Privat 2G, im Dienst 3G?
Die Kontrolle der 2G-Regeln durch Polizei und Ordnungsamt
Mittlerweile ist der Zugang zu weiten Teilen des gesellschaftlichen Lebens an die 2G-Bedingungen (Zugang nur für Geimpfte oder Genesene) geknüpft. Ein Aspekt wurde dabei offenbar nicht ausreichend bedacht: Wer soll die Einhaltung kontrollieren? Zumindest in Berlin und Bayern betreten auch ungeimpfte Polizisten, Polizistinnen sowie Angehörige des Ordnungsamtes Restaurants, Geschäfte und Bars, um die Einhaltung der 2G-Regel zu kontrollieren. Aus der Berliner SPD ist zu vernehmen, dies sei nicht nur absurd, sondern auch rechtswidrig (eine Anpassung der Berliner Corona-Verordnung erfolgte allerdings nicht). In der bayerischen Polizei ist laut Medienberichterstattung nicht nur der Ärger innerhalb der Polizei über ungeimpfte Kollegen und Kolleginnen groß, auch der Innenminister hält es für „kaum vertretbar“, dass ungeimpfte Polizisten und Polizistinnen im Streifendienst mit Menschen in Kontakt kommen und sogar die Einhaltung von 2G kontrollieren würden. Die Rechtslage jedenfalls ist alles andere als eindeutig und muss vom Gesetzgeber dringend geklärt werden.
Ausgangslage
Ursprünglich war der Gedanke, dass unter 2G-Bedingungen auf einzelne Infektionsschutzmaßnahmen wie Maske oder Abstand verzichtet werden kann, z. B. in Bars (siehe § 8a Abs. 1 Berliner Corona-Verordnung; vgl. dazu BR-Drs. 347/21, S. 1). 2G war vielfach freiwillig. Mittlerweile ist 2G für viele Betriebe, Veranstaltungen und Einrichtungen zwingend, um einen Anreiz zum Impfen zu setzen (vgl. dazu Sacksofsky) bzw. um die hohen Infektionszahlen zu reduzieren („die Welle zu brechen“). Zudem fühlen sich viele Menschen unter 2G-Bedingungen möglicherweise sicherer bzw. nutzen überhaupt erst entsprechende Einrichtungen, da nach aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen das Risiko einer Ansteckung deutlich geringer ist, als wenn lediglich getestete Personen anwesend sind. Betreiber und Betreiberinnen sowie Veranstalter und Veranstalterinnen, für die die 2G-Regeln nicht gelten, haben deshalb die Möglichkeit, den Zugang an 2G zu knüpfen. Nach § 8a Abs. 2 Nr. 4 der Berliner Corona-Verordnung müssen die jeweiligen Betreiber die Einhaltung der Regeln sicherstellen und beim Einlass kontrollieren. Nach dieser Norm dürfen auch die zuständigen Behörden (insbesondere Gesundheits-, Ordnungsamt und die Polizei) entsprechende Dokumente überprüfen. Aber dürfen das auch lediglich getestete Behördenangehörige? Auf Ausführungen zum Gesundheitsamt wird an dieser Stelle verzichtet, da diese offenbar Kontrollen aktuell nicht in größerem Umfang durchführen (vermutlich wegen Überlastung).
Die Berliner Polizei ist der Auffassung, dass auch lediglich getestete Polizisten und Polizistinnen die Einhaltung von 2G kontrollieren dürfen. Der Sprecher der Polizei Berlin äußerte gegenüber Medienvertretern, „dass die jeweiligen Regelungen nur für Betreiber, Personal und Kunden gelten“ würden. Es würden daher auch ungeimpfte Polizisten zur Kontrolle der 2G-Regeln eingesetzt. Die zur Kontrolle eingesetzten Dienstkräfte der Polizei Berlin würden nicht zu dem Adressatenkreis der gesetzlichen Vorgaben zählen, da sie bei der Kontrolle öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Ein negativer Corona-Test sei aber verpflichtend. Auch die Kontrolleure der meisten Berliner Ordnungsämter müssen nach Medienberichten nicht geimpft oder genesen sein. Sie würden die Einhaltung der 2G-Regeln vor allem in Geschäften, Restaurants und Kneipen kontrollieren.
