Sächsische Verfassungsschutz-Wirrungen
In der vergangenen Woche wurde der Leiter des Sächsischen Verfassungsschutzes Gordian Meyer-Plath von seinen Aufgaben entbunden und in die Kultusverwaltung versetzt. Was als ein beamtenrechtliches Revirement erscheinen könnte, erweist sich bei näherem Hinsehen als handfester Skandal. Der Freistaat Sachsen will und kann offensichtlich nicht zugeben, neben Orten wie Dortmund, Nordhessen und Mecklenburg-Vorpommern seit Jahren eines der Zentren des Rechtsextremismus in Deutschland zu sein. Anlass für die Versetzung soll laut Pressemeldungen gewesen sein, dass Meyer-Plath sich weigerte, einer Anweisung des sächsischen Innenministerium nachzukommen: Dieses hatte angeordnet, Daten über AfD-Abgeordnete zu löschen. Keine Informationen über AfD-Mandatsträger mehr zu speichern, ist ein sächsischer Alleingang, keine Verfassungsschutzbehörde auf Bundes- oder Landesebene hat sich dem angeschlossen. Die dazu gehörende Rechtsauffassung wird von praktisch niemandem geteilt. Selbstverständlich unterliegt die nachrichtendienstliche Beobachtung von Abgeordneten des Bundestages und der Landtage besonderen verfassungsrechtlichen Bedingungen und Beschränkungen. Dies akzeptierend haben die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern Regeln und Verfahren entwickelt, um diesen juristischen Maßstäben gerecht zu werden. Das hat bisher gut funktioniert und unterlag keinen nennenswerten juristischen Bedenken. Sachsen schert nun ohne handfeste Argumente aus diesem großen und sicherheitspolitisch überragend wichtigen Konsens aus.
Schaut man aus diesem Anlass in die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, so erweist sich die Rechtslage nach der Entscheidung des Zweiten Senats zur Überwachung des damaligen Bundestagsabgeordneten und heutigen Thüringer Ministerpräsidenten Ramelow als recht eindeutig (BVerfGE 134, 141, B. v. 17. 9. 2013): Das Gericht stellte fest, dass die Beobachtung von Abgeordneten des Deutschen Bundestages (eine Übertragung auf Landtagsabgeordnete erscheint mit Blick auf Art. 39 Abs. 3 Sächsische Verfassung unproblematisch), einen Eingriff in die Freiheit des Abgeordnetenmandats bedeute, die einer hinreichenden gesetzlichen Grundlage bedürfe und strengen Verhältnismäßigkeitsstandards genüge. Eine solche gesetzliche Grundlage liege vor, §§ 8 Abs. 1 Nr. 1 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. §. 4 Abs. 1 S. 1 c BVerfSchG gestatte eine Überwachung von Abgeordneten unter der Bedingung einer spezifisch verschärften Verhältnismäßigkeitsprüfung. Dass das Gericht im Fall Ramelow die Überwachung durch das Bundesamt anders als das Bundesverwaltungsgericht (zur Kritik schon Möllers, Urteilsanmerkung zu BVerwG B. v. 15. 1. 2009 – 2 BvR 2044/07, Juristen-Zeitung 2010, 668-673) für unverhältnismäßig hielt, hing zum ersten damit zusammen, dass seiner Linkspartei nur in einzelnen Splittergruppen eine verfassungsfeindliche Einstellung zugesprochen werden konnte. Zum zweiten lag es daran, dass Ramelow selbst mit diesen Teilen der Partei nichts zu tun hatte.
Wendet man diese Begründung auf den vormaligen „Flügel“ der AfD an, so ergibt dies angesichts der neuesten Einschätzungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz sicherlich keinen pauschalen Ausschluss der Überwachung von Landtagsabgeordneten der sächsischen AfD. Der rechtsextreme Flügel spielt für die Gesamtpartei eine deutlich wichtigere Rolle. Wie es um einzelne Abgeordnete steht, bedarf dann gesonderter Prüfung.
Diese Rechtsprechung zur Überwachung von Abgeordneten muss auch im Zusammenhang mit dem neueren NPD-Urteil gelesen werden (BVerfGE 144, 20, U. v. 17. 1. 2017). Dort hatte das Gericht ein Parteiverbot unter den Vorbehalt der „Potentialität“ gestellt, der absehbaren Möglichkeit einer relevanten Beeinflussung der politischen Meinungsbildung durch die zu verbietende Partei. An dieser fehlte es der NPD laut der Entscheidung nicht zuletzt deswegen, weil die Partei im Laufe des gerichtlichen Verfahrens in zwei Landtagswahlen, einer davon in Sachsen, sämtliche ihrer Landtagsmandate verloren hatte. Wenn aber der Erfolg bei Parlamentswahlen ein wichtiger Indikator der Potentialität ist, dann würde der pauschale Ausschluss der Überwachung von Abgeordneten, die qua Mandats als besonders repräsentative Mitglieder ihrer Partei gelten müssen, ein Parteiverbot praktisch verhindern. Folgt man der Linie des sächsischen Innenministeriums, so würde zugespitzt gelten: Entweder fehlt es einer Partei an Potentialität oder sie ist im wichtigsten Teil ihrer Mitgliedschaft gegenüber einer Überwachung durch den Verfassungsschutz immunisiert, so dass die seriöse Vorbereitung eines Verfahrens unmöglich wird. Damit könnten überwachbare Parteien nicht verboten, verbotswürdige Parteien nur unvollständig überwacht werden. Gerade weil die Überwachung einer politischen Partei demokratietheoretisch so heikel ist, kann sie sich aber eigentlich nur vor dem Hintergrund eines zumindest möglichen Verbotsverfahrens rechtfertigen.
