Saubere Wahlen werden einklagbar, Teil 2
Jetzt lichtet sich der Nebel, was die im letzten Post beschriebene Wahlrechts-Problematik angeht. Mir ist ein Gesetzentwurf zugespielt worden. Der ist zwar nicht der endgültige Stand (Datum 27.3.2012), aber einstweilen lässt er erkennen, wie sich die beteiligten Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne den künftigen Rechtsschutz bei Verfahrensfehlern bei einer Bundestagswahl wohl vorstellen.
Diesem Entwurf zufolge geht es im Wesentlichen um drei Dinge:
1. Rechtsbehelf für nicht zugelassene Parteien
Wenn der Bundeswahlausschuss eine Partei ablehnt, weil er sie nicht als Partei anerkennt, kann dieselbe künftig dagegen Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht einlegen. Dieser neue Rechtsbehelf wird direkt im Grundgesetz verankert, als Art. 93 I 4c.
Damit kann die Partei noch vor der Wahl erreichen, doch noch zur Wahl zugelassen zu werden, und muss sich nicht mit einem sinn- und fruchtlosen nachträglichen Wahlprüfungsverfahren abspeisen lassen. Die Beschwerde muss innerhalb von vier Tagen eingelegt werden – naturgemäß knapp bemessen, aber machbar.
Es gibt kein Verfahren der einstweiligen Anordnung, dafür kann das BVerfG notfalls ohne Begründung entscheiden.
Bis zu seiner Entscheidung ist die Partei als zugelassen zu behandeln. Das gilt nota bene aber nur “längstens bis zum 59. Tag” vor der Wahl, also bis zu dem Zeitpunkt, wo die Landes- und Kreiswahlausschüsse über die Zulassung der Landeslisten bzw. Kreiswahlvorschläge entscheiden. Damit können sie immerhin schon mal in jedem Fall Landeslisten und Kreiswahlvorschläge einreichen und versäumen insoweit nichts.
Das hilft ihnen aber, wenn ich das richtig lese, nichts, wenn das BVerfG bis dahin noch nicht entschieden hat. Dann erlischt die Fiktion ihrer Parteieigenschaft, und die Landes- und Kreiswahlausschüsse müssen ihre Listen ablehnen. Das heißt, sie können sich ihre Teilnahme an der Wahl an den Hut stecken, auch wenn drei Tage später das BVerfG entscheidet, dass alles prima ist mit ihrer Parteieigenschaft.
Diese merkwürdige Konstruktion wird dadurch abgestützt, dass es bei dem Rechtsbehelf nicht darauf ankommen soll, ob der Bundeswahlausschuss einen Fehler gemacht hat, sondern ob zum Zeitpunkt der Entscheidung des BVerfG die Parteieigenschaft vorliegt oder nicht.
Warum legt der Gesetzgeber nicht im BVerfGG fest, dass die Entscheidung spätestens am 59. Tag vor der Wahl vorliegen muss? Traut er sich nicht, dem BVerfG eine solche Frist reinzuschreiben? Die Roten Roben lieben es nicht, gehetzt zu werden? Herr Voßkuhle kann sich in Berlin eine Mutwillensgebühr gegen aussichtslose Verfassungsbeschwerden bestellen, ohne dass ihm jemand zu widersprechen wagt. Das Zittern der Volksvertreter vor dem Zorn der Verfassungshüter kennt offenbar keine Grenzen.
Immerhin: Der Stichtag, bis zu dem der Bundeswahlausschuss spätestens über die Parteieigenschaft entschieden haben muss, wird auch um eine Woche vorverlegt, so dass mindestens 20 Tage für das Rechtsbehelfsverfahren bleiben. Das muss Karlsruhe schon hinbekommen, in dieser Zeit zu entscheiden.
2. Wahlprüfungsverfahren schützt subjektive Rechte
Die zweite wesentliche Neuerung ist, dass künftig Wählern und Kandidaten, deren Rechte verletzt worden sind, auch nach der Wahl zumindest formal Gerechtigkeit widerfahren soll.
Bisher ging es beim Wahlprüfungsverfahren eisern nur und ausschließlich darum, ob die Wahl objektiv gültig ist oder nicht. Wurden jemandes Rechte dabei mit Füßen getreten, blieb dies absolut folgenlos, solange sich der Fehler nicht auf die Mandatsverteilung auswirkte.
Künftig kann man sich beschweren, auch ohne dabei gleich die ganze Wahl für ungültig erklären lassen zu wollen. Darüber entscheidet erst einmal der Bundestag, dann kann man nach Karlsruhe ziehen. Die 100 Unterschriften, die man dafür bisher brauchte, sind künftig nicht mehr nötig.
Wenn Bundestag bzw. BVerfG tatsächlich zu dem Schluss kommen, dass die Rechte von Wählern oder Kandidaten verletzt wurden, stellen sie das fest. Davon können sich die Betroffenen zwar nichts kaufen. Aber immerhin.
Dies ist allerdings dem Vernehmen nach der Punkt, bei es noch Probleme im Wahlprüfungsausschuss gibt. Ich kann nur Vermutungen anstellen, was die Ausschussmitglieder plagt. Vielleicht haben sie Angst, sich am Ende furchtbar viel Arbeit aufzuhalsen, wenn sie allen möglichen Klagen auf den Grund gehen müssen, ohne sie wie bisher pauschal abbürsten zu können?
Und auch auf das BVerfG kommt richtig Arbeit zu, wenn künftig jedem behaupteten Eingriff in das aktive oder passive Wahlrecht nachgegangen werden muss. Vielleicht hat ja auch Herr Voßkuhle angerufen und zum großen Erschrecken der Ausschussmitglieder durchklingen lassen, dass er die Belastung seines Gerichts doch eigentlich eher zu verringern als zu vermehren wünscht?
Ich bin gespannt, was von diesen Vorschlägen im endgültigen Entwurf noch drin sein wird…
3. Richter in den Wahlausschuss
Zuletzt sollen dem Entwurf zufolge die Bundes- und Landeswahlausschüsse nicht mehr gar so leicht als politisch besetzt denunziert werden können.
Bisher besteht der Bundeswahlausschuss aus dem vom Bundesinnenministerium bestellten Bundeswahlleiter und Beisitzern, die die im Bundestag vertretenen Parteien nominieren. Da lässt sich leicht argumentieren, dass diese Herrschaften naturgemäß dazu neigen, potenzielle Konkurrenten der etablierten Parteien beim besten Willen nicht als richtige Parteien ernst nehmen zu können.
Dem wollen die Autoren des Entwurfs dadurch abhelfen, dass künftig je zwei Richter des Bundesverwaltungsgerichts bzw. des jeweiligen OVG Sitz und Stimme in den jeweiligen Ausschüssen bekommen. Da die Ablehnung einer Partei eine Zweidrittelmehrheit erfordert, ist das schon mal was.
Foto: Adrian Clark, Flickr Creative Commons
Wo kam der Entwurf denn nun her? Eigentlich hatte <a href="http://www.jerzy-montag.de/"Jerzy Montag rechtspolitischer Sprecher der Grünen den am Dienstag auf seiner Homepage veröffentlichen wollen.
Kann ich nicht sagen, Quellenschutz
Der Entwurf mit Stand vom 27. März 2012 ist hier seit ein paar Tagen online: http://bit.ly/IaZuU1.