08 November 2020

Quantifizierung und Querfront

Zur politischen Theologie der zweiten Welle

Wer in Zeiten erneut exponentiell wachsender Infektionszahlen (quasi-)sakralisierte Phänomene in der säkularen Corona-Gesellschaft unter die Lupe nimmt, bemerkt bestimmte Unterschiede zur ersten Covid-19-Welle. Angesichts einer gewissen „Pandemiemüdigkeit“ erscheint das Virus für viele nicht mehr wie ein dämonisierter politischer Akteur (vgl. Reinhard Mehring), eine höhere Gewalt oder ein sakralisiertes außerreligiöses Wesen, das keine anderen Probleme oder Themen neben sich duldet. Der Medienwissenschaftler Stephan Russ-Mohl schreibt dennoch weiter von einem „grotesken Übersoll an Berichterstattung“ über SARS-Cov-2.

Virologinnen und Virologen machten in der Anfangsphase mitunter den Eindruck einer expertokratischen Priesterkaste, die allein die Zeichen der bösen Quasi-Gottheit Corona zu deuten und die richtigen Gegenmaßnahmen zu offenbahren wusste. Mittlerweile hat eine breite nichtakademische Öffentlichkeit realisiert, dass Virologinnen und Virologen wie andere empirisch Forschende notwendigerweise mit dem andauernden Formulieren und Falsifizieren von Hypothesen arbeiten. Angesichts einer unsicheren und widersprüchlichen Datenlage (vgl. Jürgen Windeler) führen sie zudem kontroverse fachdisziplinäre Diskussionen und sind offenbar nicht immer sonderlich gut darin, ihre Arbeitsweise verständlich nach außen zu kommunizieren. All dies scheint ihre rechts- und gesellschaftspolitische Bedeutung erheblich relativiert zu haben. Ob die Autorität der Virologinnen und Virologen „derart ruiniert [ist], dass sie bei der nächsten schweren Pandemie, die gewiss kommt, nicht mehr das nötige Gehör finden könnte“ (Mehring), lässt sich aber doch bezweifeln.

Quasi-zeremonielle Bekleidung wie die Mund-Nasen-Bedeckung und quasi-religiös anmutende Rituale wie Abstand halten, das Verbot des Händereichens, Husten- und Nies-„Etikette“, häufige Händereinigung, regelmäßiges Lüften von Räumen und Desinfizieren von Oberflächen sind zu sozial(isierend)en Normen und teilweise auch schon zu sanktionsbewehrten Rechtsvorschriften geworden. An die Stelle einer „scriptura, das heißt ein Buch mit positiven Offenbarungen und Anordnungen“ (Schmitt, Politische Theologie, 7. Aufl., München 1996, 44) in Form des Infektionsschutzgesetzes sind zahllose Haupt- und Neben-Corona-Verordnungen getreten, die aufgrund ihrer Formulierungen, Komplexität, häufigen Änderungen und Regelungsunterschiede zwischen den Ländern für die Bevölkerung nicht selten schwer verständlich sind (so etwa Nathalie Behnke) – fast schon vergleichbar mit der Fachsprache der alten katholischen Kirche, wo aus dem für Latein-Unkundige unverständlichen „Hoc est corpus“ der Eucharistiefeier („Dies ist [mein] Leib“) im Volksmund vermutlich „Hokuspokus“ wurde.

Dieser Beitrag versucht, aus einer rechtspolitologischen Perspektive ohne Anspruch auf Vollständigkeit bestimmte (quasi-)religiöse Aspekte der zweiten Welle zu beleuchten. Zunächst wird auf den Begriff „Risikogebiet“ unter besonderer Berücksichtigung omnipräsenter Quantifizierungsphänomene eingegangen. Der darauf folgende Abschnitt thematisiert eine neuartige zivilgesellschaftliche Glaubensbewegung, welche die pandemische Krisendemokratie mehr oder weniger als Gesundheitsdiktatur ansieht. Daraufhin wird die unterschwellige „alternativlos“-Philosophie der Bundespolitik problematisiert. Zudem interpretiert der letze Abschnitt die politische Theologie der neuesten päpstlichen Enzyklika als ein radikales Gegenmodell zu einem Katastrophendezisionismus à la Carl Schmitt.