Das ändert nichts an dem schweren Eingriffscharakter einer solchen Überwachungsmaßnahme gerade gegenüber Abgeordneten. Sie muss für jeden Einzelfall gesondert gerechtfertigt sein, damit aber kann sie auch nicht pauschal ausgeschlossen werden. Für die Öffentlichkeit ist wichtig zu wissen, dass es rechtliche Gründe für die Entscheidung des sächsischen Innenministeriums nicht gibt, sondern allenfalls politische Motive. Das sächsische Innenministerium verkennt dabei auch, wie wichtig eine glaubwürdige Abwehrstrategie gegen den Rechtsextremismus, die durch konkrete Personen vertreten wird, gerade auch für das eigene Land ist. Der Kampf gegen den Rechtsextremismus in Deutschland wird in einer kritischen Phase ohne Not schwieriger.
Ich bin von dem Blogpost enttäuscht, hätte ich doch von den beiden renommierten Autoren erwartet, dass sie sich vertieft sowohl mit den aus der Ramelow-Entscheidung folgenden Voraussetzungen als auch mit den sächsischen Besonderheiten (namentlich dem Zustimmungserfordernis des Landtagspräsidenten) auseinandersetzen und so zur dringend nötigen jursitischen Aufarbeitung und Durchleuchtung dieses für die Demokratie wesentlichen Themas beitragen.
Stattdessen setzt sich bei mir der Eindruck fest, dass es sich mehr um einen politischen Beitrag handelt, bei dem das gewünschte Ergebnis im Vordergrund steht. Bereits die Einleitung setzt den entsprechenden Ton.
Aufgrund der allenfalls oberflächlichen Auseinandersetzung mit den zugrundeliegenden rechtlichen Fragen wird z.B. die naheliegende Frage nicht aufgeworfen und beleuchtet, was denn nun konkret die Anforderungen an die Beobachtung von Abgeordneten sind, wie sich die Handreichung der anderen VS-Ämter verhält und ob diese diesen nach der Ramelow-Entscheidung äußerst strengen Maßstäben ihrerseits überhaupt rechtmäßig ist. Stattdessen wird lapidar auf die entgegenstehende Praxis der anderen VS-Ämter verwiesen, als ob dies ein belastbares Argument sei. Ich bin mir sicher, dass es auch von den Autoren in anderem Kontext scharf zurückgewiesen würde.
Der Kern des Problems liegt doch scheinbar darin, dass es nicht gelingt, den Maßstäben des BVerfG gerecht zu werden. Danach kommt “[e]in Ãœberwiegen des Interesses am Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung […] insbesondere dann in Betracht, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Abgeordnete sein Mandat zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht oder diese aktiv und aggressiv bekämpft.” (Rn. 121).
Die Autoren stellen stattdessen lieber einen Pappkameraden auf, wenn sie schreiben, dass diese Grundsätze “angesichts der neuesten Einschätzungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz sicherlich keinen pauschalen Ausschluss der Ãœberwachung von Landtagsabgeordneten der sächsischen AfD” ergeben. Das hat auch niemand behauptet. Vielmehr ist der jetztige Präsident des sächsischen VS nach eingehender Prüfung scheinbar lediglich zu dem Ergebnis gelangt, dass die Voraussetzungen für eine Beobachtung nicht erfüllt sind. Dies stellt keinen Skandal, sondern einen normalen Vorgang in einer an Recht und Gesetz gebundene Behörde dar. im größeren rechtlichen Kontext wären überdies einige neuere Entwicklungen im VS-Recht kritisch zu beleuchten, was z.B. Prof. Murswiek ausführlich getan hat.
Abschließend scheint mir der Verweis der Autoren auf die NPD-Entscheidung des BVerfG nicht geeignet, um eine Beobachtung zu rechtfertigen. Diese Rechtsprechung und der zugrunde liegende Gedanke betreffen eine derart spezielle Konstellation, was einer Verallgemeinerung entgegenstehen fürfte. Man wird nicht ernsthaft bestreiten können, dass von einem Individuum keine Gefahr für den Bestand der FDGO ausgehen kann. Insofern ist der Sachverhalt nicht vergleichbar mit der des Parteienverbots. Auch hier behauptet entgegen den Autoren niemand, dass man Abgeodnete pauschal nicht beobachten darf.
Es bleibt somit festzuhalten, dass die Geschehnisse kein Alarmsignal sind, sondern einen normalen Vorgang in einer an Recht und Gesetz gebundenen Behörde darstellen. Vor diesem Hintergrund ist ausdrücklich hervorzuheben, dass sogar Vertreter anderer Parteien, die sich sonst auf Schärfste von der AfD abgrenzen, von klar verfassungswidrigem Handeln des VS ausgehen. Das spricht für sich und für das gute demokratische Verständnis dieser Politiker. Daher ist zu hoffen, dass die sächsischen Geschehnisse zu einer dringend benötigten Neuorientierung in den VS-Ämtern führt. Der Eingriff in den demokratischen Meinungsbildungsprozess von unten nach oben sollte die absolute Ausnahme sein und nur auf bombensicherer Basis erfolgen.