Psychisch Kranke in den Fängen der Strafjustiz
Manchmal findet man in den Kammerentscheidungen des BVerfG, zu denen es keine Pressemitteilung gibt, wahre Justizdramen. Dazu gehört auch die heute veröffentlichte Entscheidung, die sich wieder einmal um das Thema Einsperren von vermeintlich oder tatsächlich gefährlichen Menschen, die nichts verbrochen haben, dreht – diesmal aber von einer ganz anderen Seite.
Es geht um einen Vietnamesen, der 1993 zwei Landsleute erschossen hatte, weil er geglaubt hatte, sie wollten von ihm Schutzgeld erpressen. Daraufhin bekam er wegen Mordes Lebenslang.
Tatsächlich litt der Mann aber unter einer Psychose, was sich erst nach der rechtskräftigen Verurteilung herausstellte (wie das während eines Mordprozesses verborgen bleiben konnte, kann man sich auch nur schaudernd ausmalen…).
17 Jahre in der Zelle
Dass der Mann psychisch krank war, wurde im Gefängnis dann sehr schnell offenbar. Aber erst nach drei Jahren wurde ihm eine psychiatrische Behandlung zuteil, für ein paar Monate, dann kam er wieder in die Zelle zurück. Nach geschlagenen 15 Jahren, also 2009, befand das LG Bautzen, der Mann sei zur Tatzeit schuldunfähig gewesen, sah sich aber mitnichten veranlasst, die Strafe auszusetzen.
Der Mann beantragte die Wiederaufnahme seines Verfahrens, aber damit hatte die Justiz es überhaupt nicht eilig: Nach zwei Jahren ließ sich das LG Chemnitz schließlich herbei, das Verfahren wiederaufzunehmen. Im Januar 2011 wurde er schließlich freigesprochen – und im gleichen Atemzug wurde seine Unterbringung in der geschlossenen Psychiatrie angeordnet. Auch als der BGH den Unterbringungsbeschluss wegen mangelhafter Begründung zurückschickte, blieben die sächsischen Richter unbeeindruck: Nein, nein, sagte das LG Dresden sinngemäß. Der Mann spinne ja. Also habe der mal besser hinter Schloss und Riegel zu bleiben.
Der Axtmörder in den Köpfen
17 Jahre lang hatte dieser Mann unschuldig als Mörder im Gefängnis gesessen, eine Umgebung, die sich bekanntlich auch bei stabilen Menschen nicht immer förderlich auf die psychische Gesundheit auswirkt. Niemand in der sächsischen Justiz hielt es offenbar für seine Aufgabe, sich diesen Mann mal genauer anzusehen und sich mehr als nur kursorische Gedanken darüber zu machen, ob es einen guten Grund gibt, ihn weiterhin seiner Freiheit zu berauben.
Ich kann mir das nur so erklären, dass die Justiz in weiten Teilen immer noch ein total unaufgeklärtes Verhältnis zum Thema psychische Erkrankung hat: Das Bild vom irren Axtmörder (Foto) spukt immer noch in den Köpfen der Richter herum. Der Irre gehört eingesperrt, ob in den Knast oder in die Geschlossene, ist erstmal zweitrangig, Hauptsache weg, weg, weg. Ob und welche Gefahr von ihm ausgeht, ist erstmal überhaupt nicht relevant, denn es ist das Irresein selbst, das so verstörend ist, dass man seine Gegenwart unter uns einfach nicht aushält.
Foto: Callum Rice, Flickr Creative Commons
Dazu passt folgender Artikel:
http://www.spiegel.de/karriere/berufsleben/0,1518,804043,00.html
Ich finde nicht, dass dieser Artikel dazu passt, ehrlich gesagt.
Nee, der Artikel passt gerade so überhaupt nicht…