Prophetie durch Quantifizierung

In der Anfangsphase der Pandemie, insbesondere während des Lockdowns, wurden „ganze Gesellschaftsbereiche nach dem Kriterium der ,Systemrelevanz‘“ hierarchisiert (Evelyn Moser). Die auch rechtlich herausgehobene Gruppe der Systemrelevanten konnte aus der Perspektive einer „Soziologie juristischer Begriffe“ (Schmitt 1996, 47) als säkularisierte Analogie zu den Auserwählten in religiösen Kontexten betrachtet werden. Im Zuge der Ausdifferenzierung der Pandemiebekämpfung und egalisierenden Lockerungen verlor Systemrelevanz als Begrifflichkeit allerdings zumindest in Deutschland zunehmend an Bedeutung. Gewisse Hierarchisierungen in der Corona-Gesellschaft ergeben sich jetzt etwa durch die „digitalen Fluchtorte“ und die „geheiligten virtuellen Fruchtwasserblasen“ materiell privilegierter Individuen im globalen Norden (Douglas Rushkoff).

In der realen Welt wurde der Begriff des „Risikogebiets“ vor allem nach Aufhebung der „Reisewarnung für die ganze Welt“ immer wichtiger. Auch im rechtspolitischen Konzept des Risikogebiets kann man durch Analogiebildung einen säkularisierten theologischen Begriff (vgl. Schmitt 1996, 43) sehen. Die alttestamentlichen Propheten weissagten häufig Plagen oder Qualen für bestimmte Gebiete bzw. Personengruppen als Konsequenzen spezifischen Fehlverhaltens. Manche epidemiologische oder virologische Aussage weist hier eine ähnlich konditionale Struktur auf: Wenn ihr dies nicht tut oder weil ihr das getan habt, wird dort jene Seuchenausbreitung die Folge sein. Auch die prophetisch anmutende Aussage Angela Merkels vom 14.10.2020 lässt sich hier einreihen: „Die Ansagen von uns sind nicht hart genug, um das Unheil von uns abzuwenden“. Vereinzelte Äußerungen aus der Politik, nun entscheide das individuelle Verhalten im Herbst darüber, ob bzw. wie Weihnachten stattfinde, erinnern hingegen weniger an prophetisches Mahnen, sondern mehr an reaktionäre Pädagogik mit dem Rute schwingenden Knecht Ruprecht.

Moderne politische oder naturwissenschaftliche Quasi-Prophetie stützt sich nicht auf die Verletzung eines göttlichen Gesetzes, sondern häufig auf die Überschreitung bestimmter Zahlenwerte. Dies passt zur „Logik der Quantifizie­rung der Welt seit den 1990er Jahren“ (Philipp Ther). Das letzte Wort virologischer Expertise kommt in spezifischen Maßzahlen zum Ausdruck (Moser). Im Zusammenhang mit der Pandemie kritisiert Achille Mbembe, dass „Codes und Zahlen mehr und mehr die Dimension einer Kosmogonie annehmen“. Carl Schmitt (1996, 50 f.) formulierte einst: „Das metaphysische Bild, das sich ein bestimmtes Zeitalter von der Welt macht, hat dieselbe Struktur wie das, was ihr als Form ihrer politischen Organisation ohne weiteres einleuchtet“. In einer Gesellschaft, die künstliche Intelligenz beinahe vergöttert (vgl. Rushkoff) und nahezu alles mit Zahlen und Rechenoperationen erfassen zu können meint, erscheint „mehr Demut vor der Unberechenbarkeit des Virus“ (Russ-Mohl) wohl eher unangebracht – Vielmehr gilt es, das politisch-administrative Beherrschen der Seuche durch Quantifizierung und darauf gestützte Maßnahmen zu perfektionieren.

Vor Monaten noch völlig unbekannte Schwellenwerte wie 35, 50 oder 100 tägliche Covid-19-Neuinfektionen pro 100.000 Personen einer kommunalen Verwaltungseinheit im Durchschnitt von sieben Tagen werden rasch zu normativen Selbstverständlichkeiten. Dabei ergeben sich derartige Grenzwerte als auch daraus folgende Handlungen keineswegs zwingend aus der Natur der Sache bzw. Seuche, sondern sind zumindest zu einem gewissen Maße kontingent und das Ergebnis von Aushandlungsprozessen zwischen Akteuren aus Wissenschaft, Politik und Verwaltung. Vor diesem Hintergrund dürfte im 21. Jahrhundert in Zeiten fortgeschrittener Pandemie ergänzend zur Entscheidungskompetenz über Systemrelevanz gelten: Souverän ist, wer (a) über die Operationalisierung, (b) die Messmethoden und (c) die Schwellenwerte der Seuchengefahr sowie (d) verbindliche Maßnahmen bei überschrittenen Grenzwerten entscheidet.