Aktuell sind ca. 20% der Berliner Polizisten und Polizistinnen ungeimpft. Das scheint kein Berliner Phänomen zu sein. In Bayern und Sachsen sind offenbar ebenfalls ca. 20% der Polizisten und Polizistinnen nicht geimpft. In der sächsischen Polizei lag die Inzidenz vor Kurzem bei 4000, sodass viele Beamte und Beamtinnen erkrankt oder in Quarantäne waren.
Anforderungen an behördliche Kontrollen
Die Kontrolle der 2G-Regeln ist auf unterschiedlichen Wegen möglich. Polizei oder Ordnungsamt können ein Restaurant betreten und dort Kontrollen durchführen oder sie können Personen kontrollieren, die es betreten oder verlassen wollen. Aus § 8a Abs. 2 Nr. 3 der Berliner Corona-Verordnung folgt, dass sich in Betriebs- und Veranstaltungsräumlichkeiten nur Personen aufhalten dürfen, die geimpft oder genesen sind (Ausnahmen gelten z. B. für das Personal nach Nr. 2, dieses muss nur getestet sein), für Bereich davor und die Kontrolle durch Behörden selbst sind keine Anforderungen formuliert. Es macht also (rechtlich) einen Unterschied, ob die Kontrolle innerhalb einer 2G-Örtlichkeit durchgeführt wird oder davor.
Auch wenn es rechtspolitisch fragwürdig ist, gibt es für Beamte und Beamtinnen bei Kontrollen aktuell keine Verpflichtung, außerhalb der 2G-Bereiche geimpft oder genesen zu sein, sodass entsprechende Beamte und Beamtinnen Kontrollen durchführen können. Bei der Ausübung der polizeilichen und ordnungsamtlichen Tätigkeit gilt grundsätzlich 3G. Dies folgt aus § 28b Abs. 1 IfSG, in dem die Anwendung von 3G an der Arbeitsstätte eindeutig für alle Beschäftigten geregelt ist. Offen ist aber, ob auch 2G-Einrichtungen zur Arbeitsstätte (im Sinne des § 28b IfSG) der Polizei und des Ordnungsamtes zu zählen sind. Die Arbeit von Polizisten und Polizistinnen umfasst die Strafverfolgung und die Gefahrenabwehr.
Es bleibt unklar, ob sich die die Ausführungen der Berliner Polizei auf die Unanwendbarkeit „der gesetzlichen Vorgaben“ nur auf die Berliner Corona-Verordnung oder auch auf das IfSG beziehen. Das IfSG gilt unproblematisch für die Polizei. Es gibt keinen Hinweis im IfSG darauf, dass dieses keine Anwendung auf die Polizei oder das Ordnungsamt findet. Das wäre auch sinnwidrig, da aus § 1 Abs. 1 IfSG der Gesetzeszweck folgt, die Ausbreitung von Krankheiten zu verhindern. Auch Angehörige der Polizei und des Ordnungsamts können Krankheiten übertragen, sodass das Gesetz grundsätzlich auch für sie gelten muss. Ferner spricht die gesetzliche Systematik dafür, da in § 2 Abs. 2 ArbSchG Beschäftigte legal definiert sind. Dort sind Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sowie Beamte und Beamtinnen genannt, sodass unproblematisch das gesamte Personal von Polizei und Ordnungsamt als Beschäftigte im Sinne von § 28 Abs. 1 IfSG zu verstehen ist. Auch in der Berliner Corona-Verordnung, die eine Konkretisierung der gesetzlichen Vorgaben darstellt, gibt es keine Ausnahmen für Polizei und Ordnungsamt, während dies in anderen Verordnungen der Fall ist (z. B. § 1 Abs. 6 der Sächsischen Corona Verordnung). Daraus folgt im Umkehrschluss, dass auch die Berliner Verordnung grundsätzlich uneingeschränkt für die Polizei und das Ordnungsamt gilt.
