Peter M. Huber soll Nachfolger von Di Fabio werden
Im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts werden, was das Europarecht betrifft, die Karten in den nächsten Monaten neu gemischt. Laut Geschäftsverteilung ist Siegfried Broß für europarechtliche Fragen zuständig, Udo Di Fabio kommt über das Völker- und das Parlamentsrecht ins Spiel. Letzterer gehört intellektuell so oder so zu den großen Schwergewichten des Senats – eine der vielen Dinge, die er mit Paul Kirchhof gemeinsam hat, dessen Sitz er übernommen hat.
Broß und Di Fabio verstehen beide in Hinblick auf die EU nicht viel Spaß. Broß würde ich als handfesten Euroskeptiker bezeichnen, siehe sein Sondervotum beim EU-Haftbefehl. Di Fabio ist von anderem intellektuellem Format, im Ergebnis aber kaum besser.
Zwei freie Stellen
Beide scheiden bald aus. Broß geht im September 2010, Di Fabio im Dezember 2011.
Im Kanzleramt scheint man sich – wen wundert’s in diesen Zeiten banger Fragen nach der Position der Karlsruher zum Griechenland-Bailout – bereits jetzt heftig Gedanken zu machen, wie man die Besetzung in diesem heiklen Punkt regelt.
Wie ich aus ziemlich guter Quelle höre, hat sich die Kanzlerin jetzt auf einen Kandidaten festgelegt, der schon länger im Gespräch ist: Peter M. Huber soll auf Di Fabio folgen, Staatsrechtsprof in München und seit letztem Oktober Innenminister in Thüringen. In Erfurt dient er einer CDU-geführten Regierung, ich habe aber gehört, er sei CSU-Mitglied (weiß es aber nicht genau).
Mich wundert, dass das jetzt schon passiert. Bis Di Fabio geht, sind es ja noch eineinhalb Jahre. Vielleicht steckt da ein Deal mit der CSU dahinter, damit die bei der Broß-Stelle keinen allzu knüppelharten Gauweilerianer schicken?
Was heißt das für Europa?
Huber hat 1993 ein Büchlein mit dem spaßigen Titel “Maastricht – ein Staatsstreich?” veröffentlicht. Bei der Staatsrechtslehrervereinigung 2000 in Leipzig hat er zum Thema europäisches und nationales Verfassungsrecht referiert und dabei im Kontrast zu Pernice und Lübbe-Wolff den Konservativen gegeben.
Also eher Kontinuität.
Andererseits gilt Huber unter Kollegen, auch unter Europarechtlern, als pragmatisch, politisch denkend und unvoreingenommen. Als Etatist wird er nicht wahrgenommen. Man sagt ihm ein starkes Rückgrat nach, auch gegenüber seinen Freunden von der CSU.
Außerdem gilt er als einer, der gegenüber dem Wehgeschrei der Länder wenig Geduld aufbringt und beispielsweise von Länderbeteiligung auf europäischer Ebene nicht allzu viel hält. Eher ein Zentralist als ein Föderalist.
Jedenfalls gibt es genügend Paper Trail, den man sich mal unter die Lupe nehmen sollte.
Update: Die “Thüringer Allgemeine” hat die Meldung aufgegriffen und in der Erfurter Staatskanzlei nachgefragt:
“Dass Persönlichkeiten wie Peter Huber auch bei der Besetzung von anderen Spitzenpositionen genannt werden, ist normal, für Thüringen gut und aktuell Spekulation.”
wird der Regierungssprecher zitiert. Damit kann ich prima leben.
Hallo Max,
saubere Geschichte, zu der ich folgendes beitragen kann: Huber ist Mitglied von CDU und CSU. Das liegt daran, dass er lange in Thüringen und in Bayern arbeitete und jeweils nacheinander Mitgliedsanträge stellte. Denen wurde jeweils stattgegeben. Es wäre schade, wenn Thüringen Huber verlöre, stellt er doch einen wohltuenden Kontrast zu plumpen Law-and-order-Innenministern dar, den die Christdemokraten in Erfurt sonst aufzubieten haben. Aber ich zweifle, dass Huber den Verlockungen der Karlsruher Waschbetonkästen widerstehen kann.
Das ist ja toll. Ich kenne sonst keinen einzigen Politiker mit zwei Parteibüchern gleichzeitig.
Und mit Roman Herzog wären das schon zwei Bayern, die in der CDU Karriere machen und dann Verfassungsrichter werden. Zwei ist ein Trend, oder?
Wird die Sau da nicht viel zu früh durch das Dorf getrieben?
Im Übrigen: Das Stimmverhältnis beim Lissabon-Urteil hat hinsichtlich des Ergebnisses 8:0 und hinsichtlich der Gründe 7:1 betragen! Die Entscheidung geht dementsprechend keineswegs ausschließlich auf den Berichterstatter Di Fabio und ein Lager zurück, sondern ebenso auf den damaligen Vizepräsidente Voßkuhle, Richterin Osterloh, Richterin Lübbe-Wolff sowie Richter Gerhardt, also auf das andere Lager.