Wie relativ das Konzept des dank Quantifizierung so objektiv erscheinenden Risikogebiets ist, zeigt auch ein Blick auf den immer noch stark „nationalfixierten Rahmen“ (Stephan Lessenich) der tagtäglichen Corona-Politik. Ein Risikogebiet im (bundesrechtlich) engeren Sinne kann nach § 1 Abs. 1 Testpflicht-Verordnung des Bundesgesundheitsministeriums nur außerhalb Deutschlands liegen, selbst wenn es inländische Gebiete gibt, die wesentlich höhere Inzidenzen aufweisen als manche ausländische Region. Und bei der entsprechenden Einstufung als Risikogebiet werden weder die unantastbare Objektivität verheißenden Schwellenwerte strikt angewendet, noch wird der Einschätzung der „Legitimationsinstanz“ Robert Koch-Institut (Mehring) automatisch gefolgt; vielmehr entscheiden Auswärtiges Amt, Bundesgesundheitsministerium und Bundesinnenministerium „nach gemeinsamer Analyse“ (Robert Koch-Institut).

Verschwörungsglaube in der Querfront

Im Sommer äußerte etwa Frank Biess noch die Vermutung, dass „sich die kurzfristig aufflackernden Corona-Demonstrationen nicht in eine nachhaltige Protest­bewegung zu verstetigen“ scheinen. Hierbei dürfte es sich wohl um eine Fehleinschätzung gehandelt haben. Der gesellschaftliche Widerstand gegen die coronabedingten Beschränkungen hat während der Lockerungsphase eher zugenommen. Plausibler klingt hingegen folgende These von Biess: „Ge­rade die Unmöglichkeit, das Virus zu lokalisieren, war ein Grund für die wachsende Popularität von Verschwörungstheorien. Denn diese behaupteten, den Ursprungsort wie auch die Verantwortlichen für die Pandemie identifizieren zu können: Bill Gates, das Wuhan-Labor, die Pharmaindustrie“.

Die mittlerweile regelmäßig stattfindenden und meist gut besuchten „Querdenker“-Demonstrationen zeigen „eine neuartige, seltsame Querfront“ (Detlef Esslinger) aus „Eso-Muttis und Reichsflaggen“ (Maximilian Steinbeis). Über die einschlägige Demonstration in Berlin am 1. August 2020 mit etwa 20.000 Demonstrierenden schrieben beispielsweise Hannah Beitzer, Verena Mayer und Mike Szymanski: „Es gibt Impfgegner, Leute mit T-Shirts, auf denen ,Merkel muss weg‘ steht, Reichsbürger, schwarz-weiß-rote Fahnen werden geschwenkt, da sind Menschen, die antisemitische Parolen vor sich hertragen, AfD-Anhänger, Gegner von Rundfunkgebühren, Leser des Magazins Compact […] Aber da sind auch ältere Damen aus Süddeutschland mit Peace-Abzeichen, junge Leute aus Berlin, die gegen die Schließung der Clubs sind. Und ein Mann, auf dessen Schild steht: ,Jesus spricht: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben‘“.

Aus Sicht einer angewandten politischen Theologie sind jene Demonstrierenden von untergeordnetem Interesse, die sich wie bei üblichen zivilgesellschaftlichen Bewegungen (vgl. Dieter Rucht) aus „einfachen“ Motiven – Eigeninteressen und/oder Altruismus – gegen bestimmte politische Beschlüsse engagieren. Bemerkenswert erscheinen vielmehr jene Protestierenden, die uneinheitlich vor allem als Verschwörungstheoretiker, Verschwörungsgläubige, Verschwörungsideologen oder Verschwörungsmystiker bezeichnet werden. Ihr Widerstand gegen die Corona-Beschränkungen ist Ausfluss eines übergeordneten Glaubens an eine wie auch immer geartete, empirisch nicht nachgewiesene bösartige Verschwörung politischer, gesellschaftlicher und/oder wirtschaftlicher Eliten im Zusammenhang mit dem Virus. „Querdenker“ können wohl spätestens dann als Gläubige beschrieben werden, wenn sie wie am 1. November 2020 in München ihre Kundgebung spontan zu einer religiösen Feier umdeklarieren, um von liberaleren Versammlungsregelungen für Gottesdienste im Freien zu profitieren (Julian Hans/Anna Hoben).

