„Rasse“ im Parlamentarischen Rat und die Dynamik der Gleichheitsidee seit 1776 (Teil I)
Es gibt keine „Rassen“ im biologischen Sinn. Die Art Homo Sapiens hat keine Unterarten (vgl. nur hier und hier). Rasse bleibt aber wichtig, weil und solange sie als gesellschaftliche Zuschreibung weiter die Wirklichkeit prägt. Der Begriff der Rasse im Grundgesetz wird längst und zu Recht in diesem Sinn verstanden. Ihn zu streichen, ist deshalb nicht nur entbehrlich, sondern riskiert, den verfassungsrechtlichen Diskriminierungsschutz zu schwächen, statt ihn zu stärken (vgl. auch Katharina Mangold sowie Cengiz Barskanmaz/Nahed Samour). Das soll in diesem fünfteiligen Beitrag näher begründet werden, dessen weitere Teile in den nächsten Tagen erscheinen werden (vgl. dann die Teile II, III, IV und V).
1. George Floyd starb am 25. Mai 2020, nachdem ein Polizist ihm fast acht qualvolle Minuten lang mit dem Knie im Nacken die Luft abschnürte (vgl. zu „neck-restraints“ näher hier). Seine grausame Tötung (vgl. die offizielle Autopsie, die von „homicide“ spricht) löste weltweit Demonstrationen der Solidarität mit der Black-Lives-Matter-Bewegung aus, die seit Jahren auf strukturelle Ursachen für das überproportional hohe Risiko von Menschen schwarzer Hautfarbe aufmerksam macht, von der Polizei getötet zu werden.
Allein in den Vereinigten Staaten von Amerika demonstrierten, im Rahmen der möglicherweise größten Proteste in der Geschichte des Landes, bis zu 26 Millionen Menschen gegen den historisch tief verwurzelten Rassismus.
2. Was hat das mit Deutschland zu tun? Hat das Grundgesetz hier nicht schon 1949 gründliche Lehren aus den rassistischen und antisemitischen Menschheitsverbrechen der nationalsozialistischen Zeit gezogen, zu einem Zeitpunkt also, als in den Vereinigten Staaten die gesellschaftliche „Rassensegregation“, etwa in den Schulen, noch vom Supreme Court als „separate but equal“ und deshalb mit der Equal-Protection-Clause des 14th Amendment vereinbar angesehen wurde?
Die Geschichte des Begriffs der „Rasse“ im Parlamentarischen Rat ist weitaus enger mit den Vereinigten Staaten und dem dortigen Rassismus verknüpft, als das allgemein bekannt ist. Sie führt in die historischen Untiefen beider Länder. Sie offenbart tiefsitzende rassistische Vorurteile im Parlamentarischen Rat – ebenso aber auch den Willen der verfassungsgebenden Gewalt, an die geschichtliche Dynamik der Gleichheitsidee anzuknüpfen und solche Vorurteile zu überwinden.
Ich werde das in diesen fünf Blogposts versuchen zu zeigen und dafür einen historischen Überblick mit Stationen bis zurück zur amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 unternehmen – bevor ich dann am Schluss auf die Diskussion über eine Streichung des Begriff der „Rasse“ aus dem Grundgesetz zurückkomme.
In diesem ersten Teil werde ich allerdings schockierende rassistische Äußerungen Hermann v. Mangoldts im Parlamentarischen Rat von 1948 dokumentieren. Im zweiten Teil folgen – noch schlimmere – Aussagen von ihm aus den Jahren 1938 und 1939.
Warum aus meiner Sicht trotzdem eine Streichung des Rassebegriffs mehr schaden als nützen würde, will ich dann gerade auch im Verlauf der weiteren Teile begründen. Wohlwollende Lesende bitte ich deshalb, völlig unzeitgemäß, sich für ein abschließendes Urteil fünf Tage Zeit zu lassen.