Vielleicht ist es auch von Bedeutung gewesen, dass die Prozessvertretung in der betreffenden mündlichen Verhandlung in keiner Weise überzeugt hat. So hatten die ASt./Bf.-Vertreter Gelegenheit, zu allgemeinen Schmähungen der EU, und zwar ohne Rücksicht auf den Streitgegenstand (Zustimmung nicht zur EU als Gesamtheit, sondern zu den Veränderungen des durch den Nizza-Vertrag geschaffenenm Zustandes aufgrund des Lissabon-Vertrages). Auch hat man kaum in dogmatischer Hinsicht ansatzweise überzeugende Ausführungen von den Prozessbevollmächtigten der Befürworter gehört, sondern ebenfalls nur recht allgemein gehaltene Lobeshymnen. Nach dieser Verhandlung wusste jeder, was die Stunde geschlagen hatte.
Jedenfalls kommt es danach im Hinblick auf die Folgen des Lissabon-Urteils wohl kaum darauf an, ob Herr Huber als mehr oder weniger europaskeptisch angesehen wird. Ein letzter Hinweis: Vielleicht wird auch von Bedeutung sein, inwiefern die zurückliegenden Auftritte des Kandidaten vor dem Gericht überzeugt haben. In welchen Verfahren war Huber als Bevollmächtigter tätig, mit welchem Erfolg und wie ist sein Auftritt zu bewerten? GIbt es andere Kandidaten, die danach in Betracht kommen? Was ist z.B. mit Herrn Prof. Dr. Waldhoff?
Richter Broß ist (wie aus der Geschäftsverteilung hervorgeht) seit Oktober 2005 schon nicht mehr für das Europarecht zuständig, vielmehr liegt das Internationale Recht berichterstattermäßig seitdem alleinig in den Händen von Richter Prof. Dr. Dr. Di Fabio.
Und wer als Berichterstatter erstmal die Feder zum Votum angesetzt hat, soll ja bekanntlich auch regelmäßig Anhänger finden, wenngleich Dr. Rensen natürlich beizupflichten ist, dass gerade bei so dogmatisch umstrittenen und keineswegs unpolitischen Fragen, die um den Lissabon-Vertrag kreisten und kreisen, auch im Senat intellektuelle San-Andreas-Verwerfungen herrschen dürften (dies soll keine Anspielung auf den Senatsvorsitzenden und heutigen Präsidenten sein). Insofern ist das (Nahezu-)Konsens-Votum von Ende Juni 2009 wirklich beachtlich.
Über die Nachfolge für das Dezernat Di Fabio, die erst Anfang 2012 (!) ansteht, jetzt schon zu spekulieren, halte ich jedoch auch für verfrüht, wenn nicht gar gefährlich (Stichwort Dreier). Die jüngste Besetzung im Ersten Senat hat doch gezeigt, dass es im Endeffekt für alle Beteiligten besser sein dürfte, dem Kandidaten nicht allzu früh die zweifelhafte Aura des “Ernannten” zuteil werden zu lassen.
Die Nachfolgefrage im trotz Wegfall des Internationalen Rechts gewichtigen Dezernat Broß allerdings rückt tatsächlich näher. Der von Dr. Rensen genannte gebürtige Paderborner (heute Bonner) würde sich ja schon wegen Broß’ Sachgebiets “Staatskirchenrecht, einschließlich des Rechts der Dienstverhältnisse zu Religionsgesellschaften und des zugehörigen Disziplinarrechts” qualifizieren. Ich will nicht sagen: aufdrängen.
Stimmt, ich habe die Geschäftsverteilung schlampig gelesen, Europarecht ist längst nicht mehr bei Broß. Entschuldigung dafür.
Christian Waldhoff als Broß-Nachfolger: Noch ein alter Bekannter aus München, war Assistent bei Vogel zu meiner Zeit… Aber soll das nicht wieder ein Bundesrichter werden?
Tatsächlich ist BVR Broß als Bundesrichter am BVerfG und muss wohl durch einen solchen ersetzt werden, will man nicht BVR Landau (nebern Gerhardt und Mellinghoff)als Bundesrichter mitzählen. Da man sich schon einmal gegen die Bundesrichter-Landau-Variante entschieden hat, spricht alles für einen anderen Bundesrichter anstelle von Broß. Waldhoff kommt für einen andere konservativen Sitz in Betracht – ebenso wie Huber. Also für den Stuhl von BVR di Fabio.
Davor wäre noch ein Sitz des anderen Lagers zu besetzen, nämlich der von BVRin Osterloh. Was wird denn insofern spekuliert?
Ein kleiner Nachtrag: Der Zuschnitt der Dezernate bleibt insbes. im Zweiten Senat bei Richterwechseln nicht gleich. Vielmehr muss sich beim Zweiten Senat der neu ernannte Richter gewöhnlich mit den noch freien Sachgebieten begnügen. Deshalb kann man nicht ohne weiteres davon ausgehen, dass ein etwa für den ausscheidenden BVR Broß neu ernannter Richter auch die Zuständigkeiten des Dez. Broß übernimmt. Das gilt selbstverständlich auch für die anderen Dez. des Zweiten Senats. Im Ersten Senat wird das grds. anders gehandhabt. Hier bleiben die Dez. im Kern erhalten und werden übernommen. Gravierende Veränderungen sind hier die Ausnahme, kommen aber gleichwohl vor.
Schon deshalb, aber auch mit Rücksicht auf die Praxis der letzten Jahre lassen besondere Fachkenntnisse in bestimmten Bereichen keinen Rückschluss auf die Wahrscheinlichkeit einer Richterwahl zu.