Der Extremismusexperte Matthias J. Becker ist der Auffassung, dass „die Covid-19-Pan­demie […] zu einer rapiden Zunahme von Ver­schwörungsmythen führt“. Soziale Medien erleichtern generell „die Verbreitung von Verschwörungsideologien“ (Wilhelm Heitmeyer). Verschwörungsgläubige folgen etwa Attila Hildmann, „der sich selbst ,ultrarechts‘ und ,Verschwörungsprediger‘ nennt“. Oder sie glauben an Q, den ominösen „Namensgeber und Vorbeter der [QAnon-]Bewegung“ (Lena Kampf/Hannes Munzinger). Q hinterlässt seit einigen Jahren mehr oder weniger kryptische und nicht selten haarsträubende Kurzmitteilungen im Internet. Q-Gläubige sammeln, interpretieren und „verweisen auf die Textschnipsel wie auf Psalmen oder Suren“ (Kampf/Munzinger). Es bleibt jedoch nicht bei selbstreferentieller Online-Schnitzeljagd, sondern es kommt auch zu kollektiver Hetze gegen die Pandemiemaßnahmen und gewählte Politiker. „So diente dieser Aberglaube unseren Mitbürgern als Religion“ (Camus, Die Pest, Hamburg 1987 [1947], 145).

Fratelli Tutti statt TINA

Die Corona-Politik der Bundesregierung scheint größtenteils von pragmatischem Durchwursteln statt übergeordneter Glaubenssätze geprägt, doch fanden sich in den Verlautbarungen der letzten Monate auch des Öfteren Anzeichen eines „alternativlos-“ bzw. TINA-Dogmatismus („there is no alternative“). So warb Angela Merkel etwa zu Beginn des zweiten Lockdowns für eine Akzeptanz der verordneten Maßnahmen, „weil es keinen anderen Weg gebe“ (SZ 3.11.2020, 1). Die TINA-Philosophie der Exekutive führte in der Pandemie zwar nicht zu einer „Coronadiktatur auf Widerruf“ (Alexander Gauland). Sie kann aber dennoch aus demokratietheoretischer Perspektive kritisiert werden, denn eine vermeintlich einzig mögliche Vernunftpolitik setzt „auf Wahrheit statt auf Meinung“ (Moser). Und „über Wahrheiten lässt sich nicht abstimmen“ (Norbert Lammert). In einer solchen Atmosphäre wurde aus Sicht eines Experten für evidenzbasierte Medizin in den ersten Monaten der Pandemie mitunter „das Fragen als solches bereits als eine Form von Häresie betrachtet“ (Windeler).

Es gibt – innerhalb eines gewissen rechtsstaatlichen Korridors – natürlich mehrere vertretbare Alternativen zur deutschen Corona-Politik. Das zeigt bereits der kursorische Überblick von Ther über die Reaktionen unterschiedlicher Regierungssysteme auf die Pandemie. Man braucht jedoch gar nicht über den nationalen Tellerrand hinausschauen: In der praktisch (aber nicht symbolisch) bedeutungslosen Bundestagsdebatte am 29. Oktober 2020, die nach dem Entscheidungsgipfel der Regierungen von Bund und Ländern zum zweiten Lockdown stattfand, trugen die Oppositionsfraktionen zum Teil fast schon lehrbuchartig alternative Politikansätze entsprechend ihrer jeweiligen programmatischen Parteiausrichtungen vor.

Eine kommissarische Diktatur à la Carl Schmitt zur Bekämpfung der Ausbreitung von Covid-19 wurde vielleicht noch am ehesten von der chinesischem Regierung „mit ihrem orwellschen Überwachungsstaat“ (Ther) realisiert. Ihr gelang eine derart effektive Seucheneindämmung, dass eine zweite Welle in China bisher offenbar ausblieb. Vielleicht stellen manche daher nun erst recht die Überzeugung infrage, „es handele sich bei der liberalen Demokratie um das einzig legitime politische Ordnungsmodell“ (Tobias Bunde). Der Dezisionismus als unscharfer Glaube daran, „dass die Welt irgendwo dort oben aufgehängt ist an einem oder etwas, das entscheidet“ (Maximilian Steinbeis), wird durch die zentrale Rolle der Exekutive in Zeiten der Pandemiebekämpfung wohl eher gestärkt als geschwächt (vgl. auch Ther).

