16 September 2015

Radikaler Kosmopolitismus im Kanzleramt – eine Replik

Vorweg eine Klarstellung. Bei meiner Analyse der bisherigen deutschen Politik in der Flüchtlingsfrage geht es mir ausschließlich um politischen, nicht um ethischen Kosmopolitismus. Das Frappierende ist für mich ja gerade, dass die radikale Variante des ethischen Kosmopolitismus (Kyniker/Hippies) zur politisch-rechtlichen Doktrin in der Asylfrage erhoben wurde. Meiner Ansicht nach taugt aber nur die moderate Version (Stoiker/Kant) als politischer Kompass hierfür – sowohl in Theorie als auch Praxis.

Zweitens, Dana Schmalz entgegnet mir, Kants Weltbürgerrechtsidee sei eben radikal, genauso wie das Asylrecht. Ist Kant nun also doch kein moderater, sondern ein radikaler Kosmopolit, anders als von mir behauptet? Nein. Der Begriff des Weltbürgerrechts darf nur nicht überstrapaziert werden.

Ich rekapituliere kurz, worin wir uns einig sind. Das kosmopolitische Recht verpflichtet mich grundsätzlich nur dazu, Fremde, die an meiner Landesgrenze ankommen, nicht feindlich zu behandeln (Hospitalität). Generell hat aber niemand das Recht, sich gegen meinen Willen Zugang zu meinem Land zu verschaffen oder zu bleiben (territoriale Souveränität). Die einzige Ausnahme ist, wenn dem Fremden im Falle der Abweisung der „Untergang“ droht, worunter Verderben oder Tod zu verstehen ist) (Asyl, Non-refoulement).

Worin wir nun wahrscheinlich uneins sind, ist die Anwendung insbesondere des letzten Grundsatzes. Ich spreche hier, nur um Missverständnisse zu vermeiden, ausschließlich vom Aufenthaltsrecht gemäß Kants Rechtslehre (de iure naturae), nicht nach dem positiven Recht (de iure positivo). Ich vermag nicht zu sagen, wie vielen derer, die zuletzt aus Asien und Afrika gekommen sind und – zusätzlich befeuert vom radikalen politischen Kosmopolitismus der deutschen Regierung, den sie via Internet live mitverfolgen – noch kommen werden, Aufenthalt zu gewähren ist. Das bliebe einer Einzelfallprüfung vorbehalten. Ich habe jedoch Zweifel, dass es sehr viele sein dürften. Denn wer zuvor in Sicherheit war, und sei es ein Flüchtlingslager des UNHCR, oder dorthin zurück könnte, dem droht im Falle der Abweisung nicht der „Untergang“. Dass wir dem UNHCR schleunigst so viel Geld wie möglich zur Verfügung stellen sollten, steht auf einem anderen Blatt.

Drittens, lassen sich die Grenzen von Kants Weltbürgerrecht vor dem Hintergrund seines rechtsphilosophischen Gesamtsystems darstellen. Hier sei vor allem das Staatsrecht erwähnt. Das Recht eines Volkes, sich zu einem Staat – idealerweise einer Republik – zusammenzuschließen und zu erhalten, hat für Kant einen herausragenden Stellenwert. Denn im republikanischen Staat wird durch Macht und Gesetz die Freiheit und Gleichheit der Staatsbürger erst gesichert. An einer Stelle schreibt er, die erste Pflicht der Staatsbürger ist es, die Staatsordnung zu erhalten. Er lehnt ja berühmterweise auch ein Revolutionsrecht ab. Ich will damit nur verdeutlichen, wie wichtig für Kant die Errichtung und Erhaltung einer einmal errichteten Ordnung ist, was natürlich für die Staats-, Völker- und Weltbürgerrechtsordnung gleichermaßen gilt.

Auf das kosmopolitische Aufenthaltsrecht übertragen bedeutet dies meiner Ansicht nach, dass jedenfalls dort Grenzen gesetzt sind, wo eine staatliche oder internationale Ordnung in Gefahr gerät. Wann dies der Fall ist, müsste wiederum für den konkreten Einzelfall geklärt werden. Auf der Kommunalkonferenz der SPD-Bundestagsfraktion wurde gestern aus den deutschen Kommunen über die aktuelle Lage berichtet. Aus München kam, wie zu erwarten, die eindrücklichste Schilderung, darin fielen unter anderem die Stichworte “Katastrophenfall ausrufen” und “für die Sicherheit nicht mehr garantieren”. Ich finde jedenfalls, unsere Alarmglocken sollten langsam angehen, wenn sie es noch nicht sind.

Wie es um die europäische Geschlossenheit in dieser Frage steht, kann jeder den Medien entnehmen. Dass die Europäische Union daran zerbrechen könnte, daran will ich lieber nicht denken. So viel ist sicher: Dem Asylrecht wäre damit sicher nicht gedient.

Ich bleibe dabei, eine Verabsolutierung des Asylrechts ist falsch. Pro Asyl oder die Opposition darf so eine Position vertreten. Die Bundesregierung aber handelt unverantwortlich nach innen und außen, wenn sie nicht auf die Voraussetzungen und Grenzen dieses Rechts hinweist. Ohne einen funktionierenden Staat und eine intakte Gesellschaft gibt es überhaupt kein Asylrecht für niemanden.


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