22 September 2011

Parlaments-Travestie

Hält die Regierungskoalition das Bundesverfassungsgericht für doof? Glaubt sie, das war nur Spaß, dass der Zweite Senat auf eine Parlamentsbeteiligung bei der weiteren Euro-Rettung pocht? Ist sie der Meinung, die acht Richterinnen und Richter in Karlsruhe hätten mit ihrem Urteil vor zwei Wochen nur geblufft?

Den Eindruck kann man bekommen, wenn man sich ansieht, was der Haushaltsausschuss gestern in Sachen Stabilitätsmechanismus-Gesetz als Vorlage für die Plenarabstimmung am 29.9. beschlossen hat.

Neun Gefährten

Dem Entwurf zufolge muss der Bundestag künfig Maßnahmen, die seine “haushaltspolitische Gesamtverantwortung” berühren, im voraus zustimmen, wie es das BVerfG gefordert hatte. So zumindest im Normalfall. Oder doch zumindest in manchen Normalfällen. Was ansonsten passiert, steht in § 3 III, den ich hier in seiner ganzen Pracht zitiere:

(3) In Fällen besonderer Eilbedürftigkeit oder Vertraulichkeit werden die in Absatz 1 bezeichneten Beteiligungsrechte des Bundestages von Mitgliedern des Haushaltsausschusses des Bundestages wahrgenommen, die vom Bundestag für eine Legislaturperiode gewählt werden. Die Anzahl der zu benennenden Mitglieder ist die kleinstmögliche, bei der jede Fraktion zumindest ein Mitglied benennen kann und die Mehrheitsverhältnisse gewahrt werden. Bei Notmaßnahmen zur Verhinderung von Ansteckungsgefahren nach § 1 Absatz 2 Satz 3 liegt die besondere Eilbedürftigkeit oder Vertraulichkeit regelmäßig vor. In allen übrigen Fällen kann die Bundesregierung die besondere Eilbedürftigkeit oder Vertraulichkeit einer Angelegenheit geltend machen. Die oben genannten Mitglieder des Haushaltsausschusses können der besonderen Eilbedürftigkeit oder Vertraulichkeit in den Fällen der Sätze 3 und 4 unverzüglich mit Mehrheit widersprechen. Im Falle des Widerspruchs nimmt der Deutsche Bundestag die in Absatz 1 bezeichneten Beteiligungsrechte wahr, bei Widersprüchen in Fällen von Satz 3 der Haushaltsausschuss. In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 3 und 4, sowie im Falle des erstmaligen Antrags eines Mitgliedsstaates des Euro-Währungsgebietes für eine Notstandsmaßnahme, die nicht unter § 1 Absatz 2 Satz 3 fällt, nimmt stets der Bundestag seine Beteiligungsrechte wahr.

Ich versuche, das mal vereinfacht zusammenzufassen:

  1. Wenn eine Notmaßnahme im Rahmen des Stabilitätsmechanismus entweder eilbedürftig oder vertraulich oder beides ist, dann braucht man nicht alle 620 Abgeordnete und auch nicht alle 41 Mitglieder des Haushaltsausschusses zu fragen, sondern ein besonderes Gremium, bestehend nach gegenwärtigen Mehrheitsverhältnissen aus neun Mitgliedern.
  2. Wann ist etwas besonders eilbedürftig oder vertraulich?
    • Bei “Notmaßnahmen zur Verhinderung von Ansteckungsgefahr” ist das im Regelfall mal einfach so. Wird vermutet. Diese besagten Maßnahmen sind drei Stück: “Vorsorgliche Maßnahmen”, Bailout von Banken, Ankauf von Staatsanleihen am Sekundärmarkt. Bei diesen drei Sachen sollen also schon mal von vornherein die Neun statt der 41 bzw. der 620 entscheiden. Und bei diesen Sachen gilt auch nicht die sonstige Ansage, dass jedenfalls der erste Antrag eines Mitgliedsstaates durch das Plenum des Bundestags muss.
    • Ansonsten: Wenn die Bundesregierung das für eilbedürftig oder vertraulich hält.
  3. Was, wenn das aber gar nicht so furchtbar eilbedürftig/vertraulich ist? Das haben dann gegebenenfalls nicht etwa die 620, auch nicht die 41, sondern wiederum die Neun festzustellen, und zwar mit Mehrheit.
  4. Wenn fünf der Neun widersprechen, dann geht die Sache ins Plenum bzw. in den Haushaltsausschuss.

