Outsourcing als Mittel der Haushaltssanierung ist verfassungswidrig
Wenn der Staat in meine Grundrechte eingreifen will, dann muss er dafür seine Beamte schicken und nicht irgendwelche privaten Dienstleister. Im Regelfall jedenfalls, ausnahmsweise nämlich darf er doch Private schicken. Nur braucht er dann einen guten Grund, der spezifisch mit dem Job zu tun hat, um den es geht – einen besseren jedenfalls, als dass der Private viel weniger Geld kostet. Im Regelfall jedenfalls, denn ausnahmsweise darf er doch den Einsatz Privater fiskalisch begründen, dann nämlich, wenn Beamte unverhältnismäßig viel teurer wären als Private.
Es ist zweifellos eine sehr differenzierte, filigrane und alle Eventualitäten wägende Lösung, die der Zweite Senat in seinem heutigen Privatisierungs-Urteil da anbietet.
Aber eins verdient auf jeden Fall festgehalten zu werden:
Die pauschale Erwägung, dass die Wahrnehmung von Aufgaben durch Berufsbeamte Kosten verursacht, die in anderen Organisationsformen – insbesondere etwa im Privatisierungsfall wegen dann sich bietender Möglichkeiten der Aufgabenerledigung zu Niedriglöhnen – vermeidbar wären, liefe als Ausnahmegrund, weil nicht spezifisch, der mit Art. 33 Abs. 4 GG zum Ausdruck gebrachten grundsätzlichen Wertung zugunsten des Einsatzes von Berufsbeamten zuwider.
Oder einfacher ausgedrückt: Das Outsourcen hoheitlicher Staatsaufgaben als Mittel der Haushaltssanierung ist verfassungswidrig. (Im Regelfall jedenfalls.)
Vom Pfleger eingesperrt
In dem Fall ging es um einen Mann, der in einer geschlossenen Psychiatrie saß, die das Land Hessen als privatrechtliche GmbH organisiert hatte. Nach einem gewalttätigen Ausbruch wurde er durch bei dieser GmbH angestellte Pfleger unter Anwendung von Gewalt in ein Zimmer eingesperrt.
Das wollte sich der Mann nicht gefallen lassen: Art. 33 IV GG schreibt vor, dass
Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen (sei), die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.
Nun gibt es die unterschiedlichsten Meinungen, was unter “hoheitsrechtliche Befugnisse” alles zu verstehen ist. Das lässt der Senat offen: Der Einschluss des Psychiatriepatienten sei jedenfalls unmittelbarer Zwang, und das sei in jedem Fall umfasst, und zwar auch, wenn die Pfleger die meiste Zeit pflegen und Zwangsanwendung in ihrem Job nur eine ganz untergeordnete Rolle spielt.
Zu einem echten Problem wird diese Norm aber durch die drei Wörtchen “in der Regel”. Was macht man mit einer Norm, die sich selbst gleichsam dementiert, indem sie Abweichungsmöglichkeiten eröffnet, die sie mit keinem Wort näher umreißt? Bisher lautete die Antwort: nichts.
Das könnte sich jetzt ändern. Der Senat stellt klar, dass Art. 33 IV GG auch zum Schutz des von hoheitlicher Aufgabenwahrnehmung in seinen Grundrechten betroffenen Bürgers da ist und deshalb ein Gesetz, das dieser Schutznorm nicht genügt, keine Freiheitsbeschränkung rechtfertigen kann. Das heißt, wem ein Privater etwas zu verbieten versucht, was eigentlich nur ein Beamter verbieten darf, der kann dagegen nach Karlsruhe ziehen und sich auf Art. 33 IV GG berufen.
Geheimverträge sind verfassungswidrig
Dazu kommt, dass der Senat auch das Demokratieprinzip als Maßstab heranzieht: Das verlangt, dass hoheitliches Tätigwerden demokratisch legitimiert ist, und zwar gemäß der guten alten Legitimationskettendogmatik aus der Ära Böckenförde – wer hoheitlich tätig wird, muss durch eine ununterbrochene Legitimationskette mit dem Staatsvolk verbunden sein, und was er tut, muss obendrein durch Gesetz und Weisungsbefugnis inhaltlich-sachlich legitimiert sein, und wenn das eine weniger der Fall ist, muss das andere um so mehr der Fall sein usw. usf.
Interessant dabei ist, dass dieser inhaltlich-sachliche Legitimationszusammenhang erfordert, dass es eine Aufsicht gibt, die alle nötigen Informationen und Durchsetzungsmittel haben muss – und dass diese ihrerseits einer effektiven parlamentarischen Kontrolle unterliegen muss. Dann kommt ein Satz, der noch für Ärger sorgen könnte:
(Der demokratische Legitimationszusammenhang) ist weder durch eine Geheimhaltung vertraglicher Ausgestaltungen der Aufgabenwahrnehmung (…) noch durch sonstige Beschränkungen der parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten unterbrochen oder beeinträchtigt.