3. Ich will im Folgenden vor allem zeigen, dass die dynamische Weiterentwicklung des Rassebegriffs und der Gleichheitsrechte gerade dem Willen der verfassungsgebenden Gewalt entspricht. Sie nimmt gezielt eine Dynamik auf, auf die auch menschenrechtliche Gleichheitsidee von Anfang an ausgerichtet war.
Die Vergangenheit ist zwar ein fremdes Land, dessen Sprache wir übersetzen müssen (vgl. Gienapp). Ich denke jedoch, dass eine solche Übersetzung nicht unmöglich ist. Das Gleichheitsideal, das dem Antidiskriminierungsrecht zugrunde liegt, kann beanspruchen, in einer Kontinuität zur neuzeitlichen Menschenrechtsidee des 18. Jahrhunderts zu stehen. Wenn wir es auf neue Weise konkretisieren und neue Gruppen davor schützen, diskriminiert zu werden, verwirklichen wir nicht einen neuen Wert, sondern einen alten.
Für diese Thesen greife ich auf meine Habilitationsschrift zurück (vgl. hier, bes. S. 307-365; für den grundrechtstheoretischen Kontext und weitere Fallstudien siehe auch die weiteren Bände der Arbeit hier und hier). Für die geschichtlichen Entwicklungen und ihr Verhältnis zum Antidiskriminierungsrecht seien aus dem deutschsprachigen Schrifttum besonders die Habilitationsschriften von Katharina Mangold und Michael Grünberger empfohlen, aus dem englischsprachigen Schrifttum für einen ersten Zugriff die beeindruckende Geschichte der Vereinigten Staaten von Jill Lepore, gerade auch als von der Autorin selbst vorgelesenes Hörbuch.
4. Der Begriff der „Rasse“ wird im Grundgesetz (Art. 3 III 1) schon lange und zu Recht als auf wirkliche oder vermeintliche biologische Unterschiede bezogen, so dass er die Erkenntnis, dass es Menschenrassen im biologischen Sinn nicht gibt, ohne weiteres abbilden kann. Er meint nach jetzigem Erkenntnisstand Gruppen, die lediglich durch, zumeist an äußere phänotypische Merkmale anknüpfende, soziale Zuschreibungen erzeugt werden. Man kann insoweit von Rasse als einem Zuschreibungsbegriff sprechen, der trotz fehlender biologischer Grundlage weiterhin faktisch wirksam bleibt.
Mit diesem Sinn transportiert das Wort zugleich dreierlei: den früheren Irrtum, die heutige bessere Einsicht – und die Entwicklung dorthin. Man könnte das durch Anführungszeichen klarstellen. Den Begriff aus dem Grundgesetz zu streichen und zum Beispiel eine Formulierung mit dem Begriff „rassistisch“ an seine Stelle zu setzen, riskiert hingegen, den verfassungsrechtlichen Diskriminierungsschutz eher zu schwächen als ihn zu stärken.
Wenn ich deshalb hier und im Folgenden dafür argumentiere, den Begriff der „Rasse“ in der Verfassung zu belassen, dann nicht etwa, um damit ein überholtes Sprachdenkmal zu erhalten. In seinem früheren, biologischen Sinn verstanden verdient der Begriff einen Denkmalssturz vollauf.
Nein, es geht mir darum, dass eine „rassenblinde“ Verfassung womöglich eben nicht nur diesen alten Irrtum streicht, sondern zugleich auch die neue bessere Einsicht weniger wirksam aufbewahrt, dass „Rasse“ als soziale Zuschreibung mit ihrer langen, bitteren Geschichte auch weiterhin täglich wirksame Folgen hat. Eine andere Formulierung würde weniger präzise, mit verringerter historischer Tiefenschärfe, beschreiben, wogegen sich das Verbot der Diskriminierung wegen der Rasse genau richtet.
