26 March 2020

Parlamentarische Selbst­entmächtigung im Zeichen des Virus

In Zeiten der Not ist Kritik, zumal Kritik am Gebrauch von Formen, anfechtbar. Momente wie dieser sind, das ist ohne jede Ironie festzustellen, solche, in denen die politische Gemeinschaft zusammenstehen sollte. Dazu gehört es auch, nicht zu kleinkariert mit der Bewertung politischer Entscheidungen umzugehen, die zur Abwendung einer existenziellen Krise geboten sein können. Freilich wäre es umgekehrt auch ein Irrtum zu meinen, dass sich Solidarität und Loyalität, die die Bürgerinnen demokratischen Entscheidungen im Augenblick verstärkt schulden, mit Kritiklosigkeit gleichsetzen ließen. Der Notfall, den es zu bekämpfen gilt, bedarf der Überprüfung; die Maßnahmen, die er rechtfertigen soll, umso mehr. Vor allem besteht im Gegenzug auch eine Schuld des politischen Prozesses gegenüber den Bürgern. Wenn der Staat seine institutionelle Macht voll ausschöpfen kann und muss, ist von ihm zu erwarten, dass er das in ihn investierte Vertrauen so weit wie möglich im Rahmen der vorhandenen Formen nutzt und diese nur im äußersten Notfall in Frage stellt. Dass Helmut Schmidt als Hamburger Innensenator 1962 grundgesetzwidrig die Bundeswehr kommandierte, um die Sturmflut zu bekämpfen, hat ihm niemand vorgeworfen, im Gegenteil. Aber wenn sich die „Naturkatastrophe in Zeitlupe“ (Christian Drosten) seit Ende Januar vor dem Auge der Weltöffentlichkeit entfaltet, wird man ohne Kleinkariertheit genauer nachprüfen können, was der Bundestag am 25. März als gesetzliche Novellierung des Infektionsschutzgesetzes (ISG) beschlossen hat. Dass solche Kritik innerhalb des politischen Prozesses schwer möglich ist, zeigt sich daran, dass das zu erörternde Gesetz auch mit den Stimmen der Opposition durch den Bundestag gegangen ist. Dass dies ohne massive verfassungsrechtliche Zweifel geschehen ist, wird man nicht glauben können.

Bevor ich an zwei Punkten die Probleme der gestern beschlossenen Novellierung des Infektionsschutzgesetzes (ISG) aufzeige, eine Bemerkung zu dem, was in der Novelle nicht geregelt wurde. Seit dem Wochenende herrschen in allen Ländern Ausgangssperren und Kontaktverbote, als deren Grundlage die Ermächtigung in § 32 iVm § 28 ISG dient. Wie in mehreren Beiträgen auch im Verfassungsblog dargelegt wurde, spricht wenig dafür, dass eine Stilllegung des gesamten öffentlichen Lebens, also ein Ende für politische Demonstrationen, Konzerte und Gottesdienste durch das ISG ermöglicht werden sollte. Die dagegen vertretene Ansicht, das Land ließe sich mit Hilfe einer Generalklausel dicht machen, erscheint einigermaßen kurios. Sie macht aus einem besonderen Polizeirecht ein allgemeines Notstandsrecht. Das Gesetz gibt diese Maßnahmen schlicht nicht her, sonst hätte es das Verhältnis von Standardmaßnahmen zur Generalklausel anders ausgestaltet. Der Gesetzgeber aber beschränkt sich nunmehr in § 28 Abs. 1 ISG auf eine Anpassung „aus Gründen der Normenklarheit“. Das bedeutet, siehe oben, nicht, denen, die diese Maßnahmen zunächst erlassen haben, einen Vorwurf machen zu wollen – aber dass der massivste kollektive Grundrechtseingriff in der Geschichte der Bundesrepublik ohne angemessene gesetzliche Grundlage erfolgen kann, weil er in der Sache richtig ist, diese Einsicht könnte das Legalitätsverständnis in einer Weise erschüttern wie kaum ein Ereignis seit dem Preußischen Verfassungskonflikt, als sich die monarchische Exekutive das Budgetrecht nahm und damit das Rechtsverständnis noch der Weimarer Republik nachhaltig prägte. Dies gilt umso mehr, wenn vom Parlament – anders als damals – kein ernsthafter Versuch unternommen wird, diesen Zustand zu korrigieren.