Sowohl die Entstehung von Gefahren als auch die Begehung von Straftaten kann nahezu überall passieren, sodass der Begriff Arbeitsstätte, an dem 3G-Regeln gelten, im Falle der Polizei grundsätzlich weit zu verstehen ist. Dafür sprechen auch Sinn und Zweck des § 28b IfSG, der Verbreitung von Infektionen durch die 3G-Regel entgegenzuwirken. Bedeutet dies aber auch, dass unter Arbeitsstätte für die Polizei alle Orte zu verstehen sind, wo sie polizeiliche Maßnahmen durchführen, d. h. auch die Kontrolle der 2G Regeln? Dürfen so auch lediglich getestete Beamte und Beamtinnen in 2G-Bereiche oder steht § 8a Berliner Corona-Verordnung dem entgegen?
Die Berliner Polizei ist anscheinend der Meinung, dass zumindest § 8a Berliner Corona-Verordnung auf sie keine Anwendung findet, da die Polizei öffentliche Aufgaben wahrnimmt. Nach öffentlichen Aufgaben differenziert die Regelung aber nicht. Aus der Regel folgt sehr eindeutig, dass sich nur in engen Ausnahmen lediglich getestete Personen in 2G-Einrichtungen aufhalten können. Zu den nach § 8a Berliner Corona Verordnung ausgenommenen Personen zählen weder Angehörige der Polizei noch des Ordnungsamtes. Würde so eine Ausnahme angenommen werden, würde sich auch die Frage stellen, welche öffentlichen Aufgaben noch von der Regelung ausgenommen sein sollen und wie sich dies auf den Infektionsschutz auswirkt. Gleichwohl ist die Kontrolle durch die zuständigen Behörden zugelassen.
Da § 8a Berliner Corona-Verordnung insgesamt unklar bleibt und mehrere Verfassungsgüter durch sie betroffen sind, muss eine verfassungskonforme Auslegung der Norm erfolgen. Zunächst soll durch die 2G Regel der Infektionsschutz umgesetzt werden (als staatliche Umsetzung des staatlichen Schutzauftrags (jüngst dazu BVerfG)), bzw. die Grundrechte von Geimpften geschützt werden. Aber auch die polizeiliche Gefahrenabwehr, die sich nicht auf den Infektionsschutz bezieht, folgt aus dem staatlichen Schutzauftrag und die Pflicht zur Verfolgung von Straftaten aus dem Rechtsstaatsprinzip.
Strafverfolgung und Gefahrenabwehr können teilweise im Widerspruch zum Infektionsschutz stehen (vgl. dazu Fährmann/Arzt/Aden). Das kann aber nicht pauschal bedeuten, dass § 8a Berliner Corona-Verordnung keinerlei Anwendung auf die Polizei und das Ordnungsamt findet. Zwar ist festzuhalten, dass sowohl die Pflicht zur Strafverfolgung als auch zur Gefahrenabwehr einen hohen Stellenwert haben, nicht nur wegen der betroffenen Rechtsgüter, sondern auch aufgrund von einer möglichen Dringlichkeit des Einschreitens. Gleichwohl hat der Infektionsschutz gerade während des Höhepunktes der Pandemie ein hohes verfassungsrechtliches Gewicht. Dem könnte dadurch Rechnung getragen werden, dass zu Kontrollen – soweit möglich – nur geimpftes Personal eingesetzt wird und bei weniger schweren Gefahren oder Straftaten könnte dem Infektionsschutz ein höheres Gewicht eingeräumt oder polizeiliche Maßnahmen könnten nachgeholt werden (etwa indem die Betroffenen geladen werden). Auch muss beachtet werden, dass die 2G-Regel gerade dem Ziel dient, das Infektionsgeschehen unter Kontrolle zu bekommen, sodass Ausnahmen in diesem Bereich soweit wie möglich reduziert werden sollten. Dennoch sind Konstellationen denkbar, in denen ein Einschreiten der Polizei unausweichlich erscheint, etwa wenn ein Tötungsdelikt bevorsteht. In diesem Fall muss § 8a Berliner Corona-Verordnung verfassungskonform in der Art und Weise interpretiert werden, dass auch lediglich getestete Polizisten und Polizistinnen Zugang zu einer 2G-Örtlichkeit haben müssen. In 2G-Örtlichkeiten sollten sich die Anwesenden aber soweit wie möglich auf einen Schutz verlassen können, gerade wenn Ausnahmen von der Maskenpflicht etc. vorgesehen sein sollten.