Geschichte ist nicht Vergangenheit, sondern Gegenwart, hat James Baldwin gesagt. „Wir“ – wir Menschen, aber gerade auch „wir Deutschen“ – tragen unsere Geschichte mit uns. Solange wir einer Gesellschaft nicht wesentlich näher kommen, in der „Rasse“ tatsächlich keine Rolle mehr spielt, ist es zu früh, den Begriff aufs Altenteil zu schicken.
5. Die Entstehung des Gleichheitssatzes im Parlamentarischen Rat – und ihre Verbindung zur Geschichte der Rassendiskriminierung in den Vereinigten Staaten – habe ich in dem schon erwähnten Band zum „Menschenwürdegehalt der Grundrechte“ näher untersucht (hier, S. 307-365).
Eine Kernthese dieser Untersuchung ist es, dass zum Menschenwürdekern aller Freiheitsgrundrechte nach dem Willen der verfassungsgebenden Gewalt auch ein Mindeststandard der Gleichheit gehören sollte, der das jeweilige Freiheitsrecht vor schwerwiegend diskriminierenden Beschränkungen schützt.
Wenn zum Beispiel nur den Angehörigen einer bestimmten „Rasse“ oder Religion die Schulfreiheit oder die Petitionsfreiheit vollständig entzogen wird, dann verletzt das nicht nur Art. 3 III 1 GG, sondern zugleich den Menschenwürdegehalt der Grundrechte der Schulfreiheit (Art. 7 IV GG) oder der Petitionsfreiheit (Art. 17 GG).
Hermann v. Mangoldt, der Vorsitzende des Ausschusses für Grundsatzfragen des Parlamentarischen Rates, kam in den Beratungen dieses Ausschusses mehrfach auf die Vorstellung eines menschenrechtlichen Mindeststandards gleicher Freiheit zu sprechen. Er war es außerdem auch, der mehrfach die Dynamik und Beweglichkeit der Grundrechte, ihre Entwicklungsfähigkeit gerade auch in der späteren Rechtsprechung betonte (vgl. nur hier, S. 64, 594, 601, 603). Er sprach damit nicht nur für sich, sondern, wie ich glaube zeigen zu können, für den Grundsatzausschuss und die verfassungsgebende Gewalt insgesamt (vgl. zusammenfassend hier, S. 405 f. mit den dortigen w.Nw.).
6. Die verfassungsgebende Gewalt des Grundgesetzes wollte also eine dynamische Weiterentwicklung der Grundrechte. In einem solchen Fall schließen Dynamik und historische Auslegung einander richtigerweise nicht aus (vgl. dazu etwa auch Reimer, Rn. 303: „wenn der Gesetzgeber eine mitwachsende Norm schaffen wollte“, wovon „regelmäßig auszugehen“ sei; Sauer, hier, § 9 Rn. 31: Gesetzgeber kann „eine spezifische Wandelbarkeit des Rechtssatzes gerade gewollt“ haben).
Die subjektiv-historische Auslegung führt deshalb jedenfalls unter dem Grundgesetz zu einem „Living Originalism“ (vgl. für diesen Begriff mit Blick auf die U.S.-Verfassung: Balkin; für das Grundgesetz: hier, S. 6-9, 99 ff.). Dieser dynamische Diskriminierungsschutz der Verfassung schließt, wie heute richtigerweise weithin anerkannt, etwa auch eine gleiche Anerkennung der „Ehe für alle“ (vgl. dazu hier und hier) sowie allgemeiner der LGBTQ-Gleichheit (vgl. hier) mit ein.
7. Wie kann es aber der Wille der verfassungsgebenden Gewalt von 1949 gewesen sein, LGBTQ-Personen vor Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung oder der geschlechtlichen Identität zu schützen – zu einer Zeit also, in der gleichgeschlechtliche Beziehungen unter Männern strafbar waren und die Existenz von mehr als zwei Geschlechtern für die viele noch undenkbar war?