Die gestern im Bundestag beschlossene Novellierung sieht im Kern die Feststellung einer „Epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ durch den Bundestag selbst (ursprünglich erstaunlicherweise durch das Bundesministeriums für Gesundheit als Selbstermächtigung angelegt) vor, an die erweiterte Kompetenzen des Ministeriums anschließen. Man muss die erkennbare Freude des Gesetzgebers an der Semantik des Ausnahmezustands, diesen Schmittianismus für den höheren Dienst, nicht mögen, um einzusehen, dass die Situation es rechtfertigt, das geltende Recht mit mehr Flexibilität zu versehen. Dass im Moment Regeln zur Herstellung von Arzneimitteln, zur Organisation von Krankenhäusern oder zum medizinischen Berufsrecht angepasst werden müssen, liegt auf der Hand. Solche Flexibilität hält das Gesetz in Fülle vor. Wo liegt also das Problem?

§ 5 Abs. 2 Nr. 1 ISG-E ordnet an, dass das Bundesgesundheitsministerium (BMG) unter bestimmten Bedingungen befugt ist, Personen, die aus dem Ausland einreisen, darauf zu verpflichten, gesundheitsrelevante Informationen zu geben oder sich untersuchen zu lassen. Damit wird der nach Art. 83 GG den Ländern obliegende Vollzug des Gesetzes dem Bundesministerium selbst überantwortet. Eine solche Zuweisung ist durch einfaches Gesetz aber nicht möglich, unklar ist auch, was genau sie bringen soll. Soll das BMG eine Art eigene Gesundheitspolizei an den Grenzen vorhalten? Ist mit der Pflicht auch die Möglichkeit gegeben, deutsche Staatsangehörige an der Einreise zu hindern? Wie verhält sich diese Kompetenz einerseits zu den Kompetenzen der Bundespolizei, andererseits zu denen der Landesgesundheitsbehörden?

§ 5 Abs. 2 Nr. 3 ISG-E ermächtigt das BMG „durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates Ausnahmen von den Vorschriften dieses Gesetzes“ zu erlassen, ein Passus, dem eine wenig pauschale Spezifizierung folgt. Dass ein Ministerium Gesetze nicht nur konkretisieren, sondern aufheben kann, ist aber keine Frage der Genauigkeit der Verordnungsermächtigung mehr. Diese muss sich darauf beziehen, dass die Bundesregierung unter genau definierten Bedingungen Verordnungen erlassen kann, die als Verordnungen unter dem Rang des Gesetzes dessen Regelungen nicht außer Kraft setzen können. Hier geht es auch nicht um die Außerkraftsetzung vereinzelter Regelungen im Rahmen von Experimentierklauseln, für die solche gesetzesvertretenden Verordnungen diskutiert werden, sondern um die Derogierung großer, nicht abgegrenzter Teile des Gesetzes. Mit Art. 80 Abs. 1 GG ist das nicht zu vereinbaren.

