16 January 2012

Dieter Simon über das Argumentieren der Juristen und die schöne Zukunft des Rechts: Recht als Rhetorik – Rhetorik als Recht

Dieter Simon, nach eigener Auskunft “Rentner, einst Professor der alten  Rechte in Frankfurt und Berlin und Wissenschaftsfunktionär, Byzantinist und Rhetoriker, Pfälzer, Mitherausgeber von Myops, Rechtstheoretiker ehrenhalber an der HU Berlin”, sprach vergangenen Montag im Berliner Seminar Recht im Kontext in der Villa Jaffé des Wissenschaftskollegs über die Rede der Juristen und die immer wieder versteckte und verleugnete “Urverwandtschaft” von Recht und Rhetorik. Die Geschichte begann – nach kurzen Ausflügen an die juristischen Fakultäten von München und Münster – in der Antike. Sie versöhnte mit Relationstechnik und Methodenlehre, und sogar mit den Griechen. Das Ganze endete mit einem Ausblick, der in seiner von jahresendzeitlicher Milde abgetönten Ironie hoffnungsvoll in die Zukunft des Rechts schauen liess:

Die anhaltende Trennung zweier Wissenskulturen, so lautet jetzt die endlich abschließende Prognose, wird mit ihrer offiziellen Vermählung enden. Eine erneute Heirat, von der alle Seiten profitieren.

Der Widerstand der Juristen gegen die Gleichsetzung von Rechtskunst und Redekunst wird zusammenbrechen. Sie werden ihre Argumentationstechniken als Rhetorik akzeptieren und Form, Stil und Ästhetik wieder zu Ehren bringen.

Natürlich war es einfacher sich obrigkeitlich hinter dem Gesetz zu verstecken und bedauernd zu verkünden, daß man an dieses gebunden sei. Es ist wesentlich schwerer, aber auch demokratischer, nicht nur die Brücken vom Ereignis zum interpretierten Gesetz und vom generellen Gesetz zum formierten Fall, sondern auch die Gründe, warum die Norm gerade so und der Sachverhalt nicht anders aufgefasst wurden, argumentativ und nicht nur unter Berufung auf „Erkenntnisse“ und einen unsichtbaren Gesetzgeber plausibel zu machen.

Wenn das Machtwort, mit dem eine Verfassungsmäßigkeit oder eine Verfassungswidrigkeit festgestellt werden, sich als Macht des Wortes und weiter nichts enthüllt, dann schmilzt das Regiment der Normen und die Freiheit des Bürgers wächst mit der Kraft seiner Argumente. Der „Rechtsunterworfene“, wie er hier und da immer noch gern zitiert wird, erwartet nicht mehr, angewiesen oder verpflichtet zu werden, sondern will überzeugt sein. Und erlaubt sich eine Gegenrede.

Die Einheit des Rechts und das Rechtssystem, zu substanzlosen Schlagworten erstarrte Ideen der Vergangenheit, werden sich rednerisch Glaubwürdigkeit neu erobern müssen oder untergehen.

Recht wird schwerer werden, aber auch schöner, weil ehrlicher und – wenn es denn in ferner Zukunft weitgehend auf dem zwanglosen Zwang der besseren Argumente ruht – überzeugender und deshalb gerechter.

Nachlesen kann man das von Dieter Simon gezündete intellektuelle Feuerwerk, mit dessen Rezeption der Redner selbst offenkundig so zufrieden war wie die Gastgeber, auf dem Mops-Block, der dem geneigten Publikum bei dieser Gelegenheit gleich wärmstens ans Herz gelegt werden soll. Er “enthält Gelesenes, Gehörtes, Gesehenes aus Orten, an denen mit Recht oder vom Recht gehandelt wird: Universität, Theater, Akademie, Kino, Literatur, Gericht, Verwaltung, Presse, Parlament etc. Notiert wird das Flüchtige am Rechtsgeschäft, Flurgeflüster, Kantinengespräche, Marginales, Banales, Nichtgrundsätzliches, Ein- und Zugefallenes – Tagebuch und Meinung der Blocker.” Geschrieben wird in diesem Kollektivtagebuch eines seit je publizistisch umtriebigen akademischen Lehrers und seiner nun zum “Blocken” verführten Schüler von Benjamin Lahusen, Rainer Maria Kiesow, Regina Ogorek  – und Dieter Simon höchstselbst. Was den Block vom Blog unterscheidet: Mitlesen ist erlaubt, Kommentieren aber nicht möglich. Die Verfassungsblogger gucken da nun trotzdem öfter mal drauf.

Für heute aber werfen wir erstmal unser Seil aus und kapern für unsere Leser das Manuskript von Dieter Simons Vortrag “Recht als Rhetorik – Rhetorik als Recht”. Ein schönes Stück “kreativ zersetzende” Rechtswissenschaft, die belehrt und bezaubert.

 

Foto: dvallejosanz flickr Creative Commons


2 Comments

  1. Thomas Flint Wed 18 Jan 2012 at 06:44 - Reply

    Danke für den Hinweis auf diesen Text von Dieter Simon! Eine Zustimmung zu seiner These, dass Rechtskunst im Kern eine Redekunst (geblieben) ist, macht es mir leichter, den bislang oft schmerzlich empfundenen Mangel an Rechtsdogmatik zu verkraften. Argumente für eine überzeugende Rede lassen sich wohl auch aus anderen Quellen schöpfen.

  2. Redenschreiber Mon 8 Jul 2013 at 09:53 - Reply

    Wenn wir keine schlechten Menschen hätten, hätten wir auch keine guten Juristen.“
    Charles Dickens

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