Die Geschichte des Gleichheitssatzes – gerade auch der Rassendiskriminierung – zeigt anschaulich, dass Menschen zugleich zutiefst Widersprüchliches wollen und denken können: Sie können sich zum allgemeinen Gleichheitsgedanken bekennen wollen, aber zugleich denken, dass dieser allgemeine Gedanke auf bestimmte Gruppen oder in bestimmten Hinsichten „natürlich“ keine Anwendung finde.
Bei der entstehungsgeschichtlichen Auslegung ist stets sorgfältig zwischen allgemeineren und konkreteren Anwendungserwartungen zu unterscheiden. Wenn eine verfassungsgebende oder gesetzgebende Gewalt für die von ihr gesetzten Normen gleichzeitig allgemeinere und konkretere Anwendungserwartungen hat, muss es darauf ankommen, auf welcher Stufe der Allgemeinheit sie ihre Festsetzungen treffen will: Will sie auch ihre konkreteren Anwendungsvorstellungen („original expected applications“) für verbindlich erklären – oder nur ihre generelleren Anwendungsvorstellungen normieren, die konkrete Anwendung aber entwicklungsoffen halten? Weite Formulierungen sprechen zunächst einmal dafür, dass sie allgemeinere Grundsätze, und nicht ihre konkreteren Anwendungsvorstellungen für verbindlich erklären will.
Für das Grundgesetz war eine Kombination von beidem gewollt: Die Grundrechte sollten im Sinne eines „Nie wieder“ ein konkretes historisches Minimum als unhintergehbar („unantastbar“) sichern, abgesehen davon aber eine dynamische Weiterentwicklung der allgemeinere Grundsätze ermöglichen (vgl. nochmals hier, S. 405 f.).
Dass eine allgemein gefasste Norm auch unerwartete Anwendungsfälle („unexpected applications“) erfassen kann, hat auch der U.S. Supreme Court gerade zu Recht anerkannt: Nach seinem Bostock-Urteil zur LGBTQ-Gleichheit am Arbeitsplatz vom 15. Juni 2020 schließt das Verbot der Geschlechterdiskriminierung aus Title VII des Civil Rights Act von 1964 schon in seiner ursprünglichen öffentlichen Textbedeutung („original public meaning“) auch das Verbot vor Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung oder der geschlechtlichen Identität ein (vgl. dazu näher hier).
Wir sollten den Vorstellungshorizont früherer Zeiten nicht unterschätzen: Die historischen Akteure wussten teils nur zu gut Bescheid über die Entwicklungsfähigkeit und Entwicklungsbedürftigkeit der Idee freier Gleichheit.
„Nur sagen kann man es nicht“: ‚Zigeuner‘ und der Schutz der ‚nordischen Rasse‘ vor ‚Überfremdung‘im Parlamentarischen Rat
8. Was waren aber nun die konkreteren Vorstellungen zu „Rassen“ und den Unterschieden zwischen ihnen im Parlamentarischen Rat? Wir sind dafür, jedenfalls im Falle v. Mangoldts, nicht auf Spekulationen angewiesen. Seine Auffassungen kommen in den Beratungsprotokollen brutal deutlich zum Ausdruck, und zwar in dem folgenden Austausch mit Luwig Bergsträsser:
„Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Wenn man sagt: Alle Menschen sind gleich, so zeigt sich eben, daß sie praktisch nicht vollkommen gleich sind, sondern daß es gewisse Dinge gibt, die auf Grund der bei den Menschen nun einmal naturgegebenen Nuancierungen zu einer anderen Regelung führen müssen. Zum Beispiel könnte der Zigeuner, der herumwandert gewissen gesetzlichen Sonderregelungen unterliegen. In Staaten wie den Vereinigten Staaten wird die Vorherrschaft einer Rasse praktisch niemals zugegeben. Man wird dort auf der einen Seite von dem Gedankengut der französischen Revolution so beherrscht, daß man nach außen immer wieder sagt: völlige Gleichheit. Aber im Grunde genommen schwebt über dem ganzen Recht der Vereinigten Staaten doch der Gedanke: Wir können und werden es niemals zulassen, daß wir von einer fremden Rasse überfremdet werden. Das betrifft nicht nur die schwarze Rasse, sondern in der Gesetzgebung über die Einwanderung wird gesagt: Wir müssen das Übergewicht der nordischen Rasse in den Vereinigten Staaten erhalten.