Beide Regelungen, die im Kontext eines ganzen Ozeans von weiteren Ausnahmeermächtigungen stehen, betreffen nicht einfach technische Probleme. Denn gerade in der Krise stellt sich die Frage nach den Orten politischer Aushandlung, umso mehr, wenn die Öffentlichkeit nicht zuletzt durch ein allgemeines Versammlungsverbot versehrt ist. Ob es in dieser Zeit die richtige Entscheidung des Gesetzgebers darstellt, sich aus dem Geschäft der Normsetzung zurückzuziehen, muss man stark bezweifeln, selbst wenn es ihm gelänge, dies verfassungsgemäß zu bewerkstelligen. Dass die Verordnungsgebung schneller funktioniere als die Gesetzgebung, ist ohnehin ein Mythos. In den letzten Wochen bewegte sich der politische Prozess zudem maßgeblich zwischen den Exekutiven von Bund und Ländern. Eine solche Koordination ist demokratietheoretisch nicht eben ideal, aber doch ein von der Öffentlichkeit zu verfolgender Dialog demokratischer Regierungen. Der Grund für diesen Koordinationsbedarf liegt aber nicht zuletzt in den Vollzugskompetenzen der Länder und in der Beteiligung des Bundesrates. Er fällt weg, wenn das Ministerium alles allein regeln kann. Dass die Länder dazu bereit sind, auch auf die Bundesratszustimmung beim Erlass der Verordnungen zu verzichten, ist enttäuschend, verwundert freilich nicht mehr. Spätestens seit der Abschaffung des Länderfinanzausgleichs ist klar, dass ausgerechnet sie als Sachwalter der Bundesstaatlichkeit wenig bringen.

Irritierend ist schließlich der Verzicht auf eine letzte demokratische Koordinationsstelle, auf das Bundeskabinett. Dass all diese Kompetenzen, die im Notfall wie jetzt im Zentrum der politischen Aufmerksamkeit stehen, von einem einzelnen Ministerium ausgeführt werden können, das sich nur noch mit der eigenen Hierarchie und punktuell mit dem ins Einvernehmen zu setzenden anderen Ministerien auseinanderzusetzen hat, führt die Depolitisierung weitreichender Entscheidungen auf die Spitze.

Diese Überlegungen zur demokratischen Legitimation ändern nichts daran, dass es hier zunächst um Fragen harter Legalität geht. Sollten wir aus der Krise mit der Einsicht herausgehen, dass fundamentale Normen der Arbeitsteilung zwischen Parlament und Regierung wie zwischen Bund und Ländern befristet unter einem ungeschriebenen verfassungsrechtlichen Notstandsvorbehalt stehen, wäre das fatal. Es ist auch nicht anzunehmen, dass die gerichtliche Kontrolle das einfach auffangen wird. Sie wird sich in einer solchen Situation zurückhalten, so dass wir am Ende schlicht aufgeweichte Standards bekommen könnten. Im Übrigen verhält sich die gerichtliche Kontrolle zur Staatsorganisation wie das Verbot zur Einsicht der Bürger: Zumindest von reiferen Teilnehmern am politischen Prozess würde man hoffen, dass sie das Verfassungsrecht aus Einsicht befolgen, nicht aus Furcht vor gerichtlicher Aufhebung. Dass die Beteiligten es nicht so meinen, und selbst keine autoritäre politische Agenda verfolgen, kann man getrost annehmen. Es bleibt im Ergebnis irrelevant.