Das heißt, dass nach der Vorstellung von Schwarz-Gelb der Finanzminister, wann immer er das für richtig hält, mit fünf vorab handverlesenen Leuten telefonieren muss, und schwupp, ist das ganze Parlament eingebunden. Das ist super. Wenn wir gewusst hätten, dass das so einfach ist, hätten wir uns nicht so aufregen brauchen.

Verantwortlich entscheiden

Werfen wir doch noch mal einen Blick in die BVerfG-Entscheidung vom 7. September:

Der Deutsche Bundestag muss dem Volk gegenüber verantwortlich über Einnahmen und Ausgaben entscheiden,

heißt es dort zum Beispiel. Oder:

Vor diesem Hintergrund darf der Deutsche Bundestag seine Budgetverantwortung nicht durch unbestimmte haushaltspolitische Ermächtigungen auf andere Akteure übertragen.

Was tut der Bundestag anderes als gerade dies, wenn er so weitreichende Teile seiner Budgetverantwortung durch irgendein Neuner-Gremium ausüben lässt, dessen Stellung, Verfahren und Zusammensetzung notdürftig oder überhaupt nicht geregelt ist und schon gar nicht in der Verfassung? Wie muss man sich die Übernahme der Verantwortung durch den Bundestag für, sagen wir, ein Banken-Bailout vorstellen, bei dem neun Abgeordnete den restlichen 611 Abgeordneten diese Verantwortung auf das Fürsorglichste aus den Händen nehmen? Warum sagt man da nicht gleich, wenn der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium okay sagt, ist das Einvernehmen mit dem Bundestag hergestellt?

Ein Ausschuss ist kein Parlament

Nun hat das BVerfG selbst offenbar kein Problem darin erkennen können, dass es der Haushaltsausschuss ist und nicht das Plenum, das diese Verantwortung für das Parlament schultern soll. Jedenfalls heißt es im allerletzten Satz des Urteils mit geradezu verstörender Lapidarität:

Daher bedarf es zur Vermeidung der Verfassungswidrigkeit einer Auslegung des § 1 Abs. 4 Satz 1 des Euro-Stabilisierungsmechanismus-Gesetzes dahingehend, dass die Bundesregierung vorbehaltlich der in Satz 3 genannten Fälle verpflichtet ist, die vorherige Zustimmung des Haushaltsausschusses einzuholen.

Im Gegenschluss kann man sagen, dass die Auslegung, das Plenum müsse zustimmen und nicht nur der Haushaltsausschusses, zur Vermeidung der Verfassungswidrigkeit offenbar nicht notwendig ist (sofern sie denn möglich wäre). Das hat schon so manchen gewundert, warum diese Reduktion des Parlaments auf einen seiner Ausschüsse – und zwar nicht den Europa-Ausschuss – dem Senat nicht mal ein noch so dürres Sätzchen der Begründung wert ist. Immerhin hat das deutsche Volk den Bundestag gewählt und nicht den Haushaltsausschuss. Der ist zwar seinerseits vom Bundestag gewählt, aber das ist die Kanzlerin schließlich auch.

Insofern ist es echt eigenartig, dass dieser Aspekt so überhaupt nicht vorkommt in dem Urteil. Aber gut, sie wollten das Gesetz halt nicht für nichtig erklären, und mit der verfassungskonformen Auslegung wäre es schwierig geworden, wenn sie dieses Fass aufgemacht hätten. Daraus jedenfalls jetzt fröhlich die Schlussfolgerung zu ziehen, dass dem BVerfG jede Untergliederung, die anstelle des Plenums tritt, geradeso recht ist, halte ich für sehr unvorsichtig.

Ich würde nicht darauf wetten, dass wir das letzte Wort aus Karlsruhe zu diesem Vorgang schon gehört haben.

Foto: Jacob Paul Skoubo, Flickr Creative Commons


7 Comments

  1. egal Thu 22 Sep 2011 at 15:12 - Reply

    Kann mich da nur anschließen, denn das am Ende nur noch 5 Leute (der 9 Erlesenen) entscheiden, wobei das dann auch gleich der Regierungsmehrheit sein soll, hebelt so ziemlich die Vorgaben des Urteils aus.