Dr. Bergsträsser: Es ist vielleicht mehr das Übergewicht des abendländischen Kulturkreises, – ein mir nicht ganz sympathisches Wort. So ungefähr ist es doch.
Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Praktisch steht man vor einer Schwierigkeit. Der Gesetzgeber kann sich praktisch einer solchen Verpflichtung gar nicht entziehen, nur sagen kann man es nicht.“
(vgl. hier, S. 741, Hervorh. teilw. geändert).
Diese Aussagen v. Mangoldts verschlagen aus heutiger Perspektive geradezu den Atem: Es sollten Gesetze mit dem Gleichheitssatz vereinbar sein, die sich gegen das ‚Herumwandern‘ von ‚Zigeunern‘ oder gegen eine ‚rassische‘ Überfremdung richten, so wie auch in den Vereinigten Staaten das Einwanderungsrecht darauf gerichtet sei, ‚das Übergewicht der nordischen Rasse‘ zu erhalten?
Von Mangoldt formulierte diese konkreteren Anwendungsvorstellungen für sein Konzept eines Mindeststandards der Gleichheit, dass der Ausschuss für Grundsatzfragen in dieser Sitzung vom 30. November 1948 in die folgende Formulierung des Gleichheitssatzes fasste:
„Das Gesetz muß Gleiches gleich, es kann Verschiedenes nach seiner Eigenart behandeln. Jedoch dürfen die Grundrechte nicht angetastet werden.“
9. Sollte das Konzept v. Mangoldts also rassistische Diskriminierungen rechtfertigen? Ludwig Bergsträsser formulierte diese Frage, die v. Mangoldts Aussagen ja unmittelbar aufwerfen mussten, nur wenig später recht direkt. Thomas Dehler verneinte sie allerdings, indem er auf das Verbot der Benachteiligung wegen der Rasse verwies, und v. Mangoldt bekräftigte das, indem er betonte, dass gerade aus diesem Grunde an seinem Kriterium des Mindeststandards der Gleichheit („Jedoch dürfen die Grundrechte nicht angetastet werden.“) festzuhalten sei:
„Dr. Bergsträsser: Kann der Gesetzgeber daraus nicht folgern, daß zum Beispiel ein Kind, das von einem Neger und einer Deutschen stammt, verschiedenartig sei?
Dr. Dehler: Das ist die Ausnahme, daß niemand wegen seiner Rasse benachteiligt werden darf.
Vors. [Dr. v. Mangoldt]: Gerade aus diesem Grunde müssen wir unter allen Umständen diesen ‚minimum standard of free society‘ festhalten. Dieser ‚minimum standard‘ liegt in den Grundrechten. Ich würde sagen: absolutes Verbot der ungleichen Behandlung hinsichtlich der Grundrechte. […]“
(hier, S. 744).
Auch in seinem späteren Schriftlichen Bericht über die Grundrechte an das Plenum des Parlamentarischen Rates betonte v. Mangoldt, dass seine Fassung „[j]ede Gefahr“ verhindere, dass „eine Diskriminierung etwa aus rassischen Gründen erfolgen konnte“ (Parlamentarischer Rat [Hrsg.], Schriftlicher Bericht zum Entwurf des Grundgesetzes, S. 5 [8 l.Sp.]).
Mit seinen vorangegangenen Ausführungen zu Gesetzen gegen ‚Zigeuner‘ und ‚rassische Überfremdung‘ scheint das kaum zusammen gehen zu können. Hätte danach die Antwort auf Bergsträssers Frage nicht vielmehr eindeutig „ja“ lauten müssen? Von Mangoldt zog diese Konsequenz jedoch nicht und beteuerte stattdessen, eine Benachteiligung wegen der Rasse bleibe nach seinem Konzept des Mindeststandards („minimum standard of free society“) gerade ausgeschlossen.