8 Comments

  1. Achim Schaper Thu 26 Mar 2020 at 11:00 - Reply

    Die Mutter aller Infektionsszenarien
    Es hat sich ins Kollektivbewußtsein eingeprägt: allein die Feststellung einer Pandemie hat bereits unmittelbare Rechtsfolgen als Wirkung. Dabei ist die kausa nicht stringent. Die Pandemie wird von einer NGO, der WHO festgestellt. Es wird im Kern über die globale Ausbreitung eines pathogenen Keimes informiert, der einen Schwellenwert im Überwachungssystem der WHO überschritten hat. Dadurch werden eine Vielzahl nationaler und internationaler medizinischer Versorgungs- und Forschungssysteme aktiviert.
    Die Feststellung einer konkreten Bedrohungslage muß immer auf eine nationale (Gesundheits-) Lage heruntergebrochen werden, um Wirkung entfalten zu können. Und die Bedrohungslage muß attestierbar sein (dies im konkreten Fall nachzuliefern, daran arbeitet man derzeit mit Hochdruck in der Administration). Das Prozedere im Fall der Corona Epidemie läßt sich wie folgt darstellen (und wurde in der ersten Dekade des 21.Jahrhunderts so in etwa von bundesdeutschen Behörden simuliert): Aus einer WHO Empfehlung wurde eine exterritoriale Bedrohungslage konstruiert, die einen äußeren Feind simuliert. In einem präkognitiven Prozess werden in der Folge Bedrohungsszenarien generiert, die in ihrer Mehrzahl auf eine existenzielle Bedrohung des deutschen Volkes konvergieren müssen, um einen inneren Verteidigungsfall auszulösen. Aus diesem “Konstrukt” heraus werden dann u.a. Grundrechtseinschränkungen verfügt. D.h. im Klartext: aus einer Art “Vorsehung” heraus, kann bereits massiv in die Grundrechte der Bürger eingegriffen und die Maßnahmen als Gefahrenabwehr kommuniziert werden.
    Ich halte es für einen schweren Fehler, aus dem Bewusstsein heraus, auf alle Eventualitäten vorbereitet sein zu müssen (die aus einem simulierten Szenario erzeugt wurden), Handlungsanweisungen abzuleiten, die in eine Reaktion auf alle möglichen (reale und vorstellbare) Wirkungen münden, die wiederum in die nächste Simulation einfließen. Es gilt diesen circulus vitiosus unter allen Umständen zu vermeiden, da selbsterfüllend, affirmativ und präjudierend.
    Da man dem Feind nicht wirklich habhaft werden kann (wie im Auge-in-Auge Prinzip bei der äußeren Bedrohungslage), verlegt man die Abwehrreaktion auf die Bekämpfung der Wirkungen, die, um im Bild zu bleiben, praktisch ertastet werden. Nur aus dieser Denkhaltung heraus läßt sich verstehen, was derzeit passiert, dass man die Menschen einsperrt, um dann nach 14 Tagen mal zu gucken, ob die Simulation richtig war. Maßnahmen müssen sich immer streng am aktuellen Geschehen in der realen Welt orientieren (das Terrain der Verhältnismäßigkeit ist ja bestens bestellt). Wenn mehr Notfallpatienten Hilfe benötigen, muß in diesem Bereich entsprechend mobilisiert werden (z.B. weitere Kapazitäten schaffen in umfunktionierten Liegenschaften etc.). Ein Versäumnis der Politik der vergangenen Jahrzehnte war es, das Gesundheitssystem nicht-epidemiefähig weiterentwickelt zu haben. Dies versucht man nun im aktuellen Fall eben teilweise dadurch aufzufangen, dass man die Grundrechte massiv einschränkt. Welche Kraft die normative Kraft des Faktischen bereits entfaltet, läßt sich am „Entscheidungsnotstand“ des Bundesverfassungsgerichts ablesen. Wie hier im Blog schon angerissen, kann ein Verfassungsgericht den objektiven Sachverhalt der Verfassungsmäßigkeit der Grundrechteeinschränkung nicht mehr prüfen, ohne bei negativer Entscheidung in die Position der Grundrechtsverletzung zu fallen (Billigung körperlichen Schadens).

  2. Clemens Thu 26 Mar 2020 at 16:46 - Reply

    Der Kommentar hat sicherlich mit seiner Kritik nicht ganz unrecht, jedoch wird hier eine Sache völlig ausser Acht gelassen. Die Regelungen wurden nicht auf Basis der AKTUELLEN Lage erlassen, es liegt eine Risikobewertung zu Grunde, welche die Situation ohne diese Maßnahmen betrachet. Und wir stützen uns mit Nichten auf den Begriff Pandemie seitens der WHO sondern der Einschätzung versch. Experten und natürlich des RKI. Man kann den Spiess auch umdrehen und kann sagen, der Staat hat die Garantenpflicht und letztendlich vermisse ich im Artikel auch eine dezidierte Auseinandersetzung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, vor allem der Erforderlichkeit. Weiterhin finde ich keine Gefährdungsanalyse anhand des differenzierten Wahrscheinlichkeitsmaßstabs im Artikel. Einzig eine, normal nur im Behördenalltag geliebte “Zuständigkeits-Auseinandersetzung”. Sicherlich eine (zum Glück) Mindermeinung. Objektiv auf keinen Fall.

