güterabwägung i.R.d. unbestimmten Rechtsbegriffs des “vernünftigen Grundes” kann, aufgrund des Charakters der Eingriffsnorm als Ermessensnorm, doch von vornherein nur eine Art abstrakte bzw. vorweggenommene Verhältnismäßigkeitsprüfung darstellen. Anderenfalls würde nicht nur formal die grundlegende Zweiteilung von Tatbestand und Ermessen unterlaufen, sondern auch der Charakter des Vertrauensschutzes missachtet. Ein substanzielles, abstrakt vernünftiges Gut könnte z.B. (menschlicher oder tierischer!) Gesundheitsschutz sein. Vertrauensschutz ist aber wesensmäßig schon kein selbstständiges kollisionsfähiges oder auf einer Seite addibles Recht- oder Rechtsgut, sondern lediglich geeignet, eine im Einzelfall an sich nicht bestehende rechtliche Position zu legitimieren. Zwar ist Vertrauensschutz mitunter schon auf Tatbestandsseite einzubeziehen (vgl. § 48 Abs. 2 VwVfG, diese Einordnung ist aber, wohl nicht ohne Grund, str.). Ein solcher Vertrauensschutz ist hier aber im Wortlaut nicht angelegt, sodass es letztlich bei der prinzipiellen Verortung i.R.d. Rechtsfolge bleiben müsste.
Wenn das BVerwG zudem formuliert, dass wirtschaftliche Gründe als solche keinen vernünftigen Grund darstellen können und man diese Feststellung ernst nehmen können soll, muss der nötige zusätzliche Umstand doch zumindest partiell ein nicht wirtschaftlicher sein. Wie Sie ja zurecht befinden, ist das Argument der Ineffizienz kurzfristiger Umstellung vor Marktreife einer Diagnostik naturgemäß ein wirtschaftliches. Dass dieser Umstand (m.E. auch zu Unrecht!) Vertrauensschutz begründen soll, ist ein darstellbares Attribut, hat aber für sich genommen keine Substanz.
Ich würde daher so weit gehen wollen zu sagen, dass die Verortung der Erwägungen des BVerwG, die sich auf die jahrelange anderweitige Praxis der Behörden beziehen und einem kurzfristigen Umstellenmüssen entgegenstehen sollen, nicht nur eleganter oder sachdienlicher i.R.d. Verhältnismäßigkeit auf der Rechtsfolgenseite anzubringen gewesen wären, sondern dass dies dogmatisch zwingend gewesen wäre.
Daher meine Hoffnung, dass die Urteilsgründe den aktuell drohenden faden Beigeschmack der Widersprüchlichkeit tilgen könnten.
Was mich am bisher zu erwartenden Urteil zusätzlich stört, ist, wie dehnbar die Voraussetzungen an einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand in der Spruchpraxis zu sein scheinen. Während im Baurecht aktive Duldung gefordert wird, kann es sich die Massentierhaltung erlauben, jahrzehntelang gesellschaftliche Debatten und deren naheliegende behördliche Rezeption ausgeblendet zu haben.
Herzliche Grüße
David Ponwitz
Sehr geehrter Herr Ponwitz,
Vielen Dank für diese scharfsinnige Analyse, der ich nur beipflichten kann.
Es bleibt in der Tat zu hoffen, dass die Urteilsbegründung dogmatisch stimmiger sein wird, als es bisher auf den ersten Blick anmutet.
Herzlich
Saskia Stucki