    Das zugrunde liegende Gesetz schaut wie ein finanzpolitisches Ermächtigungsgesetz aus. Dabei ist ja bereits die Regierungsmehrheit im Parlament durch die unzähligen Verknüpfungen (etwa durch die Unzahl von parl. Staatssekretären) sehr nahe an die Regierung angedockt, dass man kaum noch Unterschiede erkennen kann.

    Dieser Ausschuss ist natürlich auch idealerweise dazu gedacht, die eigenen Nörgler in den Reihen (Stichwort Eurobonds) zu umgehen, denn der Ausschuss wird ja wohl von den regierungstreuesten Mannen besetzt werden und die Opposition wird wie im Parlament niedergestimmt werden.

    Sicherlich wird sich für dieses Ermächtigungsgesetz eine Mehrheit finden wie sich eine Regierungsmehrheit doch immer finden lässt. Die meisten Parlamentarierer finden wohl nichts Verwerfliches daran, wobei die meisten Abgeordneten sich außerhalb ihres Fachbereichs sowieso nicht einmischen, leider.

    Der grundsätzliche Weg, den Ausschüssen hier große Entscheidungsgewalt zu geben, halte ich aber für falsch. Denn das Wesen von Ausschüssen ist nun mal die Nichtöffentlichkeit. Dadurch wird die Plenardebatte zur Showbühne fürs Fernsehen, die sonst keiner der werten Abgeordneten mehr besuchen muss.
    Dieser Sonderausschuss ist sozusagen nur die logische Konsequenz aus dem Weg des BVerfG-Urteils.

    Vermutlich brauchen wir bald nur noch einen Hauptausschuss. Der Rest der (unwichtigen?) Abgeordneten machen dann nur noch die niederen Arbeiten wie Wahlkreisarbeit oder Fachpolitik. Die Einheit des Bundestags als Entscheidungsorgan scheint inzwischen sowieso aufgehoben zu sein, wenn 5 Abgeordnete über Dinge entscheiden können, die uns für Generationen binden können.

  2. Sorter Thu 22 Sep 2011 at 18:05 - Reply

    “Ich würde nicht darauf wetten, dass wir das letzte Wort aus Karlsruhe zu diesem Vorgang schon gehört haben.”

    Toll, es wird dann aber genauso lasch sein wie das erste. Mit dem letzten Urteil hat uns Karlsruhe doch gezeigt, dass sie auf der Seite der jetzigen Regierungskoalition stehen und diese sieht keinen Reform Bedarf, der zu mehr Demokratie führen würde.

    “Bei Abriss Aufstand” hat einen Fehlschluss, denn wenn Abgerissen ist kam der Aufstand zu spät.

  3. Gast Fri 23 Sep 2011 at 13:29 - Reply

    Wie soll denn das Gesetz vor das BVerfG gelangen?

    Abermals durch das abenteuerliche Konstrukt einer auf Art. 38 I GG gestützten Verfassungsbeschwerde? Art. 93 I Nrn. 1, 2 GG?

    Vorsätzlicher (provozierender) Rechtsbruch bei fehlendem Rechtsschutz als Strategie?

  4. […] Bundestach, sach ich: Mach das nicht! Aber der Bundestach, der hört ja […]

  5. […] verhandelt der Zweite Senat in Karlsruhe über den super Einfall des Gesetzgebers, die Parlamentsbeteiligung bei der Euro-Rettung durch neun handverlesene […]

  6. […] soll nach § 3 Abs. 3 StabMechG dieses Gremium die  Beteiligungsrechte des Bundestages ausüben. Bei Notmaßnahmen zur Verhinderung von Ansteckungsgefahren liegt regelmäßig besondere […]

  7. […] An dieser famosen Idee war das BVerfG nicht ganz unschuldig, hatte es doch in seinem Urteil ohne weitere Begründung (wohl um das Gesetz nicht für nichtig erklären zu müssen) ausdrücklich für zulässig erklärt, statt aller 620 Abgeordneten nur die 41 Mitglieder des Haushaltsausschusses zu beteiligen. Wenn das so ist, hatte sich offenbar der Gesetzgeber gedacht, warum dann nicht gleich die geringstmögliche Zahl, die halbwegs die Kräfteverhältnisse der Fraktionen noch abbildet? Und so wurde es gemacht. […]

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