    • jansalterego Fri 27 Mar 2020 at 18:08 - Reply

      Selbst wenn man – ganz ausnahmsweise – eine unmittelbar aus den Grundrechten folgende Schutzpflicht des Staates annehmen wollte, hat der Staat bei deren Erfüllung rechtmäßig zu handeln. Da kann man noch so viele “Gefährdungsanalysen anhand des differenzierten Wahrscheinlichkeitsmaßstabs” durchführen, die ändern daran nichts und dürfen daran auch nichts ändern. Alles andere ist Willkür.

  3. Hannibal Thu 26 Mar 2020 at 17:51 - Reply

    Ich habe bereits unter anderen Artikeln meiner Befürchtung Ausdruck verliehen, dass in der allgemeinen Panik untergeht, welch tiefgreifende Beschränkungen der Freiheitsrechte die Exekutive hier vornimmt. Die Kernbereiche persönlicher Lebensgestaltung werden plötzlich gesetzlich und verbal (durch allerlei Verhaltensregeln) reglementiert. Dass die Exekutive in diese Bereiche so selbstverständlich reinreden darf erreicht eine neue Qualität – so notwendig die Maßnahmen auch sein mögen. Ich wage vorherzusagen, dass die Hemmschwelle gegenüber Eingriffen in die Freiheitsrechte zukünftig absinken wird.

    Ich stimme Ihnen, Herrn Möllers, darin zu, dass diese Maßnahmen notwendig waren und in der Not auch auf die schwammigen Ermächtigungsgrundlagen des IfSG gestützt werden mussten. Nun ist jedoch der erste Schock vorüber, die Krise schon zum Teil Normalität geworden. Dass unter diesen Umständen eine Novelle des IfSG verabschiedet wird, welches die rechtliche Situation verschlimmbessert, ist inakzeptabel. Hier hätte man sich etwas mehr Zeit nehmen dürfen, um hinreichende EGL für die besonders grundrechtsintensiven Maßnahmen zu entwerfen.

    Da die juristische Meinung in der Öffentlichkeit aktuell kein Gehör findet bleibt nur, den Gesetzgebungsprozess kritisch zu begleiten und nach dem Ende der Krise Korrekturen vorzunehmen – notfalls mit der vom Autor angedeuteten (verfassungs-)gerichtlichen Ãœberprüfung.

    Ich würde mich freuen, wenn weitere lesenswerte Beiträge des Autors zu diesem Thema erscheinen. Dass sich die Professorenschaft trotz des Credos
    ‘whatever it takes’ nicht wegduckt und den Prozess kritisch begleitet ist wichtig.

  4. Law as Integrity Thu 26 Mar 2020 at 17:59 - Reply

    Danke für den schönen Kommentar, dem inhaltlich wenig hinzuzufügen ist. Mit einer Ausnahme vielleicht: Dass nicht “anzunehmen (ist), dass die gerichtliche Kontrolle das einfach auffangen … und sich (stattdessen) in einer solchen Situation zurückhalten” wird, ist empirisch wahrscheinlich zu befürchten – normativ darf man aber vielleicht doch die Hoffnung hegen, dass insbesondere die Verfassungsgerichtsbarkeit hier über ihren Schatten der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative springt und am Ende diese überschießenden, demokratie- und gewaltenteilungsproblematischen Entwicklungen wieder einfängt…

  5. ulrich wurst Fri 27 Mar 2020 at 07:27 - Reply

    Sehr geehrter Herr Prof. MÖLLERS,
    die Würde des Menschen zu schützen, zu verteidigen ist Verfassungsauftrag für den Staat und seine Beamten. Leben ist dafür zunächst eine Voraussetzung. Eine konkrete Gefahr, dass durch eine Seuche bis zu 5% eines Staatsvolkes sterben könnten, sehe ich. Da es solche Seuchen immer schon gegeben hat (Pest 1348, Spanische Grippe 1918) sehe ich auch als Gefahrenvorsorge die Eingriffsgrundlagen im InfSchG als für solche Fälle geschaffen und damit auch für weitreichende Massnahmen als ausreichend an.

