07 June 2012

Reflexive Disziplinarität und (Kartell-)Recht im Kontext

Er habe sich doch gefragt, wie dieses Thema zu Recht im Kontext passe. Nachdem wir gestern abend in größerer Runde mit zwei scharfsinnigen amerikanischen Richtern zu Tisch gesessen und lange über anwaltliches Standesrecht, Guantánamo vor zivilen Gerichten und die segensreiche Tradition der pro bono-Tätigkeiten amerikanischer Kanzleien diskutiert hatten, gestand mir ein renommierter Europarechtler sein Erstaunen über die Themen- und Referentenwahl des jüngsten Berliner Seminars Recht im Kontext im Wissenschaftskolleg (das er leider wegen kollidierender Seminarpflichten hatte verpassen müssen).

Am Montag hatte der Rechtsanwalt, Kartellrechtsexperte und Blogger Johannes Zöttl im Berliner Seminar über “Missbrauch von Marktmacht oder Missbrauch des Kartellrechts?” referiert, und es ergab sich, moderiert von Moritz Renner, eine spannende Diskussion, die grundlegende Fragen zum Verhältnis von Markt und Staat aufwarf und im lebhaften Wortwechsel die Grenzen zwischen Öffentlichem und Privatem, Recht und Ökonomie überwand. Buchstäbliches Recht im Kontext also, eine Begegnung von Wissenschaft und Praxis, Recht und Nachbarwissenschaften und nicht zuletzt ein fröhlich-konfrontativer Dialog des Rechts mit der ihm oft so fremden Ökonomie.

Auch der Referent Johannes Zöttl ist, wie er in seinem Kartellblog bekennt, nachdenklicher nach Hause gefahren:

Eine spannende Veranstaltung, in deren Verlauf mir wieder klar wurde, wie viele Vorannahmen wir im Kartellrecht mit uns spazierentragen. In Veranstaltungen wie dieser treten sie unweigerlich ans Licht, und das ist gut so.

Finde ich auch.


4 Comments

  1. Johannes Zöttl Thu 7 Jun 2012 at 08:20 - Reply

    Danke für die Gelegenheit zum Vortrag. Hat Spass gemacht. Worüber hat sich der “renommierte Europarechtler” denn gewundert?

  2. Aufmerksamer Leser Thu 7 Jun 2012 at 12:48 - Reply

    @Zöttl: “über die Themen- und Referentenwahl”

  3. Alexandra Kemmerer Thu 7 Jun 2012 at 13:16 - Reply

    Gewundert hat er sich wohl, denke ich, über die Wahl eines Praktikers und eines wirtschaftsrechtlichen Themas. Aber ich muss kleinlaut gestehen, dass es sich bei dieser Vermutung um eine unausgeleuchtete Vorannahme meinerseits handelt. Statt genau nachzufragen, bin ich gleich in die Defensive gegangen und habe von der spannenden Diskussion des Abends erzählt.
    Etwas ungeschickt und nicht sehr reflektiert, denn natürlich wird man so nicht schlauer. Aber ich hatte gestern schon den ganzen Tag lang verschiedenen Gesprächspartnern erläutert, was es mit der “genuin juristischen Perspektive” von “Recht im Kontext” auf sich hat und warum wir nicht nur eine Stärkung disziplinenverbindender Rechtsforschung forcieren, sondern auch ein lebendigeres Gespräch zwischen Wissenschaft und Praxis. Zu allem Unglück hatte ich dann nachmittags noch im Vorwort des sonst sehr schönen “Jahrbuch Junge Rechtsgeschichte” (Bd. 6, München 2011)in einem Fehlzitat lesen müssen, dass wir im Berliner Forschungsverbund das Recht von ebendieser Perspektive “befreien” und es so mit den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften ins Gespräch bringen wollten. Dieses Gespräch wollen wir natürlich, liebe junge Rechtshistoriker – aber eben aus jener genuin juristischen Perspektive, die immer im Blick hat, dass das Recht nicht nur eine Wissenschaft ist, sondern auch ein Handwerk. Gerade Europarechtler wissen das natürlich sehr genau, darum war ich wohl gestern etwas streng mit meinem Gesprächspartner. Aber Europarechtler wissen natürlich auch, dass man manchmal die Gelegenheit beim Schopf packen muss, um dem eigenen Argument ein Forum zu schaffen.

  4. AX Thu 7 Jun 2012 at 13:58 - Reply

    Den Kartellrechtler erstaunt das Erstaunen über die Themenwahl. Immerhin dürfte es kaum ein anderes Rechtsgebiet geben, dass derart kontextgeprägt ist. Speziell die Überprüfbarkeit der Angemessenheit von Preisen und sein Verhältnis zum Regulierungsrecht beschäftigt das Kartellrecht seit über hundert Jahren: U. S. Supreme Court, United States v. Trans-Missouri Freight Ass’n, 166 U.S. 290 (1897).

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