Was ist aber mit den krassen, rassistischen Aussagen v. Mangoldts? Welche Vorstellungen standen dahinter und wie sollen sie trotzdem noch mit einer dynamischen Deutung der Gleichheitsidee vereinbar sein ?
Für die Antwort darauf wird zunächst näher auf v. Mangoldts Vorstellungen zum „Rassenrecht“ einzugehen sein, wie er sie in einer Schrift von 1938 und einem Aufsatz von 1939 entwickelt hat – was mitten hineinführt in die Abgründe der deutschen Geschichte und der Rolle der Rechtswissenschaft in ihr (vgl. für Teil II ab morgen hier). Seine Aussagen im Parlamentarischen Rat sind bei weitem noch nicht die schlimmsten von ihm stammenden. Was aus alledem für die Diskussion um den Rassebegriff im Grundgesetz zu folgern ist, soll dann, wie gesagt, gerade auch in den weiteren Teilen dieses Beitrags im Laufe der nächsten Tage näher begründet werden (vgl. dann die Teile III, IV und V). Stay tuned.
Mit Streichung meine ich hier auch Vorschläge, die den Begriff streichen und ersetzen wollen …, vgl. näher https://staging.verfassungsblog.de/rasse-im-parlamentarischen-rat-v/.
Dafür, dass ein Verbot “rassistischer” Diskriminierung eine “Schwächung des Diskriminierungsschutzes” bedeuten würde, finde ich dort als (m.E. einziges schlüssiges) Argument: Derartigen Formulierungen könnten “zusätzliche subjektivierende oder unmittelbare Wirkungen verlangende Anforderungen entnommen werden”. Das wäre in der Tat ein Rückschritt. Aber ließe sich das nicht relativ leicht durch eine entsprechende Begründung der Verfassungsänderung vermeiden?
Was mir übrigens bislang insgesamt viel zu wenig beleuchtet zu werden scheint, ist die symbolische Bedeutung des Verfassungstextes, zumal an derart zentraler Stelle im Grundrechtskatalog, für die Gesellschaft jenseits der Juristerei. Anders als Antidikriminierungsgesetze oder gar völkerrechtliche Abkommen ist doch das Grundgesetz ein Rechtstext, in dem auch viele Nichtjurist*innen gelegentlich lesen, schon in der Schule. Warum soll es komplett irrelevant sein, dass ihnen die derzeitige Formulierung von Art. 3 Abs. 3 GG nahelegt, Menschenrassen existierten (sie dürften bloß nicht zum Anknüpfungspunkt von Diskriminierungen werden)?
Ich bezweifele (auch wenn ich mir das als Befürworter subjektiv-historischer Auslegung anders wünschen würde), dass eine Gesetzesbegründung “relativ leicht” zu einer entsprechenden Auslegung führen würde.
(Das Argument einer möglichen engeren Auslegung sehe ich als mit den historischen Überlegungen verbunden: Diskriminierung wegen der “Rasse” ist präzise das, was historisch geschehen ist und der dynamisch ausgelegte Begriff ist m.E. wegen dieser historischen “Anseilung” vor Verzerrungen – jdf. derzeit – sicherer. Aber, wie in Teil V gesagt: Es bleibt auch so verstanden ein unheilvoller Begriff, und auch die Argumente für seine Ersetzung sind stark – “insbesondere, dass er, trotz aller Weiterentwicklung, womöglich doch zu einer sprachlichen Perpetuierung auch des verfehlten biologischen Rassebegriffs mit beitragen könnte”: “Was aber, wenn dieses Zeichen dann am Ende dem verfassungsrechtlichen Schutz vor Diskriminierung doch mehr schadet als nützt?”)