Einen radikalen Gegenentwurf hierzu vertritt Papst Franziskus in seiner Anfang Oktober 2020 erschienen Enzyklika „Fratelli Tutti“. Vor dem Hintergrund der „Zerbrechlichkeit der weltweiten Systeme angesichts der Pandemie“ kritisiert er ökonomische Marktgläubigkeit und das „Dogma des neoliberalen Credos“ (Rn. 168) und plädiert grundsätzlich für Dialog und Diskussion in pluralistischen Gesellschaften (Rn. 50, 211). Eine solidarische Politik solle insbesondere Arbeits- und Sozialrechte gewährleisten (Rn. 116) und in den internationalen Beziehungen „die unangefochtene Herrschaft des Rechtes“ sicherstellen (Rn. 173, 257). In dieser politischen Theologie scheint kein Platz zu sein für einen Staat, der im Ausnahmefall das Recht suspendiert (vgl. Schmitt 1996, 18).

Man kann Jorge Mario Bergoglio vorwerfen, dass er in dem von ihm theokratisch regierten Sozialsystem Forderungen seiner eigenen Enzyklika wie beispielsweise die Gleichstellung von Frauen (Rn. 121) nicht umsetzt. Orientierten sich allerdings Gläubige wie etwa die umstrittene „erzkatholische“ US Supreme Court-Richterin Amy Coney Barrett an dem Linkskatholizismus des Kirchenoberhaupts, hätte dies in Bereichen wie der Gesundheits-, Grundrechts-, Migrations- und Sozialpolitik möglicherweise Entscheidungen zur Folge, die bei manchen Libertären, Konservativen und Rechtspopulisten sowie Parteien mit „christlich“ im Namen zu Heulen und Zähneklappern führen würden.


2 Comments

  1. Alexandra Kemmerer Sun 8 Nov 2020 at 11:53 - Reply

    Der Begriff der Politischen Theologie ist, wie Bernd Wacker und Jürgen Manemann in ihrer Einführung zu einem facettenreichen Überblicksband zum Thema richtig betonen, “alles andere als eindeutig”. Natürlich lastet über allem der leidige Schatten des alten Plettenbergers – auch über den schillernden Wellenbewegungen dieses Beitrags, der am Ende mit seinen Überlegungen zu “Fratelli Tutti” aber plötzlich unvermittelt das Register wechselt, hin zu Anklängen an die “Neue Politische Theologie” des späten Johann Baptist Metz (ohne das freilich explizit zu machen). Die “Neue Politische Theologie” des 2019 verstorbenen Münsteraner Theologen will, inspiriert von der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule, “auch in pluralistischen Gesellschaften den bleibenden Anspruch der biblischen Gottesrede – etwa im Geist eines leidempfindlichen Monotheismus und einer theodizeesensiblen Christologie – zur Geltung bringen und eine vergessensgeleitete Öffentlichkeit mit der humanisierenden Kraft der memoria passionis konfrontieren” (Metz, Memoria Passionis. Ein provozierendes Gedächtnis in pluralistischer Gesellschaft, 2006, S. 256 f.). Spannend wäre es, diesen Ansatz im Kontext des Verfassungsblogs zu rezipieren und einmal gründlich zu diskutieren – der Autor bietet hier mit seinen Überlegungen zu den auf dialogische und solidarische Politik gerichteten Postulaten Jorge Mario Bergoglios in “Fratelli Tutti” interessante Ausgangspunkte. Und über Agamben, Benjamin etc. könnte man natürlich auch noch dies und das sagen. Vielleicht muss man aber auch einfach nicht gleich alle Begriffe aus den Pressekonferenzen des RKI zu “säkularisierten theologischen Begriffen” aufblasen – und das Tragen eines MNS zum quasireligiösen Ritual oder die Virolog*innen zur Priesterkaste (mit Frauen immerhin!). Solche Banalisierung hat die Theologie nicht verdient, und die Politische Theorie auch nicht

    • Sebastian Wolf Thu 12 Nov 2020 at 00:26 - Reply

      Vielen Dank für die klugen Anmerkungen und weiterführenden Gedanken! Zur Kritik der Banalisierung könnte man in Anlehnung an den alten Plettenberger ja sagen: Politische Theologie ist das, was der bestimmt, der sie betreibt. Das ist aber freilich wenig befriedigend (und wäre wohl mehr Religion als Theologie). Einerseits denke ich schon, dass es möglich sein sollte, quasi-sakralisierte außerreligiöse Phänomene zu identifizieren und unter dem Framing „Politische Theologie“ zu interpretieren; denn beispielsweise tragen Hohepriesterinnen und Hohepriester, deren Wahrheiten Politik und Recht beeinflussen, heute häufig keine liturgischen Gewänder mehr. Andererseits sollte man vermutlich in der Tat eine Unterschwelle des Profanen einziehen, weil entsprechende Analogien sonst zu fragwürdig oder schief werden…

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