Was heißt dies jetzt für den Einzelfall? Das ist sehr unklar. Vor dem Hintergrund der hohen Inzidenzen ist das ein sehr unbefriedigender Zustand, zumal das Geschehen sowohl hinsichtlich der Inzidenzen als auch der infizierten Beamten und Beamtinnen sehr dynamisch sein kann.
Es stellen sich noch weitere Fragen: Können Betreiber und Betreiberinnen von Einrichtungen oder Betrieben sowie Veranstalter und Veranstalterinnen von der Polizei 3G Nachweise fordern (der Wortlaut von § 8a Berliner Corona-Verordnung legt das nahe)? Gehört zur Arbeit der Polizei auch die Übernachtung im Dienst oder kann lediglich getesteten Beamten und Beamtinnen der Zugang zu Hotels versagt werden? Was ist außerdem mit Beamten und Beamtinnen, die aufgrund ihres Status als Ungeimpfte und Nicht-Genesene in vielen Bereichen nicht eingesetzt werden können? Wo dürfen sie eingesetzt werden und wie wirkt sich das beamtenrechtlich aus?
Rechtspolitische Erwägungen
Die Rechtslage ist verworren und kompliziert. In einer Notlage wie einer Pandemie ist das äußerst problematisch, da so sinnvolle Maßnahmen möglicherweise erschwert oder blockiert werden. Gerade beim Handeln der Sicherheitsbehörden sollte möglichst Klarheit und Rechtssicherheit bestehen.
Deshalb sind zumindest klare Regeln über die Pflichten der Polizei während der Pandemie festzulegen, insbesondere in 2G-Örtlichkeiten. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass eine Kontrolle der 2G-Regeln durch lediglich Getestete wahrscheinlich nicht zur Akzeptanz der Maßnahme beiträgt, selbst außerhalb von 2G-Örtlichkeiten. Eine sehr unbürokratische Lösung wäre entweder der ausschließliche Einsatz von geimpften oder genesenen Beamten und Beamtinnen oder eine generelle Impfpflicht für Polizei und Ordnungsamt. Eine Impfpflicht für Sicherheitsbehörden erscheint verfassungsrechtlich möglich (zur allgemeinen Impfpflicht z. B. Wißmann; Hailbronner/Lührs/Züllig). Insbesondere spricht dafür, dass Angehörige dieser Berufe viel und teilweise eng mit Personen interagieren und sich diesem Kontakt in vielen Fällen nicht oder kaum entziehen können. Zusätzlich ist zu beachten, dass diese Tätigkeiten wesentlich für die Funktionsfähigkeit des Staates sind. Ausfälle von Beamten und Beamtinnen aufgrund von einer Vielzahl von Erkrankungen, Langzeitfolgen der Erkrankung oder von Quarantäne können dazu führen, dass essentielle staatliche Aufgaben nicht wahrgenommen werden – in einer pandemischen Notlage. Zudem würde der Organisationsaufwand für Nachweispflichten oder Einsatzkonzepte von Ungeimpften wegfallen. Dementsprechend haben sich auch Teile der Polizeigewerkschaft für eine Impfpflicht ausgesprochen.
Insgesamt wird deutlich, dass weder der Gesetzes- noch der Verordnungsgeber die 2G-Regeln und die damit einhergehenden Probleme bislang ausreichend durchdrungen haben. Aus rechtsstaatlicher Perspektive und vor dem Hintergrund, dass Impfstoffe seit mittlerweile fast einem Jahr zugelassen sind und sich das Pandemiegeschehen gut prognostizieren lässt, ist das äußerst misslich. Es ist zu hoffen, dass die Gesetz- und Verordnungsgeber zeitnah Regeln schaffen, die längerfristig für Klarheit sorgen, und zwar unabhängig von der Entwicklung der Inzidenzzahlen. Es erscheint nämlich alles andere als fernliegend, dass nach der vierten Welle weitere Wellen folgen.