    In den derzeitigen Ausgangsbeschränkungen sehe ich kein Einsperren oder Festhalten sonder eine Einschränkung der allgemeine Handlungsfreiheit die dem Lebensschutz Vieler dient. Da Familienangehörige zusammen bleiben können, Einkaufen und Sport weiter möglich sind und zunächst bis Ende Ostern eine zeitliche Begrenzung da ist, ist die Massnahme auch verhältnismässig.

    Es wurde ein Änderungsgesetz gefordert, dies wird nun vom Bundestag und Bundesrat beschlossen, was die Handlungsfähigkeit auch der zuständigen Legislative in der Krise zeigt.

    Die Krisen von 1933, 1962 und 1999 (Flut in HH, Ermächtigungsgesetz 1933, 1999 Militäreinsatz entgegen Gewaltverbot im Völkerrecht (Staatenrecht)) bewerte ich als Hintergrund, sehe derzeit jedoch kein böswillig rechtswidriges Verhalten.

    Mein Bemühen geht dahin, an berufener Stelle recht- und zweckmässige Massnahmen mitzuverantworten.

    Ulrich WURST, Major dR, RD BERLIN

  6. Torben Löding Fri 27 Mar 2020 at 08:59 - Reply

    Ich finde es erstaunlich, dass immer wieder auf Helmut Schmidts angebliche Heldentaten verwiesen wird.
    Dabei ist schon seit Jahren nachgewiesen, dass Schmidt erst dazu kam, als der Krisenstab die berühmten Entscheidungen schon getroffen hatten, ebenso die Innenminister der anderen Küstenländer, die sich dafür aber nie feiern ließen. So sehr ich Helmut Schmidt schätzte, so sehr hat er versucht das zu seiner Rufverbesserung auszuschlachten. Es muss Schluss damit sein belegte Legendenbildung nachzuplappern.
    https://www.zeit.de/2018/30/helmut-schmidt-hamburg-retter-flut-1962

  7. Clemens Fri 27 Mar 2020 at 11:39 - Reply

    Ich gebe vielen Positionen Recht. Und ich bin ein sehr starker Verfechter der Vorsorge (auch rechtlich) für Krisen. Der Staat hat es mal wieder verpennt. Eigentlich hat auch jede Klinik und andere Einrichtungen die Pflicht Vorräte zu halten. Es ist ja nicht das böse Volk, was “alles wegkauft”, wir haben schlicht keine Vorräte. Weder im Supermarkt noch in Lagern der Industrie, noch in den Einrichtungen selber. Wer die Verantwortung für eine Klinik, Einrichtung hat und ganz zu Beginn schon Engpässe beklagt, der muss eigentlich seinen Sessel räumen!
    Ich befasse mich wissenschaftlich mit dem Zusammenspiel Recht/Verwaltung/Krisenmanagement und Vorsorge… An wirklich jeder Ecke ist es einfach nur grausam. Das Gesetz zur Notversorgung mit Nahrungsmitteln steht sein 2016. Noch KEIN Bundesland hat es geschafft bis heute die Durchführungsregularien zu schaffen. Peinlich! In Berlin sind 2/3 der Trinkwasserbrunnen für Notfälle verseucht. Tests zur Notstromversorgung von Krankenhäusern werden nach einer Stunde abgebrochen, da das Notsystem zusammenbricht. Und der absolut traurigste Punkt und hier kommen wir zu des Autors Artikel zurück. Früher hat die Schutzkommission (etwa 50 Wissenschaftler aus der Praxis) die Risiken bewertet und Klartext gesprochen. Die Schutzkommission wurde mit einem Satz einfach mal abgeschafft. Ganz Deutschland (Feuerwehr, Einrichtungen, Kliniken, IT, Ministerien… und die Wissenschaft) haben ihr handeln auf diesen Berichten und der SchuKo aufgebaut. Wenn auch nicht tiefgehend so hefte ich hier den Wiki-Artikel an: https://de.wikipedia.org/wiki/Schutzkommission_beim_Bundesministerium_des_Innern

    PS: Ich stehe auf der Seite des Verfassers, als Praktiker muss ich aber sagen… wir hatten keine andere Wahl als zu handeln

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