Das heißt im Gegenschluss: Wenn die Regierung dem Parlament die Einsicht in Privatisierungsverträge verweigert wegen Betriebsgeheimnis oder solchen Sachen, dann zerreißt sie die inhaltlich-sachliche Legitimationskette und verletzt das Demokratieprinzip. Geheimverträge sind verfassungswidrig.
Foto: Rupert Ganzer, Flickr Creative Commons
Herr Steinbeis, ist ja alles toll was sie sagen und als ich die Presseerklärung des Gerichts las, war ich auch von diesem Tenor begeistert. Aber in der konkreten Sache ist die Beschwerde abgelehnt worden. Karlsruhe erlaubt die Vollzugsprivatiesierung so lautet jetzt die Schlagzeige in den Medien und das ist leider die öffentliche Wirkung des Urteils.
Hallo Max, ich hab das letzte Zitat aus dem Urteil jetzt zweimal gegengelesen und komme doch zu dem Schluss, dass der Satz in der Form, wie er hier gekürzt zitiert wird, das Gegenteil aussagt, nämlich, dass Geheimverträge unschädlich seien für den demokratischen Legitimationszusammenhang.
Zur öffentlichen Wirkung: Ist doch immer so. “Gericht stärkt …” Einfach nicht mehr lesen. Fernseher abschalten. Ich hab einfach gar keinen. Im Internet gibt es zum Beispiel den Verfassungsblog, da ist es deutlich schwerer, zu verblöden ;-)
@Wilm: Das Zitat besagt, dass der Senat die Geheimhaltung der Verträge als Durchbrechung der Legitimationskette werten würde – hier waren sie halt nicht geheim, deshalb war hier kein Problem. Obiter Dictum, klar, aber immerhin
Aber Wilm hat recht – so wie der Satz oben zitiert ist, sagt er gerade das Gegenteil aus von dem, was Sie aus ihm herauslesen. Was stimmt den nun?
Obiter dictum ist ja oft das Interessante ;-) in Verfassungsgerichtsentscheiden.
Also so: (Der demokratische Legitimationszusammenhang) ist (hier) weder durch eine Geheimhaltung vertraglicher Ausgestaltungen der Aufgabenwahrnehmung (…) noch durch sonstige Beschränkungen der parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten unterbrochen oder beeinträchtigt.
Du musst zugeben, das ist ohne umfangreiches Vorwissen etwa der Belegstellen nicht zu verstehen. Ich hab’s mir im originalen Entscheidungstext angesehen, da ist es auch nicht klarer. Na ja.
also, ich probiers noch mal: Der Senat sagt, dass die Legitimationskette nicht durchbrochen sein darf, sonst verletzt die Privatisierung das Demokratieprinzip. In diesem Fall ist sie nicht durchbrochen, weil gottseidank die Verträge nicht geheim waren.
Das heißt im Gegenschluss: Wären die Verträge geheim gewesen, dann wäre die Legitimationskette durchbrochen, das Demokratieprinzip verletzt und bingo.
Oder nicht?
Max: lies einfach noch mal das Zitat und stell dir Vor du kennst das Ergebnis noch nicht. Ich habe beim Durchlesen auch das gegenteil von dem verstanden was darunter als Interpretation steht. weiter gekürzt:
(Der demokratische Legitimationszusammenhang) ist weder durch eine Geheimhaltung vertraglicher Ausgestaltungen noch (…) unterbrochen oder beeinträchtigt.
Oder anders, ohne “weder … noch”
Der demokratische Legitimationszusammenhang ist durch eine Geheimhaltung vertraglicher Ausgestaltungen nicht unterbrochen oder beeinträchtigt.
Gruß,
blub
“ist” kann eben “wird regelmäßig” oder “wird hier” nicht durchbrochen. Kapiert haben wir’s glaube ich alle hier, schon nach Max’ erstem comment … Deshalb ja auch die Nachfrage.
ja, ich seh den Punkt, das ist missverständlich. Aber ich glaube, wenn man es im Kontext liest, wo es um die Begründung geht, warum im konkreten Fall der LegZusammenhang NICHT durchbrochen ist, dann ist das glaub ich klar.
[…] Gründe, das Parlament nicht zu informieren, so gut wie immer falsch zu finden, ob bei privatrechtlichen Verträgen oder bei Verhandlungen im Vermittlungsausschuss. Mir kommt dieses Beharren darauf, dass die […]